Auf mindestens 948.000 Kilogramm schätzen Experten die Menge des in Deutschland konsumierten Cannabis. Das könnte die Grundlage für gute Geschäfte und sprudelnde Steuereinnahmen sein.
Bomben explodieren in Köln, Menschen werden entführt und gefoltert, die Polizei richtet eine Sonderkommission ein, fahndet, verhaftet und kann die Gewalt doch nicht stoppen. Es geht wohl um 300 Kilogramm Cannabis im Wert von 1,5 Millionen Euro, die eine kriminelle Gruppe in Köln unterschlagen haben soll. Das hat wohl dem eigentlichen Besitzer nicht gefallen, der der sogenannten Mocro-Mafia zugeordnet wird, und der nun alles tut, um die Drogen wiederzubekommen. Gegner der Cannabis-Legalisierung sehen in dem Bandenkrieg eine Folge der zum 1. April eingetretenen Entkriminalisierung der Alltagsdroge, die für viele seit Jahrzehnten zum Leben gehört wie Bier oder Zigaretten.
An dieser Erzählung ist nicht alles falsch, aber auch vieles nicht richtig. Tatsächlich gibt es in Nordrhein-Westfalen einen Bandenkrieg, an dem Kriminelle aus den Niederlanden beteiligt sind. Diese Gruppen sind gewalttätig, bedrohen Zeugen und haben den Journalisten Peter de Vries ermordet, der sich mit der Drogenkriminalität in seinem Land beschäftigt hat. Dass es sich um eine zentral gesteuerte Mafia handelt, bestreiten wiederum Experten. Cyrille Fijnaut, der an der Universität Tilburg lehrt, sagt der Nachrichtenagentur dpa, über die sogenannte Mocro-Mafia würden viele falsche Vorstellungen kursieren. Sie sei keine straff geführte Organisation: „Es ist nicht so, dass die Drogenkriminalität in den Niederlanden in der Hand einiger großer Bosse ist.“ Und auch Europol geht davon aus, dass Cannabishandel in der Hand zahlreicher krimineller Netzwerke sei.
Ohnehin ist der aus den Niederlanden kommende Begriff „Mocro“ irreführend. Zwar spielen dort tatsächlich Marokkaner eine wichtige Rolle im Drogenhandel, aber längst ist die organisierte Kriminalität multikulturell.
Netzwerke, wie sie sich zurzeit in NRW brutale Auseinandersetzungen liefern. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) stellte im Juli im WDR einen Zusammenhang zwischen dem Gang-Krieg in NRW und der Freigabe von Cannabis her: „Die Niederlande sind ja nun das Vorreiterland im Sinne von Bagatellisierung und Legalisierung von Rauschgiften. Und es gibt kaum ein Land in unserem europäischen Umfeld, wo so mafiöse Strukturen entstanden sind, im Bereich von Drogenhandel wie in den Niederlanden und wo es auch so gewalttätig zur Sache geht.“ Nicht das Kiffen an sich sei schlecht, betonte Reul, sondern die Verbindung zur Drogenwelt.
Das Cannabisgesetz sei ein großer Schritt nach vorn gewesen, sagt Georg Wurth, der Geschäftsführer des Hanfverbandes auf Anfrage der Jungle World. Es sei zwar übertrieben bürokratisch, aber was die Entkriminalisierung der Konsumenten und des Eigenanbaus angeht, sind Deutschland damit im weltweiten Vergleich recht weit vorne dabei. „Von ‚Legalisierung‘ kann aber bisher gar nicht die Rede sein.“
Legalisierung bedeute, dem Cannabismarkt einen legalen Rahmen zu geben, also auch wirtschaftliche Produktion und Handel zuzulassen, zum Beispiel in Fachgeschäften für Erwachsene.
Das war auch der ursprüngliche Plan der Ampel, aber er scheiterte am Einheitsübereinkommen über Suchtstoffe, das die Bundesrepublik 1961 übernommen hat. Danach ist die Verfügbarkeit einzelner Drogen, zu denen auch Cannabis gehört, einzuschränken. Eine Legalisierung von Cannabis würde zudem gegen den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen, in dem unter anderem die Bekämpfung des Drogenhandels festgeschrieben ist. Mit der 2. Säule des Cannabisgesetzes soll irgendwann im Rahmen von Versuchen in Absprache mit der EU auch der kommerzielle Anbau und der Vertrieb im Handel ermöglicht werden. Wann das geschieht, ist allerdings noch vollkommen offen.
Auch wenn der Konsum von Cannabis in Deutschland seit dem 1. April ebenso legal ist wie der Anbau in speziellen Clubs oder auf dem heimischen Balkon, die Vorstellung, dass auf diesem Weg die 948.000 Kilogramm Cannabis produziert werden könne, die in Deutschland im Jahr konsumiert worden ist, ebenso absurd wie es das Vorhaben wäre, genug Bier mit Hobbysets in Badewannen und Kleinbrauereien herzustellen, um ein ganzes Land betrunken zu machen. Sofort würden Kriminelle in die Bresche springen, um den Durst zu befriedigen. „Der legale und regulierte Verkauf von Cannabis in Fachgeschäften würde helfen, den Schwarzmarkt schneller und weitergehend zu verdrängen als es das bisherige Cannabisgesetz durch Eigenanbau und Anbauvereine jetzt schon schafft“, sagt Georg Wurth, vom Hanfverband.
Um die Drogenkriminalität erfolgreich zu bekämpfen, müsste Cannabis legalisiert werden. Es wäre auch das Ende jeder Kiffer-Romantik: Unternehmen würden international und in Deutschland Cannabis in industriellem Maßstab produzieren, es gäbe eine kontrollierte Qualität, legale Händler würden gutes Geld verdienen und der Staat könnte nach Einschätzung von Experten 4,7 Milliarden Euro an Steuern einnehmen.
Doch gegen eine solche Regelung, von der Unternehmen, Konsumenten und der Staat profitieren würden und deren Hauptleidtragender kriminelle Organisationen wären, sprechen internationale Regelungen, die Ausdruck der Fiktion sind, es könne so etwas wie eine drogen- und rauschfreie Gesellschaft geben.
Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Jungle World