Johan Galtung – Integrationsdebatte vom Kopf auf die Füße gestellt

Johann Galtung Foto: David Lisbona/cc/Wikipedia

Johan Galtung, ein Großer der Friedenswissenschaften, blickt auf 80 Lebensjahre zurück. Von unserem Gastautor Ronald Milewski.

Am 24. Oktober dieses Jahres vollendete Johan Galtung, einer der Begründer der modernen Friedens- und Konfliktforschung, sein 80. Lebensjahr. Während Galtung seinen Jubeltag feiert und Thilo Sarrazin in aller Munde ist, wird zeitlich parallel in Hagen das Institut für Frieden und Demokratie an der Fern-Universität, dem der norwegische Jubilar lange Jahre Mentor war, in ziemlicher Stille „abgewickelt“. Prof Dr. Hajo Schmidt, Direktor des Instituts geht in Rente und mit ihm nach aller Wahrscheinlichkeit das Institut, das er 1995 mitbegründet hat. Friedenswissenschaften gehören nicht zum Grundfächerangebot einer deutschen Universität. Die FernUniversität hat sich zu einer „Nicht-Weiterführung“ der Studienangebote entschlossen. In der Hoffnung, dass mehr als der Geist des Instituts weiterwirkt, haben dessen Mitarbeiter daraufhin Anfang dieses Monats zu einer „Bilanztagung“ eingeladen.

Johan versus Thilo

Galtung, norwegischer Weltenbummler in Sachen Friedensforschung und -stiftung, ist der Ruhrregion seit nunmehr 15 Jahren durch sein Engagement am Institut für Frieden und Demokratie der FernUni Hagen verbunden. Einerseits indem er für die Studiengänge dort einen umfassenden Studienbrief mit dem Titel „Frieden mit friedlichen Mitteln“ verfasst hat, andererseits  indem er regelmäßig zu Präsensseminaren zur Einführung Studierender in die von ihm entwickelte „Transcend-Methode der Konfliktbearbeitung“ herkommt. Zudem feiert der Norweger seine besonderen Geburtstage im Rahmen von Tagungen in Iserlohn oder Schwerte nach oder nahm, wie im Jahre 2001 geschehen, die Ehrendoktorwürde der FernUni entgegen. Die Liste der Auszeichnungen, Vermittlungsmissionen und Veröffentlichungen, Gast- und Honorarprofessuren des 1930 in Oslo geborenen Mathematikers und Soziologen ist lang. Dennoch sind ihm und seinem Ansatz bei Wikipedia lediglich drei Seiten gewidmet, Thilo Sarrazin derer neun. Johan: trois points, Thilo: neuf points. Dabei hätte Johan einiges mehr als Thilo zum Thema Integration zu sagen. Was ist da falsch gelaufen?

An der Fähigkeit zu polarisieren kann es bei der Minderpräsens im Online-Portal kaum liegen. Auch Galtung, Arztsohn aus gutem Hause, ist dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und Tacheles zu reden. In einem Interview mit Spiegel Online acht Tage nach den Angriffen auf das World Trade Center fordert er  bereits 2001, in Afghanistan auch mit den Taliban, wie er es selbst zuvor als Vermittler getan hatte, zu reden, nennt Huntingtons Buch über den „Clash der Kulturen“ einen Etikettenschwindel, den globalen Konflikt stattdessen einen Klassenkonflikt zwischen armen und reichen Ländern, Henry Kissinger den „Bin Laden Chiles“ und Joschka Fischer einen Nationalisten. – alles in einem Abwasch. Gleichzeitig warnt der Träger des Alternativen Nobelpreises und des Gandhi-Preises einmal in Fahrt gekommen vor einer kriegerischen Intervention in Afghanistan, entwirft einen Alternativplan am Verhandlungstisch und erinnert daran, dass auch Extremisten Gründe für ihr Verhalten haben. Ökonomen, einen schönen Gruß an Herrn Sarrazin, bezeichnet der Interviewte umgekehrt als Fundamentalisten, wenn sie „monochromatisch denken, also einem Text oder einer Lehre hörig sind“ und vermutet, dass westliche Ökonomen durch ihre Lehre mehr Menschen demütigen oder sogar töten „als die so genannten islamischen Fundamentalisten“.

Galtung als Prognostiker

Keilt Galtung im Gegensatz zu Thilo in die falsche Richtung aus? Ist er zu undiplomatisch für einen Friedenforscher, um ausführlicher Erwähnung zu finden? Als Wahrsager hat er sich immerhin insofern bewährt, als er 1980 für 1990 den Fall der Mauer vorhersagte und das sich anschließende Ende der Sowjetunion. Für den Fall des Eisernen Vorhangs sagte er obendrein mit immerhin 50prozentiger Trefferquote als neues Feindbild den Islam bzw. die Grünen voraus. Ich selbst durfte auf einer der Veranstaltungen, bei denen ich Mitte der Dekade Galtung in der Evangelischen Akademie Iserlohn erlebte, die Korrektur einer anderen seiner Vorhersagen life erleben. Galtung korrigierte seine im Jahr 2000 gemachte Prognose für den Untergang des US-Imperiums aufgrund der Präsidentschaft von George W. Bush von „2020 bis 2025“ auf „vor 2020“. Der Gast aus Norwegen, der sich seit Jahrzehnten theoretisch und praktisch um das Konzept des „Friedensjournalismus“ kümmert, bewies wieder einmal, für eine markige Schlagzeile gut zu sein. Dennoch machen Journaille und Talk-Shows aktuell einen Bogen um den Jubilar und stürzen sich auf Thilo.

Direkte, strukturelle und kulturelle Gewalt

Vielleicht liegt es auch an Galtungs Lebenswerk. Vielleicht ist es zu umfangreich, zu kompliziert, birgt zu wenig einfache Erklärungen? Galtung hat über mehr als fünf Dekaden verteilt zahlreiche innovatorische Konzepte entwickelt. Zöge man sie heran, könnten diese die aktuelle Integrationsdebatte befruchten,  so z. B.:

–       die Unterscheidung zwischen direkter, struktureller und kultureller Gewalt als Ursachenfaktoren von Konflikten und das Aufzeigen der Zusammenhänge zwischen diesen Dimensionen;

–       die Unterscheidung zwischen Penetration, Segmentierung, Marginalisierung und Fragmentierung zur Kennzeichnung struktureller Gewalt;

–       die Unterscheidung von vier menschlichen Bedürfnisklassen nämlich Überlebens-, Wohlbefindens-, Identitäts-, Freiheitsbedürfnissen, die bei Frustrierung zu Gewaltausbrüchen führen;

–       die Unterscheidung zwischen uns allen als menschlicher Spezies gemeinsamen Universalia, z. B. der physiologischen Basis des Verstandes, und „tiefenkulturell“ geprägten Partikularia, die weitgehend un(ter-)bewusst Einstellung, Annahmen und Verhalten von Menschen verschiedener Kulturen in unterschiedlicher Weise prägen.

Wer es einfacher haben will bei seinen Erklärungen, greife halt zu Thilo. Immerhin stellen die genannten Konzepte nur einen verschwindend kleinen Ausschnitt aus einem erheblich größeren Instrumentarium zur Analyse von Konflikten und Gewaltausbrüchen dar.  Dazu liefert die Transcend-Methode der Konfliktbearbeitung dem Berater das Handwerkszeug zum Umgang mit Konflikten. Den Anwendungsbereich für die Methode sieht Galtung umfassend sowohl im „Mikrobereich des inneren Menschen und der Familie“, im „Mesobereich der Gesellschaft“ und im „Makrobereich zwischengesellschaftlicher und überregionaler Konflikte“.

Globalisierung, Migration, Integration

Doch bleiben wir auf der mittleren Ebene und bei der Integrationsdebatte. Bereits 1997 beschäftigt sich Galtung mit den Konsequenzen dr Globalisierung und veröffentlicht seine Überlegungen in dem Buch „der Preis der Modernisierung“. Ein zentrales Anliegen ist ihm darin die soziologische Analyse innergesellschaftlicher Prozesse, die die Betrachtung der Bedeutung von  Migrationsbewegungen einschließt. Diese sieht Galtung als potentiell geeignet den Übergang von der modernen zur postmodern geprägten Gesellschaft mit den Folgen soziale Desintegration, Atomie, sprich Auflösung von Strukturen, und Anomie, sprich Verlust von Normen und Werten, zu beschleunigen.

Wie gewohnt belässt es der Norweger nicht bei der Analyse, sondern schlägt gleich die Therapie vor, nämlich sich in Auflösung befindende hierachische Strukturen zu rekonstituieren („some big is necessary“) und durch horizontale Beziehungsnetzwerke in Arbeit und Freizeit („small is beautiful“) zu humanisieren. Um die Kulturbildung zu fördern und die Entkulturalisierung umzukehren, schlägt er zudem vor, „immanente und transzendente Religionen zu fördern“. Seinem Misstrauen gegenüber den Buch-Religion und seiner Sympathie für den Buddhismus ist die Ergänzung zu verdanken, „die sanfteren Aspekte der Religionen zu fördern und die härteren zurückzudrängen“. Wie gesagt, dieses hier äußerst grob umrissene Programm zum innergesellschaftlichen Umgang mit Globalisierungs- und Migrationsfolgen ist 13 Jahre alt. Daran gemessen räumt Angela Merkel mit ihrem apokalyptischen Fazit vom 16.10.2010, die Multikulti-Gesellschaft sei „absolut gescheitert“, nach 5 Jahren Kanzlerschaft vor allen Dingen das eigene Scheitern ein, Integrationsmechanismen auf den Weg zu bringen.

Dabei hatte Galtung 1997 noch den Konservativen die bessere Diagnose der Situation attestiert – wegen deren Augenmerks für strukturelle und kulturelle Komponenten. „Liberale, Marxisten und Grünen“ hatte er dagegen davor gewarnt, sich auf Fragen der Distribution von Rechten und Pflichten, Macht und Privilegien zu konzentrieren, und den „Linken“ ausdrücklich empfohlen, Kultur, Ethos und Religion ernster zu nehmen:

„Nichts von alldem wird sich von selbst ergeben, und in Krisenzeiten mag es geschehen, dass sich die Menschen auch den härteren Aspekten der Religionen mit ihren Botschaften der Abgrenzung … zuwenden.“ (aus: Johan Galtung: Der Preis der Modernisierung)

„Zentrale Korsettstange“ und „eierlegendes Wollmilchschwein

Galtung schaut inzwischen auf mehr als 50 Jahre aktive Friedensarbeit und –forschung zurück: Nach Kriegsdienstverweigerung und Gefängnis gründete er bereits 1959 das Internationale Friedenforschungsinstitut PRIO in Oslo, 1964 das Journal of Peace Research. Bereits Ende der 60’er Jahre wurde er dann auf einen Lehrstuhl für Friedensforschung an der Universität Oslo berufen, einen der ersten auf der Welt. Seit 1992 ist er zudem Direktor des von ihm gegründeten Transcend-Netzwerks für Frieden, Entwicklung und Umwelt, dessen zentrale Aufgabe in der praktischen Konfliktmediation nach der Transcend-Methode liegt.

Maßgeblichen Anteil an Galtungs Lehrtätigkeit am Institut für Frieden und Demokratie in Hagen hatte seit Gründung des Instituts 1996 der Hagener Philosophieprofessor und Direktor de Instituts Hajo Schmidt, der gleichzeitig  Leiter der an der FernUniversität angesiedelten Arbeitsgemeinschaft Friedenswissenschaft in NRW (LAG). Zur Bedeutung Galtungs für das Institut befragt nennt Schmidt diesen„eine zentrale Korsettstange unseres Lehrprojekts“.  Zwar habe das Institut immer auch konkurrierende Theorien studienverbindlich gemacht, doch habe sich Galtung stets dadurch hervorgetan, dass sich an ihm „eine ganz ungewöhnlich effiziente und glaubwürdige, für einen deutschen Professor fast unmögliche Verbindung von Theorie und Praxis belegen ließ“. Zudem habe Galtung in nicht unerheblichem Maße als Scharnier zwischen der deutschsprachigen und der internationalen Community und Diskussion fungiert.

Der Haken an der ganzen Sache: Galtung wird nun 80 und Schmidt geht in Rente. Anfang Oktober hieß es daher: „Was bleibt!? Bilanztagung der Hagener Friedenslehre“. Das Team des Instituts für Frieden und Demokratie lud alle diejenigen, „die das friedenswissenschaftliche Studienprogramm mit aufgebaut und durchgeführt haben, die es in der einen oder anderen Weise inhaltlich qualifiziert haben, und vor allem diejenigen, die an dem einen oder anderen Programm als Studierende teilgenommen haben“ in die Evangelischen Akademie Villigst ein. Spätestens im März 2012 sollen nun die letzten Masterstudierenden in Friedenswissenschaften ihren Studiengang beendet haben. Die FernUniversität will das Projekt aus studienorganisatorischen Gründen nicht weiterführen. Bezweifelt wird zudem die ökonomische Überlebensfähigkeit der Studienangebote und die Chance ein ähnlich universal einsetzbares „eierlegendes Wollmilchschwein“ (Originalton Hajo Schmidt) für die Nachfolge zu gewinnen.

Inzwischen bieten andere Universitäten vergleichbare friedenswissenschaftliche Angebote an. Doch Hagen ist und war insofern etwas Besonderes, als es sich bei den Studierenden um Postgraduierte, ‚in the field’ Tätige handelte, die um wissenschaftliche fundierte Reflexion und Optimierung der eigenen Praxis bemüht auf das Fernstudium angewiesen waren. Die Mitarbeiter haben letztlich zu einer „Bilanztagung“ eingeladen, weil es weiterhin Bemühungen gibt, das Institut an einer anderen Universität oder im außeruniversitären institutionellen Rahmen anzusiedeln.

Stuttgart 21 statt Ostermarsch?

In jedem Fall bleibt, maßgeblich von einem zweiten wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts, Lutz Schrader, gefördert, ein unter dem Namen „Transcend Netzwerk für Konflikttransformation und Friedensförderung“ gegründeter eingetragener Verein. Dieser hat inzwischen mehr als 40 Mitglieder und sich u. a.  die Ausbildung zum Konfliktberater bzw. Trainer in der Galtungschen Transcend-Methode der Konfliktbearbeitung zur Aufgabe gemacht. Der deutsche Transcend-Ableger ist Teil des internationalen Transcend-Netzwerkes aus 350 WissenschaftlerInnen, TrainerInnen und AktivistInnen in über 80 Ländern. Diese leisten zurzeit konkrete Friedens- und Entwicklungsarbeit auf dem Westbalkan, im Kaukasus, in Sri Lanka, Uganda, Ecuador und im Nahen Osten tätig sind. Das Transcend-Verfahren ist gleichermaßen für die internationale Konfliktbearbeitung und die Bearbeitung innergesellschaftlicher Konflikte geeignet.

An der FernUniversität bleibt andererseits ein formal vergleichbar angelegter Weiterbildungs-Studiengang, nämlich der in den Umweltwissenschaften, erhalten. In diesem Zusammenhang sei ein knappes Dutzend Jahre nach dem historischen rot-grünen „Sündenfall“ im Kosovo und angesichts wahrlich zu respektierenden Bürgerprotests, siehe „Stuttgart 21“,  eine ketzerische Bemerkung erlaubt: Ist uns inzwischen, um es mit Galtungs Worten zu sagen, das Engagement gegen „Gewalt gegen die  Natur“ soviel wichtiger als das gegen „Gewalt gegen Menschen“, dass ein potenter Anbieter von Weiterbildung wie die FernUni Hagen die Ware Umweltwissenschaften für profitabler als die Ware Friedenswissenschaften hält? Immerhin „boomen“ mit der Rückkehr bewaffneter Konflikte auf den europäischen Kontinent die Entwicklung von Konzepten zur Traumatherapie und von sich offenbar rechnende Angeboten zur Ausbildung von TraumatherapeutInnen: „Honi soit qui mal y pense?

Kritiker

Zurück aber zu Johan Galtung, Im Rahmen der Abschlussveranstaltung der derzeitigen Transcend-Weiterbildung findet im Dezember in der Evangelischen Akademie Villigst ein Symposium zu dessen 80. Geburtstag statt. Und natürlich hat Galtung auch seine Kritiker, mich zum Beispiel. Ich tue mich in seinem multidisziplinären Ansatz besonders mit den Anleihen bei den Medizinwissenschaften und der Utilisierung psychoanalytischer Modelle schwer.  Daraus resultieren m. E. fragwürdige Tendenzen in der Theorie Galtungs, nämlich Nationen als „krank“ zu bezeichnen und ganzen Staatsgebilden „Syndrome“ zu unterstellen. Wer setzt sich schon „krank“ an den Verhandlungstisch?

Die aus diesen Anleihen resultierende Metaphorik führt Galtung gar in Sarrazins Nähe, wenn Galtung von einem sozio-kulturellen Code spricht, der dem genetischen Code vergleichbar sei:

„Die Kosmologie einer Zivilisation ist auch der sozio-kulturelle Code dieser Zivilisation, der die wesentlichen Botschaften transportiert, wie die Wirklichkeit zu konstruieren ist. Die biogenetische Parallele zum genetischen Code ist offensichtlich und beabsichtigt.“(aus: Johan Galtung, Frieden mit friedlichen Mitteln)

An dieser Stelle zeigt sich m. E. die Missverständlichkeit und  Gefährlichkeit der Anleihe bei medizinischen Modellen in der Darstellung großer Systeme. Suggeriert wird die in einem klassischen Verständnis von Genetik unbeeinflussbare Partikularität von Kulturen. Mit dem gewählten Sprachspiel gerät Galtung in die Nähe einfacher Erklärungsmuster Sarrazinscher Prägung.

„Karma“ statt „Trauma“?

Umgekehrt suggerieren die Anleihen bei tiefenpsychologischen Modellen deren universale Gültigkeit und erheben westliche Modelle zum Maßstab, dem sich alle anderen Zivilisationen zu beugen haben. Somit hätten wir das gleiche Problem, das wir seit der Verkündung der universellen Gültigkeit westlich geprägter Menschenrechte haben. Es ist psychoanalytisch gesprochen mit Widerstand derjenigen zu rechnen, die aus einer anderen Tradition heraus andere Erklärungsmuster für menschliches Verhalten gebrauchen: „Karma“ statt „Trauma“, „Thanatos“ oder „Unbehagen in der Kultur“.

Immerhin sollen „die, mit dem Karma-Glauben“ pauschal gesehen die friedlichsten Erdenbürger sein und stehen statistisch gesehen aktuell in der Bundesrepublik beim Integrationserfolg trotz der weitesten Anfahrt an Platz drei, auch wenn noch keiner in der deutschen Fußballnationalmannschaft angekommen ist.

Fazit

Die Eingangsfrage, nämlich, was Thilo Sarrazins besondere Öffentlichkeitswirksamkeit ausmacht, bleibt bis hierher unbeantwortet. Wir dürfen sie meines Erachtens getrost unbeantwortet lassen, denn sie lenkt ab. Sie richtet die Aufmerksamkeit weg von der Sache hin auf Thilo Sarrazins Person. Dessen Verdienst liegt jedoch darin, die Integrationsdebatte beschleunigt zu haben, nicht darin, sonderlich zu Lösungen beizutragen. Die sinnvolle Auseinsandersetzung mit dem Thema Integration sollte von daher  nicht allzu viel Aufhebens um seine Person und sein Buch machen und sich differenzierteren und breiter angelegten Positionen zuwenden. Im besten Fall könnte diese  Kehrtwende zu mehr Konfliktfähigkeit und Friedfertigkeit im buchstäblichen Sinne des Wortes führen.

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
13 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
A.
A.
14 Jahre zuvor

@ Ronald Milewski

Im – sehr guten! – Artikels heisst es:

„Immerhin sollen „die, mit dem Karma-Glauben“ pauschal gesehen die friedlichsten Erdenbürger sein …“

Wie waren in Kambodscha – laut wikipedia „hängen rund 93 % der Bevölkerung dem Theravada-Buddhismus an“ – die Roten Khmer und Pol Pot möglich?

(wikipedia: „schätzungsweise 1,7 bis 2 Millionen Kambodschaner kamen ums Leben“)

Das ist keine Polemik, ich verstehe es wirklich nicht, hoffe auf eine Antwort. Danke!

Müller
Müller
14 Jahre zuvor

Der alte naive Onkel der Friedensforschung….. Realität ist für Herrn Galtung leider ein Fremdwort, Kulturrelativmus aber nicht – typisch links eben.

Stefan Laurin
Admin
14 Jahre zuvor

„Der deutsche Transcend-Ableger ist Teil des internationalen Transcend-Netzwerkes aus 350 WissenschaftlerInnen, TrainerInnen und AktivistInnen in über 80 Ländern. Diese leisten zurzeit konkrete Friedens- und Entwicklungsarbeit auf dem Westbalkan, im Kaukasus, in Sri Lanka, Uganda, Ecuador und im Nahen Osten tätig sind.“
Schaut man sich die Lage in diesen Regionen an, scheint das Transcend-Verfahren ja nicht besonders zu rocken. Wäre ich Israeli, ich würde mehr auf die IDF vertrauen als auf so einen Kram.

Oedipa Maas
Oedipa Maas
14 Jahre zuvor

„Schaut man sich die Lage in diesen Regionen an, scheint das Transcend-Verfahren ja nicht besonders zu rocken.“

Ein messerscharfer empirischer Befund ist das. Würden diese komischen Hippies hingegen ausschließlich Friedensarbeit in der Antarktis leisten, dann hätten sie meiner Einschätzung nach eine Erfolgsquote von locker 100% vorzuweisen! Warum tun sie das bloß nicht?

Antitotalitäre Grüße

Oedipa M.

U
U
14 Jahre zuvor

„Der alte naive Onkel der Friedensforschung….. Realität ist für Herrn Galtung leider ein Fremdwort, Kulturrelativmus aber nicht – typisch links eben.“

Wie ich sowas liebe.

Was ist den für Sie noch typisch links?
Stalinismus?
Diktatorische Sozialismusideen ala Castro?
Maoismus?
Die LINKE?

Was ist links?
Gibt es links in dem Zusammenhang?

Ist der autonome Anarchist wirklich mit dem organisiertem SDAJler gleich zu setzen?

Der politisch engagierte Hippie der sich ein bischen bei der LINKEN einsetzt mit dem sharp Skin?

Stupides verallgemeinern nutzt doch nun wirklich niemandem auch nur irgend etwas, außer dem, der ein pauschalisiertes Feindbild konstruieren will, obwohl… das hilft doch schon jemandem… und zwar genau dem, der sich nicht mit Argumenten auseinander setzten will, sondern Meinungen mit kruden, rein polemischen, augenwischenden Veralgemeinerungen abtuen will. In den 60- 70ern hats ja auch funktioniert… Allet pössse Kommis…

Es lebe die differenzierte Betrachtungsweise.
(Da krieg ich Plack!)

Wenn ich in einer ernstgemeinten Diskusion CSUler mit NPDlern und Burschenschaftlern sowie autonomen Nationalisten in einen Hut schmeiße werd ich des Raumes verwiesen und das obwohl sich diese verschiedenen Weltanschauungen, mal nüchtern betrachtet, wesentlich mehr ähneln als das was alles dem Wort „links“ zugeordnet wird!

Entschuldigung für die Entgleisung aber das nervt wirklich.
Den ich bin mit absoluter Sicherheit auch in dieser, völlig sinnfrei zusammen gestellten, verallgemeinerten linken ideologisch anzusiedeln, aber das heißt noch lange nicht das für mich „Realität“ ein Fremdwort ist und „Kulturrelativismus“ betreib ich mit Sicherheit auch nicht. (Sowie übrigens auch nahezu niemand sonst den ich kenne, mal vorraus gesetzt das die Menschen um die es grad geht „links“ sind, oder zumindest szeneaffin. Aus dem Kreis von Menschen, die ich kenne, die eher der politischen „mitte“ zuzuordnen sind trifft das übrigens sehr viel seltener zu.)

Ich bin mir sogar ziehmlich Sicher das ich ein differenzierteres und realitätsnäheres Gesellschaftsverständnis habe als die meisten hier.
Schon allein qua Profession. (Soziale Arbeit de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Arbeit)

Lg

Arnold Voss
14 Jahre zuvor

Der Vorteil der nicht nur von Galtung als prowestlich einsortierten Menschenrechte ist, dass da, wo sie gelten, sowohl Galtung als auch Sarrazin nicht einfach auf offener Straße erschlagen, 0der verhaftet, oder gefoltert, oder drangsaliert, oder des Landes verwiesen, oder mit Berufsverbot belegt werden dürfen, sondern frei reden und schreiben können. Wenn das kein Fortschritt ist, was sonst?

Die Menschenrechte kann man zweifellos nicht herbeibomben, aber herbeisehnen und mit friedlichen Mitteln herbeikämpfen sollte man sie schon dürfen, und zwar überall auf dieser Erde.

Ach ja, den Menschen die das überall auf der Welt tun, ist es übrigens so was von egal ob sie westlich gesprägt sind oder nicht. Und es gibt dafür einen ganz schlichten Grund: ihre Universalität.

Müller
Müller
14 Jahre zuvor

@ U

Wie Sie sicher gemerkt haben war mein Kommentar polemisch gemeint. Natürlich bin ich in der Lage genauer zu differenzieren, allerdings muß man Galtung – wenn man die (veraltete) links-rechts Kategorie anwendet – ins linke Lager stecken.
Mein Problem mit ihm ist, dass er von Gruppen wie der Hamas oder den Taliban erwartet gewisse Werte und Normen zu respektieren und das ist nunmal verdammt naiv.
Das Beispiel Israel zeigt es ganz gut. Ginge es nach Galtung würde Israel nicht aus einer Position der Stärke mit seinen Gegnern verhandeln, sondern Schwäche zeigen – was für die Hamas bedeutet, dass Israel sturmreif ist und so neue Anschläge provozieren würde.

U
U
14 Jahre zuvor

In der Sache will ich Ihnen hier in keinster weise wiedersprechen, mir ging es ausschließlich um die Terminologie und deren aktuell überproportionalen Einsatz als Entkräftungsargument. Für mich disqualifiziert solch ein Sprach(Wort)gebrauch (und vor allem natürlich was dahinter steckt) Menschen einfach als ernst zu nehmende Gesprächspartner, was natürlich auch nicht nur angebracht ist.

Wie gesagt, in der sache hier will ich Ihnen in überhaupt nicht wiedersprechen.

Ronald Milewski
Ronald Milewski
14 Jahre zuvor

@ A.

Wie waren in Kambodscha – laut wikipedia “hängen rund 93 % der Bevölkerung dem Theravada-Buddhismus an” – die Roten Khmer und Pol Pot möglich?

(wikipedia: “schätzungsweise 1,7 bis 2 Millionen Kambodschaner kamen ums Leben”)

Das ist keine Polemik, ich verstehe es wirklich nicht, hoffe auf eine Antwort. Danke

Sorry, wegen der Verspätung.

Und nochmals sorry: Empfände ich als anmaßend, wenn ich dazu eine Antwort zu geben, vesuchte.

A.
A.
14 Jahre zuvor

@ Ronald Milewski

sei doch bitte anmassend!

Und was sagt Johan Galtung dazu?

Ronald Milewski
Ronald Milewski
14 Jahre zuvor

@ A.

sei doch bitte anmassend!

Und was sagt Johan Galtung dazu?

Lieber A., tut mir Leid, ich finde, ich war mit der Behauptung die Integrationsdebatte mit Johan Galtung vom Kopf auf die Füße zu stellen, schon anmaßend genug. Ich habe mein Kontingent dahingehend vorerst erschöpft. So ist zumindest mein Eindruck.

Außerdem war mein Anliegen, anläßlich Galtungs 80. Geburtstag, zu dem ich gerne was schreiben wollte, weil ich mich mit ihm und seiner Theorie länger beschäftigt hatte, die Integrationsdebatte hier bei uns mit einigen seiner Konzepte zu konfrontieren und uns hier vor Ort mit dem Umstand, dass ein ihm nahestehendes Institut hier bei uns in der Nähe gerade zumacht. Konfrontieren wollte ich die Debatte mit seinen Überlegen zu innergesellschaftlichen Veränderungen im Zuge der Globalisierung und damit verbundener Migrationsbewegungen (s. „Der Preis der Modernisierung“) nicht mit seinen Überlegungen zu zwischenstaatlichen Konflikten oder Konflikten im Fernen Osten, Südamerika etc. (s. „Neue Wege zum Frieden“).

Zu all diesen Konflikten weit weg hat Johan etwas zu sagen und meist auch vorab eine Lösung parat (s. Neue Wege zum Frieden), was ich bedenklich finde, weil es m. E. wenig prozessorientiert und partizipatorisch ist, wenn der weis(s)e Mann schon vorher weiß, wie die Lösung aussehen muß. Falls Du wirklich Galtungs Meinung zum Zusammenhang/Widerspruch von Buddhismus und Gewaltanwendung in Kambodscha wissen möchtest, frag ihn! Die neuen kommunikativen Möglichkeiten müssten es zulassen. Wenn Du gar mit ihm ins Gespräch kommst, bring viel Zeit mit, üb Dich vorher im Zuhören, mach Dich auf ein enzyklopädisches Wissen gefasst und denk‘ dran ‚Wissen ist Macht‘.

Ansonsten hoffe ich, dass ich in so einem aufgeklärten Blog wie dem der Ruhrbarone nicht extra betonen muss, dass ich kein „Galtung-Jünger“ bin, nur weil ich über ihn schreibe, und dass im Altertum den Überbringern „schlechter“ Botschaften der Kopf abgerissen wurde und dass diese gute Tradition in der Postmoderne durchaus Bestand hat.

Was ich allerdings einräume ist, dass ich Menschen mag, die ihr Ding machen, sagen, was sie denken, und vorher überlegen. Dies mit Ausnahmen selbst wenn ich partiell oder überwiegend anderer Meinung bin. Letzteres spricht für mich wiederum nicht dagegen, wie im Falle Galtungs geschehen, dessen Meinung Kund zu tun, wenn ich sie für brauchbar und interessant halte.

A.
A.
14 Jahre zuvor

@ Ronald Milewski

schade, dass du keine Antwort versuchst. Hier noch mal ein wenig philosophisch-religiöser Hintergrund zu deinem statement:

“Immerhin sollen „die, mit dem Karma-Glauben“ pauschal gesehen die friedlichsten Erdenbürger sein …”

Bhagavad Gita, zitiert nach Heinrich Zimmer, “Philosophie und Religion Indiens”, suhrkamp taschenbuch wissenschaft 26, 1988, S. 341:

“Die Kämpferreihen der beiden feindlichen Heere im Mahabharata sind schon gegeneinander aufgestellt, und alles harrt auf den eröffnenden Trompetenstoß, da wird Arjuna, der Führer der Pandavas, von dem Wunsch ergriffen, sein Wagenlenker möge ihn auf das Schlachtfeld zwischen die Heere führen, damit er mit einem Blick seine Kampfkräfte und auch die seiner gegnerischen Vettern, der Kauvaras, überschauen könne. Als er jedoch in beiden Reihen seine Freunde und Lehrer, Söhne und Großväter, Neffen, Onkel und Brüder erblickt, da überkommt ihn ein Gefühl tiefsten Mitleids und Bedauerns. Sein Geist wird schwach, und Zweifel überfallen ihn, ob er den Befehl zum Beginn der Schlacht überhaupt geben dürfe.”

… und die monumentale Konsequenz, Krishna sagt, S. 344:

“Die Zeit bin Ich, der große machtvolle Zerstörer, und ich bin hier erschienen, die Menschen alle fortzuraffen. Auch ohne dich wird keiner der Krieger, die dort in den Reihen stehen, am Leben bleiben. Darum erhebe dich, erwirb dir Ruhm, zerschmettere den Feind, genieße das Blühen deiner Herrschaft. Durch Mich, durch Mich allein sind diese lange schon getötet. DU SEI NICHTS ALS MEIN WERKZEUG!”

Helmut Junge
Helmut Junge
14 Jahre zuvor

Wer glaubt, die Gläubigen nach den Kernaussagen ihrer jeweiligen Religion einschätzen zu können, liegt falsch.
Anspruch und Wirklichkeit liegen oft kilometerweit auseinander.
Danach müßten Anhänger der Religion der Liebe ja besonders friedfertig sein.

Werbung