Kein Lagerklatschen in der Kirche

Wahldebatte in der Bachkirche zu Arnstadt Foto: Antje Jelinek


Wer bei politischen Diskussionen im emotional aufgeheizten Thüringen keinen Krawall haben möchte, der geht in die Kirche.

Und so war ich gestern in der Bachkirche zu Arnstadt bei einer Podiumsdiskussion zur Wahl des Thüringer Landtages, die von der Superintendentin des Kirchenkreises Arnstadt-Ilmenau Elke Rosenthal organisiert wurde. Eingeladen war je ein Vertreter der sieben Parteien, die im Thüringer Landtag zukünftig mitmischen möchten: FDP, Bündnis 90/Die Grünen, SDP, CDU, Die Linke, AFD und BSW.

Ja, in Thüringen ist man politisch interessiert und die Kirche ist mit um die 200 Leuten recht gut gefüllt. Schon vor Beginn der Veranstaltung kann ich hier und da private Diskussionen über die Parteien hören und Spekulationen darüber, wie es in unserem Bundesland weitergehen soll. Spannend wird es wohl werden, vor der Wahl, die am 1. September stattfindet. Und wenn sich der Trend in den Umfragen bestätigt, wird es danach noch umso spannender. Wie man bei Thüringen24 so schön formuliert: „Dem Freistaat droht endgültig das pure Chaos“.

Zurzeit sagen die Umfragen nämlich folgendes:

  • AFD 30%
  • CDU 21%
  • BSW 19%
  • Die Linke 16%
  • SPD 6%
  • Die Grünen 3%
  • FDP 3%

Und diese Zahlen sprechen für sich. Nichts geht mehr…

Nun gut, noch ist ja nicht gewählt und man muss nicht vorher schon den Kopf in den Sand stecken. Interessant ist die Diskussionsrunde allemal. Die Superintendentin Rosenthal eröffnet die Veranstaltung und erinnert an die Rolle der Kirche in der Wendezeit. Sie spricht davon, wie wichtig Menschenwürde, Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit und unser Grundgesetz sind. Arnstadt spielte als unbekannte Thüringer Kleinstadt eine nicht unwesentliche Rolle bei der friedlichen Revolution 1989. Ich erinnere mich noch an die Tagesschau mit der Karte von den allerersten Demos. Die waren tatsächlich in Berlin, Leipzig und Arnstadt.

Die Moderation übernimmt dann Pfarrer Frank Hiddemann aus Gera, der die Runde souverän und professionell gestaltet. Er verdichtet die Fragen und kommentiert nur da, wo es nötig ist. Es folgt eine kurze Vorstellungsrunde, wo alle Kandidaten etwas über sich erzählen und warum sie in der entsprechenden Partei sind. Herr Kießling der AFD-Vertreter nuschelt etwas und ist nur schwer zu verstehen. Er spricht u.a. auch von der Wende-Demo und stellt sich als „Demokratieverfechter“ dar. Die Gründung seiner Partei, so Kießling, erfolgte schließlich aus der Problematik von Euro und Inflation heraus. Und als er über direkte Demokratie spricht, die hier ähnlich wie in der Schweiz realisiert werden soll, bekommt er lautstarken Applaus. In diesen mischen sich dann auch gleich nicht wenige Buh-Rufe. Spätestens jetzt weiß man über die Zusammensetzung des Publikums Bescheid. Der Moderator spricht sich an dieser Stelle gegen eine solche Art „Lagerapplaus“ aus. Und dieser findet dann auch während der gesamten Veranstaltung nicht mehr statt.

Es ist nicht überraschend, dass so viele AFD-Fanboys anwesend sind, denn in meiner Heimatstadt Arnstadt ist die Partei leider sehr stark. So stark übrigens, dass Björn Höcke seinen Wahlkampfauftakt hierher verlegt hatte und für kommenden Samstag auch noch ein Sommerfest der AFD in Planung ist.

Jeder Redner der sieben Parteien darf dann zu einem zufällig gewählten Thema sprechen, dass er aus einer Auswahl an Themenbereichen zieht. Am intelligentesten sowohl inhaltlich als auch artikulativ kommen bei mir die beiden jeweiligen Vertreterinnen von FDP und Grünen an. Leider wird die sehr gute Vorstellung der beiden in dieser kleinen Arnstädter Runde dafür nicht ausreichen, dass ihre Parteien die 5%-Hürde erreichen. Die Vertreter von SPD (22 J.) und Die Linke (29 J.) sind sehr jung und machen ihre Sache in der Runde ganz ordentlich. Die anderen Vertreter erscheinen vergleichsweise blass. Dem BSW-Vertreter, der eigentlich Musiker ist, merkt man zudem seine Unerfahrenheit an. Aber so ist das, wenn eine Partei in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft und einzig und allein auf eine Person zugeschnitten wird… Olaf Kießling (AFD) mit seiner Nuschelei ist wirklich anstrengend, sowohl artikulativ als auch inhaltlich. Alle Vertreter sind im Übrigen aus Arnstadt selbst oder der unmittelbaren Umgebung, die eher ländlich geprägt ist. Gernot Süßmuth (BSW), der aus Weimar kommt, ist zumindest über das Thüringer Bach Collegium musikalisch mit Arnstadt verbandelt.

Interessanter als die Monologe zu zufälligen Themen ist die darauffolgende Fragerunde. Hier kann jeder Anwesende Fragen an einzelnen Partei-Vertreter stellen. Es geht um Krieg- und Frieden, Mutterschutz in der Selbstständigkeit, direkte Demokratie, EU-Subventionen, die Kemmerich-Wahl, Vergaberecht, Klimapolitik und Inklusion/Barrierefreiheit. Es gelingt einigen von den Fragestellern tatsächlich gut, die AFD effektiv vorzuführen. Das hat mich und viele Anwesende sicher gefreut, aber leider wird es wohl nichts nutzen. Man hält diese Partei, die in ganz Mitteldeutschland gesichert rechtsextrem ist, hier in Thüringen für eine völlig normale Partei. Sie steht ja auch ganz normal auf dem Wahlzettel. Kein AFD-Wähler empfindet sich selbst als Feind der Demokratie und das ist leider auch Teil des Problems.

Die Diskussion um Krieg und Frieden versucht der Moderator dann abzuwürgen, allerdings vergeblich. Nach dem Lied „We shell overcome“, das von der “Gemeinde“ gesungen wird, was für eine Kirchen-Veranstaltung nicht unüblich ist, fordert das Publikum die heikle Diskussion dann doch noch ein. Sie findet zwar emotional aber mit Anstand am Ende der Podiumsdiskussion statt. Während die Vertreter von FDP, CDU, SPD und Linke das Thema mit einem sinngemäßem “Krieg ist Scheiße – wir brauchen Diplomatie“ abwiegeln und das manchmal noch mit emotionalen Episoden aus dem privaten Bereich unterstreichen, ist als einzige Rednerin Madeleine Henfling von den Grünen stabil. Sie stellt klar: Wir sitzen mit den Ukrainern in einem Boot. Sie nennt Putin als Aggressor und meint, dass alle hier Anwesenden auch mit konträren Einstellungen ja Frieden wollen. Die Meinungen gehen nur auseinander auf dem Weg dorthin. Florian Wagner (SPD) meint richtiger Weise noch, dass es Putin völlig egal ist, wie in Thüringen gewählt wird. Gernot Süßmuth (BSW) möchte gern UN-Truppen vor Ort statt Waffenlieferungen. Am aufschlussreichsten aber ist das Statement vom AFD-Mann Kießling. Er spricht vom “Mut zu Wahrheit“ (AFD-Slogan) und davon, dass der Krieg schon länger dauert, dass er 2014 in der Ukraine war, dass er Wahlbeobachter war und Mitglied der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (so wie alle Bürger der DDR übrigens, ich eingeschlossen). Dabei bricht ihm mehrmals seine Stimme und er ist den Tränen nah. Als er dann vom Donbass spricht und davon, dass die Leute dort um Hilfe gebeten haben, wird mit langsam klar, was er mit seinem Genuschel zum Ausdruck bringen will. Er ist nicht einer von den AFD-lern, die das Ukraine-Thema lediglich gern benutzen um mit einem vermeintlich pazifistischen Narrativ auf Wählerfang zu gehen. Nein, er hat sich höchstwahrscheinlich sogar gefreut, als Putin im Februar 2022 in die Ukraine eingefallen ist, weil dieser jetzt endlich seinen Freunden im Donbass zur Hilfe kam. Man kann Kießling übrigens schon 2017 mit der Fahne der sogenannten Donezker Volksrepublik bewundern.

Und welche Art Wahlen er da beobachtet hat, wird mir an dieser Stelle auch klar. Dieser Mann ist nicht nur pro Putin, weil er in der AFD ist, sondern mit ganzem Herzen. Die Frage, die sich mir stellt, was sind das für Tränen, die ja höchstwahrscheinlich sogar echt sind. Ist er kurz vor dem Tränenausbruch, weil dort Ukrainer auf Ukrainer schießen oder weil Krieg so schrecklich ist? Vielleicht ist es auch die gegenwärtige Offensive der Ukrainer in Russland, die ihn so schmerzt, weil sie eventuell. erfolgreich sein könnte? Wir wissen es nicht.

Etwas deprimierend ist am Ende der Veranstaltung die Frage des Moderators, ob jemand der Anwesenden seine Wahlentscheidung geändert habe. Nein, da ist keiner. Daran anschließend fragt er, ob die Wahlentscheidung denn nun deutlicher ist, was eine Mehrheit bejaht.

Also wahlentscheidend war die Veranstaltung in der Arnstädter Bachkirche leider nicht. Zu einem kultivierten Miteinander und zur Verständigung hat sie aber sicher beigetragen. Wohl auch, weil das Lagerklatschen nach einem kurzen Fauxpas ausgeblieben ist.

 

 

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