Der neue Jugendmedienschutzstaatsvertrag will Kinder und Jugendliche auch im Internet vor Gewalt, Pornografie und Glückspiel schützen. Kritiker halten das Gesetzespaket für nicht praktikabel und fürchten einen Einstieg in die Zensur des Internet.
„Es geht um unsere Werte.“ Marc Jan Eumann, Staatssekretär im Ministerium für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien sitzt im zwölften Stock des Düsseldorfer Stadttores, gehört zu den Befürwortern der Novelle des Jugendmedienschutzstaatsvertrags. Wenn NRW ihm in Dezember zustimmen wird, tritt er bundesweit in Kraft.
Wenn alle Bundesländer ihm bis Ende Dezember zugestimmt haben, tritt er in Kraft. Ein Großteil der Bundesländer hat ihm bereits zugestimmt, doch ein Land würde ausreichen, um die Novelle zu kippen.
Die Werte, um die es Eumann geht, will er auch im Internet verteidigen. Eumann sorgt sich darüber, dass Kinder mit Pornografie, Nazi-Propaganda oder Gewalt konfrontiert werden. Er will sie vor solchen Einflüssen schützen – und ein Mittel dazu ist für ihn der Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV). Federführend von der Landesregierung Rheinland-Pfalz entworfen, regelt er, wie Jugendliche im Internet und im Fernsehen vor jugend- und entwicklungsgefährdenden Einflüssen geschützt werden können. Im Fernsehen ist das ganz einfach: Pornografie im Free-TV ist verboten, Filme für Jugendliche ab 16 Jahren dürfen erst ab 22.00 Uhr gesendet werden und müssen gekennzeichnet sein. Gewalt und Erotik findet im TV erst nach Einbruch der Dunkelheit statt.
Im Internet soll das künftig ähnlich sein. Alle in Deutschland tätigen Internetzugangsanbieter werden ab dem 1. Januar ihren Kunden kostenlos eine Software anbieten, mit der nur noch Internetseiten aufgerufen werden können, die sich selbst nach Altersklassen eingeteilt haben. Wie bei der freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft wird es Internetinhalte wie die Internetseite der „Sendung mit der Maus“ geben, die rund um die Uhr mit dieser Software angesteuert werden können. Es wird aber auch Seiten geben, die die Software erst am späten Abend frei gibt. Internetseiten, die sich nicht klassifizieren lassen wollen werden von den Programmen ignoriert und sind nicht mehr anzusteuern. Die Installation der Software ist freiwillig. Das unter Umständen Eltern aus Problemhaushalten sie häufig nicht aufspielen werden, dass findige Teenager Wege finden werden sie zu umgehen, weiß Eumann: „Es kann doch nicht sein, dass wir vor der Aufgabe, unsere Kinder vor gefährlichen Inhalten zu schützen, kapitulieren, nur weil es im Zeitalter digitaler Medien komplizierter geworden ist.“ Für ihn ist der jetzige JMStV ohnehin nur ein erster Schritt. Die Bundesländer haben beschlossen, ihn innerhalb der nächsten drei Jahre zu überprüfen und dann ein Nachfolgegesetz auf den Weg zu bringen. Jürgen Rüttgers hat als nur noch geschäftsführender Ministerpräsident nach der verlorenen Landtagswahl noch als Ministerpräsident den Staatsvertrag unterschrieben. Die SPD hatte das den JMStV im Wahlkampf kritisiert und versucht, bei der Internetgemeinde zu punkten. Die zwei Prozent für die Piratenpartei bei der Bundestagswahl und der Ärger wegen der Zustimmung zu von der Leyens Netzsperren saßen den Genossen in den Knochen. Eumann hält das Wahlversprechen für gehalten: „Was wir an dem JMStV zu kritisieren hatten, wurde geändert. Ich halte den Staatsvertrag für nicht perfekt, aber er ist besser als der bestehende. Er wird jetzt im Parlament diskutiert, es wird eine Anhörung geben, und wenn es eine Mehrheit gibt, kann er am 1. Januar in Kraft treten.”
Doch auch in der SPD gibt es noch Kritik am JMStV, so haben die Jusos beispielsweise den JMStV abgelehnt. Dort sieht man die Kritikpunkte am JMStV, die vor allem Echtzeitkommunikation wie Facebook, Twitter aber auch Blogs, Foren und Gästebücher betreffen, noch nicht als ausgeräumt und befürchtet einen Bruch des Wahlprogrammes durch die Mutterpartei, was der Piratenpartei gerade im Bereich der jüngeren Wähler zugute kommen würde.
Matthias Bolte, in der Landtagsfraktion der Grünen zuständig für Netzpolitik, hält den Staatsvertrag für stark verbesserungswürdig. Aber auch er spricht sich für eine Zustimmung aus: „Rüttgers hat den Vertrag unterschrieben, wir werden ihn jetzt beraten und nehmen die Beratungen als Auftakt für seine Reform in drei Jahren – aber ich sehe nicht, dass wir nicht zustimmen werden. Schon formaljuristische Gründe sprechen gegen eine Ablehnung – es muss Vertrauen bei vom Land geschlossenen Verträgen geben.“
Mit dieser Argumentation könnte jedoch auch eine neue rot-grüne Bundesregierung die Laufzeitenverlängerung der Atomkraftwerke rechtfertigen.
Bolte will auf die Netzgemeinde zugehen und gemeinsam nach Kompromissen im Bereich des Jugendschutzes suchen. Ein kompliziertes Feld: „Der Anspruch nach effektivem Schutz von Kindern und Jugendlichen und Wunsch nach möglichst viel Freiheit im Internet werden schwer zusammen zu bringen sein.“
Markus Beckedahl, der Netzaktivist und Betreiber des Blogs Netzpolitik.org würde gerne in einen Dialog mit der Politik treten. Bei den Diskussionen um den JMStV hat er von der Dialogbereitschaft der Politik nicht viel gemerkt: „Wir hatten sogar Schwierigkeiten, Beobachter in die eigentlich offenen Konsultationssitzungen zu schicken. Dort wurde nur mit den üblichen Lobbygruppen gesprochen.“
Ihn stört nicht nur, dass auch der wohl bald gültige JMStV Netzsperren nicht kategorisch ausschließt, sondern sich an das alte Rundfunkrecht anlehnt: „Wie sollen die Betreiber von hochdynamischen Seiten wie Facebook, in denen die Benutzer die Inhalte bestimmen, wissen, was gerade zu sehen ist?“ Schon ein freizügiges Video von Popstar Lady Gaga könnte zu Problemen führen, wenn es um eine Uhrzeit zu sehen wäre, in der Kinder vor dem Rechner sitzen. Für Beckedahl wirft das Gesetz mehr Fragen auf, als es beantwortet: Wird es kostenpflichtige Abmahnungen in Fällen falscher Einordnung geben? Wie teuer wird die Zertifizierung, und könnte sie nicht das Aus für kleine Blogs bedeuten, denen die Kosten und die Mühen zu groß sind? Und was kommt, wenn die Freiwilligkeit nicht erfolgreich ist – Netzsperren für weite Teile des Internets? Markus Beckedahl hält den Ansatz des Gesetzes für falsch und unrealistisch. Kinder wurden schon immer mit Dingen konfrontiert, die auf sie verstörend wirken konnten. „Die Heile-Welt-Schaffung ist nicht möglich. Man muss die Kinder stark machen und auf die Welt mit all ihren Problemen gut vorbereiten. Es geht um Medienkompetenz und darum, dass Eltern ihre Kinder mit der Technik nicht alleine lassen, sondern sich um sie kümmern.“
Bei der ersten Diskussion des JMStV im nordrhein-westfälischen Landtag in der vergangenen Woche wurde das Vertragswerk an den zuständigen Ausschuss verwiesen. Doch schon vor Beginn der Beratungen steht fest: NRW wird zustimmen.
Mitarbeit: Jens Matheuszik, Pottblog
Heißt die Nummer nicht Jugendschutzmedienstaatsvertrag?
Jugendmedienschutz ist doch eher ein Thema für unsere Freifrau von und zu….
@Lukas: Schöne Idee für eine Namensänderung, aber im Moment heißt er nioch Jugendmedienschutzstaatsvertrag: https://de.wikipedia.org/wiki/Jugendmedienschutz-Staatsvertrag
So oder andersherum ist das ein Wortungetüm…
Aber danke… wieder was dazugelernt 😉
Aha. Und wer soll die Inhalte kategorisieren? Wer soll das bezahlen? Stellen SPD und GRÜNE uns dafür dann Mitarbeiter zur Verfügung oder wie?
Das ist doch wirklich eine Frechheit sondersgleichen. So viel zum Thema Netzpolitik bei den GRÜNEN. Das war endgültig das letzte Mal dass die meine Stimme bekommen haben. Nächstes Mal wähle ich Piratenpartei.
[…] Weiterlesen bei den Ruhrbaronen… […]
@Martin: Für das „Rating“, also die Kategorisierung, ist der jeweilige Anbieter der Inhalte selbst verantwortlich. Macht er falsche Angaben, drohen bis 500.000 Euro Bußgeld (Insbesondere § 5 i.V.m. § 24 JMStV-E).
Ja, genau. Da ist nicht nur für kleine Projekte ein Problem, sondern tatsächlich so idiotisch, wie jeder halbwegs klar denkende Mensch sofort erkennt. Und das nicht nur mit Blick auf ausländische Anbieter (Eine Schutzwirkung würde das angedachte Filtersystem nur entfalten, wenn nicht klassifizierte Inhalte in der Grundeinstellung ausblendet werden.).
Die Grünen hatten mit dem JMStV bisher wenig zu tun. Entwickelt wurde Novelle unter Federführung der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz (SPD). Eben dies – und einige persönliche Verpflechtungen – sind wohl auch der Grund, warum die Landes-SPD in NRW dem Unsinn wider besseren Wissens zustimmen wird.
Die Grünen haben dabei realistisch die Option den braven Koalitionspartner zu geben – oder einen Streit vom Zaun zu brechen, bei dem es nichts zu gewinnen gibt. Ausgehend davon, dass CDU und SPD den Staatsvertrag wollen, sind ihre Stimmen nicht entscheidend (Von daher wundert mich auch die frühe & eindeutige Positionierung, aber das ist eine andere Sache).
Wer hat uns verraten? Die Sozialdemokraten.
Die einzige deutsche Partei, die sich noch um Bürgerrechte schert, ist die Piratenpartei. Auch wenn die Grünen gerne anderes behaupten: Sobald es ans Abstimmen geht, sind ihnen Bürgerrechte genauso egal wie allen anderen Parteien.
Da wird versucht, irgendwelche althergebrachten und verkrusteten Strukturen zu erhalten, einfach weil man dem Netz und den Bürgern misstraut. Der Staat hält sich hierzulande mittlerweile für eine Art Ersatzmutti, die uns vorschreiben darf, welche Inhalte gut für uns sind.
Die Idee, bestimmte Netzinhalte nur zu bestimmten Zeiten verfügbar zu machen, ist an Absurdität und Irrsinn nicht zu überbieten. Leider bestätigt sich hier das gängige Vorurteil, dass Politiker nicht die geringste Ahnung vom Internet haben und es für eine Art Ersatzfernsehen halten, über das man die Bürger mit vorgefilterten und -gekauten Informationen füttern kann.
Das ist Wahlbetrug von Rot/Grün!
Das deprimierende ist eher, dass die Grünen nicht allzu viel machen können. Selbst wenn sie dem nicht zustimmen was durchaus noch im Bereich des möglichen wäre – das Ding käme durch. Wichtig wäre es viel eher, die SPD auf ihre eigene Wahlaussage festzunageln – diese hat vor der Wahl angegeben, den JMStV nicht zu unterstützen. Wenn SPD und Grüne sich gegen das Durchwinken entscheiden würden dann wäre der JMStV geblockt. Also – ruft Eure Abgeordneten an!
[…] Jugendmedienschutz-Staatsvertrag: NRW wird zustimmen… [Ruhrbarone] (via @domainrecht) NRW: Grüne wollen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) zustimmen [Pottblog] JMStV in NRW: Grüne tragen „Schwarz-Gelbe Altlast“ [Netzpolitik] Jugendmedienschutz-Staatsvertrag: NRW wird zustimmen… [Ruhrbarone] (via @domainrecht) Dieser Beitrag wurde unter Bild, Piraten, Politik, Qualitätspopulismus, Satire veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. ← Hello, and Thanks for All the Flattr! A look into the heart and liver of iTunes 10 → […]
@Infinity: In einer Stellungnahme des medienpolitischen Sprecher Vogt, die kürzlich fraktionsintern verschickt wurde, wird klar, dass man diesbezüglich wohl nicht auf die Genossen an Rhein- und Ruhr hoffen sollte:
Das „eher“, also die Hintertür „kritische Weiterentwicklung“, ist, worauf es wohl hinauslaufen wird, der Rest ist mehr oder weniger parlamentarisches Laientheater. Das zeigen auch die anderen Formulierung in o.g. Mail, die meiner Meinung nach wesentliche Kritikpunkt ausblendet und in anderen Punkten schlicht irreführend ist.
PS: Selbst gegen die wachsweiche Formulierung im Wahlprogramm soll es von entscheidender Stelle schon damals massiven Widerstand gegeben haben.
Kurz Nachfrage dazu, aus welchen Aussagen, mit welchem Datum zieht der Autor den Schluss, dass eine Zustimmung sicher ist?
@Dave-Kay: Den Schluss ziehe ich aus den von mir geführten Gesprächen. Und wann wurden die geführt? Am 14. und 16. September. Die Entscheidung wird Mitte Dezember in der letzten Landtagssitzung fallen. Und wer glaubt, es wird sich daran noch etwas ändern ist naiv.
Hey Stefan, no offense, echt! Ich wollte nur wissen, wie das zeitlich in den Rahmen meiner Gespräche passt.
Aber nenn mich ruhig naiv, ich will mich damit noch nicht abfinden.
@Deve Kaye: Das mit dem naiv war nicht gegen Dich. Wenn es so rübergekommen sein sollte tut mir das leid. Das Verfahren ist eine Farce, das Ergebnis steht fest. Was jetzt noch kommt ist ein wenig Show.
@Stefan: Ja, davon gehen wir prinzipiell auch aus. Aber zumindest ich werde mir die Show live angucken und vorher vermutlich noch versuchen, etwas einzureichen und zu veröffentlichen. Das Absurde an der Nummer ist ja, dass es durchaus Leute gibt, die verstehen, wo die Probleme liegen, aber die tun einfach so, als könne man nichts tun und müsse auf die 15. Novelle warten…
Wenn das Kind zu später Stunde noch Fern sieht ist es sprichwörtlich schon in den Brunnen gefallen. Was es sich dann ansieht ist nurnoch Nebensache.
In kleiner Ergänzung möchte ich auf JoSchaefers (12) eingehen:
Ich persönlich vermute, dass der Autor, der das geschrieben hat, nicht mit dem Verfasser der entsprechenden Passage im Wahlprogramm gesprochen hat. Denn eine Ablehnung ist zwar – und das ist das was stimmt – nicht explizit erwähnt, da jedoch
a) die kritischen Punkte nicht korrigiert wurden
und
b) die NRWSPD sich nicht – wie im Wahlprogramm – gefordert an der Weiterentwicklung beteiligen konnte
bleibt eigentlich nur eine Option übrig: Ablehnung des JMStV.
Dass es eventuell anders kommen mag, mag (leider!) sein und man kann dann wieder alte Parolen von Verrat und dabei inkludierten anderen Parteien erwähnen (was ich dann auch machen werde), aber versuchen zu verhindern kann man es dennoch. Denn wer nicht kämpft, der hat eh schon verloren.
Wenn das hier wirklich:
„Rüttgers hat den Vertrag unterschrieben, wir werden ihn jetzt beraten und nehmen die Beratungen als Auftakt für seine Reform in drei Jahren – aber ich sehe nicht, dass wir nicht zustimmen werden. Schon formaljuristische Gründe sprechen gegen eine Ablehnung – es muss Vertrauen bei vom Land geschlossenen Verträgen geben.“
O-ton ist, sollte Bolte noch mal in sich gehen – mitsamt der Landtagsfraktion.
Formaljuristische Gründe (die sollten dann mal dargelegt werden), meine Güte…^^
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