In Zeiten, da „Fake“ eine Museumsausstellung wert ist, schlingern wir wie Bojen in der bewegten See widersprüchlicher „Wahrheiten“ und können „Im Augenblick“, dem Motto von Karin Kneffels aktueller Ausstellung im Max-Ernst-Museum Brühl folgend, unseren Augen nicht mehr trauen.
Der Künstlerin „Augenblick“ scheint an zeitentrückten Orten zwischen Traum und Imagination zu spielen, denn keines der 80 versammelten großen Ölgemälde und kleineren Aquarellformate ist aus den vergangenen drei Jahren, die 18 Schaffensjahre davor, geronnen zur Dauer eines Fingerschnippens.
Unversehens sehen wir uns nicht nur in einem charakteristischen gesellschaftlichen Konflikt unserer Gegenwart sondern mitten drin im Gründungsmythos mimetischer Malerei, demnach Zeuxis und Parrhasios sich stritten, wer die Dinge der Welt täuschender abbilden könne, hat die Künstlerin doch in einem früheren Gemälde jene berühmten Trauben so täuschend echt gemalt, dass selbst Vögel danach picken würden – doch dem steht ihre Riesenhaftigkeit entgegen, die sie als Objekte einer imaginierten Welt ausweisen, in der Geschichte und Gegenwart sich überlagern, Innen- und Außenwelt changieren.
Die Herausforderung ist angenommen, die Wirklichkeit mit ihrem Pinsel so „echt“ wie möglich auf die Leinwand zu bannen, doch Kneffel geht einen Schritt weiter – über die Wirklichkeit hinaus – und welcher Ort könnte dafür passender sein als ein Museum, das einem Hauptvertreter des Surrealismus gewidmet ist.
Die Ausstellung bietet ein Wiedersehen mit Motiven des Zyklus „Haus am Stadtrand“, den Kneffel im Jahr 2009 über eine von nur vier Privatvillen Mies van der Rohes gemalt hatte: Das Haus Esters. Doch geht es ihr nicht nur um eine Verneigung vor der Architekten-Ikone, gleichzeitig stellt sie der anfänglichen Begeisterung des Betrachters Fallen. Beim Blick durch eine beschlagene Fensterscheibe ins berückende Interieur wird er zum Voyeur, um dann in die Unsicherheit zu stürzen, wenn er feststellt, dass Details von drinnen und draußen vermischt wurden: Eine Wohnzimmer-Lampe beleuchtet vor dem Fenster die Ziegelstein-Hauswand und einen mattblauen Vorhang, der eigentlich zur Innengestaltung gehört. Womöglich ein augenzwinkernder Verweis auf Mies van der Rohes Maxime von Transparenz und Offenheit der Architektur gegenüber der Natur? Die Künstlerin fantasiert mit dem Pinsel den berühmten Architekten herbei, dessen Zigarre im Aschenbecher liegt, als sei er gerade aufgestanden.
Irgendetwas stimmt nicht in den Bildwelten Karin Kneffels. Im schönen Schein öffnen sich Geheimnisse. Lehmbruck-Skulpturen geistern herum, berühmte expressionistische Gemälde von Ludwig Kirchner und August Macke gehen um. Geschichte und Gegenwart verschwimmen, Zitate laden die komplexen Bildfindungen auf.
Die Einzelmotive einer Serie von kleinformatigen Aquarellen, auf denen einige Frauen und Männer angekleidet im Wasser waten, muten an wie Standfotos eines Films.
Weit hat sie’s gebracht, die Künstlerin aus Marl, Meisterschülerin von Gerhard Richter an der Kunstakademie Düsseldorf, 2016 wurde ihr der Cologne Fine Art-Preis verliehen, 2019 richtete ihr das renommierte Museum Frieder Burda eine Retrospektive aus, ihre Gemälde sind auf dem internationalen Kunstmarkt gefragt und erzielen Höchstpreise, und sie hat auch als Kunstlehrerin an der Kunstakademie München einen guten Ruf.
(bs 28. August)
Eine sehr gelungene Kurzbeschreibung dieser im wahrsten Sinne des Wortes: fantastischen Bilder!