Eine Attacke reiten ist das eine, eine Metapher reiten ein anderes: Anthony Dirk Moses, Professor für Global Human Rights History in North Carolina/USA, steht im Zentrum eines neu-alten Historikerstreits. Seine Attacke, jüngst auf Geschichte der Gegenwart erschienen, zielt auf die Einsicht, dass der Holocaust ein singuläres Verbrechen gewesen ist und kein koloniales, ein antisemitisches und kein rassistisches. Moses Metapher dafür: Die Singularität des Holocaust sei nur ein frommer „Glaubenssatz“, der im „Katechismus der Deutschen“ stehe, um „Vergebung zu erlangen“. Ein solcher Jargon irritiert, Moses reitet die Metapher ungerührt zu Tode – und erweckt eine antijüdische Figur zum Leben, es ist die des Gottesmörders. Vielleicht ist Moses nicht der neue Mbembe, zum neuen Mel Gibson reicht es hin.
In der Genozidforschung zählt A. Dirk Moses zu den Großen, den Holocaust bezeichnet der Australier – die These ist originell – als „subalternen Genozid“, nämlich als „the destruction of the colonizer by the colonized“. Aus Sicht der Nazis, so Moses, müsse man den Holocaust als einen „‘anti-colonial‘ genocide“ verstehen.
Steffen Klävers hat Moses Konzept in seiner Studie „Decolonizing Auschwitz?“ diskutiert: Moses zufolge müsse eine koloniale Wirklichkeit „nicht zwingend in einem Herrschaftsverhältnis stattfinden bzw. Herrschaft über eine kolonisierte Gruppe implizieren“, es gebe auch Formen von „internal colonialism“. Auch wenn Deutschland gar nicht kolonisiert gewesen sei und schon gar nicht von Juden, hätten sich die Nazis – vom Weltkrieg traumatisiert – so gefühlt, als ob sie kolonisiert wären von Juden, daraus sei dann ein „‘anti-colonial‘ genocide“ geworden. Ein Auschwitz aus „Angst“, so Moses Theorie, und zwar der „Angst“ davor, von innen heraus – „intrinsisch“ – kolonisiert zu werden wie von einem Gift.
Die German Angst? Sehr viel mehr als das, auf Geschichte der Gegenwart erklärt der Globalhistoriker jetzt, dass alle, wirklich
„alle Genozide durch Sicherheits-Paranoia betrieben werden“.
Wie schon „Rom und die alten Griechen“, so hätten auch die Nazis eine „kompensatorische Unternehmung“ gestartet, ihre leitenden Ideen: Nie wieder Krieg, nie wieder Hunger. Das Modell dafür, solche Wünsche langfristig zu realisieren, hätten sie in der Antike gefunden und davon „eine rücksichtslos moderne Version“ entworfen. Letztlich, so Moses, treibe dieses „security syndrom“ die gesamte Weltgeschichte an …
Hach ja, man kennt diese Art Globalgeschichte von Achille Mbembe, bei ihm war es ein universaler „Trennungswahn“, den er als Motor ins Weltgeschehen eingeschraubt hat, jetzt also die “Angst“, die zum „Syndrom“ werde … Klävers gibt den Spielverderber, er weist nüchtern darauf hin, dass der Aufstand gegen einen Gegner, den man kennt, etwas anderes sei als der gegen einen Geist, den man sich ohn- wie übermächtig denkt:
„Die Befreiung von einer kolonialen Herrschaft“, so Klävers, „ist nicht dasselbe wie die Befreiung von einer ‚Gegenrasse‘.“
„Der deutsche Katechismus“
In seinem Text auf Geschichte der Gegenwart, einem sehr lesenswerten Blog, setzt Moses die postkoloniale Denke nun allerdings als Goldstandard voraus: Alle Welt wisse,
„dass wesentliche Aspekte des NS-Regimes und des Holocaust durch deren Beziehung zum imperialistischen Kolonialismus überhaupt erst erfassbar werden“,
schreibt er, nur die Deutschen in Deutschland seien „provinziell“, sie würden einem „Katechismus“ folgen, einem Handbuch der Glaubenslehre. Der „deutsche Katechismus“ sei in zwei Auflagen erschienen, in der ersten habe gestanden, dass außer ein paar Nazis niemand mit nichts zu tun gehabt hätte, dann aber habe sich – ab den 70er Jahren – der „neue Katechismus“ durchgesetzt, und der bestehe aus „fünf Überzeugungen“, gültig bis heute:
(1) Der Holocaust sei singulär gewesen, weil ausschließlich ideologisch motiviert,
(2) die „Erinnerung an den Holocaust als Zivilisationsbruch“ bilde „das moralische Fundament der deutschen Nation“,
(3) Deutschland müsse eine besondere Loyalität zu Israel pflegen,
(4) Antisemitismus sei etwas anderes als Rassismus, weil „spezifisch deutsch“, und:
(5) Auch Antizionismus sei Antisemitismus.
Dies alles, so Moses, sei falsch, es seien keine Einsichten, sondern „Glaubensartikel“, also macht er sich nicht erst die Mühe, irgendetwas zu belegen, er attackiert ins Blaue. Thierry Chervel hat diese Art, Politik und Wissenschaft ineinander zu malen, bereits in den Senkel gestellt, hier auf Perlentaucher nachzulesen. Der Rechtsextremismus-Experte Volker Weiß hat auf FB und in der taz deutlich gemacht, wie aalglatt Moses ultrarechtes Denken hinüber gleiten lässt nach links.
An diese Kritik schließt an, was hier interessiert, nämlich in welchen Metaphern Moses spricht und was er mit ihnen transportiert.
Moses‘ Metaphysik
Auffällig zunächst, dass in Moses Modell alles, ob Wissenschaft oder Politik, aus dem Holocaust folgen soll allein deshalb, weil der als „einzigartig“ vorgestellt werde. Steffen Klävers hat in seiner Studie darauf aufmerksam gemacht, dass Moses – ganz wie Michael Rothberg – diese sog. Singularitätsthese immer nur in einer ganz bestimmten Variante zitiert, nämlich
„im Sinne einer absoluten Unbegreiflichkeit des Holocausts, die es moralisch verbiete, den Holocaust mit anderen Ereignissen der Geschichte überhaupt zu vergleichen“.
Diese Variante der Singularitätsthese sei allerdings „mehr als 40 Jahre alt“ und nie state of art gewesen, Moses dagegen gehe beharrlich davon aus, dass mit Singularität immer nur
„eine religiöse oder metaphysische Kategorie“
gemeint sei. Als eben diese Kategorie – als metaphysische Setzung – stellt Moses die Singularitätsthese nun auch in seinem „Katechismus der Deutschen“ voran: Hier, am Nullpunkt seines Textes, gewinnt er seine Metapher, dass es, wird über den Holocaust geredet, um Religion gehe; hier wird sein Glaube grundgelegt, dass es sich um „Glaubenssätze“ handele. Und von hier aus bindet er – Moses‘ Vater ist Priester der anglikanischen Kirche von Australien, er kennt sich aus im Brevier – bindet der Sohn alle seine Schlussfolgerungen in seine religiöse Begriffswelt ein. Der Reihe nach aufgelistet geht es (ohne die vielen Doppelungen) um:
„Häresieprozesse – Exorzismen – ‚Hohepriester‘ – ‚Katechismus‘ – Glaubensartikel – sündig – Vergebung – Heilsgeschichte – ‚Opferung‘ – heiliges Trauma – sakrale Erlösungsfunktion – Gott – Leiden – neue Welt – Moral – ‚erlösenden Antisemitismus‘ – ‚erlösenden Philosemitismus‘ – christologisch geprägten Erlösungsnarrativ – ‚Wiederauferstehung‘ des Opfers – ‚wiederbelebt‘ – Glauben – Hüter – Orthodoxie – Häresie – Glaubenswächter – moralische Hybris – Jagd auf Häretiker – priesterliche Zensoren – Bekenntnis zum Katechismus – theologisch imprägnierte Vorstellung – Einzigartigkeit des jüdischen ‚Opfers‘ – das Heilige – verunreinigt – Inquisition – denunzieren – herunterbeten.“
Offensichtlich, dass die Begriffe einer christlichen, eher katholisch oder eben anglikanisch geprägten Gedankenwelt entstammen. Einige sind in Anführungszeichen gesetzt, die meisten nicht, manche sowohl als auch: Das Verhältnis zu ihrem Status – ob eigentlich gemeint oder uneigentlich, ob Realpräsenz oder Symbol – ist diffus. Bringt man sie theologisch auf Reihe, bilden sie ein geschlossenes Glaubenssystem, das Moses erst entwirft und dann behauptet, es sei nicht seins. Hat also Sinn, Moses Metaphernwelt einmal der Länge nach zu durchwandern:
Das christologische Tool
_ Ursprungsmoment der christlichen Theologie: das Kreuz. Ein heiliges Trauma für alle, die Jesus gefolgt sind, dann aber seine Ermordung nicht verhindert, also ermöglicht haben. An der Stelle des Kreuzes steht in Moses Bilderwelt der Holocaust, auch der habe ein „heiliges Trauma“ ausgelöst bei denen, die den millionenfachen Mord nicht verhindert, also ermöglicht haben.
_ Die Deutung des Kreuzes, die Paulus seinerzeit angeboten hat: Beim Tod des Juden Jesu habe es sich nicht um Mord gehandelt, sondern um ein Opfer, dieses Opfer habe erlösende Kraft, es könne vergangene Sünden vergeben.
_ Einzige Voraussetzung: Man müsse daran glauben. Daran, dass dieses Opfer aus dem ewigen Opferkreislauf erlöse; das Opfern werde durch Erinnerung ersetzt.
_ Bei A. Dirk Moses wird aus der Opferung des Juden die „‘Opferung‘ der Juden“. Er geht, ließe sich sagen, auf die antike Bedeutung des Wortes Holocaust – Brandopfer – zurück: Wer an die „erlösende“ Kraft dieses „Opfers“ glaube – „Millionen Deutsche“ hätten „verinnerlicht“, dass Millionen Juden geopfert seien, versichert er leichthin – , der erlange Vergebung „für die sündige Vergangenheit“.
_ Einzige Voraussetzung auch hier: Man müsse den „Glauben“ aufbringen, dass dieser eine Holocaust von allen weiteren Holocausten befreie, die Erinnerung an die „Einzigartigkeit des jüdischen ‚Opfers‘“ erlöse davon, sich mit genozidaler Geschichte zu befassen.
_ Weiter: Wenn für Paulus hier, im Glauben an die einmalige Kraft des Opfers Jesu, die Neuschöpfung der Welt beginnt, wird bei Moses der Glaube an die „Einzigartigkeit des jüdischen ‚Opfers‘“ zum „Fundament für eine neue Welt“.
_ Und wo sich das Neue für Paulus in der Auferstehung des Opfers verdichtet, spricht Moses von der „‘Wiederauferstehung‘ des Opfers“ – er meint den Zuzug von Juden aus der Ex-Sowjetunion, sie stellen heute an die 90 % der Mitglieder jüdischer Gemeinden.
_ Seinen neuen Glauben in der alten Welt nicht gleich zu verlieren, verlange „ständige Wachsamkeit“, auch das ein im Neuen Testament häufig wiederkehrendes Motiv.
_ In diese ‚Heilsgeschichte“ fügt Moses schließlich ein, wie er sich Kirchengeschichte denkt: „Orthodoxie … Glaubenswächter … Jagd auf Häretiker … Häresieprozesse … Exorzismen … Zensoren …“, so landet er in der Gegenwart.
Deutlich also: Die Metapher, die Moses mit seiner ersten Setzung gewonnen hat – dass die Singularität des Holocausts nur frommes Wünschen sei – zieht sich gedanklich durch, Moses spielt sie gekonnt, detailliert und variantenreich aus, er weiß, was er tut. Und tut es ohne Witz, es ist ihm ernst mit seinem „christologischen“ Tool.
Die Figur des Gottesmörders
In diese geschlossene Metaphern-Welt führt Moses nun – und zwar just an dem Punkt, an dem sich Metapher und Gegenwart berühren – eine Figur ein, die er
„selbsternannte ‚Hohepriester‘“
nennt. Das erstaunt. Nachdem er sich so kenntnisreich durch die Kirchengeschichte bewegt hat, hätte man einen Kardinal wie Giulio Antonio Santorio erwartet, er hat das Todesurteil gegen Giordano Bruno erwirkt, oder einen wie Francesco Barberini, der Kardinal war einer von denen, die das Urteil gegen Galilei nicht unterzeichnet haben, oder den Inquisitor Bernard Gui, den hat man noch aus „Der Name der Rose“ vor Augen. Oder Antonio Michele Ghislieri, der hat als Papst Pius V. das Massaker an den protestantischen Waldensern angeordnet, oder Gian Pietro Carafa aka Papst Paul IV, als er endlich starb, feierten selbst die hartgesottenen Römer. Man liest A. Dirk Moses und denkt an den einen und anderen berühmten Exorzisten oder, damit es irgendeinen Zusammenhang gibt mit Moses Metaphernwelt, an all die Präfekten des heiligen Offiziums …
… der Hohepriester ist eine jüdische Figur.
Und nicht irgendeine: Bis 70 nC – die Römer zerstören den Tempel und jagen das Judentum in alle Welt hinaus – war er, der Hohepriester, höchster Repräsentant des jüdischen Volkes. Ab 70 nC gibt es keinen Tempel mehr und keine Hohepriester, mithin sind es zwei Repräsentanzen, die Moses jetzt so charakterisiert:
„Hohepriester“ – von ihm mal in Anführungszeichen gesetzt, mal nicht – würden den „Katechismus der Deutschen“ bewachen, würden „öffentliche Exorzismen“ betreiben und, „anstatt Argumente zu liefern“, fällige Debatten „als Inquisition führen, Häretiker denunzieren und den Katechismus herunterbeten.“
Die Juden also. Gesetzesstarr, hinterhältig, unbarmherzig – ganz so, wie das Bild jahrhundertelang gemalt worden ist. Im Neuen Testament werden die Hohepriester wiederholt als Gegenspieler Jesu gezeichnet, sie hätten ihn – nach Dutzenden theologischen Diskussionen – schließlich in die Hände der Römer getrieben, seien also verantwortlich für seine Ermordung. Es gibt wie immer in der Bibel auch gegenläufige Stimmen, im Römer-, mehr noch im Hebräerbrief wird Jesus selber als Hoherpriester interpretiert.
Populärer aber, was sich später in Passionen und Passionsspielen, in Kunst und Kirchen zum Bild geformt hat: Kaiphas, der Hohepriester, erscheint als intelligent, verschlagen, Strippen ziehend, hinter wallendem Bart verborgen, den Geldsack am Gürtel. Das Urmodell des Weltenlenkers, der Gegenspieler Gottes.
Den er ermorden lässt: Im Doppel mit Judas, dem Urbild des Verräters, stellt Kaiphas die Figur des Gottesmörders dar. Anders aber als Judas – den er der Überlieferung nach engagiert und bezahlt hat – personifiziert Kaiphas bereits die heimliche Macht des Judentums. Eine Macht, die selbst den Statthalter der Weltmacht – Pilatus – zur Marionette ihres Willens machen kann. Beispiel:
Mel Gibsons „Passion Christi“
2004 kam „Die Passion Christi“ in die Kinos, Mel Gibsons frommer Splatter-Film wurde zu einem der kommerziell erfolgreichsten Filme aller Zeiten, ein „filmischer“ – und theologischer – „Mummenschanz“, wie der SPIEGEL schrieb:
„Am miesesten führt sich der Hohepriester Kaiphas auf, der es auf Jesus abgesehen hat. Gemessen an ihm ist Shylock eine Lichtgestalt. Kaiphas bringt den römischen Statthalter Pontius Pilatus dazu, über Jesus das Todesurteil zu fällen, obwohl der nette Römer von Skrupeln geplagt wird. „Was ist die Wahrheit?“, fragt er und „Was soll ich tun?“ –„Kreuzige ihn!“, schreit Kaiphas, und Pilatus führt den Befehl am Ende aus.“
Pilatus, für seine brutale Amtsführung derart berüchtigt, dass Rom ihn schließlich abberief, werde, so der TAGESSPIEGEL,
„zur humanen und intelligenten Lichtgestalt gegenüber dem Hohenpriester Kaiphas, einem schmutzig gekleideten, fusselbärtigen Juden mit schlechten Zähnen. Nicht nur schleicht Satan, ein androgynes Wesen mit Männerstimme, in zwei seiner vier Auftritte in Zeitlupe durch die Reihen der Juden Jerusalems, als seien sie sein Volk. Auch der rasende Sadismus der römischen Schergen (…) verweist immer auf die Verantwortung der Juden, deren Wunsch sich in der Kreuzigung erfüllt.“
Der Theologe Michael Wermke sprach im Magazin für Theologie und Ästhetik von einer
„immanenten antijudaistischen Tendenz. Die hier zu den Wortführern des jüdischen Volkes stilisierten Pharisäer unter Anführung des Hohepriesters Kajaphas betreiben die Hinrichtung Jesu weniger, weil sie in ihm einen unruhestiftenden und damit auch ihre Machtstellung angreifenden falschen Messias sehen, sondern weil sie in ihm tatsächlich den Messias, den König der Juden, den ‚Sohn Gottes‘ erkannt haben. Die Juden, so der Film, sind die Gottesmörder.“
Und der Hohepriester ist ihr erster Repräsentant. Warum um alles in der Welt baut Moses diese Figur des Gottesmörders, Urmodell jüdisch-geheimer Macht, in seine Metaphern-Welt ein?
Will er andeuten, dass es die Juden seien, die heute das Denken in Deutschland bewachen? Die ihre Agenda herunterbeten und Unschuldige denunzieren und Häresieprozesse führen gegen Moses so wie Kaiphas gegen Jesus, als den sich A. Dirk Moses stilisiert?
Ist das gemeint mit „internal colonialism“? Leiden die Deutschen schon wieder unter demselben Syndrom? Klingt überinterpretiert.
Neues Welterklärungsmodell?
Nur ist es Moses selber, der aus seiner Metaphern-Welt heraus handfeste Schlüsse zieht – es sind genau diese. Eben noch hätten sich die Deutschen, schreibt er, von Juden kolonisiert gefühlt, heute fühlten sie, dass
„die nationalsozialistische Moral negiert werden (muss): statt ‚erlösender Antisemitismus‘[1]– ‚erlösender Philosemitismus‘“.
Wenn dies laut Moses das neue deutsche Fühlen ist, wer mag es sein, der dieses Fühlen heute überwacht? Juden wie Dan Diner, antwortet Moses. Wörtlich:
„Für den Historiker Dan Diner nimmt der Holocaust als Zivilisationsbruch den Platz ein, der vormals Gott zukam.“
Das ist keine Polemik mehr und kein uneigentliches Sprechen. Moses Attacke zielt auf die Singularität des Holocaust, Saul Friedländer meiert er im Vorbeigehen ab, Dan Diner ist der einzige, den er frontal angeht. Und den er kaum kaschiert als Gott angeht, als falschen Gott, als Hohenpriester. Ein Codewort erwacht zu neuem Leben.
Volker Weiß hat historisch verortet, wo sich der Historiker Moses mit sowas rumtreibt: linksaußen bei Kunzelmann, rechtsaußen bei Sieferle. Und mittendrin: der ganz normale Judenhass, religiös codiert. Alle Spielarten des Antisemitismus vereint, der linke und rechte, der religiöse und religionskritische, der sekundäre wegen Auschwitz und der, der sich auf Israel richtet. Von allem ein bisschen – ist das die neue, die postkoloniale Denke?
Ein Welterklärungsmodell, wie eine Hängematte aufgespannt zwischen Holocaust und Israel?
Moses wird derzeit debattiert, Diskurse über Judenfragen wirken nach eigenen Regeln, das hat Eva-Maria Ziege gezeigt. Nach zwei drei Tagen jetzt weist Thierry Chervel darauf hin, dass die religiöse Metapher – „Bekenntnis“, „Glaube“ – gerne aufgegriffen und durchgekaut wird, der Diskurs verlagert sich. Wenn Glaube etwas kann, dann Gegensätze vermitteln, das ist mehr als ein Spiel mit Metaphern. Was Moses ausgerufen hat: den status confessionis.
Fatal. „Der neutestamentliche Satz ‚Wer nicht für mich ist, ist wider mich'“ – so hat Adorno über diese Art Bekenntniszwang festgestellt – „war von jeher dem Antisemitismus aus dem Herzen gesprochen.“
_ _ _
ANMERKUNGEN
[1] „Erlösungsantisemitismus“ ist ein Begriff von Saul Friedländer, was Moses auch anmerkt. Soweit ich das sehe, ist der Begriff hierzulande erst 2006 in die öffentliche Diskussion gekommen. Friedländer, 1932 in Prag geboren, hat, auf sich allein gestellt, in einem katholischen Internat in Frankreich überlebt – im Katechismus geschult, getauft, ein „frommes Kind“, wie er von sich sagt. Ihm jetzt um die Ohren hauen, sein Begriff des Antisemitismus sei „christologisch geprägt“, ist beschämend.
PS | Am Ende wäre eigentlich daran zu erinnern, dass es eine jüdische Theologie nach Auschwitz gibt, eine, die versucht, das Unbegreifliche theologisch zu begreifen. Es sperrt sich was dagegen, Denker wie Emil Fackenheim oder den kürzlich verstorbenen Richard Rubenstein gegen einen Scharlatan wie A. Dirk Moses zu stellen.
Also schon die ersten Thesen im Artikel von dem Typen sind echt hart.
Nach seiner Logik haben die Nazis also versucht sich ihrer imaginären Kolonialherren zu entledigen. Das is ja schon problematisch, weil in "woken" Kreisen Kolonialismus das große Böse ist. Mit anderen Worten bzw. dieser Logik folgend wären die Nazis im Recht gewesen so zu handeln wie sie es getan haben.
Deswegen versucht er die Thesen mit neuem Wortsalatkreationen zu entschärfen.
Hab ichbdas richtig verstanden oder hab ich Sonnenstich!?
#1
Etwas hoch gestochen, aber es passt zum Trauma des WKI eines kleinen Gefreiten.
Mein Großvater erzählte laut meinem Vater, das in seiner Gemeinde die Nazis wurden, die am schlimmsten ihrer Angst im WK I erlegen waren, er nannte sie die größten Feiglinge im Schützengraben. Sie fühlten sich vielleicht wieder sicher und selbstbewusst, in dem sie Schwächere fanden, die sie besiegen konnten.
Es passt ja auch dazu, wie sehr diese Leute es scheuten zu irgendwas zu stehen außer zum aktuellen Platzhirsch.
Zum Streit an sich, denke ich es geht um Deutunghoheiten und damit um Politik.
War der Holocaust ein singuläres Ereignis?
Wohl nicht mehr oder weniger als jedes bedeutende geschichtliche Ereignis. irrationale systematische Massenmorde hat es seit dem mindestens einmal in Kambodscha gegeben.
Wenn Verrückte regieren ist halt alles möglich.
Antisemitismus an sich ist nur eine spezieller schlichter Rassismus nicht viel anders als gegenüber Sinti und Roma, die kaum weniger verfolgt wurden, aber weniger zahlreich und vor allem ohne gesellschaftliche Bedeutung waren.
Den Kolonialismus zu bemühen, ist für mich arg konstruiert.
Die Mitläufer der Nazis warne wohl ähnlich traumatisiert, wie Kolonialvölker die persönlicher unentrinnbarer Gewalt ausgesetzt waren.
Die Schützengräben des WKI reichten aber völlig aus um diese Ohnmacht zu erleben, ganz ohne Bezug zum Machtmissbrauch des Kolonialismus.
Geschichte ist keine Abfolge von Kausalitäten, sondern von Irrationalitäten, die nur begrenzt gesteuert werden können. Größere Steuerungsmöglichkeiten gibt es nur zu wenigen Zeitpunkten. wie etwa nach dem WKII und es ist reiner Zufall, ob dies in einer Konstellation geschieht, die eine erfolgreiche Gestaltung zulässt, oder wie in der DDR ex post feststellbar, durch weniger gute Grundlagensetzung.
Die Gruppendynamiken der Gesellschaft erzeugt unter gegebenen Voraussetzungen ihre ganz eigenen rationalen wie irrationalen Konsequenzen und Kontrollverluste.
<em>„Die Wannseekonferenz debattierte keine landwirtschaftlichen, siedlungspolitischen oder industriellen Absichten.“</em> Offensichtlich – @ Berthold Grabe – unterscheiden sich Antisemitismus und Rassismus.
Der oben zitierte Satz stammt von Jürgen Kaube, stand gestern in der FAZ, das Thema ist auch dort gelandet. Bei Kaube auch dieser Satz @ Crow T.: <em>„Das ganze Brimborium (…) weist darauf hin, dass es Moses weniger um die Klärung einer historischen Frage geht als um den Einsatz historischer Behauptungen im politischen Tageskampf.“ </em>
Den Holocaust zu relativieren ist m.E. mittlerweile zum erfolgreichen Geschäftsmodell für einen wachsenden Markt geworden. Die traditionelle Nachfrage dieses Marktes wurde durch den islamistischen Judenhaß erweitert, aber auch durch die Bestrebungen politischer Kreise, die den "Weißen" insgesamt ein Schuldgefühl an ungleichen wirtschaftlichen Entwicklungen verschiedener Ethnien unterstellen wollen und in Deutschland auf größere Schwierigkeiten stoßen, als in anderen Teilen der Welt. Der deutsche Blick auf den Holocaust stört tatsächlich die Sicht auf die vorhergegangenen kolonialen Verbrechen. Wir haben eine andere Geschichte als die USA, aber auch eine andere jüngere Geschichte als unsere europäischen Nachbarvölker. Deshalb kommt die Idee von der gemeinsamen Schuld des "weißen Mannes" hier in Deutschland nicht so einfach rüber. Nach dem zweiten Weltkrieg war sowieso niemand in den Nachbarländern bereit, die Deutschen in eine "Welt der weißen Männer" aufzunehmen. Ich war damals junger Deutscher mit der Erbschuld der Vätergeneration, und damit etwas komplett anderes als ein "weißer Mann". Damit ich jetzt im Alter ein "Alter weißer Mann" werden kann, müßte die Erinnerung an die erwähnte Erbschuld sowohl bei den Deutschen, aber auch bei den vom Holocaust betroffenen anderen Ethnien deutlich blasser dargestellt werden. Das gestaltet sich für die daran interessierten Kreise schwierig, weil es solchen Versuchen gegenüber immer noch heftigen Widerstand gibt. Wer das also versucht, muß sich so ausdrücken, daß er nicht als unverbesserlicher Altnazi katalogisiert werden kann. Trotzdem gibt es diesen Markt mit großem Potenzial, und der wird oft bedient von Leuten, die dann über negative oder positive Popularität ist egal, mehr von ihren Produkten verkaufen. Richtigen Antisemitismus oder Judenhaß wird man ihnen nur selten beweisen können.
@3
Dem Völkermord der roten Khmer in Kambodscha standen auch keine logischen Interessen gegenüber sondern ebenfalls nur blanke irrationale Paranoia.
Und grundsätzlich unterscheidet sich Antisemitismus nicht vom Rassismus worin sollte der bestehen, in der anderen abstrusen Begründung?
#4
Ich sehe keine relevante Relativierung des Antisemitsmusses in Deutschland im sinne einer Verharmlosung.
Die tatsächlicher Leugner sind nach wie vor eine verschwindend kleine und dazu kaum ernstgenommen Klientel.
Aber wir hatten in den letzten 40 Jahren einen schädlich destruktiven Umgang mit dem Thema, der bereinigt werden muss.
Bei dieser notwendigen Diskussion tauchen selbstverständlich auch zweifelhafte Thesen auf, ich sehe aber kein Risiko darin, das sie allgemeine Akzeptanz finden könnten.
Genauso wenig wie der aktuell noch anhaltende offizielle Umgang mit dem Thema. Der bei Einigen viel mehr den Eindruck eines Geschäftsmodells erweckt als bei denen die das kritisieren.
Grundkenntnisse/minimales Wissen…..
Basis für jede kontroverse, sachorientierte Diskussion, so auch hier; meine ich jedenfalls..
Offenkundig ist mein Versuch, in Sachen Antisemitismus und in Sachen "deutscher Kolonialismus" die Lektüre der beiden einschlägigen SPIEGEL-Hefte aus der Reihe "Geschichte" zu empfehlen, fehlgeschlagen. Anders kann ich mir den Inhalt einiger der o.a. Wortmeldungen nicht erklären. U.a. deshalb werde ich mich zu beiden Themen hier nicht weiter äußern.
Ich versuche es noch einmal, da auch ich eine faktengestützte, sachorientierte, kontrovers geführte Diskussion u.a. hier bei den Ruhrbaronen sowohl zum deutschen Kolonialismus als auch zum Antisemitismus in "unserer Gesellschaft für außerordentlich wichtig halte;das Nachdenken über wechselseitige "Beeinflussungen/Zusammenhänge" von Antisemitismus und Kolonialismus eingeschlossen.
Also noch einmal zur Empfehlung:
Ausgabe 2/2021 SPIEGEL GESCHICHTE .-Vergangenheit kennen, Gegenwart verstehen
Der deutsche Kolonialismus
-Die verdrängten Verbrechen in Afrika, China und i Pazifik-
Ausgabe 3/2o21 SPIEGEL GESCHICHTE -Vergangenheit kennen, Gegenwart verstehen,
ANTISEMITISMUS
-Was de uralte Hass mit modernen Verschwörungsmythen zu tun hat-
Dirk Moses hat im Wesentlichen recht. Man muss die verschiedenen Genozide miteinander vergleichen, wenn man ihre Besonderheiten begreifen möchte. Der Völkermord an den Armeniern fand statt, weil die jungtürkische Regierung des Osmanischen Reiches Angst vor einer christlich-armenischen Enklave hatte, die das Land spaltet und militärisch mit Russland zusammenarbeitet. Verbrecherisch, aber nicht irrational. Die indigene Bevölkerung Nordamerikas wurde nur solange niedergemetzelt, wie sie den europäischen Einwanderern im Wege stand, aber in Ruhe gelassen, wenn sie sich in ihre Reservate zurückzog. Verbrecherisch, aber nicht verrückt! Das gleiche gilt für die Herero und Nama, die nur deshalb von den deutschen Kolonialherren liquidiert wurden, weil sie berechtigterweise für die Rückgabe ihres Landes kämpften. Im Unterschied dazu schadete der Genozid an der jüdischen Bevölkerung Europas den imperialistischen Kriegszielen Hitlers erheblich, führte nicht nur zu einem Braindrain, sondern band auch erhebliche Ressourcen. Die Grundlage dieses Verbrechens war hochgradig paranoid – das macht seine Einzigartigkeit aus -, lag in der Vorstellung einer jüdischen Verschwörung und Übermacht. So wurden auch noch von der kleinsten Ägäis-Insel Juden zusammengetrieben und deportiert. Die Grundlage dieser Paranoia liegt unmittelbar im christlichen Mythos von den jüdischen Gottesmördern – eine unentrinnbare Indoktrination über viele Jahrhunderte – denn wer in der Lage ist einen Gott zu töten, muss nicht nur sehr böse sein, sondern im Gegensatz zu Sinti, Roma, Herero, Nama u.v.a., auch sehr mächtig und stark. Die pseudowissenschaftliche Rassentheorie war nur eine Camouflage. Um diesen heißen Brei wird herumgeredet, auch von Dirk Moses. Die logische Schlussfolgerung dieser Erkenntnis wäre mindestens die überfällige Trennung von Staat und Kirche.
@ Peter Gorenflos | Moses schreibt das Gegenteil von dem, was Sie meinen: Der Mord an den Juden Europas gilt ihm als rationale Politik, deren Modell er in der Weltgeschichte rauf und runter findet. Die Figur des „Gottesmörders“ nutzt er affirmativ ohne jede Spur von Reflektion. Ebenso seine „Schuld- & Sühne“-Theorie, wieder soll es – immer Moses zufolge – der jüdische Gott sein, der unschuldige deutsche Kinder verfolge. Wenn Sie Moses da „im Wesentlichen“ recht geben wollen, bitte sehr.
[…] Und darf selber entscheiden, ab wann er sich gegen eine Bedrohung anders als nur diskursiv zur Wehr setzen will: Auch die Nazis haben sich am Ende nur gewehrt, wie Dirk Moses jetzt wieder behauptet hat, der neo-reaktionäre Stichwortgeber. […]
[…] wird parlamentarisch verabschiedet – zum 23. Mai 2021: Der postkoloniale Theoretiker Anthony Dirk Moses zieht erstens gegen die Erinnerungskultur vom Leder, zweitens gegen Juden und drittens gegen […]