Jasper ist 7 – Kiosk und Fahrzeugbau

Rock on, Jaspi (Foto: privat)

Mein kleiner Bär! So nenne ich dich immer noch. Und ich glaube, du wirst für mich noch lange mein kleiner Bär bleiben. Auch wenn du selbst sagst, dass du nicht mehr klein bist. Und du sagst es anders, als du es gesagt hast, als du wirklich klein warst. Es ist nicht mehr dieses „Ich will nicht mehr klein sein“, sondern eher die einfache Feststellung: „Ich bin nicht mehr klein.“ Und da hast du recht. Und wieder war jetzt so ein Moment, in dem es noch einmal klarer wurde. Weil du sieben Jahre alt geworden bist. Und wie bei jedem Geburtstag wollte ich auch zu diesem etwas für dich schreiben.

Aber ich bin spät dran. Normalerweise schreibe ich diese Texte hier für deinen Bruder und dich zum Tag des Geburtstags. Aber diesmal habe ich es einfach nicht geschafft. Oder andersherum: Ich hätte es schaffen können, aber dann hätte ich weder die Ruhe gehabt noch die Kraft, einen solchen Text zu schreiben, wie du ihn eben verdienst. Deswegen hatte ich mich entschlossen zu warten.

Während ich das hier nun schreibe, sind wir als Familie auf Mallorca. Ich wollte hier eigentlich nicht noch einmal hin. Wir waren hier oft, für mich zu oft, seit dein Bruder und später du auf die Welt gekommen seid. Ich mag Mallorca aus all den Gründen nicht, aus denen man Mallorca nun einmal nicht mag. Das gehört aber eigentlich nicht hierher – oder irgendwie ja doch. Denn der Grund, warum wir doch noch einmal hier sind, bist eben du.

Du bist jetzt sieben Jahre alt. Als Corona anfing, warst du knapp drei Jahre alt. Du hast nur wenig Erinnerungen daran, wie wir früher Urlaube gemacht haben. Für einige ist das ein Luxusproblem, aber mir ging und geht es immer nahe, wenn ich sehe, was du alles an schönen Dingen nicht so erleben konntest wie dein Bruder – eben wegen Corona. Und deswegen war es mir wichtig, und deiner Mama auch, dass du auch einmal so einen Cluburlaub mitmachst, wie Linus ihn vor Corona öfter erlebt hat. Und deswegen sind wir nun hier, und während ich auf der Suche nach einem Friseur bin, mache ich mich nun an diesen Text, während Linus, deine Mama und du in einem Naturschutzgebiet spazieren geht.

Immer wieder fällt der Gegensatz zwischen Linus und dir in Aussehen und Verhalten ins Auge. Auch hier merken wir das. Linus sieht mir optisch ähnlich, aber du verhältst dich oft wie ich. Manchmal eben auch, wenn es darum geht, dass du sauer bist und den Punkt verpasst, dich wieder einzukriegen.

Ich sehe dir dann dein Leid in der ganzen Wut sehr wohl an. Du willst, dass es jetzt doch einfach ein bisschen anders ist. Und niemand macht das mit. Und das macht dich wütend. Und wenn du wütend und traurig bist, dann sollen es auch die anderen sein.

Je älter du wirst, umso seltener passiert so etwas. Wenn es dann aber passiert, dann ist es wirklich schnell sehr groß und grundsätzlich und überhaupt und sowieso. Ich hoffe immer, dass du an irgendeiner Stelle noch einmal mehr von deiner Mama bekommst und von ihr lernst, Dinge einfach gut sein lassen zu können.

Doch so schwer es dir diese Eigenschaft manchmal macht, so sehr treibt sie dich an anderen Stellen an. Wie auch mich. Weiter. Immer besser. Das ist die positive Kehrseite, die mich zumindest immer wieder weiter gebracht hat.

Vor einigen Monaten war es so, dass du abends unbedingt eine Süßigkeit haben wolltest. Und ich wollte dir diesen Wunsch unbedingt erfüllen, aber es war schon nach 21 Uhr, und wir hatten Angst, dass man sie nicht mehr bekommt. Dann habe ich gesagt, dass wir jetzt eben noch zum Kiosk laufen. Wir wussten nicht, wie lange der Kiosk geöffnet hat. Ich habe einfach mal 22 Uhr vermutet, und es war wirklich kurz vor 10. Es muss also Wochenende gewesen sein, sonst wärst du ja kaum so lange wach gewesen – hoffe ich. Auf jeden Fall habe ich dich aus deiner Wut dadurch lösen können, dass ich gesagt habe: „Entweder wir gehen jetzt sofort, oder du schreist noch ein bisschen. Dann kannst du danach weinen und schreien, wie du willst, aber der Kiosk hat zu.“ Du hast mich angeschaut, noch einmal nachgedacht und bist dann runtergerannt in den Flur, um deine Schuhe anzuziehen. Und ich hinterher. Wir sind dann zum Kiosk gejoggt. Du warst überzeugt, dass wir es nicht schaffen würden. Ganz ehrlich, ich wusste es nicht. Und dann habe ich gesagt, dass wir vielleicht nicht rechtzeitig da sind, aber dass wir jetzt auch nicht aufgeben werden, sondern weitermachen: „Ein Bartoschek gibt niemals auf!“

Ich habe das in diesem Moment gesagt und ernst gemeint. Wie mir im Nachhinein klar wurde, viel ernster, als ich es in dem Moment selbst gedacht hatte. Aber du scheinst es gefühlt zu haben, wie du so vieles sehr feinfühlig spürst, auch wenn das für viele nicht zu deinem mitunter exklusiven Verhalten passt. Ich hingegen kann das sehr gut nachvollziehen.

Auf jeden Fall wiederholst du diesen Satz seitdem immer mal wieder, wenn es darum geht, etwas zu probieren – egal, ob wir wissen, dass wir es schaffen können oder auch nicht. Und wann immer du das sagst, fühle ich einen unfassbaren Stolz. Manchmal so stark, dass er mir den Brustkorb zuschnürt. Und dann tun wir Dinge. Manchmal schaffen wir sie, manchmal nicht. Aber wir tun sie halt.

Ich genieße es unfassbar, wie viel Vertrauen du immer wieder in mich setzt. Gestern saßen wir am Pool, und du beschließt, dass du mit mir ein Auto bauen willst. Also so in Richtung einer Seifenkiste, aber eben deutlich größer. So dass zwei Personen darin sitzen können – mit Stühlen, Pedalen, Lenkrad, Seitenverkleidung und allem Zipp und Zapp. Ich stutzte kurz, und du erklärtest mir, dass wir das doch immer machen, zum Herbst hin irgendetwas bauen. Und dass es toll ist, dass ich alle Sachen bauen kann.

Meine handwerklichen Fähigkeiten sind aber nun etwas, das nach den meisten objektiven Gesichtspunkten weit hinter meinem polnischen Migrationshintergrund zurückbleibt. Aber es geht hier nicht um objektive Wertungen. Ich genieße deine subjektive Einschätzung, und du genießt es, dass wir uns gestern ans iPad gesetzt haben, um zu planen, nach Rädern im Baumarkt-Onlineangebot zu schauen und uns zu überlegen, was man wie stabilisieren muss. Und was ich mit stabilisieren überhaupt meine…

Und was soll ich sagen? Vielleicht wird es der schlechteste Versuch eines Gefährts in der Geschichte des Fahrzeugbaus, aber vielleicht auch nicht. In jedem Fall werden wir es probieren.

Und ich weiß, egal wie es am Ende aussehen wird, du wirst Spaß daran haben, es mit mir zu bauen. Du wirst mir vertrauen und stolz auf mich sein.

Und ich werde dir vertrauen und stolz auf dich sein. Immer.

 

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Werbung