Kneipenleben zwischen Euphorie und Depression


Trotz aller Begeisterung für die Kneipen des Ruhrgebiets, für Bier im Allgemeinen und Fiege im Speziellen, für durchzechte Nächte, gefüllte Aschenbecher, Sex auf dem abgeranzten Pintenklo, Schlägereien mit Faschos, die an die Falschen geraten sind, und den Pep-Kater am nächsten Morgen: Man kann die Kneipe nicht generell hochleben lassen.

Viele Leute sind an ihr verreckt, haben sich totgesoffen oder ihr gesamtes Erspartes auf den Kopf gehauen. Der Traum ist aus. Der alte Mann schläft jetzt wieder alleine zu Haus.

Ich traf in Kneipen die Kaputten und die Gesunden, die Vercrackten und die Zugekifften, die Besoffenen und die Nüchternen, die Nymphomaninnen und die Zuhälter, die Verzweifelten und die Euphorischen, alle haben sie etwas gemeinsam: Sie suchen nach Halt, wollen etwas spüren, wenn sie in die Kneipe kommen, alte Freunde wieder treffen oder neue Menschen kennenlernen.

Ich kenne das. Oft genug traf ich in meiner Stammkneipe Menschen, die ich im sonstigen Leben niemals kennengelernt hätte. Mir wurden Dinge erzählt, die ich niemals hören wollte und ich habe Dinge erzählt, die man besser für sich behält.

Ich bin auf Suffclubtoiletten aufgewacht, hatte Drogen in der Hose, die nicht mir gehörten und für die ich nichts bezahlt hatte. Mein bester Freund hat vor dem Intershop schon öfter auf die Fresse gekriegt als er es verdient hat. Trotzdem kommen wir immer wieder, wenn die Musik erklingt.

Wir sind süchtig nach der Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen Coolness & Blamage, wir tanzen bis wir umfallen und reden Müll, bis es eskaliert. Treffen wir auf Homophobe Menschen, outen wir uns als homosexuell. Im Gespräch mit Homosexuellen sind wir homophobe Christen oder Muslime.

Zwischen den Zeilen werfen wir uns Blicke zu, wir sind ein Team. Eingespielt und abgeklärt. Manchmal weiss ich nicht, ob es eine gute Idee ist, pro Monat mehrere hundert Euro im Shop zu lassen. Was, wenn es irgendwann eine Weltwirtschaftskrise gibt? Oder die BILD sich entscheidet, die Ruhrbarone auch noch zu übernehmen?

Na gut, eher unwahrscheinlich. Zumindest das Letztere.

Wenn ich die Besoffenen in den Arm nehme und ihnen ein Bier spendiere, muss ich manchmal daran denken, dass ich in 40 Jahren nicht so enden möchte. Dann werde ich traurig und denke wieder an den Typ, der vor der Viktoriastraße Stress gemacht hat und dann so einen Schlag abbekam, dass er ohnmächtig wurde. An das Mädchen, das beklaut wurde und später soviel getrunken hat, dass ich ihr ein Taxi rufen musste.

Ich habe sie alle in mein Herz geschlossen, sie sind unsterblich geworden in meiner Erinnerung.

Macht kaputt, was euch kaputt macht, aber zerstört euch nicht selbst. Hätte sich Rio an seine eigenen Worte gehalten, wäre er vielleicht noch unter uns. Amy Winehouse, Whitney Houston, NMZS. Kurt, alle tot. Ihre Songs erinnern daran, dass wir Menschen Dinge für die Ewigkeit schaffen können. Verschwendet euch nicht!

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Stefan Laurin
Admin
10 Jahre zuvor

Ich hab auch schon Leute kaputt gehen sehen, die einen öden Job bei der Stadtverwaltung hatten.

Arnold Voss
Arnold Voss
10 Jahre zuvor

Vergesst nicht die Leute die immer wieder aufstehen, die an ihren Krisen wachsen. Für mich sind s i e die eigentlichen Helden. Nichts gegen ein kurzes, dafür aber intensives Leben. Aber was ist das gegen ein intensives u n d langes Leben. 🙂

arnold schwarzenegger
arnold schwarzenegger
10 Jahre zuvor

Geiler melancholischer Text aber wtf is this : „Im Gespräch mit Homosexuellen sind wir homophobe Christen oder Muslime.“

Na dann ein Hoch auf Rausch und Sehnsucht auf das wir das finden was wir wollen.

KClemens
KClemens
10 Jahre zuvor

Werte Hannah Bruns,

ich weiß nun leider nicht, wie alt Sie sind, und in welchen Kneipen sie so in Ihrem Leben gelandet sind.

Ich kann nur über die Kneipen berichten, die ich aus eigener Erfahrung kenne. Und diese Erfahrung geht über einen Zeitraum von mittlerweile gut 40 Jahren und umfasst auch Kneipen außerhalb Deutschlands und Europas. Und in den 40 Jahren habe ich auch eine Menge Kaschemmen gesehen.

Aber nirgends konnte ich Beobachtungen wie Sie machen. Noch nicht einmal in einem „Club“ in einem Abrisshaus im New York Anfang der 1989er Jahre.

Was bei mir den leisen Verdacht aufkommen lässt, daß Sie es gar nicht so schlimm fänden, wenn es gar keine Kneipen mehr gäbe, in denen man sich lasterhaft verhalten kann.

Hannah Bruns
Hannah Bruns
10 Jahre zuvor

Sorry, aber dann kennen Sie den Shop nicht. Kclemens.
Da lasse ich mein Geld, meine Jacken, meine Zigaretten und mein Herzblut.
Ich feier dann mal weiter meinen Geburtstag. Viel Spaß in der Kneipe weiterhin!

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

„Kneipen – K u l t u r „!!

Schön, daß es darüber auch ‚mal wieder bei den Ruhrbaronen etwas zu lesen und zu diskutieren gibt.

Ein Thema, über das die meisten Menschen als unmittelbar Beteiligte und Betroffene viel erzählen können, aus ihrer jeweils sehr subjektiven Sicht Positives und Negateves, Gutes und Schlechtes.
Zudem ein Thema, das wie kaum ein anderes -außer Liebe und Tod?- in der Literatur seinen Platz hat, die insofern die besten Zitate liefert, um die eigene Meinung zum Thema Kneipen-Kultur zu untermauern, z.B. unter der Überschrift, wie hier geschehen. „zwischen Euphorie und Depression.“

Ich könnte in diesem Sinne jetzt loslegen und aus rund 6o Jahren berichten, in denen ich lokal, regional, national,international in Kneipen aller Art Bier,Schnaps Cognac, Grappa,Wisky,Wodka,Obstler aller Art usw.getrunken habe, oftmals mehr als genug, was Berichte über damit einhergehende Erlebnisse und Ereignisse, über Gespräche,Diskussionen, wüste verbale Attacken, Entgleisungen, körperliche Leiden nach diversen Besäufnissen einzuschließen hätte.

Ich könnte loslegen und philosophieren über den Sinn, den Unsinn, den Nichtsinn des Ganzen.

Ich könnte darüber nachdenken, ob es diese „meine“ Kneipen-Kultur heute noch gibt, irgendwie und irgendwo, oder ob eine andere oder ob gar keine Kneipen-Kultur mehr existiert, und warum das denn dann so sein könnte.Und das wiederum wäre zu ergänzen durch Worte des Bedauerns oder durch eine „Würdigung“ dessen, was heute ist und durch eine „Verdammnis“ dessen, was da ‚mal war.

Das geht allerdings leider nun ‚mal nicht per Kurzbeitrag bei den Ruhrbaronen.

Nansy
Nansy
10 Jahre zuvor

Kneipen sind soziale Treffpunkte – auch wenn inzwischen für viele jüngere Leute alternative Angebote bestehen.
Und wenn sich in Kneipen ebenfalls die Kaputten, die Zugekifften und die Trinker treffen, dann bedeutet das nur, dass hier ein Platz ist um mit der Außenwelt in Kontakt treten zu können.

Womit wir bei einer Entwicklung sind, die darin besteht Randgruppen aus dem Stadtbild zu verdrängen um die Probleme auszublenden. Dazu gehören Phänomene sozialer Desorganisation, die im öffentlichen Raum sichtbar werden und Gefühle der Verunsicherung und Bedrohung hervorrufen: Verwahrlosung, gewalttätige Auseinandersetzungen, Drogenkriminalität, Alkoholismus.
Bei der Schaffung von hochwertigen Zonen für Geschäfte im Konsum- und Dienstleistungsbereich kommt es zur Ausgrenzung sozialer Probleme, da sie die Handelnden der „unternehmerischen Stadt“ nicht interessieren. Die soziale und räumliche Ausgrenzung von sozialen Problemen bzw. von den Menschen mit sozialen Problemlagen erscheint notwendig für die Umsetzung der Geschäftsinteressen, da sie das Leben innerhalb der Zentren stören. Konflikte, die den „sozialen Frieden“ stören könnten, müssen vermieden werden.
Dazu gehört unter anderem auch die Bekämpfung des Alkohols im öffentlichen Raum – diese „Bemühungen“ erleben wir ja gerade vermehrt in der Berichterstattung. Dabei geht geht es darum, die sozialen Probleme durch Prozesse der „Unsichtbarmachung“ aus dem Blickfeld zu schaffen. Der Anspruch an den öffentlichen Raum steigt, „alles soll modern und sauber wirken“.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Kneipen inzwischen auch in diese Problemlage eingeordnet werden – sie sind bisweilen laut bis in die Nacht (vor der Tür wird geraucht und gelacht), und die Besucher sind bisweilen alkoholisiert. Das passt für einige nicht mehr in die „neue Zeit“. Politiker (rote und grüne) haben sich bereits dementsprechend geäußert: „die Kneipe sei ein überholtes Geschäftsmodell“. Die Folgen des Rauchverbotes (leere Kneipen und Lärm vor der Tür) kommen den „Neugestaltern“ des städtischen Raums also sehr entgegen – in Zukunft noch verschärft durch die Debatte um Alkoholverbote.

Einer Entwicklung der „Unsichtbarmachung“ von Problemen, Armut und von marginalisierten Menschen werden wohl auch die Kneipen zum Opfer fallen.

krawalltourist
krawalltourist
10 Jahre zuvor

Das was du schreibst, trifft auf den Intershop an manchen Tagen zu. Das einzige Problem ist nur, dass man dich da erst seit paar Wochen sieht. Also stell dich ma nicht so dar.

Hannah Bruns
Hannah Bruns
10 Jahre zuvor

Ich bin ja auch erst vor ein paar Tagen 20 geworden.
Aber ich bin sicher, du bist Vorzeigeautonomer und seit dem 1. Tag am Start. Herzlichen Glückwunsch 🙂

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