60 Mal unterhielten sich die Ruhrbarone über das Corona-Management mit Magnus Memmeler. Mit dem Kenner des „deutschen Katastrophenschutzes“ haben wir in den vergangenen 5 Wochen über die Flutkatastrophe gesprochen. Für das Erste soll es damit sein Bewenden haben. Sein Fazit bis dato: „Wiederholt wird mit dem Hintern umgeschmissen, was mit den Händen aufgebaut wurde, da Zivilhelfer noch immer nicht eingebunden sind. Aktuell zählt Basisarbeit.“
Ruhrbarone: Inzwischen sind fünf Wochen seit der verheerenden Flutkatastrophe im Westen vergangen und in zahlreichen Beiträgen wird die Stimmung in den Regionen und auch bei den Einsatzkräften noch immer als angespannt bezeichnet. Warum kehrt einfach keine Ruhe ein?
Memmeler: Wie in der letzten Woche bereits beschrieben, ist die Schadensregion in beiden betroffenen Bundesländern schlicht so groß und das Schadensausmaß so gewaltig, dass die Lagebewältigung den Beteiligten noch lange alles abverlangen wird. Umso unverständlicher ist es, dass es nicht gelingt, funktionierende Strukturen aufrecht zu erhalten und parallel zusätzliche und nachhaltige Strukturen aufzubauen. Im Beitrag des Focus wird sehr pointiert ein Blick auf das geworfen, was aktuell für unnötige, weil zusätzliche Unruhe sorgt.
Seit fünf Wochen scheint es nicht zu gelingen, zivilgesellschaftliche Hilfsangebote in den Einsatz einzubinden. Ohne Not werden freiwillig organisierte und funktionierende Verpflegungsangebote geschlossen und durch starre Angebote des Katastrophenschutzes ersetzt, statt regelmäßige Lageerkundungen durchzuführen, wie lange dieses gute Angebot, ggf. begleitet durch Unterstützung, aufrecht erhalten werden kann.
Statt froh zu sein, dass einem eine Sorge durch spontane Hilfe genommen wird, setzen sich die zentralen Stäbe ohne Not unter Druck, weil sie meinen Strukturen unter ihrer Befehlsgewalt etablieren zu müssen, während andernorts noch die Wasserversorgung etabliert werden muss. Und so weiter, und so weiter.
Beiträge von Betroffenen, die zum Beispiel in Blick – aktuell berichteten – verstärken den ohnehin vorhandenen Eindruck von völlig überforderten Stäben und bestärken die Betroffenen darin, eher auf zivilgesellschaftlich organisierte Hilfe zu vertrauen, denn auf die Strukturen des Bevölkerungsschutzes. Zur Wahrheit gehört einfach, dass der Bevölkerungsschutz nicht alles leisten kann und auch nicht für jede Herausforderung das passende Fahrzeug und die höchstqualifizierte Fachkraft vorgehalten werden kann, weshalb es so unglaublich wichtig gewesen wäre und in zukünftigen Lagen auch sein wird, zivilgesellschaftliche Partner einzubinden und koordiniert in den Einsatz zu bringen.
Ein Maschinist, der täglich einen Bagger bedient, wird bei aller vorhandenen Übung, die es für den Katastrophenschutz gibt, einfach immer besser sein als jemand, der sich ausschließlich in seiner Freizeit qualifizieren konnte.
Wie wichtig die Einbindung von professionellen Strukturen im Katastrophenfall ist und wie komplex die zu regelnde Zusammenarbeit ist, wir recht deutlich, wenn man singulär die Herausforderung der Trinkwasserversorgung betrachtet. Im Beitrag „Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und Feuerwehr Mülheim an der Ruhr organisieren Trinkwassernotversorgung im Katastrophengebiet“ gaukelt die Überschrift etwas vor, was im eigentlichen Beitrag dann schnell relativiert wird.
Zum einen handelt es sich hier lediglich um ein Modul, welches durch den Bund (BBK) finanziert wurde und zum anderen wird schnell klar, dass ohne die Profis der Wasserversorgungsbetriebe gar nichts laufen würde. Zusätzlich müssen weitere Ressourcen heran gezogen werden, um das System mit Strom und die Notstromaggregate mit Treibstoff zu versorgen und so weiter.
Allein zur Sicherstellung der Trinkwasserversorgung musste hier ein eigener Einsatzabschnitt gebildet werden. Gleiches gilt für die Stromversorgung, die zu ertüchtigende Gasversorgung, die Ertüchtigung der Kommunikation, die Ertüchtigung von Straßen, die noch immer zu regelnde Entsorgung von Müll und kontaminierten Wasser und die noch andauernde Begutachtung von Wohngebäuden, um ggf. eine Rückkehr der Bewohner gestatten zu können. Bei all dieser Komplexität der noch bestehenden Herausforderungen ist es deshalb umso unverständlicher, warum die zivilgesellschaftlich bereitgestellten Ressourcen immer noch so ungelenkt sind und sich deshalb zunehmend aus dem Einsatz abmelden.
Magnus Memmeler (53 Jahre) lebt in Kamen. Seit über 31 Jahren arbeitet er im Rettungsdienst und Katastrophenschutz. 25 Jahre davon hat er diverse Leitungsfunktionen eingenommen. Er war beauftragt zur Organisation des Sanitätsdienstes beim DEKT in Dortmund und Verantwortlicher einer großen Hilfsorganisation bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten in den Jahren 2013 – 2018. Er war zudem Mitglied bei der Stabsarbeit von Bezirksregierungen und in Arbeitskreisen des Innenministeriums bei der Konzeption von Katastrophenschutz-konzepte
Der Beitrag der Süddeutschen „Ministerin weiß nicht mehr, wann sie Laschet über Flut informiert hat“ zeigt aus meiner Sicht recht gut, womit sich die übergeordneten Stellen der Länder gerade vornehmlich beschäftigen müssen, statt die Lagen in den Ländern koordinierend zu unterstützen. In den beteiligten Landesministerien gilt es aktuell wohl eher Handfeger und Teppiche zu identifizieren, um Fehlentscheidungen und ausgebliebene Warnungen schnell verschwinden zu lassen.
In zahlreichen Telefonaten und persönlichen Nachrichten wird nicht nur mir berichtet, dass das Versagen in den Innenministerien noch größer war, als wir es hier bislang dargestellt haben. Die Einlassungen von Frau Ministerin Heinen-Esser und plötzlich verschollene Handydaten lassen leider auch vermuten, dass es in NRW momentan als geboten erscheint, einen Ministerpräsidenten und Kanzlerkandidaten zu schützen.
Wir lagen in unseren Interviews offensichtlich sehr früh goldrichtig, als wir feststellten, dass es wohl zu einem großangelegten Stühle Rücken in den Ministerien kommen muss, wenn die Schadenslage und deren Bewältigung nachhaltig aufgearbeitet werden wird. In Rheinland-Pfalz ist nun unter großer Medienbegleitung ein Landrat zurückgetreten, wodurch schnell ein Schuldiger identifiziert und ausgeliefert werden konnte. Wir können gespannt sein, wie es dort und insbesondere auch in NRW weitergehen wird, wenn zum Beispiel plötzlich Handydaten wieder auftauchen.
Ruhrbarone: Offensichtlich ist das Behördensystem gerade also vorwiegend mit sich selbst beschäftigt. Neben diesem verständlichen Unmut fallen immer wieder Debatten über die erforderliche Ausstattung auf. Es mutet skurril an, wenn zum Beispiel über die Vorteile von Elektrofahrzeugen in Hochwasserlagen berichtet wird. Was sind die Erkenntnisse aus der Flutkatastrophe? Was fehlt und was wird wirklich gebraucht?
Memmeler: Bei der Diskussion um Elektromobilität im Bevölkerungsschutz muss ich einfach nur schmunzeln. Auslöser dieser völlig unsinnigen Diskussion waren unter anderem Bilder und Videos aus Hochwasser-Gebieten. Zu sehen waren oftmals E-Autos der Marke Tesla, die scheinbar mühelos durch überflutete Senken oder tiefe Pfützen fuhren, während klassischen Verbrennern wohl schon längst die Luft ausgegangen wäre. Elektroautos sind natürlich extrem gegen Spritzwasser geschützt, um Alltagstauglichkeit zu erreichen und sind, im Gegensatz zu Verbrennern, nicht auf Luftversorgung angewiesen. Entscheidend im Bevölkerungsschutz ist jedoch Bodenfreiheit und Leistungsfähigkeit.
Wo es für schwere Elektro-Einsatzfahrzeuge wirklich eng wird, ist die im Einsatz geforderte Leistung und Batterietechnik. Bei Räumgerät, Baggern und LKWs des THW oder der Bundeswehr spielen vor allem viele PS eine Rolle. Diese werden gebraucht, um damit Hindernisse zu beseitigen oder schwere Frachten zu transportieren. Und sie müssen im Katastrophenfall tagelang im Einsatz bleiben.
Echtes Ausschlusskriterium für E-Fahrzeuge
Faktoren, die beim momentanen Stand der Batterie-Technik und Lade-Infrastruktur zu einem echten Ausschlusskriterium für E-Fahrzeuge im Katastropheneinsatz werden. Wenn die Stromversorgung innerhalb der Trinkwasserversorgung bereits problematisch ist, wäre die E-Mobilität im Bevölkerungsschutz schlicht eine weitere Herausforderung, der zu dem mit Dieselaggregaten begegnet werden müsste. Die Herausforderung sind belastbare und redundante Systeme und Ressourcen und keine populistischen Blödsinnsdebatten.
Die Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands hat gezeigt, dass das Warnsystem dringend verbessert werden muss. Wie es um den Zustand bestellt ist, zeigt die Tatsache, dass der Bund den künftig für jedes Jahr angekündigten Warntag für dieses Jahr bereits sehr flott abgesagt hat.
Wie auch in der erforderlichen Funkkommunikation, muss die Warnung der Bevölkerung redundant ertüchtigt werden, um ausfallsicherer zu werden. Wie wir hier bereits berichtet haben, gilt es nun lange verschlafene Verpflichtungen nachzuholen. Und wer die Homepage des Deutschen Warntages besucht, wir erkennen, dass auch hier der Föderalismus wohl zur größten Herausforderung werden könnte, denn dort heißt es zur Zuständigkeit:
„Bund und Länder bereiten den bundesweiten Warntag in Abstimmung mit kommunalen Vertreterinnen und Vertretern gemeinsam vor. Zuständig sind auf Bundesebene das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), auf der Ebene der Länder die jeweiligen Innenministerien und auf der Ebene der Kommunen in der Regel die für den Katastrophenschutz zuständigen Behörden.“
Mit Bezug auf die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz müssen wir attestieren, dass die offiziellen Warnsysteme als auch die Medienberichte vor und während des Hochwassers zu Recht in der Kritik stehen. Eine Auswertung der verschickten Warnmeldungen zeigt, dass Behörden und Institutionen zwar Warnungen an Medien weitergeleitet haben aber jede vierte Meldung fehlerhaft oder missverständlich war.
Um eine Warnmeldung abzusetzen, muss ein digitales Formular ausgefüllt werden und dabei passieren immer wieder Fehler. Das zeigen die ausgewerteten 160 Warnmeldungen, die das BBK inzwischen öffentlich zugänglich gemacht hat. Ein Teil enthielt falsche Angaben, bei anderen fehlten Informationen – beides hat womöglich die Warnung der Bevölkerung verzögert und eventuell auch zu Fehleinschätzungen bei Landräten geführt.
Am Beispiel Leverkusen kann man exemplarisch erkennen, welche Fehler gemacht wurden. In Leverkusen verschickte die städtische Feuerwehr zwar Warnmeldungen, die gingen aber vor allem an Warn-Apps und wiesen darauf hin, man solle für weitere Informationen Medien nutzen.
Diese Warnungen gingen aber über das genutzte System nicht an Medien. Finde den Fehler. Die Ertüchtigung von Cell-Broadcast und der rasch geforderte Aufbau von zusätzlichen Sirenen bringt wohl recht wenig, wenn nicht endlich einheitliche Strukturen und Prozesse für erforderliche Warnungen geschaffen werden.
Zusätzlich muss die Kommunikation im Bevölkerungsschutz ausfallsicher gestaltet werden, bevor wir über Sinn und Zweck von Flutrückhaltekissen oder ähnlich innovativem Schnickschnack diskutieren.
Ohne funktionierende Funkverbindungen kommen die Dinger nämlich nirgends an. Aktuell ist tatsächlich Basisarbeit gefordert, denn an der sind wir erbärmlich gescheitert.
Das Projekt „BOS@Satcom“ zu dem in dieser Woche in Niedersachsen der Abschlussbericht präsentiert wurde, könnte eine Möglichkeit sein, um auch dann sichere Kommunikation betreiben zu können, wenn die bestehenden Mobilfunk- und Digitalfunkstrukturen schlicht abgesoffen sind.
Glücklich, analoge Funkgeräte zu entstauben
In der aktuellen Lage waren die Feuerwehren und Hilfsorganisationen glücklich, die analoge Funkgeräte entstauben, aufladen und in den Einsatz bringen konnten, was mittelfristig aber unmöglich wird, da die dafür erforderlichen Frequenzen bereits durch den Bund veräußert wurden, um zukünftig ausschließlich auf den Digitalfunk zu bauen. Dass dieses waghalsige Experiment, auch durch falschen Geiz, nicht ausfallsicher ist, wissen wir nicht erst seit dieser Flutkatastrophe.
In einem Blog hat Kollege Brodesser vom DRK diverse Fehler aus der Vergangenheit zusammengefasst, die uns in die momentane Situation gebracht haben aber auch darauf verwiesen, wie wichtig es ist, lokal agieren zu können, was, wie wir hier bereits berichtet haben, zumindest in Rheinland-Pfalz recht nachhaltig ausgehebelt wurde.
Neben der Diskussion um die Schaffung tragkräftiger Strukturen, die die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen regeln, müssen nun auch endlich die Basisstrukturen geschaffen werden, derer wir uns in den zurückliegenden Jahren in großen Teilen selbst gebracht haben. Eine Katastrophe kann nicht allein mit einem Tablett beherrscht werden – auch wenn uns das diverse Technikgläubige immer wieder weiß machen wollten.
In einem Beitrag zum Blackout Risikoin der Bundesrepublik erklärt die FAZ recht gut, wie nahe wir oft einem Risikoszenario sind, welches all unsere Digitalisierungsphantasien im Bevölkerungsschutz schnell ins Leere laufen lassen könnten, wenn wir weiterhin darauf vertrauen, dass dieses Risiko minimal ist und sicherlich bei den Netzanbietern, wie der Telekom, Berücksichtigung finden wird. Eine große Aufgabe bei der Bewältigung von Basisarbeit wird bleiben, die Bevölkerung für Risiken zu sensibilisieren und deren Selbsthilfebefähigung zu erhöhen, denn auch die aktuelle Schadenslage hat gezeigt, dass sehr wohl in Wetterberichten ausgesprochene Warnungen von der Bevölkerung schlicht nicht auf sich selbst übertragen wurden.
Die kommenden Wochen werden zeigen, ob sich das BBK weiterhin mit Blendgranaten schützen will, indem vorhandene Module, wie die Trinkwasserversorgung, weiterhin als Beleg dafür herangezogen werden, dass man angeblich schon etwas gelernt habe. Gleiches gilt für die tatsächlich zu regelnde Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Hier hilft es wenig, wenn alle politischen Lager reflexartig dem maladen BBK den Hut aufsetzen wollen und meinen, dass dadurch alle Probleme gelöst seien.
Wenn sich, wie im Fall von NRW, auch noch ein ganzer Fachbereich im zuständigen Innenministerium wenig handlungsfähig präsentiert, da man in der entscheidenden Phase keine eigene Zuständigkeit erkannt hat, müssen wir hier attestieren, dass der Bevölkerungsschutz, trotz aller hoch motivierten und qualifizierten Einsatzkräften ein Intensivpatient bleiben wird, wenn nicht endlich alte Denkblockaden aufgebrochen werden.
Sicherlich wird es in den kommenden Wochen noch einmal Gelegenheit geben, über anstehende Entwicklungen oder Erkenntnisse bei der Aufarbeitung der Geschehnisse zu berichten. Bis dahin möchte ich an dieser Stelle alle engagierten Bevölkerungsschützer aufrufen, sich in der Aufarbeitung zu engagieren, Probleme an Mandatsträger zu melden und einfach mal stolz auf das zu sein, was alle Einsatzkräfte, trotz der bestehenden Probleme, geleistet haben.
Allen Betroffenen wünsche ich, dass Politik, Verwaltung und Spendenportale ihre Versprechen einhalten, damit möglichst schnell eine Perspektive geschaffen werden kann. Zur Realität wird aber wohl auch gehören, dass zunächst die Perspektive zählt, da Normalität noch sehr lange weit, weit entfernt in der Zukunft liegen wird.
Ruhrbarone: Vielen Dank, Herr Memmeler und bis bald.
Interviews zur Flutkatastrophe in der Reihenfolge ihres Erscheinens:
Katastrophenschutz: Was aktuell zu leisten ist…
Katastrophenschutz: „Die Krisenstäbe tagen rund um die Uhr“
Katastrophenschutz: Über die Resilienz von Einsatzkräften
Katastrophenschutz: Hat der Bevölkerungsschutz versagt?
Katastrophenschutz: „Wenn der Schnee schmilzt, siehst Du wo die Scheiße liegt.
Stichwort Baggerfahrer. Aha!
Vertue ich mich oder hörten sich Ihre Ausführungen erst anders an, Herr Memmeler?
Stichpunkt Lohnunternehmer (siehe Artikel, Ihre Ausführungen vorher).
bin zu faul nachzulesen (müsste man – der Fairness halber – bin trotzdem zu faul), aber bin mir ziemlich sicher, dass der Tenor erst ein anderer war (also Lob auf THW u.a., spöttisch Richtung Spontanhilfe, privat organisiert)
@Angelika….
Da ich mich gut erinnere, müssen Sie nicht suchen. Ich habe mich a) gegen die gewendet, die Einsatzkräfte permanent im Netz demontieren wollten und b) gegen die, die versuchten rechtes Gedankengut zu verbreiten.
Dass Spontanhelfer früh eingebunden werden müssen, habe ich direkt zu Beginn erwähnt.