Die Vorstellung des neuen Cheftrainers Niko Kovac beim BVB am Dienstag machte beiläufig eines deutlich: Neben der Trainerproblematik hat in den vergangenen Jahren ein weiteres Problem die Borussia mindestens genauso ausgebremst. Als Kovac Kapitän Emre Can direkt zu Beginn seiner Amtszeit das Vertrauen aussprach und ihn auch zukünftig in der Rolle als Mannschaftsführer belassen wollte, stellte sich für Beobachter und Zuhörer fast automatisch die Frage: Wer sonst könnte diese Rolle übernehmen?
Im aktuellen Kader der Schwarzgelben gibt es kaum einen Spieler, der auch nur ansatzweise die Strahlkraft und Persönlichkeit besitzt, um die Mannschaft auf dem Platz anzuführen. Das war in den vergangenen Jahren anders.
Ich bin BVB-Fan seit Ende der 1970er-Jahre. Damals war Dortmund beileibe noch keine Top-Mannschaft, weder national noch international. Dennoch fiel es einem in all den Jahrzehnten nicht schwer, echte Führungspersönlichkeiten im Kader zu benennen: Manfred Burgsmüller, Michael Zorc, Sebastian Kehl, Stefan Reuter, Matthias Sammer oder zuletzt auch Mats Hummels und Erling Haaland. Die Borussia verfügte stets über besondere Spieler, mit denen sich die Fans identifizieren konnten und die den Verein nach außen repräsentierten. Diese Liste ließe sich sicher noch weiterführen.
Doch in den vergangenen Jahren wurde es dünn in der Kategorie der Führungsspieler an der Strobelallee. Bereits Marcel Schmelzer und Marco Reus schienen aufgrund ihres zurückhaltenden Charakters Notlösungen auf dem Posten des BVB-Kapitäns zu sein. Can ist es erst recht, auch wegen seiner stark schwankenden Leistungen.
Dass Kovac den bei Fans und Journalisten umstrittenen Can nun ohne große Kennenlernphase direkt im Amt bestätigte, zeigt ein Problem, das mitverantwortlich dafür sein dürfte, dass der BVB aus der Leistungskrise der vergangenen Monate, ja fast Jahre, nicht herauskommt.
Die Schwarzgelben haben sicherlich einen gut besetzten Kader, doch es fehlt ihnen an echten Anführern, die ihre Mitspieler auch mal gehörig antreiben können – so, wie es Matthias Sammer einst mit Andy Möller tat, wenn dieser wieder einmal nicht engagiert genug mit nach hinten arbeitete. Die Bilder von damals, als er diesem noch auf dem Platz von Zeit zu Zeit faktisch in den Hintern trat, habe ich heute noch immer gut in Erinnerung.
So einen Leader braucht Dortmund derzeit. Leider hatte Erling Haaland nicht die Gelegenheit, sich in Dortmund zu einem solchen zu entwickeln. Auch er hätte trotz seines jungen Alters das Potenzial dazu gehabt. Wer ihn zu seiner Zeit bei den Schwarzgelben über die vollen 90 Minuten eines Spiels beobachtet hat, so wie ich es unter anderem beim DFB-Supercup gegen den FC Bayern München 2021 tat, konnte in ihm einen zu 100 % engagierten „Fußballwahnsinnigen“ sehen – eine Mentalität, die in der aktuellen Mannschaft des Klubs fehlt.
Mit Niclas Füllkrug haben die Verantwortlichen in Dortmund vor der Saison 2024/25 den letzten Spieler ziehen lassen, der das Format für einen echten Leader und Anführer auf dem Platz gehabt hätte, der auch beim Anhang extrem beliebt war. Das Ergebnis sehen wir jetzt. Die schnelle Entscheidung von Kovac, wer künftig das Amt des Spielführers der Borussia bekleiden soll, hat dies noch einmal verdeutlicht.