Kein BDS-Bonus von Claudia Roth: Initiative Weltoffenheit minus 7

Claudia Roth 2016 by Harald Bischoff cc 3.0


Sie werden ihre Arbeit „nicht fortführen können“, erklären „die sieben größten Zentren für die freien darstellenden Künste in Deutschland“. Die sich schwer für BDS ins Zeug gelegt haben. Umsonst, ihnen werden sämtliche Bundesmittel gestrichen.

Was bringt Kulturzentren dazu, den Boykott von Kultur zu fordern? Ein Blick in den Wirtschaftsplan des Landes NRW für 2024PACT Zollverein in Essen: 2.874.583 € an Ausgaben stehen 83.000 € „eigener Einnahmen“ gegenüber, sie decken 2,88 % der Kosten. Was nichts zu tun hat mit Corona, in 2019 lag der Deckungsanteil bei 3,54 %. Wenn sich ein Haus wie das von Stefan Hilterhaus geführte Choreographische Zentrum in Essen abgelöst hat von einem öffentlichen Interesse, das sich in Ticketkäufen zeigt, und dann erklärt, nun müsse es aber BDS auf seine Bühne bringen unbedingt, ließe sich denken, dass dies der sicherste Weg sei, die antisemitische Boykottkampagne zu versenken. Tatsächlich geschieht etwas anderes, auf der Suche nach Fördertöpfen wird BDS zur Tröte, die das Geschäftsmodell bewirbt, folgende Geschichte:

2015 schließen sich PACT Zollverein und sechs weitere „Institutionen der zeitgenössischen performativen Künste“ zu einem „Bündnis internationaler Produktionshäuser“ zusammen, schon im darauffolgenden Jahr empfängt der eingetragene Verein vier Millionen Euro aus dem Haushalt der damaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU)  –  zusätzlich zu den Landes- und kommunalen Mitteln, mit denen die Häuser eh bedacht werden. Im Kreisrund um den Fördertopf des Bundes: neben PACT Zollverein das Forum Freies Theater in Düsseldorf sowie das dortige Tanzhaus NRW, aus Berlin das Hebbel am Ufer, dann Kampnagel HamburgMoussonturm Frankfurt aM, Hellerau Dresden. Wenn ein Bündnis dazu da ist, Bundesmittel einzuwerben, muss es so tun, als bilde es die Bundesrepublik ab, schade um den Süden.

Was Grütters, Kultur-Beauftragte der Bundesregierung von 2013 bis 2021, an diesem „Bündnis internationaler Produktionshäuser“ dennoch interessiert: Mit ihm  –  wir kürzen es hier schon mal auf BiP e.V. zusammen  –  mit BiP e.V. kann Grütters den Bund und damit ihr eigenes Amt kulturpolitisch erden. Kultur ist Ländersache, mehr und mehr allerdings  –  und unter Grütters forciert  –  zieht der Bund Zuständigkeiten an sich, steigert seinen Kulturetat von 1,3 Milliarden in 2015 auf 2,2 für 2025 und kreuzt dank BiP e.V. in Spielplänen auf, von denen man eben noch dachte, sie seien Hoheitsgebiete der Länder und Gemeinden.

Stadtentwicklung als „Publikumsentwicklung“

Diffus nur, wofür Bundesmittel vonnöten seien, wenn Häuser tun, was sie sowieso tun. Sie „erforschen spielerisch“, „erproben beispielhaft“, „verbinden enger“, routinetexten die BiP-Häuser und „definieren Themen“, die sie eh begärtnern. Das alles tun sie „an ihren jeweiligen Standorten“, das ist da, wo sie ihre „Verortung und Verknüpfung mit den lokalen Communities sichtbar machen“. Beispiel: die drei „Akademieformate“, von denen der BiP e.V. sagt, er habe sie eigens als bundesweites „Aus- und Weiterbildungsprogramm zur Professionalisierung der Freien Szene“ entwickelt:

  • Eine „Akademie für Performing Arts Producer“ –  viertägige Wochenendseminare, Teilnahme nur mit Bewerbung, Bewerbung nur mit „Motivationsschreiben (ca 1 Seite)“, wenn erfolgreich motiviert, dann „gebührenfrei“  –  ist bundesweit sicherlich, nun, einmalig.
  • Mit der „Akademie für Kunst und Begegnungen“ gerät die Sache ins Kippeln: Vordergründig geht es um „Partizipation und Beteiligung als künstlerische Strategien“, die „erprobt“ werden sollen, PACT etwa hat in Katernberg eine „WerkStadt“ gegründet, ein „unabhängiges Labor“, das nun dank Bundesmitteln zu „Radwerkstatt“ und „Schreibwerkstatt“ und „Stadtteil-Launches“ lädt –   es wirkt alles wie klassische Stadtteilarbeit, nur werden die Bundesmittel nicht dafür genutzt, dass die Leute ihr öffentliches Leben in die eigene Hand nehmen, Ziel ist es, „die Freie Szene“ zu professionalisieren: Sie soll lernen, ihre „publikumsentwickelnden Maßnahmen“ –  ein Unwort sondergleichen  –  an lebenden Leuten zu vollstrecken. Bürger als „Publikum“ ihres eigenen Stadtteils? Wer Stadtentwicklung als „Publikumsentwicklung“ begreift, betreibt Stadterziehung, beharrlich lädt PACT denn auch „Nachbar*innen“ ein in sein Labor und im selben Moment mehr Nachbarn aus als hätten Platz finden können.
  • Vollends von der Kante kippt die „Akademie für zeitgenössischen Theaterjournalismus“, zu der BiP e.V. im Herbst 2019 –  12 Millionen Euro sind bereits geflossen  –  erstmals einlädt. Auf „gemeinsamen Reisen“, Teilnahme kostenlos, wolle man ein „Netzwerk“ knüpfen, das einen „öffentlichen Diskurs“ betreibe, der „wichtig“ sei für „Kunst und Gesellschaft“. Jahr um Jahr werden Kritiker seitdem auf Staatskosten bewirtet und Journalisten umgarnt, die Produktionshäuser produzieren ihre eigene Lobby. Mittlerweile, heißt es, umfasse das Netzwerk „über achtzig engagierte und kompetente Kolleg:innen“, die wissen, wie sowas geht: „die zentralen künstlerischen und kritischen Impulse aufgreifen, die von zeitgenössischen Formen darstellender Kunst ausgehen“. Und die gelernt haben, „welche Rolle“ ihnen selber zugeteilt sei im öffentlichen Diskurs und „wer in diesem Diskurs überhaupt eine Stimme erhält  –  und warum?“

An diesem Punkt  –  Kritik als Rollenspiel, Öffentlichkeit als Publikum  –  kommt BDS ins Spiel: Im Dezember 2020 tritt die „Initiative Weltoffenheit“ vor ihre -öffentlichkeit, BiP e.V. ist Teil der Initiative und Amelie Deuflhard, Intendantin von Kampnagel, Teil der internen Arbeitsgruppe, sie textet mit. Am Internationalen Tag der Menschenrechte erfährt die Welt auf diese Weise, wer es sei, die keine Stimme erhalten und warum nicht und wie wichtig es sei für Gesellschaft und Kunst, dass BDS  –  eine „marginalisierte Stimme“  –  Gehör finde just dort, wo man Publikum entwickeln muss. Man sei auf Öffentlichkeit „angewiesen“, heißt es eingangs des „Plädoyers“ einer Initiative, die Wert legt darauf, dass sie eine „ebenso umfangreiche wie kontroverse Debatte“ ausgelöst habe.

Mithin all das, was dem BiP e.V. abgeht, aber vonnöten ist, wenn man den nächsten Förderantrag ausfüllen muss: Haltestelle Deutsches Theater statt Gelsenkirchener Straße, Feuilleton statt WAZ, für PACT Zollverein und die anderen, die sich im Fördertopfschlagen üben, ist die „Initiative Weltoffenheit“ der perfekte Nachweis von Leistung und bundesweiter Relevanz. Die Simulation von Sinn, eine Tröte, die Musik imitiert. Mit antisemitischer Leidenschaft hat das alles nichts zu tun, gegen diesen Vorwurf wehren sie sich zu Recht, was sie tun, ist schlimmer als das, es ist Kalkül.

Kulturlinie 107 Haltestelle Zollverein by Clic cc 4.0

Ein Krach, der auf Kosten geht von den paar Juden, die es hierzulande noch gibt. Zum Vergleich, es gibt die sog. Bundeskulturfonds, die haben sich –  in den Bereichen Literatur, Übersetzung, Musik, Kunst und Darstellende Künste sowie Soziokultur  –  aus den 70er und 80er Jahren heraus entwickelt, sie bedienen eine ähnliche oder auch dieselbe Klientel, der BiP e.V. sitzt denn auch selber in einem der Bundesfonds und Deuflhard im dortigen Vorstand. Nur dass die Bundesfonds (nicht zu verwechseln mit der Kulturstiftung des Bundes, Förderlandschaften sind furchtbar verhügelt) vergleichsweise flach arbeiten und kleinteilig agieren und sich selber eher dezent promoten, sie sind die Traditionalisten im Streit um die Kulturhoheit der Länder, in dem der BiP e.V. wie ein Neureicher wirkt. An der „Initiative Weltoffenheit“ haben sich die Bundeskulturfonds nicht beteiligt weder einzeln noch als AG, auch wenn sie mindestens so international agieren wie die „internationalen Produktionshäuser“. Dem Haushaltsentwurf der Regierungskoalition gemäß wird die Förderung der sechs Bundeskulturfonds für 2025 lediglich halbiert, auch das geht hart an die Sache, ist aber nicht das, was die BDS-Protegés vom BiP e.V. erwartet: keine fünf Millionen wie bereits verplant, ihre Zuwendungen werden weder halbiert noch gehäckselt, nur in Gänze gestrichen.

Natürlich geht keines der sieben BiP-Mitglieder deswegen am Stock, Länder und Kommunen zahlen weiterhin in ihre Häuser ein, geht wer auf die Barrikaden? Thomas Kufen, OB der Stadt Essen, hat jetzt erklären lassen, die Bundesregierung möge ihren Beschluss noch einmal „überdenken“. Verkämpfen wird sich keiner für einen BiP-Verein, der BDS verhimmelt. Auch nach 10/7, den Massakern der Hamas  –  Hamas sitzt BDS vor  –  hat keines der sieben Häuser Anstalten gemacht, sein „Plädoyer“ für BDS zurückzuziehen, die Hamas-Hass-Kampagne hofieren sie hartnäckig bis heute.

Ob dies eine Rolle gespielt habe bei der Entscheidung der Koalition, den BiP e.V. stillzulegen, die Ruhrbarone haben Claudia Roth gefragt, Antwort: „Die Förderung des Bündnisses Internationaler Produktionshäuser durch die Bundesebene konnte ausschließlich aufgrund der sehr angespannten Haushaltslage nicht fortgesetzt werden“, teilte uns eine Sprecherin der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien freundlich mit. Somit bleiben unterm Strich  –  spät, mutlos, gut  –  drei Einsichten: kein BDS-Bonus für BiP e.V., kein Geld für ein BDS-fromme Bündnis, stattdessen „ein Kernanliegen“ der Bundesregierung, die eine freie Kulturszene sehr wohl fördere, wie Roths Sprecherin anmerkt. Die Betonung möchte auf frei gelegen haben, frei von BDS. Vielleicht hat es sich mit dieser fatalen „Initiative Weltoffenheit“ jetzt endlich einmal erledigt. Es gibt ja gar nicht so viele Gründe, warum Kulturinstitutionen fordern, Kultur zu boykottieren, selbst Fördergeld fällt vorerst aus.

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PS | Wir haben auch das BiP-Bündnis gefragt, ob es einen Zusammenhang sehe zwischen seiner „Initiative Weltoffenheit“ und seiner Stilllegung jetzt und warum es sich auch nach dem 7. Oktober nicht durchgerungen habe, sein Plädoyer pro BDS zurückzurufen. Die Antwort steht aus, sollte sie kommen, tragen wir sie nach.

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