Von unserer Gastautorin Anastasia Iosseliani
Geehrte Leserinnen und Leser,
In den letzten Monaten wurden einige sehr brutale Skandale in Zusammenhang mit Kindesmissbrauch publik. Zu dem an sich schon widerlichen und durch nichts zu entschuldigenden Kindesmissbrauch kamen oft schlampige Ermittlungen und/oder Gleichgültigkeit von Behörden wie etwa dem Jugendamt hinzu. So im Falle der vermissten Madeleine McCann und dem deutschen Tatverdächtigen, der, wie man in der «Zeit» lesen konnte, aufgrund der Tatsache, dass ihn die Polizei praktisch vorgewarnt hat, genug Zeit gehabt hat, um eventuelle Spuren zu vernichten. Oder beim Pädophilen-Netzwerk in Münster mit dem Fakt, dass ein Stiefvater mit Kinderpornographie gehandelt hat, weshalb das Jugendamt schon seit 2015 in Kontakt mit der Familie war und man doch bis heute untätig geblieben ist.
So zynisch das auch klingt, aber mich überrascht das nicht. Kinder haben in unseren Breitengraden keine Lobby. Meist werden Kinder als verzogene Gören oder gar als «Problemfall» dargestellt, trotz der Tatsache, dass viele Kinder schlicht und ergreifend ganz normale Kinder sind, die manchmal nerven. Aber sonst keine Probleme machen. Des Weiteren wird ignoriert, dass, wenn Kinder Probleme machen oder Probleme haben, diese vielfach auf die Erziehungsberechtigten zurückzuführen sind. Sprich auf die Leute, die selber erwachsen sind, diese Kinder zuerst haben wollten und dann bei der Erziehung eben dieser Kinder massiv versagen.
Ich weiss, wovon ich rede: Meine alkoholkranke Mutter hat mich als Kind wegen Nichttigkeiten geschlagen, wie zum Beispiel, wenn mir Bücher aus der Hand gefallen sind oder ich sonst tollpatschig war. Ich bin jetzt eine fast dreissigjährige Frau und weiss, dass die Situation nicht wirklich besser geworden ist, weder in der Schweiz, wo ich lebe und mehrheitlich aufgewachsen bin, noch in Deutschland. Letzteres dank der Lektüre von Dr. Michael Tsokos grossartigem Buch «Deutschland misshandelt seine Kinder». Ein Buch, das ich wirklich jedem, der lesen kann, ans Herz lege.
Denn noch immer hängt das körperliche und seelische Wohlbefinden oder effektiv gar das physische Überleben von Kindern davon ab, wie engagiert die Sachbe- und Sozialarbeiter beim Jugendamt sind und nicht von der eigentlichen Schwere der Misshandlungen und des Missbrauchs, dem Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind. Hinzu kommt der immer noch unter Küchenpsychologen verbreitete Spruch «Was einen nicht umbringt, macht einen stärker», der jahrelange Forschung in Bezug auf Trauma, Missbrauch und posttraumatische Belastungsstörungen zur Seite wischt. Nicht nur werden so Forschung und Wissenschaft ignoriert, man gibt sich so dem Sozial-Darwinismus hin und erklärt das überleben einer der schwächsten Gruppe innerhalb unserer Gesellschaft zu etwas Schicksalhaftem, über das man keine Kontrolle hat oder haben will.
Wie gesagt, ich will nicht zynisch klingen, doch es ist genau dieses Laissez-faire und Laissez-aller der Behörden, dass mich diese Zeilen so und nicht anders schreiben lässt. Denn seien wir ehrlich, die letzten Jahre haben in Bezug auf Kinderschutz kaum Fortschritt gebracht und die ganzen Missbrauchsfälle, die jetzt an die Öffentlichkeit gelangen, sind nur die traurige Spitze des Eisbergs. Solange sich die Einstellung von Erwachsenen gegenüber Kindern, besonders von Kindern in einer kritischen oder gefährlichen Umgebung, nicht ändert, wird es auch in Zukunft weiterhin solche Missbrauchsfälle geben und man wird für eine Weile entsetzt sein und sich dann anderen Themen zuwenden. Denn genau so kenne ich es vom Antisemitismus. Das ist aber eine andere Geschichte…