Das von Matthias Naumann herausgegebene Buch „Judenhass im Kulturbetrieb“ belegt den Antisemitismus in der Kulturszene Deutschlands.
Nicht erst seit den von der Hamas angeführten Massakern in Israel wird über den Antisemitismus in der deutschen Kulturszene gestritten. Für die einen ist er ein Phantom, das nicht existiert, für andere eine Tatsache, die von Tag zu Tag, aber vor allem seit dem 7. Oktober vergangenen Jahres, immer deutlicher sichtbar wird. Dass das angebliche Phantom bittere Realität ist, machen die Beiträge in dem von Matthias Naumann herausgegebenen Buch „Judenhass im Kulturbetrieb“ deutlich. Ob Tanz, bildende Kunst, Literatur, Film oder Musik: Die Autoren weisen nach, wie sehr vor allem die staatlich alimentierte Kulturszene in Deutschland von Antisemitismus bestimmt wird.
Dana von Suffrin und Jonathan Guggenberger berichten von einer Veranstaltung des Goethe Instituts zum Thema Jüdischsein in Deutschland. Eingeladen wurde die Autorin und Aktivistin Emilia Roig, der Schriftsteller Tomer Dotan-Dreyfus und die Künstlerin Candice Breitz. „Keiner der Gäste ist in Deutschland sozialisiert, und alle drei verbindet eine ausgesprochen antizionistische Haltung. Emilia Roig hat kurz zuvor auf Social Media einen Post geteilt, in dem behauptet wird, Israel würde einem Waffenstillstand mit der Hamas nur zustimmen, um am Black Friday mehr Waren zu verkaufen. Wirr, ich weiß, aber wirr antisemitisch. Alle drei Gäste behaupten ständig, aus dem Diskurs ausgeschlossen und gecancelt zu werden. Ich schreibe dem Leiter des Hamburger Goethe-Instituts, Jan Helfer, dass ich ratlos sei, eine dieser Personen sei gerade sogar mit der Verbreitung von Antisemitismus (richtiger, altmodischer, ekelhafter, stereotyper Antisemitismus) aufgefallen. Mir antwortet nicht der Leiter, sondern einer seiner Mitarbeiter. Er schreibt, das Goethe-Institut lehne „Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit“ ab. Es würden „Dialogräume“ geschaffen werden, um diese Formen der Diskriminierung zu bekämpfen. Ich protestiere ein weiteres Mal, nenne meine Argumente, vor allem, dass drei Personen mit einer einheitlichen Meinung eingeladen werden, aber niemand antwortet mir mehr.“
Nicht der Antisemitismus, sondern die Kritik wird von den Funktionären als das große Problem gesehen, schreibt Dana von Suffrin:
„Selbst moderaten und reflektierten Kunstkritikern wie Wolfgang Ullrich oder zuletzt auch Klaus Biesenbach, dem Direktor der Neuen Nationalgalerie und einem der wichtigsten Gatekeeper des weltweiten Kunstbetriebs, gilt der Provinzialismus deutscher Antisemitismuskritik als größte Bedrohung des Kunststandorts Deutschland. Ullrich prognostizierte im November 2023 in einem Kommentar für den Tagesspiegel, der deutsche Kunstbetrieb zerbreche am „Kampf gegen Antisemitismus“, da dieser „zu einer rassistischen und minderheitenfeindlichen Agenda genutzt wird“. Klaus Biesenbach befürchtet gar in seinem Wortbeitrag für einen Artikel der New York Times, die Angst im Ausland vor möglichen Cancellations mache es ihm unmöglich, „international zu arbeiten, die größten Talente auf dem höchsten Level anzuziehen und ein diverses Publikum zusammenzubringen“. Zu engstirnig und weltfremd, zu provinziell wäre Deutschland mit seiner proisraelischen Staatsräson und der 2020 verabschiedeten BDS-Resolution des Bundestags. Wie bei allen Ablenkungen, die das Problem des Antisemitismus im Diskurs nach hinten rücken, muss auch hier danach gefragt werden, was das vorgestellte Argument in letzter Konsequenz eigentlich bedeutet: Nicht der kleinbürgerliche Moralismus, nicht der autoritäre Kollektivzwang und nicht der offen zur Schau gestellte Antisemitismus von Boykottbewegungen sind im Land der Shoah, der tausendjährigen Talare und der sozialistischen Diktatur provinziell, sondern die Kritik an Antisemitismus.
Dem Antisemitismus in der Tanzszene widmet sich Alexander H. Schwan:
„Auch die Berliner Tanzszene schwieg nach dem 7. Oktober 2023 nicht. Zwar fehlten unmittelbar danach Äußerungen der Empathie für die ermordeten Jüdinnen und Juden oder zumindest des Entsetzens angesichts des Massakers fast völlig, und wenn es dann doch zu späten Statements kam, relativierten diese meist das Ereignis. Für ungeteilte Solidarität mit jüdischen Opfern hatten Berliner Spielstätten für Tanz wie das HAU Hebbel am Ufer noch nicht einmal einen Halbsatz übrig.1 Es ging sofort um das Leid auf beiden Seiten, als würden sich zwei gleichaggressive Streithähne bekriegen und nicht ein demokratischer Staat gegen eine Terrororganisation kämpfen.
Vor allem aber wurden sehr bald nach dem 7. Oktober im zeitgenössischen Tanz antiisraelische und antisemitische Positionen laut. Einzelne Tänzer*innen, Dramaturg*innen, Produzent*innen, Student*innen und Professor*innen fühlten sich bemüßigt, Israel online und auf der Straße Apartheid und einen Genozid vorzuwerfen. Bei manchen meiner Kontakte spürte ich förmlich die Ungeduld, sich zu positionieren und nach Wochen der sozialmedialen Zurückhaltung endlich ein „Free Gaza“ zu posten. Jüdinnen und Juden in der Tanzwelt zogen sich hingegen zurück, nur wenige engagierten sich öffentlich für einen differenzierten Blick auf Israel. Dann setzte eine Flut von offenen Briefen und Petitionen ein. Statements wurden verfasst und unterschrieben, die wiederum andere Briefe verdammten, die sich gegen Stellungnahmen richteten, die gegen Beschlüsse verfasst wurden usw. Kürzt man dieses groteske Hin- und Her auf ein einfaches Für und Gegen, ging es letztlich meist um eine vehemente antiisraelische Positionierung. Keine Kritik an Israel bzw. der israelischen Regierung war damit gemeint, sondern der Wunsch, dass Israel nicht mehr sei.“
Stella Lederer und Benno Plassmann kommen in ihrem Beitrag zu dem Schluss:
„Die Selbstregulierung des Kulturbetriebs bezogen auf Antisemitismus funktioniert nicht. Die Freiheit der Personalpolitik und der Programmgestaltung öffentlich geförderter künstlerischer Institutionen ist in Deutschland gewährleistet. Trotz der hohen Aufwendungen der öffentlichen Hand für Kunst und Kultur in Deutschland handelt es sich in der demokratischen Gesellschaft eben nicht um ein Verhältnis der Patronage, wie es in vordemokratischen Zeiten von Monarchen nach Gutdünken gehandhabt wurde.“
Es seine dabei nicht in erster Linie die Werke, die antisemitisch sind, sondern die Positionen die eingenommen werden und die zeigen, wo die Szene steht:
„Seit dem 7. Oktober 2023 rückt ein weiterer Bereich in den Fokus. Oft geht es gar nicht mehr um künstlerische Werke, sondern um die ‚Positionierung‘ von Künstler*innen, Programmverantwortlichen oder Leitungspersonal von Kulturinstitutionen durch Social-Media-Posts oder die Initiierung von bzw. Unterschriften unter offene Briefe mit Inhalten, die aus antisemitismuskritischer Sicht problematisch sind – oder direkt Terrorverharmlosung oder gar -glorifizierung betreiben.“
„Zuflucht für diejenigen, die aus diesem Raster fallen,“ schreibt Jonathan Guggenberger „bieten oft nur kleinteilige Communities abseits der Kunst oder die große Weite eines Kunstmarkts, auf dem zumindest in privaten Verkaufsgalerien noch immer das Primat des Kapitals über die Politik offen gepflegt und nicht durch vorgeschobene Radikalität verstellt wird. Aber bei beiden Fluchtperspektiven droht langfristig das Abdriften in die künstlerische Bedeutungslosigkeit oder der Untergang in den Mühlen des Marktes.“
Eine Logik, der man nicht folgen muss: Wer von staatlicher Alimentierung abhängig ist, ist nicht erfolgreich. Wer Bedeutung nur durch Subventionen erlangt und nicht durch den Zuspruch des Publikums, ist nicht von Beruf Künstler, sondern geht einem Hobby nach und erlangt erst durch das Geld des Staates den Habitus des Künstlers, den ihm das Publikum durch Desinteresse an seiner Arbeit verweigert. Der Staat schafft erst durch seine Subventionen die Grundlage einer aktivistischen Kulturszene, in der Israelhass und Antisemitismus hoch im Kurs stehen und die sich wütend gegen jeden Versuch wehrt, der aus ihrem Judenhass die einzig vernünftige Konsequenz zieht: die Streichung der Zuwendungen, die es zumeist auf dem Markt erfolglosen Künstlern erlauben, Künstlerhabitus mit antisemitischem Aktivismus zu verbinden.
Judenhass im Kunstbetrieb: Reaktionen nach dem 7. Oktober 2023
Herausgegeben von Matthias Naumann
Neofelis, 18.00 Euro