Jürgen Trittin erschuf ein neues Deutschland

Jürgen Trittin Foto: Sven Teschke Lizenz: CC BY-SA 3.0 de


Fragt man, welche Politiker die Bundesrepublik nachhaltig geprägt haben, fallen Namen wie Adenauer, Brandt und Kohl. Einer wird dabei meist vergessen, obwohl viele sein historisches Werk täglich sehen können und alle es im Portemonnaie spüren. Von unserem Gastautor Michael Miersch.

Was bleibt von einem Politiker? Meistens nicht viel. In den 75 Jahren Bundesrepublik schafften es wenige, für eine besondere Leistung im Gedächtnis der Menschen zu bleiben. Es gelang Adenauer (Westbindung, Freundschaft mir Frankreich), Brandt (Friedensverträge und Anerkennung der durch den Weltkrieg geschaffenen Ostgrenzen), Kohl (Wiedervereinigung). Der eine oder andere wird je nach Parteienpräferenz noch ein paar mehr nennen (Strauß? Schmidt? Erhard? Schröder? Fischer? Merkel?). Darüber hinaus wird’s schon eng.

Wer formte Landschaften und Stadtbilder?

Kaum einem ist bewusst, welche Politiker Deutschland physisch verändert haben. Wer hat durch seine Initiativen und Entscheidungen die Stadtbilder und die Landschaften umgeformt? Nur wenige können solche Gestaltungskraft für sich beanspruchen. Stadt und Land sehen heute anders aus als Mitte des 20. Jahrhunderts. Nicht alles, aber einiges davon ist das Ergebnis politischer Entscheidungen.

An erster Stelle ist hier natürlich Walter Ulbricht zu nennen, der das größte deutsche Bauwerk errichten ließ, mit 1.378 Kilometern Länge unübersehbar. Nach 28 Jahren wurde es jedoch abgerissen. Nachhaltiger wirkte der längst vergessene Hans-Christoph Seebohm, westdeutscher Verkehrsminister von 1949 bis 1966 und Erschaffer des weltbekannten Autobahnnetzes. Er wurde von der Bevölkerung damals „Scherenminister“ genannt, weil er im Fernsehen meist beim Durschneiden des Eröffnungsbandes einer Autobahn zu sehen war. Wer Wilhelm Niklas war, wissen nur noch Experten. Unter ihm als Ernährungsminister wurde 1953 das Flurbereinigungsgesetz verabschiedet. Was dazu führte, dass viele kleine, unrentable Äcker ausgetauscht und zu größeren Einheiten verbunden wurden. Dies war sicherlich ökonomisch vernünftig. Führte aber auch zu den langweiligen Agrarlandschaften ohne Hecken und Feldbäume, die vielerorts landschaftsprägend geworden sind.

Für die ebenso drastische Verwandlung der Städte kann man keinen einzelnen Bonner oder Ostberliner Minister als Urheber nennen. Sie hatte viele Väter und Mütter. Der Abriss historischer Innenstädte und die Errichtung brutalistischer Wohnsilos waren ein internationaler Trend, dem die meisten Stadtverwaltungen in West- und Ost folgten. Im Gedächtnis geblieben ist Interessierten Rudolf Hillebrecht, Stadtbaurat von Hannover und Visionär der „Autogerechten Stadt“. Oder auch Rudi Arndt, einst Bürgermeister von Frankfurt am Main. Sein Vorschlag, die Alte Oper zu sprengen, brachte ihm den Spitznamen Dynamit-Rudi ein. Der in den 1980er-Jahren erstarkende Gegentrend zur Konservierung alter Bauten, wurde ebenfalls am Beispiel Frankfurt heiß diskutiert. Bürgermeister Wallmann ließ sogar „historische“ Häuser genauso nachbauen, wie sie auf alten Stichen zu sehen waren.

Wer eigentlich die totale Verhunzung der Stadt- und Dorfränder mit containerartigen Einkaufszentren erfunden hat, konnte ich nicht herausfinden. Wer immer es war, sein Erfolg ist überwältigend. Auch die schönsten Orte wurden von solchen Un-Orten umzingelt. Es dauert heute oftmals eine Viertelstunde oder länger, bis man mit dem Auto vom Ortsschild zur eigentlichen Stadt vorgedrungen ist.

Trittins große Transformation

Die Werke Ulbrichts, Seebohms, Hillebrechts und der anderen Erschaffer neuer Stadtbilder und Landschaften hat einer in den Schatten gestellt, der in seiner Zeit als Minister im Schatten seines ewigen Konkurrenten Fischer stand. Während Außenminister Fischer die Medien großmäulig bediente, erschuf Trittin ein neues Deutschland. Er krempelte die Landschaft um und vererbte dieses Projekt an alle späteren CDU- und SPD-Regierungen, die es entschlossen weiterführten. Die Fläche, die diese Transformation beansprucht, ist weitaus größer als der Todesstreifen oder das Autobahnnetz.

In seiner Zeit als Umweltminister zweier rot-grüner Regierungen (1998-2005) brachte Jürgen Trittin unter anderem drei Projekte auf den Weg, die bis heute und noch weit in die Zukunft ihre Wirkung entfalten: den Ausstieg aus der Kernkraft, das Klimaschutzprogramm und das Erneuerbare-Energie-Gesetz. Letzteres regelt die bevorzugte Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Quellen und garantiert den Besitzern dieser Anlagen staatlich subventionierte Vergütungen. CDU-Umweltminister Klaus Töpfer hatte zwar schon 1991 mit dem Energieeinspeisungsgesetz die Grundlagen dafür gelegt, doch mit Trittins Initiative bekamen Landbesitzer und Investoren so richtig Lust auf Windkräder, Solaranlagen und Biogastanks. 500 Milliarden Euro hat die Energiewende die Steuerzahler mittlerweile gekostet und Ökonomen sagen, es wird noch einmal soviel bis die Ziele der deutschen Klimapolitik erreicht sind. Zum Vergleich: Das ist mehr als der gesamte Bundeshaushalt eines Jahres und nach Schätzungen von Experten mehr als der Wiederaufbau in der Ukraine kosten wird.

Aber zurück zum Thema, es geht ja hier nicht um Geld, sondern um Trittins Fußabdruck in der Geographie Deutschlands. Fangen wir mit der Photovoltaik-Fläche an. Um die Ziele der Energiewende zu erreichen, werden nach Berechnungen der Europäischen Energiewende Community e.V. neben den Solarpanelen auf Dächern 2.800 Quadratkilometer Freiflächenanlagen benötigt (ungefähr 0,8 Prozent des Landes). Derzeit sind 320 Quadratkilometer mit solchen Anlagen überbaut. Kürzlich wurde in Sachsen das bisher größte Solarkraftwerk – fünf Quadratkilometer Fläche – eingeweiht.

Bei der Windkraft lautet das Ziel: Zwei Prozent der Landesfläche. Das entspricht ungefähr 7.000 Quadratkilometern. Die bisher knapp 29.000 Windräder stehen auf rund 3.100 Quadratkilometern ausgewiesener Windfläche, etwa 0,9 Prozent Deutschlands. Es kommt also noch einiges auf die Landschaft und ihre Bewohner zu. Zum Vergleich: Zwei Prozent entspricht in etwa der Ausdehnung aller Flüsse und Seen. Die Straßen Deutschlands beanspruchen nur 0,6 Prozent mehr.

Weitaus mehr benötigt der Maisanbau (25.000 Quadratkilometer), der zu einem Drittel für Biogas stattfindet. Dieses Drittel entsprich 2,3 Prozent Deutschlands und ziemlich genau der Insel Kreta. Ausgedehnte Maismonokulturen sind eine Form des Ackerbaus, die sich für die Artenvielfalt besonders negativ auswirkt. Drolligerweise war Jürgen Trittin als Minister auch für Naturschutz zuständig, was der Natur nicht gut bekam. Dass ausgerechnet seine Partei, Die Grünen, in Wahlkämpfen den „Flächenfraß“ in Deutschland anprangert, gehört zur Ironie der Geschichte.

Fünf Prozent des Landes

Man kann die Flächenansprüche der drei Formen geförderter Stromgewinnung zusammenzählen, da es wenige Überschneidungen gibt. Ein paar Windräder, die in Energiemaisfeldern stehen, machen keinen großen Unterschied. Somit würde die Energiewende, wenn die Ausbauziele erreicht sind, rund fünf Prozent Deutschlands beanspruchen. Das ist mehr als die gesamte Wohnbaufläche (vier Prozent). Kein anderer Deutscher seit 1945 hat das Land so nachhaltig und für jedermann sichtbar umgestaltet wie Jürgen Trittin. Es ist ein beispielloses Werk, für das man ihn zurecht einen Jahrhundertpolitiker nennen darf. In der Walhalla, der Ruhmeshalle der großen Deutschen, steht bisher nur die Büste Konrad Adenauers als einzigem Nachkriegspolitiker. Ginge es nach der konkreten Wirkung von Politik, müsste Jürgen Trittin der nächste sein.

PS: Dass die Transformation der deutschen Landschaften eine Wirkung auf die Globale Erwärmung gehabt hätte, behauptet nicht einmal Jürgen Trittin.

PPS: Optimistischer Zukunftsausblick: Maisfelder können jederzeit in andere Nutzungsformen umgewandelt werden. Solarparks sind weitaus leichter abzubauen als Atomkraftwerke. Und von den Windkraftanlagen macht nur der Betonsockel größerer Probleme bei der Demontage.

Der Text erschien bereits auf dem Blog von Michael Miersch

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Emscher-Lippizianer
Emscher-Lippizianer
4 Monate zuvor

Ich bin jetzt nicht ganz sicher, aber geht nicht auch das unsägliche Verbandsklagerecht auf sein Konto?

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