Zwischen Abitur und Studium lagen bei mir sechzehn Monate Zivildienst bei der Arbeiterwohlfahrt in Gelsenkirchen. Ohne Frage Zwangsdienst, den ich nie freiwillig absolviert hätte. Trotzdem war es eine gute Sache.
Die alleinstehende Dame wohnte in einem großen, freistehenden Haus in der Nähe von Schloss Berge im Gelsenkirchener Stadtteil Buer und war nicht mehr in der Lage, die große Rollade vor ihrem Wohnzimmer morgen hochzuziehen. Das war meine Aufgabe. Wenn ich bei meinem Lieblingsehepaar, ihm fehlte ein Bein und sie war auch nicht mehr gut zu Fuß, den Flur geputzt und die Kohlen hochgeholt hatte hieß es oft: „Jetzt trinkst Du aber noch einen Schnaps“ und wir saßen noch etwas in der Wohnküche zusammen. Anderen holte ich Getränke aus dem Keller oder kaufte für sie, was verboten war, auch mal eine Flasche Klosterfrau Melissengeist ein. Sechzehn Monate ging das so, als ich meinen Zivildienst bei der Arbeiterwohlfahrt in Gelsenkirchen Schalke im mobilen Hilfsdienst ableistete. Die allermeisten meiner Omas und Opas mochte ich, nur ganz wenige konnte ich nicht ausstehen. Freiwillig hätte ich das nie getan, es war ein Zwangsdienst. Nach dem Abitur wäre ich am liebsten sofort zur Uni gegangen, aber ich war trotz aller Bemühungen, bei der Musterung einen anderen Eindruck zu erwecken, kerngesund.
Trotzdem war der Zivildienst eine gute Zeit und das war mir schnell klar geworden, nachdem ich am 1. September den Dienst antrat. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, etwas wichtiges zu tun. Mit meiner Arbeit trug ich dazu bei, dass viele Menschen nicht ins Heim mussten, sondern in ihrer Wohnung bleiben konnten. Und das wollten sie alle, vor dem Heim hatten sie Angst, sie wollten möglichst lange selbstständig bleiben.
Meine Arbeit war nicht besonders qualifiziert, zwei Tage wurde ich angelernt: Putzen, Kohlen hochholen, etwas plaudern, das wars. Ich war nicht in der Pflege und ich betreute keine Schwerstbehinderten. Ich nahm keiner ausgebildeten Kraft den Job weg, denn für die Tätigkeit musste man nicht ausgebildet sein.
Trotzdem war es eine gute Arbeit, sie gab Sinn. Und ich habe viele Erfahrungen gesammelt. Die meisten meiner Omas und Opas war freundlich, viele sogar wirklich lieb. Sie waren dankbar dass ich kam und freuten sich darüber. Natürlich hab ich auch übles erlebt. Einmal fragte ich eine Frau, wie es ihrem Mann ginge. Er saß im Wohnzimmer und ich wollte ihn nicht stören. „Ist egal wie es dem geht, da hat Krebs und ist bald weg“, rief sie laut. Bis heute ist das einer der schlimmsten Augenblicke die ich in je erlebt habe. Eine Woche später war der Mann übrigens tot.
In der Diskussion über die Einführung habe ich ein paar Mal gelesen, so ein Dienst wäre „Zwangsarbeit“. Nein, dass war es nicht. In keinem Moment kam ich mir vor wie ein Lagerinsasse, wer so etwas schreibt verniedlicht den Terror der Arbeit sein kann.
Der Zivildienst hatte – wie die Bundeswehr – auch die Funktion eine Initiationsritus. Er markierte den Übergang von der Kindheit, dem Schülerdasein, in die Welt de Erwachsenen. Das Frauen diesen archaischen Ritus zumindest in Deutschland nicht absolvieren mussten, könnte eine der Quellen der Ungleichbehandlung sein. Männer haben in diesen Diensten gemeinsame Erfahrungen gemacht, die Frauen fehlten.
Bin ich für einen verpflichtenden Dienst? Nein, ich bin gegen Zwang. Für so etwas zu sein ist einfach nicht meine Art. Aber man sollte die Kirche im Dorf lassen: Käme ein solcher Dienst, wäre es keine Katastrophe. Zumindest bei der AWO in Gelsenkirchen haben alle die Zeit gut überstanden.
Zitat:
"Der Zivildienst hatte – wie die Bundeswehr – auch die Funktion eine Initiationsritus. Er markierte den Übergang von der Kindheit, dem Schülerdasein, in die Welt de Erwachsenen. Das Frauen diesen archaischen Ritus zumindest in Deutschland nicht absolvieren mussten, könnte eine der Quellen der Ungleichbehandlung sein. Männer haben in diesen Diensten gemeinsame Erfahrungen gemacht, die Frauen fehlten."
Nö. Frauen sind einfach viel früher geistig reif und erwachsen, ich vermute das hat auch was mit Hormonen und Genetik zu tun, daher brauchen sie keinen solchen Ritus. Es ist der Mann, der einer Mäßigung und Edukation bedarf und durch solch einen Ritus seinen Platz in der Welt findet.
@Nina: Jajaja 🙁
@Nina: Frauen sind die besseren Menschen, werden deshalb von Männern kleingehalten, und die Sonne dreht sich um die Erde …
@Nina: Oops und ich verbrachte eine große Zeit meines Zivildienstes in einem, dem Krankenhaus angeschlossenen pathologischen Instituts. "Leichenabholdienst" nannte sich die Aufgabe. OK. Habe da jede Menge über des Menschen Inneres gelernt. Bin ich da nun initiiert worden?… Vielleicht sogar zum Manne erzogen worden?
Ich bin ein Freund der Gleichberechtigung und konnte nie verstehen, wieso Frauen nicht zu Bund mussten. Das war für mich zutiefst ungerecht.
Natürlich war ich Bund, da ich es für sinnvoll halte, dass sich ein Land auch verteidigen kann und dass dies durch die Bevölkerung (inkl. Frauen) geschieht und nicht durch Söldner. Aber damals wurde auch noch das Land verteidigt und nicht irgendeine Wüstenregion am Ende der Welt, deren Jugend das Land verlässt bzw. andere Interessen hat.
Ich wäre auch nie freiwillig zum Bund gegangen, wenn ich die Wahl gehabt hätte.
Auch wenn zurzeit wieder viele von einer Dienstpflicht träumen, so gibt es doch immer noch das Verbot der Zwangsarbeit:
https://www.menschenrechtskonvention.eu/zwangsarbeit-9312/
Zwangsarbeit… ist ein hartes Wort. Ich hatte mal einen Rechtsreferendar, der meinte, die Referendarzeit sei Zwangsarbeit. Was soll ich bei Gericht arbeiten, wenn ich doch eh nur bei {hier eine Großkanzlei einsetzen} bei M&A arbeite? (M&A = Mergers and Acqusitions = Unternehemensübernahmeberatung) Auf meine Frage: Wie schätzt Du denn dann Prozessrisiken ein – kam die entwaffnende Antwort: Ich frage einen aus der Litigations-Abteilung. Ist das Zwangsarbeit – wohl kaum, jedenfalls nicht im Sinne der EMRK – sonst hätte die Länder, die noch eine Wehrpflicht haben, ein Problem. Bin ich für eine allgemeine Dienstpflicht? Nein, aber vor allem, weil sie die Probleme nicht löst: In der Pflege fehlen qualifizierte Fachkräfte und auch die Aufgaben der Bundeswehr erfordern heute mehr, als ein Gewehr gerade zu halten – und sein wir ehrlich: mehr wird man in 12 Monaten nicht lernen.
@discipulussenecae: Denkst Du das wirklich? Tut mir Leid für Dich.
😀
@6 RalfN
Militärdienst ist natürlich erlaubt und eine Ausnahme. Nach meinem Verständnis ist ein Zwangsdienst im sozialen Bereich aber nicht erlaubt, wenn die Welt nicht kurz vorm Untergehen ist.
Der Bund bekommt aus dem Kreis der Wehrpflichtigen neue Spezialisten, die ihr Interesse am Militär finden. Panzerfahren, Schießen etc. ging früher auch nach ein paar Wochen. Soll das jetzt trotz Automatisierung etc. schwerer geworden sein?
Sind bei den Auslandseinsätzen nur Spezialisten? Oft sind es doch Patrouillenjobs mit eher einfachen Ausrüstungsgegenständen, die übrigens aus meiner Sicht auch von der einheimischen Bevölkerung erledigt werden könnten.
Es gab bspw. eine Doku von US-Minenentschärfern. Dabei wurde neben ein paar kleinen Robotern viel mit der Hand gearbeitet. Das ist natürlich risikoreich.
Wenn ich bspw. heute über die Diskussionen über kleinere Märsche im Gepäck im Sommer denke, habe ich auch nicht das Gefühl, dass es gelingt, qualifizierte Menschen im ausreichenden Umfang anzuwerben. Dies gilt auch für die Soldaten, die noch nicht volljährig sind.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-zahl-der-minderjaehrigen-soldaten-steigt-a-1186853.html
@Nina, interessanter Ansatz: Initiationsritus vs. Frauen sind einfach viel früher geistig reif und erwachsen.
Ersteres kann man durchaus so sehen, zumindest in Bezug auf den Wehrdienst an sich. Es gibt ja auch Initiationsriten, die sich explizit an Frauen richten (Aufnahme in den Kreis der heirats- und damit gebärfähigen Frauen). Weshalb sollte man dann nicht auch den Wehrdienst als Initiationsritus für Frauen (Aufnahme in die Gesellschaft der mündigen, für sich selbst verantwortlichen Gesellschaftsmitglieder bzw. Gesellschaftsmitglieder, die selber Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen können) verstehen? Gleiches passierte ja letztlich auch im Rahmen des Ersatzdienstes (bei mir in der palliativen Onkologie), nur deutlich weniger formalisiert/ritualisiert.
"Frauen sind einfach viel früher geistig reif und erwachsen." Dem muss ich aus eigener empirischer Erfahrung in Familie und dem Freundeskreis eindeutig widersprechen. Da hätte ein Pflichtjahr Wehrdienst/Ersatzdienst in zahlreichen Fällen eher aufklärerisch gewirkt (raus aus den eigenen Strukturen, raus aus dem warmen Nest, raus aus der eigenen Filterblase).
@Nina: Vielleicht hätten Sie im Rahmen eines allgemeinen Pflichtjahres ja eine gewisse Ironiefähigkeit entwickelt …