Die Gemeinde, die den spontan um Schutz bittenden Roghinya aus Birma geholfen hatte, hat nun im zuständigen Gremium Presbyterium einstimmig entschieden, den Flüchtling nicht vor die Tür setzen. Sie wollen dem verfolgten Muslim im falle seiner Abschiebung eine Bleibe geben, bis alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft sind.
Sani B. ist sehr froh über die Entscheidung. Und auch die Gemeindepfarrer sind erleichtert: „Ganz ohne Diskussion kann man so etwas nicht entscheiden. Natürlich gibt es Menschen, die sich erst einmal mit so einer neuen Situation anfreunden mussten. Doch für uns zählt am Ende, dass sich in der Sitzung alle im Presbyterium bewegt haben und eine eindeutige Entscheidung getroffen haben. Das wissen wir, gerade bei den Zweifeln und Bedenken die es gab, sehr zu schätzen“.
Ein „offizielles“ Kirchenasyl wird aus der Entscheidung, die praktisch „auf Vorrat“ getroffen wurde, wenn der Kirchenkreis das Ergebnis der Gemeinde bestätigt. Dort ist man bereits inmitten der Beratungen zu dem Einzelfall. Die rechtlichen Fragen werden noch einmal durch die eigenen Juristen überprüft. Auch die Frage, ob eine reelle Chance für eine Anerkennung von Sani B. als Härtefall in einem neuen Asylverfahren besteht, fliesst in die Entscheidung mit ein.
Viele Gemeindemitglieder haben Sani B. inzwischen kennengelernt. Der Rohingya hat innerhalb nur kurzer Zeit Kontakte geknüpft, denn er wurde mit offenen Armen aufgenommen. Dennoch haben sich Schlaflosigkeit, Panikattacken und schweren Depressionen bei Sani B. weiter verschlimmert. Die Angst vor der anstehenden Abschiebung ist eine große Belastung für ihn. Immer wieder bricht er in Tränen aus.
Die Studentin Laura hat sich in den letzten Wochen gemeinsam mit anderen Helfern um Sani B. gekümmert und begleitete ihn in die Kirche, als er um Asyl bat. Sie ist sehr froh, dass er in der Gemeinde untergekommen ist: „Wir haben uns Sorgen gemacht, aber nun ist er gut aufgehoben. Sani bekommt so eine neue Chance, die er wirklich verdient hat!“
Der Anwalt und Spezialist für Asyl- und Ausländerrecht, Erol Engintepe, vertritt Sani B. gegenüber den Behörden. Er begrüßt die Entscheidung des Presbyteriums im Sinne seines Mandanten. So bleibt Zeit, das kommende Verfahren abzuwarten. Der Anwalt stellte letzte Woche einen neuen Antrag an das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen. Verfahrensgegner ist nun nicht mehr die Bundesrepublik, sondern die Stadt in der Sani B. lebt. „Es gibt ausreichend medizinische Gründe, die gegen die Abschiebung des Flüchtlings sprechen. Die ärztliche Bescheinigung belegt eindeutig, dass Sani B. nicht reisefähig ist“, so der Rechtsanwalt. Einige Wochen wird diese Entscheidung vor dem Gericht wohl beanspruchen.
In dieser Zeit – so ein „Gentlemen’s Agreement“ – wird die akut drohende Abschiebung erst einmal ausgesetzt. Der Zaun des Gemeindegrundstücks ist nicht länger die Grenze zur Freiheit. Sani B. zuckt nicht mehr zusammen, wenn zufällig ein Polizeiwagen vorbei fährt.
Doch noch ist längst nicht alles ausgestanden. Die Praxisbeispiele zeigen, so Rechtsanwalt Engintepe, dass ärztliche Diagnosen in dieser Phase der Asylverfahrens nicht selten von den zuständigen Gesundheitsämtern oder durch eigens von den Ausländerbehörden beauftragte Gutachter in Frage gestellt werden. Die Ausländerbehörde kann zur Überprüfung der Bescheinigungen der niedergelassenen Ärzte Amtshilfe beantragen und die Flüchtlinge ein weiteres Mal medizinisch untersuchen lassen. Manche, die schon seit Jahren im Bereich der Flüchtlingshilfe arbeiten, sprechen von „Abschiebeärzten“ und vom „Gesundschreiben“ der Flüchtlinge. Doch genaue Zahlen gibt es zu diesen Fällen nicht – auch nicht bei der Ärztekammer.
Während im Landtag in NRW über die Situation der Flüchtlinge diskutiert wird, überbringen die Pfarrer Sani B. die gute Nachricht vom Presbyterium. Er strahlt und sagt: „Ik bin sehr glucklik!“ Die vergangenen Tage hat er genutzt, um Deutsch zu lernen.