„Als ich das am Freitag zum ersten Mal gesehen habe, konnte ich nicht glauben, dass das die Realität war“, sagt die in Deutschland lebende Japanerin im TV. Von unserem Gastautor Andreas Lichte
Immer wieder rollt die Welle über den Bildschirm. Nimmt alles mit. Es gibt kein Entrinnen. Wenn mir das jemand nur erzählen würde, ich würde es nicht glauben. So wie damals, als ich im Auto sitze, und aus dem Radio kommt: „Ein Flugzeug ist ins World Trade Center geflogen“, und ich denke: „Das ist aber ein eindrucksvolles Remake von Orson Welles’ „Krieg der Welten“! Zu Hause dann die Bilder, und ich versuche panisch einen Freund in New York anzurufen.
Den Bildern muss man doch glauben, oder? Ich tue es. Zum Tsunami fällt mir nur Shakespeare ein:
„Das Leben ist ein Märchen, erzählt von einem Idioten, voller Klang und Wut und es bedeutet: Nichts!“
Trauer. Ein Vorhang wird zugezogen, alles liegt plötzlich hinter einem dunklen Schleier.
Wenn ich Arzt wäre, würde ich mir jetzt vielleicht Anti-Depressiva verordnen. Oder mich gleich in psychiatrische Behandlung schicken: Warum geht mir das so zu Herzen? Das sind doch Fremde, die da gestorben sind, ich kenne niemanden, der unmittelbar betroffen ist. So ähnlich ist es mir schon einmal gegangen: Damals, nach Kobe, als ich nach dem Erdbeben zum ersten Mal wieder bei „meinem Japaner“ bin, und ganz zaghaft frage …
Kobe, das war 1995. Seitdem ist mir mein Japaner zu einem Stück „Heimat“ geworden, besser zu einer Zuflucht: Immer, wenn mir „gar nichts mehr einfällt“, gehe ich hin. Das hilft: Ich tauche ein in eine fremde Welt, die ich schätze, liebe. Neulich hab ich gedacht: „Ist das nicht ein wunderbares Spiel, dieses Japanische Essen – die Stäbchen?“ Hab mich bei der Bedienung erkundigt, ab wie viel Jahren Kinder damit umgehen können: „Meins kann es schon …“ Da hab ich überlegt, ob das nicht auch mal was für Lukas, 3 Jahre, wäre.
Das waren immer glückliche Momente, beim Japaner. In meinem Tagebuch steht: „o shia wa se ni!“ – „Viel Glück!“
Während der endlosen Wiederholung der Tsunami-Bilder wird knapp mitgeteilt, dass sich die im Katastrophengebiet befindlichen Atomkraftwerke wie vorgesehen abgeschaltet haben. Aber dann taucht der erste Experte auf, der erklärt, dass die Kühlung der Reaktorstäbe ausgefallen ist. Ich hatte vergessen, was das bedeutet – wozu sich erinnern, „das kann ja gar nicht passieren!“ – aber jetzt weiss ich sofort wieder, was die unweigerliche Folge ist, ich schreibe in mein Tagebuch: „Warten auf die Kernschmelze“.
Und schaue zum ersten Mal im Internet nach, welche Windrichtung es in Japan gibt.
Samstag. Ein Reaktorblock ist in die Luft geflogen. „Der Reaktorschutzbehälter ist intakt“, kommt gleich die Entwarnung. Ich denke: „Noch.“
Auf dem Weg zum Bäcker. Der schwarze Schleier, immer dichter. Die Leute auf der Strasse geniessen den Sonnenschein, fahren in ihren Cabriolets: „Haben die noch gar nicht verstanden, was in Japan passiert ist?“
Jetzt wird die Japanische Wetterkarte auch im Deutschen Fernsehen gezeigt.
Sonntag. Ich muss mit jemandem über die Katastrophe reden. Aber mit wem? M., meine beste Freundin, würde mich vielleicht verstehen. Ich glaube, da gibt es so was wie eine „Seelenverwandschaft“, man muss gar nicht alles sagen. Im Gegenteil: es fällt mir extrem schwer, ihr meine Gefühle zu verbergen, und meine düstere Stimmung will ich ihr nicht zumuten.
Das Telefon klingelt. „Hier ist M. Ich wollte zurückrufen. Du hattest mir am Donnerstag eine Nachricht hinterlassen …“ Oh nein. Sie ist guter Dinge, fragt, ob ich schon mal auf dem Flughafen Tempelhof war, ist ja jetzt ein Park …
„Hast du gar nicht mitbekommen, was in Japan passiert ist?“
Hat sie nicht. Sie ist völlig ahnungslos. Obwohl gestern Abend, Samstag Abend, Nachbarn zu Besuch waren, „AKW-Gegner, die darüber gesprochen haben.“
„Willst du wirklich wissen, was passiert ist?“ – „Ja.“
Also erkläre ich ihr als allererstes: „Du musst dir null Sorgen machen, dass hier in Deutschland irgendetwas passiert. Es besteht null Gefahr.“ M. ist die Mutter von Lukas, und Kind setzt natürlich endgültig die letzten rationalen Kontrollmechanismen ausser Kraft. Deshalb bringe ich nur die Fakten, soweit bekannt. Aber das reicht, ist schon zu viel. Ich sage: „Ich hab’ auch überlegt, ob ich mal meinen Cousin anrufe, der ist Ingenieur, versteht mehr von Technik als ich. Wenn er Entwarnung gibt, ruf ich dich noch mal an.“ Aber an diese Entwarnung glaube ich nicht.
Mein Cousin kommt mir zuvor, ruft selber an. Ich sage: „Diesmal habe ich wirklich ein Anliegen. Sag mir mal, dass ich mir grundlos Sorgen über Japan mache, hysterisch bin.“
„Das kann ich nicht, ich bin nicht wirklich informiert. Du weißt ja, das Tagesgeschäft.“
Meine Schnell-Information: „Tagesschau.de meldet, dass 6 von 10 Reaktorblöcken keine Kühlung haben. Wenn die Meldung korrekt ist, dann wird es also 6 Kernschmelzen geben.“
Mein Cousin widerspricht nicht, das sieht der Ingenieur genauso. Die Frage, die wir nicht klären können: Bleibt das radioaktive Material im Reaktorschutzbehälter, wie in Harrisburg, oder gelangt es in grossen Mengen in die Atmosphäre, wie in Tschernobyl? Harrisburg wäre für mich inzwischen ein „glücklicher“ Ausgang – was für ein Wahnsinn! –, aber ich halte auch das Tschernobyl-Szenario für möglich, und improvisiere Katastrophe: „Zum Beispiel … wenn die Kernschmelze durch den Reaktorschutzbehälter dringt, und auf das Wasser stösst, das zur Kühlung in das Reaktorgebäude gebracht wurde, kommt es doch sofort zu einer Explosion …“
Tschernobyl in Japan: Wie will man Tokio evakuieren? Auch darauf gibt es keine Antwort. Und was das bedeutet, wissen wir.
Jeder Tod erscheint sinnlos, ist sinnlos, aber dieser tausendfache? Aus Trauer wird Wut: „Wenn ich im Internet lese, dass die Japaner verrückt sind, in einer Erdbebenzone Kernkraftwerke zu bauen … aber die konnten doch gar nicht anders: die hatten doch gar keine andere Wahl, wenn sie beim Wachstums-Wahnsinn mithalten wollten! Die brauchten doch billige Energie und in den Siebziger Jahren … “ „ Wachstums-Wahnsinn“ ist ein Angriff auf meinen Cousin, denn er ist Unternehmer. Aber anstatt mich niederzumachen, sagt er: „Ich gebe dir auch hier Recht, ich mach ja selber mit.“ „Aber das kann doch nicht immer so weiter gehen!“ „Ich habe keine Alternative: Am Ende des Monats muss ich für meine Mitarbeiter »…« Euro eingenommen haben, wenn die Firma weiterexistieren soll.“ Und:
„Wie willst du denn aussteigen? Das geht doch gar nicht: auch du gehörst doch dazu, schon wenn du in die Berliner U-Bahn steigst, das muss doch alles funktionieren, du erwartest doch auch, das alles funktioniert.“
„Stimmt.“ Aber ich sage auch: „Ich verstehe nicht, dass das Leben einfach weitergeht. Am Freitag bekam ich die Einladung zu einem Job am Montag, und ich hab erst gar nicht antworten können: »Tagesgeschäft« geht für mich gar nicht.“
Montag. Der Job: die Werbeagentur stellt sich potentiellen Neukunden vor. Und ich soll durch meine Anwesenheit dazu beitragen, dass sie erfolgreich, nach viel Arbeit, aussieht. Ein Engagement als Schauspieler. Das passt. Da kann ich auch gleich vortäuschen, dass alles normal ist. Japan? Nie gehört. Wo ist das?
Das klappt. Erst danach, beim gemeinsamen Essen mit den Agentur-Chefs, gibt es einen Zwischenfall. „Was sagst du zu den Uniformen, die die Japanische Regierung jetzt immer bei den Pressekonferenzen trägt?“
„Wenn ich mir vorstelle, dass sich Angela Merkel in dieses tauben-blaue etwas zwängt, weiss ich nicht, was die grössere Katastrophe ist“, sage ich, und ertappe mich dabei, dass ich etwas tue, das ich aus meinem Praktikum im Krankenhaus kenne: wenn die Wahrheit unerträglich wird – über unheilvolle, tödliche Diagnosen – macht man dumme Witze.
Am Montag Nachmittag entdecke ich, dass „ZDFinfo“ live das internationale, Englische Programm des Japanischen Staatsfernsehens „NHK“ überträgt. Es werden Amateur-Videos des Tsunamis gezeigt, und die Japanische Dolmetscherin übersetzt simultan auf Deutsch: Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass die Berichterstattung mit meinem Innenleben übereinstimmt. Vielleicht bin ich doch nicht krank? Sondern all die anderen, mit ihrem „business as usual“?
Dann mache ich den Fehler, nachts noch einmal den Fernseher einzuschalten: „Die innere Reaktorschutzhülle beschädigt“ „Nein!“
Dienstag. Die Zeugen Jehovas klingeln bei den Nachbarn. „Beten Sie für Japan, anstatt hier die Leute zu terrorisieren!“ Beten würde ich selber gerne, aber ich glaube nicht daran.
Mittwoch. Was bleibt noch zu sagen? Jetzt passiert das, mit dem ich die ganze Zeit gerechnet habe. Inzwischen gibt es „Probleme in 6 Reaktorblöcken“. Immer noch sagt man nicht deutlich, für jeden verständlich, dass es 6 Kernschmelzen – 6 GAUs – gibt. Aber Robert Hetkämper, ARD Korrespondent in Tokio, zu den Rettungsversuchen in Fukushima befragt, dann doch: „Es wirkt wie ein Totentanz.“
Die Mutter in Tokio bringt ihre Kinder in den Kindergarten: „Sie sollen soviel Spass wie möglich haben. Meine Kinder dürfen nicht merken, dass ich Angst habe.“ Aber jeder sieht es.
Ich finde die e-mail-Adresse der Bedienung aus dem Japan-Imbiss. Sie ist schon lange wieder in Japan. Soll ich ihr schreiben? Kann ich ihr schreiben? Die Frau im Zigaretten-Kiosk sagt: „Nein. Nicht schreiben. Das ist alles zu schrecklich …“
Es wirkt nicht nur wie ein Totentanz. Es ist auch einer. Will das hier keiner begreifen.
Danke für Ihren Beitrag. Auch ich „verstehe die Welt nicht mehr“, finde keine Worte. 6 Reaktoren. Ich kann das nicht mehr denken, diesen furchtbaren Totentanz, ich bin fassungslos – und lese Nachrichten von Aufschwung durch Aufbau, nur geringen Auswirkung auf die Weltwirtschaft – und sehe im Fernsehen eine Debatte, bei denen einem die immernochKernkraftbefürworter auch die letzten Sinne noch zu rauben drohen. Zu lesen, daß ich nicht allein da stehe, mit meinen Fragen, meinen Sorgen, meiner Ratlosigkeit und Zweifeln ist wohltuend.
Ich bin kein Rebell, aber zumindest seit der ATom-Kathastrophe in Japan, will ich ich die ganze Zeit rufen: Liebe japanische Bürger, bitte seien sie doch nicht so schrecklich höflich. Bitte seien sie doch endlich mal respektlos, raufen sich die Haare, schreien, machen Panik. Die Politiker und Lobbyisten lügen doch, offensichtlich. Aber nichts passiert. Eine wirklich für mich merkwürdige Gesellschaft, verstehe ich nicht. Über gute Radiobeiträge habe ich einiges über die Kultur erfahren. Auch ich möchte nicht die wenigen japanischen Bekannten hierauf ansprechen, was sollte ich ihnen auch sagen. Ich habe fast keine bewegten Bilder geschaut, weder vom Erdbeben noch vom Tsunami. Auch ich habe im Alltag immer wieder nach neuen Informationen, der Windrichtung aus Japan nachgefragt. Auch habe ich meine Reaktionen hinterfragt. Bin ich im unrecht. Ich habe zum Glück einen Seelenverwandten.
Zum gegenwärtigen Stand der Dinge:
Das Gebäude um den Reaktorkern von Meiler 1 ist bereits am Samstag explodiert. Die Hülle um Reaktor 2 ist nach einer Explosion beschädigt. Dasgleiche gilt für Meiler 3. In Reaktor 4 ist das Abklingbecken mit aufgebrauchten Brennelementen sich im überhitzt; ob sich überhaupt noch Kühlwasser im Becken befindet, muss bezweifelt werden.
Diese Angabe beziehen sich alle auf die AKW-Anlage Fukushima 1 (Daiichi). Weniger Aufmerksamkeit erhält Fukushima 2 (Daini). Doch auch dort ist in drei der vier Reaktoren das Kühlsystem ausgefallen. Auch dort wird evakuiert (wenn auch nur in einem Umkreis von 10 Kilometern). Auch dort ist beabsichtigt, radioaktiven Dampf abzulassen, um einer Explosion der Reaktoren vorzubeugen. Die Nachrichtenlage aus dem AKW Tokai ist noch dünner. Bekannt ist der Ausfall von zwei der drei Dieselgeneratoren am Sonntag, die Meiler kühlen sollten.
Ja, Ja, Ja, Herr Jurga – und jetzt sagen Sie doch bitte mal, was das im äußersten Falle bedeutet!
Die Welt ist doch sonst immer so bered, die Medien doch sonst so „superlativ“. Was bedeutet es, wenn nun all diese Reaktoren gleichzeitig „schmelzen“? Wenn das in die Luft geht, alles, wenn das ins Grundwasser geht, alles – was bedeutet das?
Können auch Experten das nicht mehr denken – und wollten es nie?
Danke für diesen Beitrag.
Ich bin immer noch etwas erregt von Montag, als ich an einer der vielen Anti-AKW-Demos hierzulande teilgenommen habe. Ich war fassungslos, wie selbstbezogen sich die Kundgebungsredner über ihr eigenes Befinden bei den wochenendlichen Demos in BaWü ausbreiteten, während doch in Japan gerade eine Welt, oder mindestens ein Weltbild zusammenstürzt. Ich nehme das als typisch deutsche Empathieunfähigkeit wahr, die völlig unabhängig von der politischen Gesässgeographie epidemisch weit verbreitet ist.
Die JapanerInnen leiden schon genug, wir sollten sie jetzt nicht belehren, sondern ihnen, so weit das überhaupt möglich ist, helfen und ansonsten vor der eigenen Tür aufräumen. Da sind wir gut mit ausgelastet.
Auch ich danke für den Artikel. Seit dem Katastrophen-Triple trage ich den Konflikt mit mir herum, dass das Leben keinen Raum für das Innehalten lässt. Am Tag der Tage schnell alle Bekannten abgecheckt, ob es Freunden, Familie und Arbeitskollegen in Japan gut geht und dann versucht die Sache zu den Akten zu legen. Shit happens, then you die.
Aber es geht immer weiter und selbst mit maximal ausgefahrenen Scheuklappen gelingt es nicht, einfach so zum Tagesgeschäft überzugehen.
@ Mimi Müller (# 5):
„Was das im äußersten Falle bedeutet“? – Im ÄUSSERSTEN Fall, wenn es also gleich zu mehreren sog. Super-GAUs kommen sollte, wäre ganz Japan faktisch unbewohnbar, die Nachbarländer wären von erheblichen Mengen nuklearen Fallouts betroffen, sämtliche Pazifik-Anrainer hätten Bevölkerungsschutzmaßnahmen zu treffen, und weltweit käme es zu einem Anstieg der radioaktiven Grundbelastung. Das worst-case-Szenario.
Viel interessanter scheinen mir die Fragen zu sein, welche Folgen schon jetzt in JEDEM Fall angenommen werden müssen, und welches Szenario, welcher Schweregrad als WAHRSCHEINLICH gelten müsste. Ich stimme Ihnen zu: darüber erfährt man gegenwärtig recht wenig. Entsprechende Zurückhaltung aus Pietätsgründen kann angesichts unserer freien Medienlandschaft weitgehend ausgeschlossen werden. Auch mangelndes Wissen aufgrund der restriktiven japanischen Informationspolitik vermag m.E. diese „Zurückhaltung“ nicht hinreichend zu erklären. Eine Mischung aus beidem mag ein wenig erklären. Entscheidender jedoch scheint mir der Punkt zu sein, dass – seit der Antike bekannt – dem Überbringer schlechter Nachrichten nicht eben mit Sympathie begegnet wird. Beachten Sie einfach mal dieses „Ja, Ja, Ja, Herr Jurga“ zu Beginn Ihres Kommentars!
Habe bei SpOn soben ein Video entdeckt. Es soll gestern gedreht worden sein – aus einem Hubschrauber – und zeigt die Zerstörungen der zerstörten Blöcke 1 bis 4 von Fukushima 1.
Wenn ich mir die Bilder ansehe, mit was für steinzeitlichen Methoden, dort in Japan, die Reaktoren versucht werden zu kühlen, überkommt mich das Entsetzen. Wo war die Vorsorge der Betreiber. Wo haben sich Betreiber informiert, in der Zeit, wo diese AKW’s betrieben wurden?
Es gab die Bedenken über die Notkühlung. Und schon Anfang der Siebziger Jahre, wusste man, das die Notkühlung ein Problem darstellt. Spätestens seit Harriesburg, wissen wir, wie wichtig eine sichere Notkühlung ist. Noch klarer wurde dies in Schweden, und sogar die Gerichte, haben sich in der BRD, mit den Problemen beschäftigt.
Alles erfährt man offensichtlich erst, wenn etwas passiert. Dann erfährt man, das Abklingbecken, noch Monate und Jahre gekühlt werden müssen, damit nichts passiert. Da erfährt man, das Kühlpumpen, in Seewassernähe, noch nichtmal Seewasser geschützt sind. Da erfährt man, das Reaktoren, auch wenn sie ausgeschaltet sind, noch Wochen danach gekühlt werden müssen. Wie hoch die Leistung der Pumpen sein muss, weis man bis heute noch nicht. Das muss ich einem Buch von der Regierung, aus den Siebziger Jahren entnehmen.
Wenn die Kühlung aber so wichtig ist, warum liegen dann nicht schon lange zu allen Kraftwerken, Stromleitungen von einem anderen Kraftwerk? Warum gibt es dann nicht mobile Kraftwerke (Pumpen), die zu einem AKW gefahren werden können (auf einem Boot hingeschifft werden können), wenn dort die Notkühlung ausfällt?
Es lag nicht an fehlender Information. Die konnte man bekommen, wenn man Wissenschaftler ist. Es lag an Information, die bewusst nicht gegeben wird, um Geld zu sparen. Wenn es in den Achtziger Jahren, eine solche breite Diskussion, um die Notkühlung gab, warum sind dann nicht alle Fakten auf den Tisch gekommen?
Totentanz? Mich erinnert das eher an „einen Tanz auf dem Vulkan“
Grüße, Rudi Gems
Stand Montag, 21.3.2011
Eine aus meiner Sicht als Nicht-Physiker sehr gute – vollständige und für Laien verständliche – Zusammenfassung gibt es beim “physikBlog”:
https://www.physikblog.eu/2011/03/21/eine-zusammenfassung-der-probleme-bei-fukushima-i/
“Eine Zusammenfassung der Probleme bei Fukushima I”
https://www.tagesschau.de/ausland/japan822.html
„GAU im AKW Fukushima
Japan ruft höchste Gefahrenstufe aus
Japan bewertet die Atomkatastrophe von Fukushima nun als ebenso gravierend wie das Reaktorunglück von Tschernobyl im Jahr 1986. Die Katastrophe werde auf der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (Ines) auf die höchste Stufe 7 statt bislang 5 eingeordnet, teilte die japanische Atomaufsicht in Tokio mit. Die Einstufung beziehe sich auf den Zeitpunkt des Ausbruchs der Katastrophe vor einem Monat. Seitdem sind die Werte der radioaktiven Verseuchung stark gesunken.
Es handele sich um eine vorläufige Einordnung, betonte ein Sprecher der Atomaufsicht. Die endgültige Bewertung müsse die Internationale Atomenergiebehörde vornehmen. Zuvor hatten japanische Medien berichtet, die Atomaufsicht vermute, dass die Menge des freigesetzten radioaktiven Materials für mehrere Stunden die Grenze von 10.000 Terabecquerel überschritten habe. Damit müsste der Unfall mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gleichgesetzt werden. Ein mit Stufe 7 eingeordneter Vorfall bezeichnet einen katastrophalen Unfall mit schwersten Auswirkungen auf Menschen und Umwelt.“
Tagesspiegel, 07.04.2011, Alexander S. Kekulé, https://www.tagesspiegel.de/wissen/die-taegliche-dosis-9/4037614.html
„Fukushima – Die tägliche Dosis (9)
Bad news aus den USA: Alexander S. Kekulé präsentiert ein vertrauliches Dokument der US-Atombehörde NRC und stellt fest: Es sieht in Fukushima düsterer aus, als es die Tepco-Angaben bisher vermuten ließen. (…)
Leider zeigt der Bericht auch, dass Tepco eine Reihe von folgenschweren Fehlern gemacht und falsche Informationen gegeben hat. Beispielsweise ist erst jetzt klar, dass die Brennstäbe in Reaktor 1 wahrscheinlich im Trockenen stehen – laut Tepco-Angaben waren sie immerhin halb mit Kühlwasser bedeckt. (…)“
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Als Laie frage ich mich: Wenn „die Brennstäbe in Reaktor 1 wahrscheinlich im Trockenen stehen“, bedeutet das nicht, dass es zu einer VOLLSTÄNDIGEN KERNSCHMELZE kommen muss?
https://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,762838,00.html
„Soufflé mit Kruste
SPIEGEL.online, 16.05.2011, Cordula Meyer
(…) Große Teile der Brennstäbe in Block 1 sind zu einem Uranklumpen verschmolzen, der sich nun auf dem Boden des Reaktordruckbehälters befindet. Die Masse habe wahrscheinlich bereits zentimetergroße Löcher in Schweißnähte am Stahlboden gefressen, räumte ein Tepco-Sprecher ein.
Mögliches Schreckensszenario: Wenn sich der Brennstoffklumpen weiter nach unten brennt und dort schließlich auf größere Mengen Wasser trifft, könnte es zu einer verheerenden Dampfexplosion kommen.
(…) Insgesamt befanden sich in Reaktor 1 über 60 Tonnen Brennstoff. Das geschmolzene Uran bildet wie bei einem Soufflé oben eine Kruste. Deshalb lässt sich die Masse darunter noch schlechter kühlen. Tepco verweist allerdings darauf, dass die Außentemperatur am Reaktordruckbehälter lediglich etwas über hundert Grad beträgt – ein Indiz dafür, dass die Brennstoffmasse nicht extrem heiß ist und eine Explosion deshalb nach Ansicht einiger Experten eher unwahrscheinlich.
Dampfexplosion befürchtet
Der Londoner Gutachter John H. Large geht dagegen davon aus, dass der Prozess voranschreiten wird. Wenn es schließlich zur befürchteten Dampfexplosion käme, wären die Folgen dramatisch: „Der Reaktordruckbehälter ist etwa so groß wie ein großer Bus, da käme dann eine gewaltige radioaktive Masse heraus.“
Large befürchtet, dass es in den Reaktorblöcken 2 und 3 ähnlich aussieht – oder gar schlimmer: In Reaktor 3 befindet sich weit mehr Brennstoff, auch solcher mit den sogenannten Mischoxid-Brennstäben, die das gefährliche Plutonium enthalten. Dort ist zudem die Temperatur höher. (…)“
@Arnold Voß (1),
Die Kernschmelze war unmittelbar nach dem Erdbeben und noch vor dem Tsunami!
Das kommt jetzt so allmählich heraus.
Dein Kommentar (1)
„Es wirkt nicht nur wie ein Totentanz. Es ist auch einer. Will das hier keiner begreifen“,
wird immer mehr Wirklichkeit, bzw. war schon Wirklichkeit, als du das geschrieben hast, wurde aber vertuscht!
Dabei war damals schon alles gelaufen, als wir hier wild diskutierten.
Verglichen mit den Russen sind die Japaner echte Meister! Aber im Vertuschen.
Wer hätte das gedacht?
Warum hätte das keiner gedacht?
Es will halt keiner begreifen! Das liegt am Glauben.
Am Glauben, daß westliche Technologie absolut sicher ist.
Das ist Religion!
Da kann man nichts machen. Da muß man abwarten.
Denn soviel ist ja sicher: Die Wahrheit ist ein hartnäckig Ding.
(Hab ich schon mal 2011 geschrieben.)
Solche Sachen zu vertuschen kostet aber was.
Das hat seinen Preis.
Wir werden sehen, wie hoch dieser Preis ist.
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/fukushima508.html
„Neue Tepco-Angaben zu Katastrophe in Fukushima
Kernschmelze in weiteren Reaktoren eingeräumt
tagesschau.de, 24.05.2011
Im japanischen Atomkraftwerk Fukushima ist es im März höchstwahrscheinlich in zwei weiteren Reaktorblöcken zur teilweisen Kernschmelze gekommen. Wie die Betreiberfirma Tepco mitteilte, gehe man davon aus, dass sich auch in den Reaktoren 2 und 3 die meisten Brennstäbe teilweise verflüssigt hätten, nachdem das Erdbeben und der Tsunami am 11. März die Kühlsysteme außer Betrieb gesetzt hatten. Bislang war nur von einer Kernschmelze in Reaktor 1 die Rede. Insgesamt verfügt die Anlage über sechs Reaktoren.
Den Betreiberangaben zufolge dürfte in Reaktor 2 und 3 der größte Teil der Brennstäbe bereits 60 bis 100 Stunden nach dem Beben geschmolzen und auf den Boden der Druckbehälter gelaufen sein. Die Temperaturen an den Behältern deuteten aber darauf hin, dass es durch die Einleitung von Wasser gelungen sei, die Schmelzmasse zu kühlen und stabil zu halten, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo. Aktuell seien die Reaktoren „stabil“, erklärte ein Tepco-Sprecher.
Den neuen Angaben zufolge wäre es in allen drei zum Zeitpunkt des Erdbebens in Betrieb befindlichen Reaktoren des Atomkraftwerks Fukushima I zur Kernschmelze gekommen. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass dies die Krise verschlimmere, da die Brennstäbe seitdem mit Wasser bedeckt und wieder gekühlt wurden, erklärte Tepco. (…)“
„Super-Gau in Fukushima
Noch mehr Kernschmelze – was bedeutet das?
tagesschau.de, 24.05.2011, Axel Weiß, SWR-Umweltredaktion
Bislang war von der Kernschmelze in einem Reaktor im havarierten Atommeiler Fukushima die Rede. Nun aber hat der Betreiber des japanischen Kernkraftwerks eingeräumt, dass auch die Reaktoren 2 und 3 von einer Kernschmelze betroffen sind. Was bedeuten diese neuen Erkenntnisse über den Super-Gau für die Bewerung der Gefahrenlage?
Die gute Nachricht zuerst: An der Bedrohungslage im zerstörten AKW-Komplex von Fukushima hat sich nichts geändert, auch nicht durch die Nachricht, dass bei zwei weiteren Reaktoren eine Kernschmelze stattgefunden hat. Denn das war schon lange sonnenklar. Nur eben nicht offiziell eingeräumt.
Ein Siedewasserreaktor, bei dem stunden- bis tagelang die Brennstäbe teilweise trocken liegen und nicht ausreichend gekühlt werden, wird zwangsläufig eine Kernschmelze kassieren und zwar rasch. Das dauert maximal vier, fünf Tage.
Lage ist weiter hochdramatisch
Leider kommt keine Freude auf, auf diese Tatsache bereits vor vielen Wochen hingewiesen zu haben, denn die Lage in Fukushima ist weiterhin hochdramatisch und das ist die richtig schlechte Nachricht. Zwei Reaktorsicherheitsbehälter sind ja mindestens defekt und das heißt: Radioaktivität tritt aus und kann auch nicht mal eben gestoppt werden.
Wir können nur hoffen, dass die geschmolzenen Kerne sich nicht aus dem Reaktor nach unten durch den Beton ins Gestein fressen. Bei Berührung mit Wasser wären Explosionen denkbar, die das bisherige radioaktive Desaster noch massiv verschlimmern könnten. Und wenn wir schon bei Horrorszenarien sind: Ob die maroden Reaktorruinen weiteren schweren Erdbeben standhalten werden, ist so fraglich wie weitere schwere Beben hochwahrscheinlich. (…)“
https://www.tagesschau.de/ausland/kernschmelze114.html
„Professor’s anger at lawmakers creates buzz on Internet
SHUKAN ASAHI WEEKLY MAGAZINE, 2011/08/13
(…) Tatsuhiko Kodama, 58, who heads the Radioisotope Center at Todai, was called to provide expert testimony before the Lower House Health, Labor and Welfare Committee on July 27 (…)
Kodama explained the horrifying results of those calculations at the committee session.
»The equivalent of 29.6 times of the atomic bomb dropped on Hiroshima, or in terms of uranium about 20 atomic bombs, were released by the accident,“ Kodama said. „While the remaining radiation from atomic bombs decreases to one-thousandth of the original level after a year, radioactive materials from the nuclear power plant only decrease to one-tenth the original level.« (…)“
Artikel hier: https://www.asahi.com/english/TKY201108120245.html
Video mit deutschen Untertiteln: https://www.youtube.com/watch?v=PDOBKu8P-DE
„Prof. Kodama zur Kontamination um Fukushima (Teil 1)“
@ Andreas Lichte (# 18):
Danke für die Infos / Links! Letztlich überraschen diese beeindruckenden Fakten nicht; aber man selbst ist geneigt, mit der permanenten Ruhe in den Prozess der Verdrängung einzutreten und gedankenlos vor sich hinzusäuseln: „Wird schon.“
@ Werner Jurga
wirf doch auch mal einen Blick auf das Video, du musst „CC“ im YouTube-Menu klicken, damit deutsche Untertitel kommen:
https://www.youtube.com/watch?v=PDOBKu8P-DE
“Prof. Kodama zur Kontamination um Fukushima (Teil 1)”
Da ist jemand „erzürnt“, richtig „erzürnt“ …
SPIEGEL, 27.3.2012:
„Tokio – Die Lage im japanischen Atomkraftwerk Fukushima spitzt sich erneut zu. Eine Untersuchung per Endoskop hat noch schwerere Schäden ergeben als bisher angenommen. In Reaktor 2 sei kaum noch Kühlwasser vorhanden, gab die Betreibergesellschaft Tepco (Tokyo Electric Power) an diesem Dienstag auf ihrer Internetseite bekannt.
Die Strahlungswerte in Reaktor 2 seien zehnmal so hoch wie eine tödliche Dosis. Gleichzeitig sei dort kaum noch Kühlwasser vorhanden, erklärte Tepco in einer Pressemitteilung.
Der niedrige Wasserstand sei vermutlich auf Lecks im Druckbehälter zurückzuführen, hieß es. Dies habe eine endoskopische Untersuchung vom Vormittag ergeben. So stehe das Kühlwasser nur etwa 60 Zentimeter hoch.
Verstrahltes Kühlwasser fließt ins Meer
Die Regierung war von zehn Metern ausgegangen, als sie das Kraftwerk für stabil erklärte. Nach den Mitteilungen über die niedrigen Wasserstände kann es als fraglich gelten, ob Tepco die Lage in dem havarierten Kraftwerk wirklich unter Kontrolle hat, wie die Regierung im Dezember versicherte (…)“
zum vollständigen Artikel: https://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,824161,00.html#ref=rss