Katastrophenschutz: Kritik an Ländern und Kommunen

Magnus Memmeler übt Kritik am Verhalten von Ländern, Landkreisen und Kommunen. Die Bevölkerungsschutz Bubble ist besorgt über den Stillstand bei der geplanten Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Auch deshalb ist der Think Tank Bevölkerungsschutz weiterhin aktiv und ermuntert zum Diskurs mit der Politik.

Ruhrbarone: Sie sind ungehalten über mangelndes Risikobewusstsein in vielen Regionen und enttäuscht, wie die Bundesländer derzeit agieren. Woran hakt es Ihrer Meinung nach?

Memmeler: Ich bin in der Tat besorgt und enttäuscht zugleich.

Mit viel Getöse wurde das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz (GeKoB), als Reaktion auf die Erfahrungen der noch andauernden Pandemie und den Geschehnissen des Starkregenereignisses, von Bund und Ländern angekündigt. Über diese Perspektive der verbesserten Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern habe auch ich mich gefreut.

Jetzt fordert der Bundesrat zu Recht mehr Mitteleinsatz des Bundes, als dies bislang im Etat 2023 abgebildet wird. Zum einen blenden die Länder hier fast vollständig aus, dass der Katastrophenschutz Ländersache ist, was dann zumindest dazu hätte führen müssen, dass die Länder verdeutlichen welches Mehr an Mitteleinsatz durch sie zu erwarten ist, um den Bevölkerungsschutz zu stärken. Dieser Gedankengang ist aber im Beschluss des Bundesrates nicht erkennbar.

Viel schlimmer jedoch ist der Umstand, dass bislang nur das Bundesland Niedersachsen Mitarbeitende in das gemeinsame Kompetenzzentrum entsendet hat. Sechs Bundesländer werden wohl erst im ersten Halbjahr 2023 Personal entsenden und die Länder Sachsen-Anhalt, Berlin, Hamburg, Bremen, Saarland, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Thüringen haben noch keinerlei Bereitschaft zur Mitwirkung im gemeinsamen Kompetenzzentrum signalisiert.

Gasmangellage, anhaltende Pandemie, instabile Lieferketten, drohende Stromausfälle oder zumindest Teilabschaltungen, Sabotage an kritischer Infrastruktur und die Notwendigkeit zur Versorgung geflüchteter Menschen sind offensichtlich keine ausreichenden Risiken, um Willen für politisches Handeln in den Ländern auszulösen.

In einem WebEx Format des Think Tank Bevölkerungsschutz war deshalb auch große Ernüchterung, ja fast Frustration bei den Teilnehmenden spürbar. Planer in den Landkreisen fühlten sich allein gelassen und ein Wissenschaftsvertreter fragte gar, was man noch tun könne, um die Situation zu verbessern oder man seine Bemühungen besser einstellen solle, da die Haltung der Länder keine Hoffnung zulasse, das erforderliche Update im Bevölkerungsschutz zu erreichen.

Wenn sich bei Experten einer solchen Runde Fatalismus breit macht, trägt das bei mir nicht zur Zuversicht bei, dass wir frühzeitig eine Zeitenwende im Bevölkerungsschutz erreichen werden. Gleiches gilt dann selbstverständlich auch für die Befähigung zur Bewältigung der drohenden Risiken in diesem Winter.

Es ist Mitte Oktober und Landkreise präsentieren lediglich rudimentär bearbeitete Konzepte zum Schutz und zur Aufrechterhaltung kritischer Infrastrukturen. Die Länder loben sich dafür, dass man runde Tische mit Landkreisen und kreisfreien Städten organisiert hat, bei denen sich niemand traut zu sagen, wie sehr am Anfang aller erforderlichen Vorbereitung man sich gerade befindet. Stattdessen präsentiert man sich gegenseitig stolz die bereits fertigen Fragmente der eigenen Konzepte, als ginge es darum beim Quartett zu gewinnen.

Wie soll konstruktive Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe auf kommunaler Ebene funktionieren, wenn die Länder nicht einmal die geringste aller Herausforderungen annehmen, nämlich den Beschluss eines gemeinsamen Kompetenzzentrums endlich mit Leben auszustatten, indem das erforderliche Personal entsendet wird. Nein, wir sind noch nicht wirklich weiter, denn wir erleben die zusätzliche Krise der Befriedigung politischer Eitelkeiten und politischer Urreflexe, bei denen immer nach oben geschaut wird und Eigenverantwortung stets erst dann eingefordert werden darf, wenn der nächst größere Partner, nämlich Bund oder Land, seine Kasse großzügig öffnet.

Das muss ganz schnell beendet werden, wenn wir die Herausforderungen des Föderalismus nicht größer werden lassen wollen, als die Herausforderung Krisen zu begegnen.

Ruhrbarone: Gibt es bei so viel berechtigter Ernüchterung denn auch positive Beispiele? Oder ist die Liste der Dinge, die uns sorgen sollten, noch viel länger?

Memmeler: Als positiv empfand ich den Aufruf zur Kreativität im zuvor angesprochenen Format des Think Tanks. Nein, wir werden in der aktuellen Gemengelage keine Verfassungsänderung erreichen, die das Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern positiv beeinflussen wird. Wir würden bei dem gegenseitigen Verweis auf die jeweiligen Zuständigkeiten hängen bleiben, wenn wir am Status Quo nichts ändern. Deshalb muss die oft als lästig empfundene Regelungswut der Deutschen helfen. Welche Erlasse, Dienstvorschriften aus den zurückliegenden Jahren müssen aus den Schubladen geholt, neu interpretiert und dann auch angewendet werden, um die Beteiligten zum Glück zu zwingen.

 


Magnus Memmeler mit Maske Foto: Privat

Magnus Memmeler (54 Jahre) lebt in Kamen. Seit über 31 Jahren arbeitet er im Rettungsdienst und Katastrophenschutz. 25 Jahre davon hat er diverse Leitungsfunktionen eingenommen. Er war beauftragt zur Organisation des Sanitätsdienstes beim DEKT in Dortmund und Verantwortlicher einer großen Hilfsorganisation bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten in den Jahren 2013 – 2018. Er war zudem Mitglied bei der Stabsarbeit von Bezirksregierungen und in Arbeitskreisen des Innenministeriums bei der Konzeption von Katastrophenschutzkonzepte.


 

Welche Zuständigkeiten und Verpflichtungen aus vergangenen Absprachen, die Lagen geschuldet waren und in Erlassen oder Dienstvorschriften mündeten, können nun kreativ zur Anwendung gebracht werden, da diese einst geeignet erschienen, die Barrieren der Zuständigkeitstrennung zwischen Bund und Ländern zu überwinden. Diese Hausaufgabe, die einschlägigen Verkündigungsportale zu sichten, muss nun von all denen geleistet werden, die diesen unsäglichen Stillstand überwinden wollen. Es würde nicht nur mich diebisch freuen, wenn die Bevölkerungsschutz Bubble, gemeinsam mit willigen Politikern, von unten richtet, was „die da oben“ nicht hinbekommen wollen.

Eigentlich müssten nun die größtmöglichen Koalitionen aller demokratischen Parteien in Bund und Ländern gemeinsam an diesem Ziel arbeiten, da niemand, egal welcher Couleur, am Sinn eines nachhaltigen Bevölkerungsschutzes zweifeln sollte. Aber so wie in der Politik, gibt es auch Eitelkeiten und Fremdeln mit anderen in der Basis des Bevölkerungsschutzes, nämlich unter den Beteiligten Organisationen und den übrigen Mitwirkenden im Bereich der Daseinsvorsorge. Statt alle Ressourcen in der Daseinsvorsorge zu schützen, diese einzusetzen und zu wertschätzen, gibt es hier noch immer Unterschiede und sogar Proporzdenken bei den Beteiligten.

Beim Helferdank der Länder an fast alle Einsatzkräfte, die im Rahmen der Starkregenereignisse 2021 eingesetzt wurden, haben die Innenminister allen Beteiligten der Hilfsorganisationen artig Helfermedaillen und Urkunden übergeben. Eingesetzte Einsatzkräfte privater Rettungsdienste und anderer Organisationen wurden hierbei ausgeklammert, da es Hilfsorganisationen und Politik wichtig war, den gemeinsamen Schulterschluss öffentlich zu leben.

Private Anbieter in der Daseinsvorsorge mussten hernach ihren Mitarbeitenden erklären, warum sie für die Politik Helferinnen und Helfer zweiter Klasse sind. Menschen, die mit Blaulicht dahin fahren, wo es zu helfen und zu retten gilt, tun einfach genau das gleiche. Der einzige Unterschied besteht in der unterschiedlichen Oberbekleidung. Ressourcen und Mitarbeitende privater Organisationen in Patiententransportzügen und Behandlungsplätzen einzusetzen, um Herausforderungen in größeren Lagen begegnen zu können und sie anschließend zu ignorieren, ist schlichtweg schäbig.

@fire, JoLa Rent und viele andere Beteiligte haben in diesem Jahr bei sehr vielen Waldbränden ihr Spezialwissen und ihre Expertise bewiesen, ohne die die vorhandenen Strukturen in der Brandbekämpfung schnell an ihre Grenzen gestoßen wären. Gleiches gilt für private Rettungsdienstanbieter, die häufig wesentlich flexibler auf spontane Anforderungen reagieren können, als dies bei komplex organisierten Verbänden oder Behörden der Fall ist. Wir müssen lernen zu begreifen, dass Bevölkerungsschutz im Jahr 2022 nicht ohne Ehrenamt auskommt, jedoch zunehmend auch auf professionelle Strukturen zurückgreifen muss.

Wie beim Zusammenspiel zwischen Bund, Ländern und Kommunen, müssen wir auch im Miteinander von Feuerwehren, Hilfsorganisationen, privater Organisationen und Spontanhelfenden lernen, dass wir auf alle Ressourcen angewiesen sind und das Zusammen in der Lage wichtiger ist, als die Eitelkeit der eigenen Organisation. Ansonsten verschwenden wir Ressourcen in der Lage.

Ich denke, dass die Herausforderungen und die Notwendigkeit der strukturierten Zusammenarbeit in Schadenslagen in dieser 3Sat Doku ganz gut zusammengefasst wurden:  Wir stehen nämlich noch am Anfang wirklich guter Vorbereitung auf Krisensituationen.

Ruhrbarone: Gibt es neben dieser langen Mängelliste auch positive Nachrichten zu der von Ihnen stets geforderten Krisenkommunikation? Was müssen Kreise und Städte leisten?

Memmeler: Es gibt in der Tat schon viele sehr umfänglich aufgearbeitete Katastrophenschutzbedarfspläne.

Einer davon ist der Katastrophenschutzbedarfsplan der Stadt Essen, welcher in unserer heutigen Linkliste abrufbar ist. In gut aufgestellten Landkreisen und Städten wurden den Bedarfen sogar schon Ressourcen gegenübergestellt. A und O bleibt aber immer die gute Kommunikation mit der Bevölkerung, damit diese weiß, was sie selbst leisten muss, da, wie so oft schon erwähnt, der Bevölkerungsschutz nicht unmittelbar und überall leistungsfähig sein kann. Gute Beispiele dafür sind zum Beispiel der Landkreis Fürstenfeldbruck von solchen Beispielen können und müssen sehr viele noch lernen.

Ich würde mir wünschen, dass Landkreistage und Städtetage sehr schnell eine Cloud für alle Städte bereitstellen, aus denen vorhandene Kommunikationskonzepte und Katastrophenschutzpläne abgerufen werden können, damit nicht bundesweit das Rad vollkommen neu erfunden werden muss. Die jeweils unterschiedlichen lokalen Voraussetzungen einpflegen und berücksichtigen zu müssen, ist schon Herausforderung und Arbeit genug. Zur Erinnerung, es ist bereits Mitte Oktober und die herausfordernde, weil kalte Zeit steht uns fast unmittelbar bevor.

Meldungen, wie die aus dem Saarland, dass pandemiebedingt 20-25% Krankheitsausfälle im Rettungsdienst aber auch bei den Feuerwehren zu beklagen sind, weil die Herbstwelle der Pandemie sich bemerkbar macht, zeigen, dass wir mit eingeschränkten menschlichen Ressourcen das Alltagsgeschäft im Bevölkerungsschutz und die Vorbeugemaßnahmen bewältigen können müssen. Gleiches gilt für Kliniken, Stadtwerke, Behörden und so weiter.

Wie wichtig ein Lagebild zum Bevölkerungsverhalten zukünftig sein wird, ist in diesem Beitrag sehr gut herausgearbeitet worden. Wir müssen unsere Bürgerinnen und Bürger nicht nur gut vorbereiten, sondern der Bevölkerungsschutz muss auch auf das Verhalten von Bürgerinnen und Bürger reagieren können, wenn wir uns in der Lage befinden.

Umso wichtiger ist es, die jeweils vermutlich auftretenden Herausforderungen bereits im Vorfeld erahnen zu können. Dies wird unter anderem auch von Professor Martin Voss gefordert, der vollkommen zu Recht betont, dass sich die Bevölkerung Vorsorge nicht gleichmäßig gut leisten kann oder gleichmäßig guten Zugang zu Informationen hat. Wir müssen erahnen lernen, dass die Not wahrscheinlich dort am größten ist, wo es zunächst eher still erscheint. Wird das zu lange ignoriert, wird dort die Not eskalieren.

Ruhrbarone: Was sind die nächsten Schritte des Think Tanks Bevölkerungsschutz und der hier sehr häufig erwähnten Bevölkerungsschutz Bubble?

Memmeler: Ich meine es nicht despektierlich, wenn ich eine Blase erwähne. Es beschreibt nur recht gut, dass es eine relativ große Gruppe engagierter Menschen gibt, die immer wieder zusammen den Austausch pflegen, da es sich beim Bevölkerungsschutz nun mal auch um ein Spezialgebiet handelt, welches häufig gerne ausgeblendet wird. Es geht uns allen nun mal am liebsten gut.

Am kommenden Dienstag lädt der Think Tank Bevölkerungsschutz erneut zum Austausch ein. Dieses Mal im Format TwitterSpaces, um möglichst viele Bevölkerungsschützer zu erreichen und auch die wirklich kreative Basis aus allen Organisationen eingebunden zu wissen. Expertenwissen kommt nämlich nicht ausschließlich von oben. Die Basis weiß sehr häufig viel besser wo es hakt und warum.

Unter dem Titel: „Landkreise agieren so gut es der Landrat zulässt. Wo stehen Länder und Kreise?“ wollen Hartmut Ziebs, Manuell Mahnke und ich dazu einladen, die Lage zu beurteilen, kreative Lösungsansätze auszutauschen und Schritte anzudenken, wie die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen doch noch auf ein stabiles Fundament gehoben werden kann.

Natürlich werden wir dann auch wieder dazu auffordern, mit den lokalen MdL und MdB in den Dialog zu treten, um diese eventuell doch noch zu nachhaltigem politischen Handeln im Interesse des Bevölkerungsschutzes zu bewegen. Mit Leon Eckert, dessen Pressemitteilungen wohl auch gut den Titel „Leon Eckert an“ tragen könnten, gibt es ja bereits einen Mahner, der dazu aufruft, nun endlich den Hintern hoch zu bekommen, wie wir hier sagen. Eventuell gelingt es ja tatsächlich fraktionsübergreifend einen Weckruf in die Politik zu starten.

Andernfalls sind die Teilnehmenden dazu aufgerufen, genau die Verordnungen und Dienstvorschriften auszugraben, die ich eingangs erwähnt hatte, um den Stillstand zu überbrücken.
Parallel dazu, stehen alle Teilnehmenden natürlich lokal unterstützend zur Verfügung, um in der eigenen Region krisenfeste Vorbereitungen zu unterstützen. Denn diese Motivation konnte uns das zögerliche Handeln der Länder zum Glück noch nicht nehmen.

Ruhrbarone: Vielen Dank.

Weiterführende und erklärende Linksammlung

Beschlussdrucksache des Bundesrates zur Stärkung des Zivil und Katastrophenschutzes

Ärzteblatt über den Stand beim gemeinsamen Kompetenzzentrum

Carsten Breuer, der Befehlshaber des territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, warnt und gibt Ratschläge zur Vorbeugung

Katastrophenschutzbedarfsplan der Stadt Essen

Sehr gute Bevölkerungsschutzinformation der Gemeinde Schnaittenbach:

Aktuelle Belastungssituation bei Feuerwehr und Rettungsdienst

Über die Erfordernis sozialwissenschaftliche Erkenntnisse im Bevölkerungsschutz zu berücksichtigen

Beitrag über Risiken durch bewusst herbeigeführter Sabotage und die Anfälligkeit unserer Infrastruktur

Katastrophenschutz: Blackout Germany – langandauernder Stromausfall eine nationale Katastrophe?

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Reginald
Reginald
2 Jahre zuvor

Macht Euch doch nichts vor.Der Einzige und Entscheidende Faktor ist der einzelne Mensch.Und diesen Faktor hst man im öffentlichen Dienst in den letzten Jahrzehnten kaputt gemacht.

SvG
SvG
2 Jahre zuvor

Das gemeinsame Kompetenzzentrum macht mich schaudern: Eine Ansammlung von Experten und Fachleuten, die gemeinsam Verantworung tragen sollen? Warum nur muß ich da an Berlin, Amri und das Kompetenzzentrum der diversen Polizei und Sicherheitsbehörden denken? Verteilte Verantwortung bedeutet idR Verantwortungslosigkeit des Einzelnen.

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