?: Kommt eigentlich irgendwann das Feindbild abhanden? Man sendet ja nach ganz weit draußen plötzlich und kann plötzlich mit der Stadt. Man repräsentiert etwas. Und im Tagesgeschäft stellt sich ja auch nicht zwingend die Frage nach dem politischen System in Deutschland. Wie bleibt man den Inhalten treu in einer irgendwann vielleicht doch etwas anderen Zeit? Oder wird das dann irgendwann corporate identity, so á la: „Wenn wir das täten, das wäre dann nicht mehr der Bahnhof“?
!: Es gibt ständige Reflektion. Wir diskutieren teilweise heute noch im kompletten Team Grundsatzentscheidungen, Personaldinge, auch einzelne Veranstaltungen. Ansonsten läuft vieles schlicht in der Praxis, in den Schwerpunkten Kabarett, Weltmusik, Neue Musik, Jazz, Kindertheater, Kino, Politik. Und das dritte ist, dass sich hier immer noch ganz viele Initiativen treffen. Die Gastronomie im Kneipenbereich ist verpachtet an Leute, die früher hier am Tresen gearbeitet haben, die anderen Bereiche machen wir selbst, wofür es insgesamt 14 Stellen gibt. Konsens ist, dass der Bahnhof ohne einen dieser Bereiche nicht der Bahnhof wäre. Und dann gibt es eine Jahresplanung, jetzt zum Beispiel mit der Reihe „60 Jahre DDR“. Falls da jemand dagegen aufstehen würde, dann wäre z.B. die Autonomie des Bearbeiters „Politik“ aufgehoben.
?: Und das Feedback von außen?
!: Die Szene kritisiert uns – wenn überhaupt – derzeit eher auf einem Niveau von „Kommerz“, „unpolitisch“, „nicht mehr der Revolution verpflichtet“. Oder Fragen wie: „Wie kann man hier Die Kassierer spielen lassen?“ Das Kino ist da meist außen vor, und man ist generell einer größeren Breite verpflichtet. Da kommen die Themen, die wir hier intern für konstitutionell halten, aber auch vor, wie der Nord-Süd-Konflikt und hiesige Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.
?: Man kümmert sich also mehr. Wie sieht das aus und wie war das eigentlich mit dem Wageni gegenüber?
!: Das war 1986 das Baubüro, in dem man sich traf. Als dann keine Verwendung mehr dafür war, haben wir das weiter gegeben an Leute die gefragt haben und Volxküche und Punkkonzerte und so etwas gemacht haben und machen. Was das Engagement im Stadtteil betrifft findet das nicht im Hause statt, bis auf die Dorfpostille, eine Stadtteilzeitung die hier entstanden ist, eine Spielgruppe und eine Frauengruppe, die einmal in der Woche Frühstück macht. Schwerpunkt ist beispielsweise nicht, hier eine soziale Beratung zu machen. Das ist nicht die Zielsetzung. Wir kümmern uns eher um Themensetzungen. Und da strahlen die Kulturveranstaltungen halt viel weiter als das Kinoprogramm oder erst recht die politischen Veranstaltungen.
?: Der Bahnhof ist ja generell globaler und vielschichtiger aufgestellt als vergleichbare Häuser. Wie beisst sich das mit dem derzeitigen offiziellen Verständnis von Metropolentum und Leuchtturm-Debatten im aktuellen Kulturdiskurs? Man hat ja oft den Eindruck, dass mit der Aura dieser gewachsenen Zentren Werbung gemacht wird für Standorte, in denen sich dann letztlich höchstens Agenturen und Webdesigner ansiedeln.
!: Grundsätzlich gilt: Wenn es denn schon eine „Metropole Ruhr“ gibt, dann auch, weil es Zentren wie den Bahnhof, das GREND oder den Ringlokschuppen gibt! Solche locations gehören zwingend zur Urbanität einer Region wie dem Ruhrgebiet dazu, erhöhen für Einheimische und Externe die Attraktivität und Lebensqualität. Vieles, was heute im Ruhrgebiet als Touristenattraktion gilt, gäbe es nicht mehr, wenn es die freie Szene nicht gegeben hätte. Ein Beispiel: Die Jahrhunderthalle in Bochum, heute der bekannteste Spielort der Triennale, wurde zuerst vom Thealozzi und dem stahlhausen enterprise theatral bespielt. Da haben wir einiges zum Bewusstseinswandel beigetragen!
Dann: Soziokulturelle Arbeitsweisen haben sich auch in den großen Institutionen durchgesetzt. Welches Museum kommt heute noch ohne vermittelnde, kulturpädagogische Angebote aus, oder welches Theater ohne „junges Theater“ oder Jugendclub? Weiter: KünstlerInnen, die in den Zentren groß und bekannt geworden sind, bevölkern heute auch Fernsehsendungen, Konzerthäuser und und und.
Aber: Es gibt immer noch eine sehr hierarchische Wahrnehmung von künstlerischer Qualität durch Medien und auch die Politik. Es hat den Anschein, dass alles was in den großen Theatern, in den Konzerthäusern zur Aufführung kommt, gut und wichtig ist, während die Qualität der Freien und Soziokulturellen eher geringer geschätzt wird. Nicht zuletzt drückt sich das auch in barem Geld aus.
?: Kurz zurück zum System Bahnhof: Man hat ja manchmal den Verdacht, es könnte sich bei solchen ehemals besetzten Häusern und ähnlichem um so etwas wie Ein-Generationen-Projekte handeln…
!: Die Gefahr besteht. Ein großes Problem, das durchgängig viele vergleichbare Zentren haben, ist dass es sehr schwer fällt, Nachwuchs in die Teams zu integrieren. Das hat verschiedene Gründe: Die Gründergeneration waren in der Regel Autodidakten, ohne entsprechende passende Berufsausbildung, ursprünglich also tätigkeitsfremd, was einen Wechsel in andere Arbeitsbereiche schwer macht; wir haben außerdem auch aufgrund der hohen Identifikation der Mitarbeiter mit dem Haus eine sehr geringe Personalfluktuation und natürlich aus Geldmangel wenig Möglichkeiten, neue Stellen zu schaffen. Hier fehlt es eindeutig an tragfähigen Konzepten, um dieses Problem in den Griff zu bekommen. Der Bahnhof versucht z.B. mit der Schaffung von Arbeitsplätzen oder längerfristigen Praktikastellen hier ein wenig entgegenzuwirken. Aber es ist klar, das reicht noch nicht aus.
?: Abschließend: Wie geht es dem Bahnhof 2009, nach größeren Nöten Anfang des Jahrzehnts und dann dem Ausbau letztens mit dem Studio 108?
!: Wir haben teilweise deutliche Kapazitätsprobleme im Rahmen unserer wirtschaftlichen und inhaltlichen Notwendigkeiten und machen daher Veranstaltungen wie Herbert Knebel oder Dieter Nuhr auch in der Jahrhunderthalle, dem RuhrCongress oder auf der Freilichtbühne in Wattenscheid. Damit zollt man auch Tribut an ein verändertes Publikum, das klarer auswählt, ärmer geworden ist und deshalb auch weniger experimentierfreudig.
Ganz allgemein gilt auch, dass die Zahl der Kulturorte enorm angewachsen ist und noch weiter wächst: Allein in der unmittelbaren Nähe des Bahnhofs gibt es in den letzten Jahren neu das domicil und das Konzerthaus in Dortmund, das Zeltfestival Ruhr, demnächst das neue FZW in Dortmund, die Spielstätte der Symphoniker, die Marienkirche und das sogenannte Goosen-Theater in Bochum. Alle bemühen sich fast um das gleiche Publikum, d.h. die Gefahr besteht der Kuchen bleibt gleich groß, die Stücke werden kleiner. Hier gilt es, tatsächlich neue Publikumsschichten zu erschließen. Noch profitiert der Bahnhof von seinem Ruf, seinen Erfahrungen und Kompetenzen, aber wir können uns darauf nicht ausruhen, sondern müssen uns der Tatsache des wachsenden Angebotes stellen.
?: Besten Dank für das ausführliche Gespräch!