Noch sind es wenige, aber es werden mehr: Der Protest gegen den Salafismus nimmt zu.
Sie stehen seit September vergangenen Jahres an fast jedem Samstag auf der Zeil, Frankfurts wichtigster Fußgängerzone. Immer um 16.00 Uhr packen sie ihre Schilder und Transparente vor dem Einkaufszentrum „MyZeil“ aus. „Salafisten werben, Kinder sterben“ oder „Muslime! Lasst Euren Glauben nicht in den Dreck ziehen! Steht auf gegen ISIS“ steht auf ihnen. Bereitschaftspolizei steht ein paar Meter entfernt und passt auf sie auf, nachdem es einmal fast zu einer Schlägerei zwischen den Salafistengegnern und Koranverteilern gekommen ist. Immer wieder geraten sie allerdings auch mit ganz gewöhnlichen Muslimen aneinander, werden bezichtigt, den Islam zu verunglimpfen. Die Diskussionen sind hart, laut aber friedlich. Viele, die wütend über den Protest gegen die Salafisten sind, sehen sie vor allem als Muslime. Der Islamische Staat ist für sie eine Erfindung der USA und der Israelis, geschaffen um dem Islam zu schaden.
Die hier stehen haben nichts mit den rechtsradikalen Schlägern von Hooligans gegen Salafisten zu tun. Sigrid, die Anmelderin der Demonstration, ist SPD-Mitglied: „Nach dem Terror des Islamischen Staates im vergangenen Sommer hatten wir alle das Gefühl etwas tun zu müssen.“ Gegen die Koran-Verteiler der Lies!-Kampagne, die wie in vielen Städten in Europa auch in Frankfurt unterwegs sind und für Anhänger für die radikale, salafistische Richtung des Islams werben. Viele, die hier gegen den Islamischen Staat und die Koranverteiler auf der Straße stehen sind sich sicher, dass mit der Lies!-Kampagne Nachwuchs für Terrorgruppen wie den Islamischen Staat oder die zu Al Qaida gehörende Als Nusra Front geworben wird. Auch die Sicherheitsdienste betrachten die Kampagne, hinter der die von dem in Köln lebenden Palästinenser Ibrahim Abou-Nagie stehende Organisation “Die Wahre Religion“ steht, mit Sorge: „Lies! ist ein wichtiger Weg, junge Menschen in die militante Salafistenszene hinein zu ziehen“, sagt ein Verfassungsschützer. „Sie bewegen sich am Rande der Legalität, überschreiten die Grenzen jedoch nicht, solange sie öffentlich agieren.“ Hinter verschlossenen Türen würden allerdings viele andere islamistischen Gruppen, die legal in Deutschland auftreten, andere Töne angeschlagen. Von mehr als 720 Kämpfern aus Deutschland, die versucht hätten, in den Islamischen Staat zu gelangen, wissen die Behörden. Gut ein Fünftel von ihnen habe vorher Kontakt zu der Lies!-Kampagne gehabt.
Die Sorge vor dem salafistischen Terror treibt nicht nur in Frankfurt Menschen auf die Straße. Auch der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Thorsten Hoffmann (CDU) schaut dem Treiben der Lies!-Aktivisten nicht mehr tatenlos zu. Wenn bekannt wird, dass ein Lies!-Stand in Dortmund aufgebaut wird, hält er dagegen und verteilt ein anderes Buch: Das Grundgesetz. „Mir geht es darum, zu zeigen, dass wir zu unseren Werten stehen. Die Salafisten wollen gerade junge Menschen, die nach Orientierung suchen, ansprechen. Dem müssen wir als Demokraten etwas entgegenstellen. Ich finde, wir haben mit dem Grundgesetz ein tolles Angebot zu machen.“ Bislang habe er nur positive Reaktionen auf seine Aktionen bekommen. Hoffmann glaubt, dass die Salafisten die direkte Konfrontation scheuen.
Als weniger konfrontationsscheu hat der Mainzer FDP-Politiker Tobias Huch die Salafisten erlebt. Sie beschimpften ihn in Videos und drohten ihm mit dem Tod. Huch organisierte im Sommer 2014 Demonstrationen für Israel und gegen die Ermordung von Kurden und Yesiden durch den Islamischen Staat. Seitdem hat er keine Ruhe mehr, denkt aber nicht daran, klein beizugeben. „Allein in den vergangenen Tagen habe ich 30 Todesdrohungen bekommen.“ Der Grund: Immer wieder fordert Huch die Politik auf, hart auf Islamisten zu reagieren. Für Kurden in Syrien organisiert er Hilfslieferungen. Der vom Verfassungsschutz beobachteten Hilfsorganisation Ansaar International warf er vor, IS Anhänger zu unterstützen. Die mahnte ihn nun ab. Huch habe, ihnen zu Unrecht Nähe zum IS vorgeworfen. „Ich lasse es gerne auf einen Prozess ankommen. Jeder soll sehen, dass es sich bei Ansaar um eine Salafisten-Organisation handelt und welche Kontakte diese Herren zu IS-Anhängern pflegt.“
Andere Wege gegen den Salafismus gehen Hassan und Mohammed. Beide haben irakische Wurzeln und leben im Rheinland. Sie sind die Köpfe der Gruppe 12thMemoRise und wollen mit Kunstaktionen vor allem junge Muslime wachrütteln. In Fußgängerzonen haben sie IS-Hinrichtungen dargestellt, um die Brutalität der Terrorgruppe deutlich zu machen. In Essen nahmen sie den Koranverteilern am vergangenen Wochenende durch eine frühere Anmeldung ihren angestammten Platz vor einem Kaufhaus in der Innenstadt weg. Dort bauten sie einen Stand auf, der denen der Lies!.-Kampagne ähnlich sah und zeigten Hassprüche von Islamisten. „Wir wollen einen Islam, der den Menschen keine Angst vor der Hölle macht, sondern für den jeder Mensch ein Teil der Schöpfung ist, egal welche Religion er hat“, sagt Hassan. Die Lies!-Stände sind für sie ein Eingangstor zum militanten Islam, dass sie schließen wollen: „Wir brauchen in Deutschland ein Islamgesetz wie in Österreich, das es verbietet, aus dem Ausland Organisationen wie „Die Wahre Religion“ zu finanzieren.“
Doch Abou-Nagie und seine Koranverteiler haben es nicht nur mit friedlichen Gegnern zu tun. Am vergangenen Samstag überfielen mehrere kurdische Jugendliche den Abou-Nagie in Mannheim an einem Stand an dem er Korane verteilte. Abou-Nagie wurde verletzt und musste nach Angaben der Mannheimer Polizei ambulant behandelt werden. Die Hintergründe für die Tat sind unklar. Kurdische Gruppen bejubelten den Angriff im Internet, aber niemand bekannte sich dazu. Im Internet reagierte der nach Pierre Vogel bekannteste deutsche Salafist, Sven Lau, umgehend. In einem Video beschimpfte er die Angreifer als feige und drohte: „Wir Muslime lassen uns nicht alles gefallen.“ Für die Sicherheitsdienste ist die Sache klar: „Der Islamische Staat bekämpft die Kurden, die Kurden führen Krieg gegen den Islamischen Staat. Jeder Konflikt im Nahen Osten landet irgendwann auf unseren Straßen.“
Der Text erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt.