Marode Brücken, leere Apothekenregale, Internet wie aus dem letzten Jahrhundert – und statt Lösungen wird über Kernkraft und Cannabis gestritten. Deutschland ist ein Land, das ideenlos, abgehängt und in jeder Hinsicht gescheitert wirkt.
Es ist wie ein Unfall, von dem man nicht wegschauen kann: die Politik verschleißt sich in bedeutungslosen Symbolkämpfen, während echte Probleme ungelöst bleiben. Ein Blick auf eine Republik, die sich im Stillstand eingerichtet hat – und auf die fatalen Konsequenzen ihrer jahrzehntelangen Verfehlungen.
Ein Land, das nicht mehr funktioniert
Kaum jemand mag es wirklich wahrhaben, und das, obwohl es für die meisten eigentlich klar zu sehen ist: In Deutschland läuft es nicht. Und es läuft schon lange nicht mehr rund. Aber über Rundlaufen soll hier auch gar nicht gesprochen werden. Es ist viel grundlegender. Es läuft noch nicht einmal im Allgemeinen.
Der einzelne Bürger in Deutschland merkt dies. Er merkt es an vielen einzelnen Stellen, bringt diese aber nicht immer unbedingt zusammen. Die größeren Ideen dazu fehlen, wie man es wieder besser hinbekommen kann.
Über das alte Preußen sagte man, dass es eine Armee war, die sich einen Staat gehalten hat. Das aktuelle Deutschland ist letztlich eine Verwaltung, die sich einen Staat hält. Und zwar eine Verwaltung, deren Pfeiler aus dem 19. Jahrhundert kommen.
Ein unrühmliches, ein deutsches, Paradebeispiel dafûr ist das Schulsystem, das im Kern immer noch den Standesgedanken des Kaiserreichs in sich trägt. Zudem ist die Vorstellung, in einer Zeit, in der mit einer KI für 20 Euro im Monat hochindividuelle Dinge besprechen kann und entsprechende Apps zum Lernen von Sprachen noch günstiger sind, einen Schulunterricht aufzusetzen, der mit der Gießkanne über alle Schülerinnen und Schüler geht und dann Einzelnen vielleicht noch Integrationshelfer zur Seite stellt, ein solcher Anachronismus, dass er sich in einem Terry-Pratchett-Roman gut gemacht hätte.
Es betrifft alle Teile des öffentlichen, aber auch des privaten Lebens. Verlässt man sich auf die bestehenden Strukturen, weil man vielleicht keine andere Möglichkeit hat, gerät man stets ins Hintertreffen. Gemeint sind hier Termine bei Ärzten, Fachärzten, das Beauftragen von Handwerkern jeder Profession, das Ausgestalten – nein, das Finden eines Therapieplatzes, der richtigen Schule, der richtigen Wohnung. Man kann all das bekommen, wenn man jemanden kennt. Oder wenn man jemanden kennt, der jemanden kennt. Ich habe dieses Jahr erst das geflügelte Wort kennengelernt, dass Kontakte nur demjenigen schaden, der sie nicht hat. Ein funktionierender Staat ist das nicht. Es ist eine Mangelwirtschaft. In allen Bereichen.
Eine fehlende Infrastruktur – von Straßen bis zu Medikamenten
Diese Mangelwirtschaft im Privaten setzt sich in der fehlenden, funktionierenden Infrastruktur im Öffentlichen fort. Straßen sind in einem Zustand, der mehr als erbärmlich ist. Das betrifft die Straßen in den Städten, die Bundesstraßen, die Autobahnen.
Ja, es gibt die ICE-Strecken. Aber auch die ICE-Verbindungen fahren nicht zuverlässig. Da bringt es nichts, dass von offizieller Seite das Ganze immer wieder schön gerechnet wird. Die Erfahrungen derjenigen, die die Verkehrsmittel nutzen, sind andere.
Die maroden Brücken sind bekannt. Und letztlich wird so getan, als würde doch der Umstand, dass man um sie weiß, ausreichen, als dass sie sich in Zukunft verändern. Das tun sie natürlich nicht. Und so werden Tempolimits eingeführt. Manchmal wird hier oder da eine Brücke abgerissen. Und es bleibt unklar, wann der Verkehr hier wieder vernünftig fließen kann.
Das Internet und das Mobilfunknetz hat einen Zustand, der jeden, der einmal im Ausland unterwegs war, in negatives Erstaunen versetzt. Mitten in deutschen Großstädten im Ruhrgebiet kein Netz. Völlig normal, allen bekannt, aber kein Hinweis darauf, dass sich absehbar etwas ändern wird.
Und wer der Meinung ist, dass das alles doch insgesamt ganz gut funktioniert, der möge sich einmal in eine Apotheke begeben und danach fragen, welche der Medikamente, die Menschen teils regelmäßig, teils auch akut benötigen, wirklich derzeit verfügbar sind, wie lange Lieferverzögerungen sind und welche gar nicht lieferbar sind. Angesichts dieser Situation mag man sich dann mitunter fragen, ob man vielleicht mehr von Osteuropa hätte lernen sollen – allerdings nicht, wie man Mangelwirtschaft überwindet, sondern wie man sie erzeugt.
Fehlende politische Visionen
All die hier aufgezählten Punkte sind nichts Neues. Was aber zu allen fehlt, und was mitunter eben nicht betrachtet wird, ist, dass es an einer politischen Idee fehlt, wie es eigentlich mit diesem Land weitergehen soll. Und wenn man nicht viel auf Nationalstaaten gibt, dann fehlt zumindest eine Idee dafür, wie es mit dieser Gesellschaft weitergehen soll.
Über vermeintlich neue Technologien, die künstliche Intelligenz, wird erst recht nicht in der Breite und nur selten in der Tiefe diskutiert. Verbotsfantasien machen da die Runde, immer überlagert von dem Gedanken, dass das ja alles immer noch Zukunftsmusik ist. Das stimmt sogar für Deutschland. Für den Rest der Welt aber nicht.
Der Klimawandel. Auch so eine Herausforderung. Langsam, bitter geschrieben von Flutkatastrophen, wird auch dem einen oder anderen Deutschen klar, es ist ein abstraktes Thema, dem man sich irgendwann einmal widmen muss. Es ist ein Thema, dem man sich jetzt widmen muss.
Und auch auf der größeren, der europäischen und erst recht auf der geostrategischen Ebene, sind weder Ideen noch geschweige denn Handlungsansätze erkennbar. Das Erstarken Chinas wird zur Kenntnis genommen. Aber nichts dagegen getan. Die imperialistische Expansionspolitik Russlands wird zwar kritisch betrachtet, aber wenn überhaupt, dann als Problem der Osteuropäer gesehen.
Irreale Debatten und die Rückwärtsgewandtheit
Die Debatten, die in Deutschland laufen, wirken vor dem Hintergrund all dieser Themen irreal. Die einen nennen es Kulturkampf, die anderen Kampf um Gerechtigkeit. Und ja, da wird über Werte diskutiert, und über Grundhaltungen dazu.
Es ist immer wieder irritierend, dass man im Jahr 2024 erbittert darüber streitet, ob Menschen einfach ihr Leben in der Geschlechtsidentität führen dürfen, die sie für sich wahrnehmen, oder ob man sie beschimpfen und pathologisieren sollte. Ebenso wie es irritierend ist, dass man glaubt, darüber diskutieren zu müssen, wie viele Arten von Geschlechtern und Geschlechtszellen es eigentlich bei welcher Tierart gibt, nur um dann diejenigen zu beleidigen, die sich auf biologische Befunde stützen. Kann man alles tun. Der Einfluss dessen auf die wirklich relevanten Fragen ist allerdings bestenfalls sehr gering.
Statt aber die Debatten der Gegenwart in die Zukunft zu führen, führt der Deutsche aber lieber die Debatten der Vergangenheit. Wie ist das mit der Kernkraft? Ist die wirklich gefährlich? Gibt es eine Alternative zur Kernkraft mit Blick auf die CO2-Produktion? Ja, hätte man alles diskutieren können, vielleicht vor 10 Jahren oder so. Nunmehr ist der letzte Reaktor in Deutschland schon länger abgeschaltet. Und selbst wenn Friedrich Merz im Februar mit 70 % der Stimmen Bundeskanzler werden sollte, wird er die Kernkraftwerke nicht wieder einschalten. Die Debatte ist durch. Das Pferd ist tot. Und trotzdem wird es weiter geritten.
Wieso man das macht? Weil es einfacher ist. Es ist einfacher, über die Themen zu sprechen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, als über diejenigen Themen, die für die Zukunft gelten.
Allerdings ist es durchaus amüsant, sich zu überlegen, was dann die nächsten Themen sind, über die man im Februar massiv diskutieren wird. Ich tippe da auf die Cannabis-Debatte. Ein Thema, das abgeräumt ist und sich deswegen ideal eignet, um eben noch einmal diskutiert zu werden. Vielleicht macht man das auch bei der Homo-Ehe. Ist Homosexualität wirklich nicht wider die Natur? Und war das mit dem Frauenwahlrecht damals nicht schon ein Fehler? Deutsche führen eben gerne Debatten, die abgeschlossen sind. Da weiß man wenigstens, was rumkommt und welche Haltung man zu haben hat.
Vielleicht ist auch das die innere Wahrheit: Deutschland ist ein Terry-Pratchett-Roman. Oder vielleicht die kafkaeske Version eines Terry-Pratchett-Romans.
Staatskonzerne und Gehälter
Allerdings braucht es für das Vernichten des Geldes seiner Bürgerinnen und Bürger nicht nur eine ineffiziente Verwaltung. Der deutsche Staat kriegt das auch noch anders hin: Dadurch, dass aus dem Geld der Bürger die Gehälter für diejenigen gezahlt werden, die Staatskonzerne wie die öffentlich-rechtlichen Sender, Volkswagen oder die Deutsche Bahn inhaltlich und wirtschaftlich desaströs führen. Das ist eh eine Tendenz des Deutschen: Wenn das Gehalt der Top-Etage eines Unternehmens nur hoch genug ist, wird dieses Unternehmen als relevant angesehen und das wirtschaftliche Handeln seiner Akteure nicht hinterfragt.
Hier ist keine Neiddebatte angezeigt. Vielmehr geht es darum, wieso Personen, in deren Verantwortung maßloses Scheitern liegt, dafür dann auch noch hohe Summen bekommen, die der Bürger ihnen zukommen lassen muss, weil er – anders als bei echten wirtschaftlichen Unternehmen – sich nicht dafür entscheiden kann, ihnen dieses Geld nicht zu geben. Es wird ihm über Steuern, Abgaben und sonstige Zwangsentnahmen abgenommen.
Selbstredend könnte man auch hinterfragen, wieso auch in Wirtschaftsunternehmen Menschen hohe Gehälter und Bonuszahlungen erhalten, die zu keinem Zeitpunkt auch nur einen Cent Haftung und somit Verantwortung für das übernehmen, was sie da tun. Letztlich ist auch hier die deutsche Haltung: Selbst Konzernlenker sind Angestellte – und Angestellte müssen für nichts Verantwortung übernehmen.
Die Antidemokraten und ihr Platz im Diskurs
Es gibt keinen Wettbewerb der Ideologien oder Ideen. Es gibt nur die pragmatische Unfähigkeit mit kleinteiligen Ansätzen. Selbstredend fehlt den Antidemokraten noch mehr eine zukunftsweisende Idee. Da werden entweder utopische Wege, die noch nie funktioniert haben, beschritten, oder ein nostalgischer Nationalismus gelebt, der an irgendetwas anknüpfen will. Und dabei so tut, als wäre dies wünschenswert, geschweige denn realistisch. Mit Zukunft und Zukunftsfähigkeit hat all das natürlich nichts zu tun.
Über die Antidemokraten soll hier allerdings nicht weiter groß geredet werden. Wir haben in den letzten Jahren viel zu viel Zeit damit verloren, uns mit denen auseinanderzusetzen. Und so zu tun, als hätten diese Probleme mit den Menschen im Osten der Republik irgendeine gesamtdeutsche Relevanz. Man rannte den Narrativen der Antidemokraten hinterher und suchte die Auseinandersetzung mit diesen. So, als hätten sie intellektuelle Strahlkraft und insbesondere als würden sie irgendetwas dazu beizutragen haben, wie es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gelingen soll, zu einer besseren Zukunft zu gelangen.
Ewiggestrige haben nun einmal nicht die Antworten für morgen. Selbst dann nicht, wenn man sie andauernd dadurch aufwertet, dass man sie und ihre Wähler ernster nimmt als die Bedarfe der demokratischen Mehrheit.
Die politische Klasse und das Versagen der Visionäre
Mitunter mag man sich fragen, wer in den Parteien überhaupt noch weiß, was eigentlich die grundlegende Idee hinter der Partei ist. Und diejenigen, die es wissen, müsste man dann noch ermutigen, sich zumindest anzuschauen, was in den letzten 20 Jahren in der Welt geschehen ist.
Hoffnung macht da lediglich, dass im privaten Gespräch mit Mitgliedern bürgerlicher Parteien immer wieder genau das durchscheint: dass es einen größeren Entwurf braucht, dass Deutschland so nicht zukunftsfähig ist, dass die eigentlich wirklich relevanten großen Fragen nicht besprochen werden. Solche Aussagen kommen dann meist von Menschen auf mittlerer und unterer Ebene – und von den parteipolitisch nicht gebundenen Bürgern sowieso, gerade dann, wenn sie vielleicht noch jünger sind, und zwar im Kopf.
Allerdings ist es (noch) nicht so, dass aus all diesen Einsichten bei vielen der Menschen tatsächlich folgen würde, dass sich etwas ändert.
Was Deutschland bräuchte – und was es bekommt
Vielleicht ist eine kritische Masse da noch nicht überschritten. Vielleicht gibt es aber auch einfach niemanden derzeit in den bürgerlichen Parteien, der es hinbekommt, weiter zu denken. Dabei müsste man gerade von Politikern erwarten, dass sie Dinge wahrnehmen können.
Die meisten von ihnen kommen aus einem sozioökonomischen Status, der durchaus dazu befähigt, ins Ausland zu reisen und auch ausländische Freunde zu haben. Und vor jedem ausländischen Freund aus einem halbwegs entwickelten Staat kann einem nur peinlich sein, wie es in Deutschland aussieht.
Manchmal mag man sich fragen, ob diese Angst, ausgelacht zu werden, nicht zumindest im Unbewussten ein kleiner Teil dessen ist, was die Angst vor Flüchtlingen ausmacht.
Im Februar/März 2025 wird nun also Friedrich Merz Bundeskanzler. Er passt da ganz gut in die Reihe: Ein völlig unerfahrener Politiker, der nie Verantwortung für die Gesellschaft übernommen hat und dessen intellektueller Horizont genauso beeindruckend ist wie seine Haarpracht.
Man darf von ihm erwarten, dass er in derselben narkotisierenden Art das Land verwalten wird, wie man dies von einem Konservativen aktueller Prägung erwarten darf.
Was Deutschland derzeit aber wirklich bräuchte, ist eben eine größere Vision. Oder meinetwegen sogar mehrere Visionen, die miteinander in Konkurrenz stehen – und die alle nach vorne schauen und sich daran orientieren, was seit Jahren die Realitäten in der Welt sind. Sowohl aus technologischer, gesellschaftlicher als auch politischer Betrachtungsweise.
Der Bundesburns erscheint dafür so ungeeignet, dass man ihn sich sehr gut in Koalition mit Scholz vorstellen kann. Und da gilt es auch nichts abzuwarten.
Gut und schön. Aber an der Oberfläche kann man Systemprobleme nicht analysieren.
@Manfred Michael:
Ich bin mir gerade nicht sicher, wie der Kommentar gemeint ist.
Kannst du ihn genauer ausführen?