„Judenkritisch“? Der antisemitische Diskurs und ein unglücklicher Habermas (vol 2)

Philosoph Jürgen Habermas 2014 by Európa Pont cc 2.0

War Auschwitz beispiellos oder die „Nachfolge“ kolonialer Verbrechen? Jürgen Habermas, als Staatsphilosoph verehrt, möchte die Frage diskursethisch klären. Seinen Wunsch nannte die SZ „fast salomonisch“ und ihn selber „ganz Salomon“. Als hätte hier ein König Israels gesprochen. Zwar habe Habermas die Frage selber gar nicht beantwortet, aus dem „Zusammenhang“ aber sei „zweifelsfrei“ zu schließen, dass sich alles aufklären werde. Nun ist „zweifelsfrei“ ein zweifellos fieses Kompliment für einen Philosophen. Ein Alarmlämpchen blinkt bereits in den Zusammenhang hinein  –  das Wort „alttestamentarisch“, das Habermas einspielt, verdichtet Judenhass  –  da blinkt die zweite Leuchte Alarm: Kronzeuge seiner Theorie ist der Kronjurist des Dritten Reichs, Carl Schmitt aus Plettenberg-Pasel.

Der Staatsrechtler, Politphilosoph und Nazi-Karrierist war Zeit seines Lebens, es ist kein Geheimnis, ein blindwütiger Antisemit und mieser Denunziant. Rückblick:

Gegen Ende der Weimarer Republik erhebt Schmitt die Unterscheidung von Freund und Feind zur „spezifisch politischen Unterscheidung“, die er dann aber als eine betont unpolitische, nämlich existenzielle Entscheidung bestimmt: Wer Freund sei und wer Feind, diese Wahl, die aller Politik zugrunde liege, gehe hinter alle Gründe zurück. In Schmitts Worten:

„Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch hässlich zu sein; er muss nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte zu mache. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist …“

„Existenziell“ meint hier: unhintergehbar, unbegründbar. Der Fremde ist fremd, weil er fremd „ist“. Schmitt spricht von „seinsmäßiger Ursprünglichkeit“, Feindschaft sei die „seinsmäßige Negierung eines anderen Seins“, früher oder später folge „Krieg“ aus ihr, darum müsse der Staat in „kritischen Situationen“ nicht nur den „äußeren“, sondern „auch den ‚innern Feind‘ bekämpfen. In diesem „Krieg“ werde sich dann erweisen, worum es in all der Feindschaft eigentlich gehe, erst der Krieg zeige eine „den Kern der Dinge enthüllende Bedeutung“.

Mit dem Nomos auf Du, „kai nomon egno“: Grabstein von Carl Schmitt by gemini79 cc 3.0

Und vor dem Krieg, wie sortiert sich da, wer was „ist“? Schmitt: „Die reale Möglichkeit der Gruppierung von Freund und Feind genügt …“

Und wie lässt sich so eine „reale Möglichkeit“ erkennen, wenn es eben noch hieß, dass der „Feind“ weder hässlich noch böse noch wirtschaftlich bedrohlich sein müsse und dennoch Feind sein könnte? Antwort:

„Die Möglichkeit richtigen Erkennens und Verstehens und damit auch die Befugnis mitzusprechen und zu urteilen ist (…) nur durch das existenzielle Teilhaben und Teilnehmen gegeben.“ Anders gesagt:

Dabeisein ist alles

Dabei sein kann nur, „wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist“, so stand es seit 1920 im Programm der Nazi-Partei: „Kein Jude kann daher Volksgenosse sein …“

Wo bei den Nazis „das Blut“ steht, steht bei Carl Schmitt „das existenzielle Teilhaben“: Rassedenken ist exakt so hohl wie Schmitts „Begriff des Politischen“. Das Büchlein erscheint 1927 im selben Jahr wie Heideggers „Sein und Zeit“ und 1932 erneut in angeschärfter Fassung: Schmitt robbt sich heran an das Programm, mit dem Hitler die Juden als „Gegenrasse“ markiert. Die „existenzielle“ Frage, die er sich und anderen stellt: abrücken oder mitmarschieren?

„Systematisch stellt Schmitt die Definitionsmacht ins Belieben jedes Akteurs“, schreibt sein Biograph Reinhard Mehring: „Jeder Teilnehmer muss und darf selbst entscheiden, ob seine Existenz bedroht ist.“

Und darf selber entscheiden, ab wann er sich gegen eine Bedrohung anders als nur diskursiv zur Wehr setzen will: Auch die Nazis haben sich am Ende nur gewehrt, wie Dirk Moses jetzt wieder behauptet hat, der neo-reaktionäre Stichwortgeber.

Ungemein praktisch: NS-Biologen finden keine „Rasse“ in ihrem Blut, NS-Eugeniker keine in ihrer „Kraniometrie“, NS-Juristen keine in ihren Gesetzen und NS-Philosophen keine in ihren  Mythen, da kommt Schmitt und erklärt, alles wumpe, Feind ist, wer Feind „ist“.

Nach rechts absteigender Horizont: Carl Schmitts Wohnhaus Am Steimel 7 in Plettenberg-Pasel by gemini79 cc 3.0

Liegt auf der Hand, dass sich ein solcher Begriff des Politischen mit allem verleimen lässt, was einem in den Kram passt und  –  wenn Juden sowohl als „äußere“ wie „innere Feinde“ gehandelt werden, also als Feind schlechthin  –  am trefflichsten mit Judenfeindlichkeit. Falls man es denn möchte.

Schmitt mochte. 1934 trägt er die „existenzielle“ Entscheidungsgewalt darüber, wer Freund sei und wer Feind, seinem neuen „Führer“ an, wörtlich: „Aus dem Führertum fließt das Richtertum.“ 1935 erklärt er die Nürnberger Rassengesetze zur „Verfassung der Freiheit“, und als seine Nazi-Karriere 1936 ins Stocken gerät, empfiehlt er sich selber als obersten Bücherverbrenner dafür, das gesamte geistige Leben vom „jüdischen Geist“ zu säubern.

Diesen „jüdischen Geist“ definiert er, der Professor für Staatsrecht, als „jüdisches Gesetzesdenken“.

Habermas hätte „alttestamentarisch“ gesagt.

Das trojanische Pferdchen

Nun kann es immer auch Fehlalarm sein, wenn zwei Alarmlämpchen blinken, wenn Habermas erst einen Antisemiten   –  Carl Schmitt  –  anruft, um einen Begriff von Politik zu gewinnen, und wenn dieser Politik-Begriff dann zur Voraussetzung wird dafür, Politik mit Antisemitismus zu vermählen, und wenn dann nur ein paar Zeilen später eine antisemitische Meme   –  „alttestamentarisch“  –  auftaucht, die klingt, als sei sie von eben jenem Antisemiten geborgt …

Kann Fehlalarm sein, auch Fehlalarm lässt aufmerken. In diesem Fall darauf, dass die Antisemitismus-Theorie, die Habermas anbietet  –  die Juden als „innerer Feind“  – , allenfalls die halbe Wahrheit erschließt, die er dann an eine Diskursethik verlädt, die ihrerseits darauf bedacht ist, die Hälfte der Wirklichkeit auszublenden.

Die eigentliche Frage scheint zu sein, ob eine solche Diskurstheorie helfen könnte, vor Judenhass zu schützen, sobald der darangeht, sich diskursiv einzunisten. Antwort: nein, denn

Habermas‘ Dualismus zieht sich durch

Wenn es einen „Geltungsanspruch“ gibt, den Denken erhebt, dann den auf  Widerspruchsfreiheit. Dieser Anspruch ist in der Tat nicht hintergehbar, wer ihn bezweifelt, setzt ihn voraus. Dualismus à la Habermas ist ein auf Dauer gestellter Widerspruch, er teilt die Wirklichkeit zwei Reichen zu, in denen eine je eigene Ratio herrsche mit eigenen „Handlungstypen“.

„Aschenputtel-Soziologie“ hat Gerhard Bolte dies genannt, sie zieht sich durch bis dahin, dass Habermas, um die Wirklichkeit politisch zu begreifen, sie in „Freund“ und „Feind“ aufteilt. Oder denkt, sie habe sich so aufgeteilt. Oder werde sich so aufteilen. Oder solle sich so aufteilen oder es nie wieder tun: „Direkt beantwortet der Philosoph diese Frage nicht“, um noch mal die SZ zu zitieren. Vielleicht kann er es auch nicht, denn:

So lösen sich Welt und Welterklärung voneinander ab

Wenn die halbe Wirklichkeit  –  das System  –  vorab weggeblendet ist und die andere Hälfte  –  die Lebenswelt  –  sich in vielen Lebenswelten organisiert, die wie Filter-Bubbles funktionieren, dann liegt es nahe, davon auszugehen, dass sich die Leute in ihren Höhlen recht eigene Vorstellungen machen möchten von dem, was draußen sei. Habermas kann dem nichts entgegen setzen, er segnet diesen Wunsch stattdessen methodisch ab.

Damit wird seine Diskursethik mindestens anfällig für Ideologie

In jeder einzelnen Lebenswelt gilt, dass sich die Plausibilität einer Weltanschauung darin beweist, dass sie drinnen funktioniert in der eigenen Höhle. Sie bewahrheitet sich indoor, man muss die Welt gar nicht verändern: „Sprechakte“ reichen, „boykottieren“ genügt. Volkov hat dies für breite Milieus im 19. Jahrhundert beschrieben, in denen eine anti-moderne Ideologie angedickt wurde.

Anfällig besonders für Antisemitismus

Weil die antisemitische Weltanschauung attraktiv ist: Sie verspricht, was Habermas vorenthält, nämlich die Welt als Einheit zu verstehen. Antisemitismus springt da gewissermaßen in die Bresche, als Welterklärung kann er sich aus jeder Lebenswelt heraus überall und nirgends dingfest machen, Beispiel Achille Mbembe:

Auch er ein entschiedener Dualist, auch er stützt sich auf Carl Schmitt, auch er ist auf der Suche nach dem Ur-Geist allen Unheils, er nennt ihn die „nekropolitische Macht“: Sie habe tendenziell allen Menschen den „Wunsch nach Feinden“ implantiert, seitdem sei es „nahezu unvermeidlich“, dass alles „in Zerstörungslust“ münde, un ddas bedeute: „Das Blut verschafft sich Geltung“, so Mbembe im reinsten NS-Jargon, und dieses „Blut“ tue dies  –  na wie?  –  „in ausdrücklichem Anschluss an das Talionsprinzip des Alten Testaments“.

„Alttestamentarisch“, um mit Habermas zu sprechen. Der Jude als Prinzip der Vergeltung.

Vorerst legitimiert sich dieser Antisemitismus „existenziell“

Der Begriff des Politischen, wie ihn Carl Schmitt vorgegeben hat, setzt identitäres Denken voraus, es ist ein Stellungsbefehl: Identifiziere dich mit dem Kollektiv, dem du sowieso zugehörst, es sei Volk, Erschießungskommando oder Boykottkampagne. Dabeisein oder Nichtsein, bei Schmitt heißt dieses existenzielle Apriori „Teilhaben und Teilnehmen“, bei Habermas „gelebte Teilnahme“, das klingt so:

Trojanisches Pferd im hessischen Grandenborn vor Mohnblüten by Heinz K.S. cc 4.0

Bedeutungen, ob sie nun in Handlungen, Institutionen, Arbeitsprodukten, Worten, Kooperationszusammenhängen oder Dokumenten verkörpert sind, können nur von innen erschlossen werden. Die symbolisch vorstrukturierte Wirklichkeit bildet ein Universum, das gegenüber den Blicken eines kommunikationsunfähigen Beobachters hermetisch verschlossen, eben unverständlich bleiben müsste. Die Lebenswelt öffnet sich nur einem Subjekt, das von seiner Sprach- und Handlungskompetenz Gebrauch macht. Es verschafft sich dadurch Zugang, dass es an den Kommunikationen der Angehörigen mindestens virtuell teilnimmt und so selber zu einem mindestens potentiellen Angehörigen wird.“

Nun denn, als Angehöriger der Nazi-Partei hat Carl Schmitt die Lebenswelt der Antisemiten von innen erschlossen und aus diesem Universum heraus seine Sprachkompetenz in neue Kooperationszusammenhänge eingebracht undsoweiter, am Ende bedeutet existenziell hier nichts anderes als: du musst drinnen sein, um andere rauswerfen zu können.

Wie? Per Sprechakt. Allein „von der bloßen Nennung des Wortes ‚jüdisch’“, erklärte Schmitt seinerzeit, „wird ein heilsamer Exorzismus ausgehen“.

Sich selber hat Schmitt allerdings nie als Antisemiten verstanden, er nannte sich „judenkritisch“. Das Wort „israelkritisch“ gab es da noch nicht.

Wendung gegen den inneren Feind?

Man kann, nein: man muss Habermas zugutehalten, dass er versucht, Konflikte diskursiv zu entschärfen und darauf hofft, dass sich im Gespräch erweisen werde, worum es eigentlich geht. Seine Theorie des kommunikativen Handelns ist einladend wie eine Paartherapie, Antisemitismus kann sie nichts entgegen setzen.

Außer ihren unglaublich spröden, technokratischen Sound, der klingt, als sei er aus der Systemwelt ausgebrochen und hätte rübergemacht in die heile Lebenswelt. Womit sich die Frage stellt, ob es sein könnte, dass die Art, wie Habermas über Sprache spricht und übers Sprechen schreibt, der „innere Feind“ seines Diskursvertrauens ist? Ein trojanisches Pferdchen, mit dem sich das System die Lebenswelt erobern und ihre freien Diskurse kolonialisieren kann? So dass am Ende alle so kommunizieren wie das System es mag?

Wäre nicht schön, aber ein bisschen dialektisch.

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Hier vol 1: „Alttestamentarisch“? Jürgen Habermas und der antisemitische Diskurs

 

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[…] Diskurs der Weimarer Republik nachgezeichnet (hier unsere Besprechung), der es  –  unter Einhaltung der Regeln kommunikativer Vernunft  –  möglich machte, dass Hitler zum Feministen wurde und zum Sozialisten, zum Bio-Apostel und […]

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[…] Soll heißen: Werde Kunst nicht an eine  –  seine  –  weltpolitische Kandare gelegt, verbillige sie sich zum raffinierten whitewashing einer ausbeutenden Elite. Für Esche hat Kunst nur die Wahl, ob sie sich in dieses oder jenes Geschirr legen lassen will. Dass Kunst aus solcher Wahl heraustreten und autonom sein könnte und dass sie autonom sein muss, um überhaupt Kunst zu sein, diese Idee hat er drangegeben, alles ist eingespannt in sein Aschenbrödel-Konzept: […]

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[…] Soll heißen: Werde Kunst nicht an eine  –  seine  –  weltpolitische Kandare gelegt, verbillige sie sich zum raffinierten whitewashing einer ausbeutenden Elite. Für Esche hat Kunst nur die Wahl, ob sie sich in dieses oder jenes Geschirr legen lassen will. Dass Kunst aus solcher Wahl heraustreten und autonom sein könnte und dass sie autonom sein muss, um überhaupt Kunst zu sein, diese Idee hat er drangegeben, alles ist eingespannt in sein Aschenbrödel-Konzept: […]

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