Jüdinnen im Visier von Queerfeminismus und Islamismus

Ute Cohen Foto: Raimar von Wienskowski Lizenz: Copyright

Der Krieg der Hamas gegen das Judentum greift über auf europäisches Terrain. Seit dem 7. Oktober haben sich die antisemitischen Straftaten in Frankreich vervielfacht. Beleidigungen und Drohungen sind für viele Juden an der Tagesordnung. Die Propaganda des politischen Islams trägt Früchte. Der Nahost-Konflikt wird instrumentalisiert von Demagogen, die auf eine Zerstörung westlicher Gesellschaften abzielen. Feindbild ist der Jude. Von unserer Gastautorin Ute Cohen.

Eine neue Dimension aber gewinnt der Antisemitismus durch Taten, die sich an den Verbrechen der Hamas und des IS inspirieren. Die Bilder geschundener Frauen haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt, wirken jedoch nicht für alle in gleichem Maße abschreckend. Eine von islamistischen TikTokern indoktrinierte und von einer frauenfeindlichen Ideologie aufgepeitschte muslimische Jugend richtet ihren Hass gegen Juden und in jüngster Zeit speziell gegen junge Jüdinnen. Es ist kein Einzelfall, dass jungen Frauen die Kette mit dem Davidstern vom Hals gerissen wird, dass sie verfolgt werden, sobald sie abends aus der Métro steigen, dass ihnen unvermittelt an der Universität aufgelauert wird. Die Stalker und Aggressoren arbeiten mit allen Mitteln. Sie infiltrieren Studentenchats, finden Zugang zu Sprechstundenlisten, machen Namen von Studentinnen ausfindig und schleudern jungen Frauen „Dreckige Jüdin! Geh sterben!“ entgegen.

Mit dem Leben bedroht wurde Mitte Juni auch ein zwölfjähriges Mädchen in der westlich von Paris gelegenen Stadt Courbevoie. Die Ermittlungen der zuständigen Staatsanwaltschaft in Nanterre bringen täglich mehr Details ans Licht, die den Verdacht der schweren Gruppenvergewaltigung einer Minderjährigen erhärten. Das Mädchen wurde – so Stand der Ermittlungen – auf dem Heimweg von einer öffentlichen Grünanlage in eine leerstehende Halle gezerrt, brutal vergewaltigt, erpresst und geschlagen. Auch hätten die Angeklagten dem Opfer gedroht, es mit einem Feuerzeug in Brand zu setzen. Die drei Jungen im Alter zwischen zwölf und vierzehn Jahren, darunter der schwererziehbare Ex-Freund des Mädchens, waren eigens aus einem anderen Ort nach Courbevoie gekommen, um dem Mädchen aufzulauern und es zu bestrafen. Motiv: Antisemitismus. Das Opfer ist Jüdin. Ihrem Ex-Freund gegenüber habe sie sich als Muslima ausgegeben und ihre wahre Identität verborgen. Aus Rache habe dieser den perfiden Plan geschmiedet. Nicht sexuelle Gier, sadistische Triebhaftigkeit oder primitive Frauenverachtung sind die Gründe für die Gräueltat, sondern Feindseligkeit gegenüber einer anderen Religion, kurzum: Judenhass. Antisemitismus gekoppelt an sexuelle Gewalt ist ein bislang ungekanntes Phänomen in Europa. Vergewaltigung als Waffe ist eine Strategie, die im Krieg nicht selten zum Einsatz kommt, um die gegnerische Partei zu schädigen, in Friedenszeiten aber nicht existent. Die Wehrmacht und die SS setzten sexuelle Gewalt ein während ihrer Eroberungsfeldzüge in den Ostgebieten. In den 90er-Jahren wurden Frauen im Bosnienkrieg misshandelt und vergewaltigt. Der 7. Oktober ist grausames Symbol des antisemitisch-sexistischen Krieges.

Vergewaltigung, ausgeübt von Minderjährigen an Minderjährigen im Namen einer Religion wiederum ist ein so ungewöhnliches und gefährliches Phänomen, dass nach den Ursachen geforscht werden sollte. Es handelt sich um ein besonders heißes Eisen, da die Analyse sozialer Spannungen von politischer Seite oftmals instrumentalisiert wird. So versuchten auch in Frankreich die Parteien vor der Neuwahl des Parlaments den Fall Courbevoie für ihre politische Agenda benutzen. Der Linken-Politiker Jean-Luc Mélenchon versuchte die Vergewaltigung als Ergebnis toxischer Maskulinität und Unterart von Rassismus zu framen. Auf X erwähnt er „antisemitischen Rassismus“ und „die Konditionierung männlichen Verhaltens von Kindesbeinen an“. Dadurch lenkte er ab von den religiösen Motiven der Tat und der kulturellen Verankerung von Antisemitismus bei jungen Muslimen. Marine Le Pen vom rechten Rassemblement National machte die Linke verantwortlich für die Stigmatisierung der Juden und eine Bedrohung des sozialen Friedens. Bei den Parlamentsneuwahlen sollten sich die Wähler dessen bewusst sein, so Le Pen. Emmanuel Macron wartete mit pädagogischen Sofortmaßnahmen auf und ordnete einen „Austausch über Antisemitismus und Rassismus“ an den Schulen an.

Die Kluft, die Frankreich seit Jahren zerreißt, liegt offen. Neben Solidaritätskundgebungen für das Vergewaltigungsopfer und die jüdische Gemeinde gab es zahlreiche Stimmen, die das Sexualverbrechen leugneten und eine antisemitische Konnotation in Zweifel ziehen. Das Opfer wurde diskreditiert, Täter-Opfer-Umkehr praktiziert. Stillschweigen herrschte bei französischen Feministinnen, zu groß ist die Angst, eines antimuslimischen Rassismus bezichtigt zu werden.

Perfide war die Behauptung in der Tageszeitung „Le Monde“, Antisemitismus lebe unbestreitbar wieder auf, werde aber dafür benutzt, den NFP, einen Zusammenschluss linker Parteien, zu diskreditieren. Antisemitismus wird Parteipolitik untergeordnet. Ähnlich verhält es sich mit sexuellen Gewalttaten. Lange Zeit war es tabu, die wachsende Unsicherheit im öffentlichen Raum im Zuge schwierig zu bewältigender Massenmigration zu thematisieren. Courbevoie, eine einst ruhige Stadt, droht mit seinen Nachbarstädten Nanterre und Puteaux zu gefürchteten Banlieues zu verkommen. 2018 wurde ein Universitätsdozent von einem ehemaligen Schüler mit Migrationshintergrund erstochen. Vor einem Jahr kam es in Nanterre zu gewaltsamen Ausschreitungen, nachdem ein Jugendlicher auf der Flucht durch die Schüsse eines Polizisten zu Tode gekommen war. Zunutze machten sich die aufgeheizte Stimmung linke Populisten, die Frankreich des Rassismus bezichtigten und Islamisten, die ein „califat mondial“ (ein Weltkalifat) ersehnen. Den öffentlichen Raum mit sexueller Gewalt zu überziehen, ist Teil dieser Strategie. Vergewaltigung ist eine Waffe, ein zwölfjähriges Kind in Courbevoie ihr Opfer.

Zu Mittätern machen sich diejenigen, die der Tatsache nicht ins Auge sehen wollen, dass es sich um eine antisemitische Strategie handelt, die gewaltvolle, zerstörerische Auswirkungen, im schlimmsten Fall mit tödlichem Ausgang hat. Wieder einmal läuft wie bereits in den Siebzigerjahren die Kulturszene Gefahr, die körperliche und seelische Unversehrtheit von Kindern auf dem Altar der Ideologie zu opfern. Versuchten die Achtundsechziger noch, die Freiheit auf den Körper des Kindes auszudehnen, sind die neuen Queerquerulantinnen bestrebt, dem intersektionalen Korpus jüdische Frauen und Kinder einzuverleiben. Damals wie heute treten die Aktivisten harmlos auf und rechnen mit der Gutwilligkeit und ideologischen Unverbildetheit möglicher Sparringspartner. Wer tritt nicht für Gleichberechtigung und Beseitigung multipler Benachteiligungen ein in einem Rechtsstaat? Vergessen wird dabei, dass der Intersektionalismus seit Langem eine Allianz bildet mit dem politischen Islam. Nun ist es entweder naiv oder ein interessanter strategischer Move, Jüdinnen als zusätzliche Diskriminierungseinheit dem Intersektionalismus hinzuzufügen. So betitelt sich ein am 26. September in Bremen stattfindender Kongress mit „MeToo unless you’re a jew“. Knackig und antisemitismuskritisch kommt der Slogan daher, übersehen wird dabei aber die queerfeministische Einordnung und damit die Affinität zum politischen Islam. Es ist ein beliebtes Propagandamittel des Islamismus, sich im Westen erfolgreiche Bewegungen durch Umdeutungen für die eigene Agenda zu Nutzen zu machen. In dieser Hinsicht sind der Islamismus und der Rechtsextremismus vergleichbar: An Grenzen stoßen, divergierende Interpretationen schaffen, sich als Opfer gerieren, Umwertung der Werte und Begriffe.

Ein erfolgreicher kommunikationspolitischer Gigant wie der politische Islam wird sich das Zepter im Intersektionalismus nicht aus der Hand nehmen lassen und Jüdinnen zu Helfershelferinnen wider Willen machen. Schuldig machen sich diejenigen, die aus einer kalkülbehafteten Hybris ihr Vorgehen nicht der kritischen Ratio unterziehen. Solange feministische Bündnisse nicht auf den Boden des Universalismus zurückgelangen, begeben sich Jüdinnen in ein Schlangennest. Universalismus und Grundgesetz sind die besten Schutzschilde und Safe Spaces für alle, sie sich als mündig und gesetzestreu erweisen.

 

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