Gelsenkirchen wird immer wieder genannt, wenn es um dubiose Geschäftemacher geht, die Flüchtlinge und Zuwanderer in unzumutbaren Wohnungen unterbringen. Da leben bis zu 14 Menschen in kleinen Wohnungen, und jeder zahlt 180 Euro im Monat. Ein lukratives Geschäft, dass noch nicht mal gegen geltende Gesetze verstößt. Die Ursachen liegen auch in dem nicht mehr funktionieren Wohnungsmarkt der Stadt. Jetzt sollen Landesmittel in Höhe von 40 Millionen Euro helfen, dass in den nächsten Jahren bis zu 100 Schrottimmobilien von der Stadt aufgekauft und abgerissen werden.
Michael Voregger im Gespräch mit Uwe Gerwin, Leiter des städtischen Referats Zuwanderung.
Michael Voregger: Herr Gerwin, was verbirgt sich hinter dem Begriff „Schrottimmobilien“?
Uwe Gerwin: Das ist eine Zustandsbeschreibung für Wohnhäuser in dieser Stadt und im ganzen Bundesgebiet, die für Wohnzwecke eigentlich gar nicht mehr tauglich sind. Die Dächer sind undicht, die Versorgungsleitungen funktionieren nicht mehr und menschenwürdiges Wohnen ist hier nicht möglich.
Michael Voregger: Stellt das für die Stadt ein Problem dar, und kann man das in Zahlen ausdrücken?
Uwe Gerwin: Wir müssen als Kommune den Bürgern menschengerechtes Wohnen ermöglichen, und wenn Wohnungen nicht intakt sind, dann führt das zu Problemen im Umfeld. Wenn Häuser undicht sind und die Feuchtigkeit in die Nachbarhäuser eindringt, die sanitären Anlagen nicht funktionieren, dann sind das Auswirkungen, um die wir uns kümmern müssen. Es gibt Zahlen zum Beispiel über die Stromversorger. Durch Flüchtlinge und Zuwanderer aus Osteuropa ist die Anzahl der unbewohnten Häuser aktuell etwas geringer. Man kann davon ausgehen, dass derzeit in Gelsenkirchen 10.000 Wohnungen leer stehen. Wobei das Thema leere Wohnungen und Schrottimmobilien nicht zwingend gleichzusetzen sind.
Michael Voregger: Das ist ja auch ein Geschäftsmodell für einige Menschen, die mit den Schrottimmobilien Geld verdienen. Wie funktioniert das?
Uwe Gerwin: Das funktioniert in der Regel bei Zwangsversteigerungen, wo die Käufer nur eine Sicherheitsleistung von 10 Prozent des Kaufpreises hinterlegen müssen. Dann sind die Häuser sofort im Besitz der Käufer, und die Wohnungen können sofort vermietet werden. Mieter sind dann oft neu zugewanderte Menschen aus Bulgarien und Rumänien, die kein geregeltes Einkommen und oft auf dem regulären Wohnungsmarkt keine Chancen haben. Das Vermieten an Armutszuwanderer ist oft das Ende der Verwertungskette dieser Schrottimmobilien.
Michael Voregger: Wer macht diese Geschäfte?
Uwe Gerwin: Ich habe da weder Zahlen noch genaue Angaben. Ich gehe nicht davon aus, dass es hier größere mafiösen Strukturen gibt. Es ist einfach ein Geschäftsmodell, das sich herumspricht und das viele nutzen, um aus diesen normal nicht mehr verwertbaren Häusern Kapital zu schlagen.
Michael Voregger: Es gibt in diesem Zusammenhang auch den Fall, dass staatliche Sozialleistungen für die Mieter direkt an den Vermieter weitergereicht werden. Sind das dieselben Vermieter und Akteure?
Uwe Gerwin: Wir bewegen uns da sehr oft nur im Bereich von Vermutungen und haben in der Regel keine klare Beweislage. Es gibt aber konkrete Hinweise auf dieses bekannte Modell „Dienstleistungen aus einer Hand“. Es gibt dazu das Angebot: Ich bringe dich in der und der Wohnung unter, für die Familie werden Anträge für Hartz4 oder Kindergeld gegen Geldzahlung ausgefüllt und in Teilbereichen auch das Thema Scheinarbeit. Da werden Minijobverträge ausgestellt, die dann als Grundlage dienen, um beim Jobcenter aufstockende Leistungen – sprich Hartz4 – zu beantragen.
Michael Voregger: Was tut die Stadt dagegen?
Uwe Gerwin: Wir sind hier sehr offensiv tätig und haben seit etwa drei Jahren das sogenannte Innovationsteam. Wir machen monatlich ressortüber- greifende Projektüberprüfungen. Wir arbeiten mit allen Verwaltungs-Ressorts, die mit diesem Themenbereich beschäftigt sind, zusammen und tauschen Erkenntnisse aus. Das Jobcenter überprüft sehr akribisch potenzielle Scheinarbeitgeber, und wir überprüfen die Situation der Immobilien. Wir werden jetzt auch solche Immobilien erwerben und diese niederlegen. Es ist manchmal Sisyphos-Arbeit, aber wir haben in Gelsenkirchen in den letzten Jahren viele Erfahrungen gesammelt. Über verschiedene Ressorts versuchen wir, dem Sozialmissbrauch und dem Gebaren dieser Profiteure Einhalt zu gebieten.
Michael Voregger: Die anstehenden Zwangsversteigerungen in der Stadt werden ja auf einer eigenen Internetseite angekündigt. Das ist ja so etwas, wie eine Speisekarte für die Profiteure der Schrottimmobilien. Wie läuft so etwas ab?
Uwe Gerwin: Ich bin da selber nicht mit dabei, das machen die Kollegen. Ein klarer Punkt ist, dass Kollegen der Stadtkasse, des kommunalen Ordnungsdienst oder der Wohnungsaufsicht hier präsent sind. Hier wird potenziellen Erwerbern deutlich gemacht, dass die Stadt sehr genau hinschaut, wer diese Häuser erwirbt.
Michael Voregger: Jetzt sollen problematische Häuser durch die Stadt aufgekauft und abgerissen werden. Die Stadt ist ja immer klamm – wie soll das finanziert werden?
Uwe Gerwin: Es ist uns in Aussicht gestellt worden, dass das Land ein Förderprogramm auflegt, um solche Immobilien mit einer 95-prozentigen Förderung aufkaufen zu können. Wir warten da noch auf den Bewilligungsbescheid und gehen davon aus, hier bald aktiv zu werden.
Michael Voregger: Die Situation ist ja in anderen Teilen des Ruhrgebiets vergleichbar – gibt es hier einen Austausch?
Uwe Gerwin: Wir haben einen sehr regen Austausch mit anderen Kommunen und arbeiten eng zusammen. Duisburg in ein gutes Beispiel, aber das gilt auch für Essen und Dortmund. In Dortmund ist die Situation noch etwas anders, weil die Stadt noch einen funktionierenden Wohnungsmarkt hat. Hier regelt der Markt noch viele Dinge, das ist in Gelsenkirchen, Duisburg und Teilen von Essen anders. Da ist es notwendig, dass die Kommune selbst stärker im Wohnungsmarkt aktiv wird.
Michael Voregger: Warum ist das in Gelsenkirchen und Duisburg ein besonderes Problem?
Uwe Gerwin: Wir sind eine schrumpfende Stadt, wir haben eine Armutszuwanderung, und wir haben das Soll bei Flüchtlingen mehr als erfüllt. Viele Menschen ziehen in schwierige Wohnsituationen und Häuser. Da ist es unsere Aufgabe, genau darauf zu achten, dass menschenwürdiges Wohnen wieder möglich wird. Diesen Aktivitäten in einem grauen oder auch kriminellen Bereich müssen wir Einhalt gebieten.
Michael Voregger: Was kann die Polizei hier unternehmen?
Uwe Gerwin: Wir arbeiten mit allen Ressorts zusammen, und die Polizei ist bei den Prüfungen der Objekte immer dabei. Grundsätzlich ist es immer schwierig, denn es ist oft kein kriminelles oder ungesetzliches Handeln, denn es werden Nischen oder Gesetzeslücken ausgenutzt. Das ist dann oftmals nicht strafbar.
Der Artikel ist auch in der März-Ausgabe des Stadtmagazins isso. erschienen.
Wenn es sich bei diesen "Schrottimmobilien" tatsächlich um Häuser handelt, die nicht menschenwürdig bewohnbar sind, dann müssen die Behörden sie für
unbewohnbar erklären, und durch hinreichend häufige Kontrollen sicherstellen,
daß da tatsächlich niemand wohnt. Dann bleibt den Eigentümer mangels Alternative gar keine andere Wahl, als die Schrottimmobilie auf eigen Kosten abzureißen, um das Grundstück wenigstens noch als Baugrundstück verwerten zu können.
Es ist mir daher unverständlich, wieso hier Steuergelder ausgegeben werden sollen, um diese Schrottimmobilien aufzukaufen.
Offensichtlich ist hier Einigen bei dem Artikel die Sprache verschlagen. Keine Kommentare.
Was fehlt: Uwe Gerwin: Leiter des zusammengelegten, neuen Referates Zuwanderung UND INTEGRATION
Wenige Sätze dazu, was Herr Gerwin jetzt für Aufgaben im neu zusammengelegten Amt überhaupt hat, hätten auch zur Erhellung beigetragen, vor allem: wofür die Bezeichnung "Integration" im Referat steht – gerade bei Armutzuwanderern.
Genaue Zahlen der tatsächlichen Schrottimmobilien in den jeweiligen Stadtteilen, welche am meisten betroffen sind. Und: Was diese dann beim Ankauf, Abriss insgesamt kosten – und wie der Eigenanteil von 5 Prozent davon bezahlt werden soll.
Auch die Frage: "Wie soll Integration mit alteingesessenen Nachbarn solcher Häuser und den Neuzuwanderern vom Balkan unter diesen Umständen funktionieren?" wäre spannend gewesen.
@yohak
Das genau passiert mit den so genannten Schrottimmobilien. Sie werden leergezogen und kontrolliert. Es gibt gesetzlich nur wenige Möglichkeiten, dies zu tun. Dazu gehört u.a. Schimmelbefall, Gefahr für Leib und Leben. Die restlichen Buden sind "nur" marode. Die meisten Besitzer dieser Häuser sind privat insolvent und gehören dann allenfalls den Banken. Von daher ist es eine Illusion, dass die Eigentümer solche Kosten tragen.
Nett, dass das heute im Zusammenhang mit Flüchtlingen thematisiert wird, obwohl dieser Zustand zumindest in einigen Städten/Stadtteilen – z.B. im Dortmunder Westen – vor 20 Jahren gang und gäbe war.
Da wurden sanierungsbedürftige Altbestands-Mietshäuser (teilweise aus ehem. Zechenbeständen mit Baujahren noch aus dem 19. jahrhundert), die Niemand haben wollte, aus Zwangsversteigerungen billig aufgekauft, um sie an polnische, tschechische und weißrussische Zuwanderer und Schwarzarbeiter (die für die Vermieter "zwangs"arbeiteten) zu Zehnt auf 40 qm, in dreckigen Kellern oder ungedämmten Dachhöhlen zu vermieten – was dann wiederum anstandslos vom Sozialamt bezahlt wurde.
Aber damals gab es halt den Medienstempel "Schrottimmobilie" noch nicht, das hat die SPD-Städte wohl gerettet.
@lohmann
Das hat damit zu tun, dass wir es jetzt mit anderen Zuwanderern als Mieter zu tun haben. Die Kombination mit diesen skrupellosen Vermietern machts. Sie fallen in dieser Masse mehr negativ auf. Offensichtlich gab es das Problem, Müll aus dem Fenster zu werfen, nicht enden wollende Spermüll-und Exkremente-Hinterlassenschaften, Aggression und Lautstärke in Wohnungen und auf der Straße in diesen Ausmaßen zuvor nicht. Das wollte lange niemand glauben, der nicht nebenan wohnte und ständig Polizeieinsätze im Haus hatte. Jetzt muss die Politik allein wegen des sozialen Friedens handeln. Wenn mans positiv sieht: Endlich! Da gibts viel zu tun. Auch die Offenheit, darüber zu reden, dass auch die Mieter dieser Objekte in hoher Anzahl kein Interesse haben, hier heimisch zu werden und dauerwechseln. Das zeigen die Erfahrungen von Nachbarn und Kleineigentümern, die über ihre Lebensmittelpunkte berichten und verzweifeln. Alle Anderen, die sich integrieren, fallen ja gar nicht auf. Man darf gespannt sein, wer dahinter steckt und ob wir das jemals erfahren.
@ruhrreisen: Polnische und weißrussische Schwarzarbeiter werfen keinen Müll in die Gegend, sind nett wie Schwiegermütterlieblinge und prügeln sich nicht durch die Vororte. Hab ich das so richtig verstanden mit "anderen Zuwanderern"?
Ich habe mich fast in meinem gesamten Leben über das geärgert, was -zumindest auch- dazu geführt hat, daß "man"alte Häuser bewußt so marode hat werden lassen, daß sie objektiv nicht mehr für Wohn- oder Geschäftszwecke zu nutzen waren.
Dabei ging es und dabei geht es mir nicht um "Schrottimmobilien in den Randzonen der Großstädte", über die hier diskutiert wird, sondern um alte, z.T. um uralte kleinere Wohn- und Geschäftshäuser aus dem 18. und dem 19.Jahrhundert in den Dorfkernen bzw. den Kernen kleinerer Städte, z.Teil als Fachwerkhäuser gebaut und erhalten, z.T. unter Denkmalschutz stehend, die "man" soweit hat verkommen lassen, daß sie abgerissen wurden -werden mußten?- mit dem Ziel, dort renditeträchtige Miethäuser oder Eigentusmwohnungen zu bauen.
Viele schöne, alte Dorf- und Stadtkerne wurden und werden weiterhin verschandelt, weil auch hier damit argumentiert wurde und argumentiert wird, diese "alten Schätzchen" seien unter Renditeaspekten völlig uninteressanter Schrott.
Dann und wann erfahre ich zu meiner großen Freude, daß sich doch jemand, darunter auch Personen, die in der Immobilienwirtschaft " gutes Geld" verdienen, findet, der solche "alten Schätzchen" kauft, sie renoviert und restauriert und danach mit ihrer Vermietung oder ihrem Weiterverkauf Geld verdient, allerdings weniger als das bei Abriss und Neubau möglich gewesen wäre.
Das ist u.a. nur ein Beispiel unter vielen, das zeigt, daß einerseits ästhetische Aspekte, daß kulturhistorische Gesichtspunkte, daß soziale Aspekte -günstiger Wohnraum- und anderseits Renditestreben nicht ein Widerspruch "an sich bzw. in sich" sind", es sei denn, es geht jeweils ausschließlich und "bildlich und wörtlich" um die höchstmögliche Gewinnerzielung um jeden Preis.