Jörg Buttgereit, Kultregisseur aus Berlin inszeniert am Schauspielhaus Dortmund NOSRERATU LEBT! Am Samstag feierte das Stück im seit vielen Wochen ausverkauften Studio vor einem begeisterten Publikum Premiere. Das Theaterstück ist eine Referenz an Friedrich Wilhelm Murnaus Film NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS, einen der berühmtesten deutschen Film aus der goldenen Stummfilm-Ära der Zwanziger Jahre. Murnaus Schuhe sind groß, doch mühelos schlüpft Buttgereit in sie hinein.
Multitalent Jörg Buttgereit ist Filmemacher, Autor, Filmkritiker und Hörspielschreiber – und immer häufiger auch Theaterregisseur. In seiner neuen Inszenierung für das Schauspiel Dortmund bleibt Buttgereit dem Horrorfilm treu. Buttgereit wurde als als Kind durch Monster- und Horror-Filme sozialisiert“, diese Sozialisation ist offensichtlich gut gelungen.
Die Liebe zum Horrorfilm und die Genauigkeit in der Beobachtung selbst kleinster Film-Details ist in Buttgereits Annäherung an den weltberühmten Murnau Stummfilm von 1922, nicht zu übersehen. Ihm gelingt mit seiner Bühnenadaption sowohl eine Hommage an den Stummfilm, an den großen deutschen Regisseur Murnau als auch an ein Genre, das nach dem ersten Weltkrieg seine allerersten Schritte machte und heute nicht nur in Hollywood, sondern auf der ganze Welt die Kinosäle füllt. Die Geschichte basiert auf dem berühmten Roman „Dracula“ von Bram Stoker. Der aus Copyright-Gründen in Nosferatu umgetaufte Graf lebt in Transsilvanien einsam auf einem Schloss. Er ist ein Vampir, der nur am Leben bleibt, wenn er regelmäßig anderen Menschen das Blut aussaugt. Als er sich in Ellen, die Frau von Thomas Hutter verliebt, nimmt das Drama seinen Lauf. In einem Sarg versteckt, folgt Nosferatu Hutter in dessen Heimatstadt und zieht in das Haus gegenüber der Familie ein. Ellen ist eine Frau mit reinem Herzen („a woman pure in heart“) und ist bereit, mit ihrem Blut Nosferatu zu retten. Erst nachdem Nosferatu Ellen gebissen hat, darf der Nacht für Nacht Getriebene, endlich sterben.
Das Bühnenbild von Susanne Priebs enthält zahlreiche Referenzen an den Film, wie die Form der Tür, durch die Nosferatu im Film – genauso wie auf der Bühne – schreitet. Das Bühnenbild ist reduziert, nimmt sich zurück und betont auf diese Weise an den richtigen Stellen Szenerie und Handlung. Ein wunderbares weiteres Element ist das Schattenspiel im hinteren Bühnenraum, hinter dem die Schauspieler immer wieder als Schattenriss verschwinden und die Handlung so auf eine zweite, poetische, Ebene heben. Wenn Hutter für seine Frau Lilien pflückt, die Kutsche von Nosferatu langsam ins Bild fährt, Blätter im Sturm wirbeln oder Nosferatu’s Krallen sich als schwarze Spinnenhände vom weissen Hintergrund abheben, wird aus der unheimlichen Grundstimmung eine fast heitere.
Heiter wird auch Hutter von Ekkehard Freye gespielt. Leichtfüßig tänzelt er über die Bühne und macht sich abenteuerlustig und beschwingt auf die Reise nach Transsilvanien. Er bietet, naiv-ahnungslos wie das Murnau-Pendant Gustav von Wangenheim, einen Kontrapunkt zu den düsteren Protagonisten. Das Erwachen angesichts der wahren Identität und der Pläne Nosferatus ist heftig und trifft ihn mit großer Wucht.
Die auf eine Leinwand projizierten Texte, die im klassischen Stummfilm die nicht-gesprochenen Worte ersetzen, bilden zusammen mit der Musik die dritte Ebene des vielschichtigen Stückes. Der talentierte Kornelius Heidebrecht begleitet Stummfilm-gerecht das Stück live mit eigenen Kompositionen am Klavier. Mit seinem ausdrucksstarken Spiel, Geräuschen und Gesang ist er nicht Hintergrundsound, sondern zentraler Bestandteil der Handlung. Er greift ein, erzeugt dramatische Stimmungen und eine unheimliche Atmosphäre.
Die Inszenierung wird vorangetrieben von Andreas Beck, der in der Rolle des Häusermaklers Knock als advocatus diaboli den jungen Hutter zu Nosferatu schickt. Besonders überzeugt Beck in der Rolle als Conférencier, der das Publikum durch die Handlung führt. Er spricht die Zuschauer direkt an und bindet sie unmittelbar ein.
Die vierte Ebene bildet das Bett von Ellen Hutter, die hervorragend von Annika Meier gespielt wird. Sie schafft es, die aus heutiger Sicht fast komisch – manieriert wirkenden Stummfilm-Göttinnen darzustellen, ohne sich über die „Überinszenierung“ der Emotionen lustig zu machen. Das der Film auf der Bühne gut funktioniert, ist auch ein Verdienst von Meier. Sie spricht als Ellen am Anfang des Stückes ahnungsvoll die Nähe des Menschen zum Tod an. Nach den bestandenen Gefahren ihres Mannes denkt sie darüber nach, dass der Tod ein Hinweis ist auf den „ewigen Tanz“ des Wandels, der sich im Leben immer wieder vollzieht: Der Mensch, der im Laufe seines Lebens viele kleine Tode stirbt, muss immer wieder loslassen.
Aber wer sterben lernt, muss nicht mehr dienen und ist frei. Für Nosferatu ist der Tod Erlösung. Ellens Gedanken wirken weniger unheimlich-morbide, als vielmehr versöhnlich. So wie am Ende, nachdem sie sich Nosferatus Biss hingegeben hat, etwas Versöhnliches steht. Ellen lehnt sich zärtlich an seine Schulter im gemeinsamen Sarg.
Uwe Rohbeck spielt die zentrale Rolle des Nosferatu. Buttgereits Rollenbesetzung ist perfekt, denn Rohbecks Darstellung des Vampirs steht dem „Original“-Nosferatu Max Schreck in nichts nach. Er hat auch ohne Stimme eine starke Ausstrahlung. Er wirkt mysteriös, unheimlich und manchmal rätselhaft, wie der Graf Dracula in dem zugrunde liegenden Roman. Allein durch Mimik und Bewegung zieht er das Publikum in seinen Bann.
Eine Stärke des Stückes ist der mühelose Wechsel von komisch zu ernsthaft-nachdenklich. Die Tragik und das Düstere ist präsent und gleichzeitig kommt immer wieder der wunderbare und einzigartige Buttgereit-Humor zum Vorschein und brachte das Publikum an vielen Stellen zum Schmunzeln und Lachen. Umso irritierender war das Ende des Stückes, als Hutter die Todesfuge zitiert. Das Paul Celan-Gedicht, dass durch das Zitat „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ bekannt wurde, ist unbestreitbar eines der wichtigsten Gedichte zum Holocaust. Andreas Beck weist am Anfang des Stückes als Conférencier darauf hin, dass der Murnau-Film die deutsche Tyrannen-Haßliebe vorweg- genommen hat und die anti-aufklärerische Sehnsucht eines Volkes thematisiert, das sich einem Führer (Hitler) unterwirft. Das allein hätte gereicht, um den Film im Kontext seiner Zeit und der politischen Situation zwischen zwei Weltkriegen gerecht zu werden. Unabhängig von der Frage, ob Hitler ein dämonischer Tyrann war oder nicht vielmehr ein vom Volk gewählter und gewollter Reichskanzler, ist das Gedicht an dieser Stelle nicht nur deplaziert, sondern lässt einen ratlos zurück.
An der großen Qualität des Stückes ändert das Ende nichts. Gehen Sie hin, sehen Sie es sich an! Und vergessen sie nicht, sich bei der nächsten Gelegenheit einmal wieder Murnau’s Nosferatu-Film anzusehen. Auch das Buttgereit einen an dieses wunderbare Stück der Filmgeschichte erinnert, ist ein herzliches Dankeschön wert. Danke, Buttgereit!
Alle Vorstellungen sind ausverkauft :-/