Koalitionsverhandlungen – auch eine Frage des guten und schlechten Stils

Screenshot, Instagram-Account von Christian Lindner, https://www.instagram.com/christianlindner/


Koalitionsverhandlungen – auch eine Frage des guten und schlechten Stils

Der Wahlkampf ist vorbei und zum ersten Mal seit den späten 50er Jahren wird voraussichtlich ein Dreierbündnis die Republik regieren. Wer regieren will, benötigt Vertrauen. Nicht nur das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler, sondern insbesondere das der anderen Fraktionen. Nur folgerichtig ist es daher, dass sich gestern die Parteivorsitzenden von FDP und Grünen für Vorsondierungen trafen. Zeitgleich posteten alle vier das gleiche Foto über ihre jeweiligen Social Media Accounts. Die Nachricht war deutlich: wir brauchen Brücken, wir werden regieren.

Denn: Es ist auch das erste Mal in der deutschen Geschichte, dass schlussendlich die Juniorpartner bestimmen, wer am Ende Kanzler wird.

Es ist die Fortführung einer positiven Entwicklung, die im gesamten Wahlkampf zumindest seitens der Parteiführungen von FDP und Grünen zu erkennen war. Unabhängig davon, wie scharf die Debatte inhaltlich war, im Ton vergriffen haben sich die Parteivorsitzenden nicht.

Anders verhält es sich bei der SPD. Lange wurde gewitzelt, dass Olaf Scholz Kevin Kühnert, Saskia Eskens und Norbert Walter-Borjans verstecke, damit die Drei den Wahlkampf des „Manns der Mitte“ nicht torpedierten. Wie zutreffend dies ist, zeigte sich weniger als 24 Stunden nach Schließung der Wahllokale. Nach 16 Jahren, in denen die SPD nie eine Chance hatte, den Kanzler zu stellen und zeitweise sogar fürchten musste, bei einer Wahl hinter der FDP zu landen, sollte es keinen Tag dauern, bis die Großmannssucht die Parteiführung der SPD übermannte und zu völlig stillosen Attacken gegen die FDP anstachelte. Peter Carstens kommentierte in der FAZ, die Parteiführung der SPD versuche, die FDP mit Beleidigungen und Drohungen gefügig zu machen. Auch andere Kommentatoren sahen die SPD-Führung als regelrecht ausfallend. Die Attacken in den vergangenen Tagen haben derartig extreme Züge angenommen, dass selbst der eigentlich für seine Sympathie gegenüber der SPD bekannte Lanz gestern Abend indirekt die Frage aufwarf, ob irgendwer bei der SPD ernsthaft glaube, so Vertrauen für eine Koalition gewinnen zu können. Lars Klingbeil betrieb nach Kräften Schadensbegrenzung, aber selbst als Strack-Zimmermann kommentierte, Kevin Kühnert sei „nicht die hellste Kerze auf der sozialdemokratischen Torte“, blieb es bei fast schon bemitleidenswerten Verteidigungsversuchen des für seine rhetorische Sicherheit bekannten Generalsekretärs der SPD.

Man kann den Eindruck gewinnen, der Frust über den Verlust der Rot-Rot-Grünen Machtoption im Bund sei so groß, dass man in Wut und Raserei vergessen hat, dass man die FDP nahezu zwingend benötigt, damit Olaf Scholz Kanzler wird. Genauso scheint die Parteiführung der SPD nicht zu merken, dass sie seit Sonntag, 18 Uhr konsequent dem eigenen Kanzlerkandidaten schaden, der seither völlig abgetaucht scheint und in der aktuellen Debatte gar nicht mehr vorkommt.

Am Ende könnte es die Stärke der CDU sein, dass sich die Partei aktuell mit sich selbst beschäftigt aber dabei zumindest nicht ausfallend gegenüber möglichen Koalitionspartnern wird. Sollte es am dazu kommen, dass Robert Habeck und Christian Lindner verkünden, einen Koalitionsvertrag mit der CDU unterzeichnet zu haben, wird dies die SPD völlig allein zu verantworten haben. Insbesondere, wenn der designierte Vizekanzler Habeck gegenüber der eigenen Partei aber auch der Öffentlichkeit darstellt, dass das Verhalten, der Stil und das politische Angebot der SPD keine andere Option zugelassen habe.

Olaf Scholz wird, das ist bereits völlig klar, für das Benehmen seiner Parteiführung einen sehr hohen Preis zahlen.

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Angelika, die usw.
Angelika, die usw.
3 Jahre zuvor

"…Es ist die Fortführung einer positiven Entwicklung, die im gesamten Wahlkampf zumindest seitens der Parteiführungen von FDP und Grünen zu erkennen war. Unabhängig davon, wie scharf die Debatte inhaltlich war, im Ton vergriffen haben sich die Parteivorsitzenden nicht…"

Stimmt.

"…Olaf Scholz wird, das ist bereits völlig klar, für das Benehmen seiner Parteiführung einen sehr hohen Preis zahlen."

Gut möglich.

Arnold Voss
Arnold Voss
3 Jahre zuvor

Söder hat gerade mal eben Scholz Chancen für die Kanzlerschaft mit einem einzigen kurzen Statement massiv erhöht und Laschet "einen Kopf kürzer " gemacht und der Autor lamentiert hier über Stilfragen bei der SPD. Im Ernst?

Werntreu Golmeran
Werntreu Golmeran
3 Jahre zuvor

Was für ein Unsinn.

Die SPD hätte, wenn sie denn gewollt hätte, 2005 und 2013 den Kanzler stellen können. Schröder war in einer viel komfortableren Situation als Laschet.

Es ist doch absurd, wie die von den Medien bestimmte öffentliche Meinung den Eindruck bei der Bevölkerung durchsetzen will, alle hätten ein Recht darauf, eine Regierungsbildung zu leiten, ausser der Wahlsieger SPD müsse sich zurückhalten. Da kann wohl jemand nicht verlieren.

Die SPD sollte sich das ruhig anschauen, den Grünen und der FDP einen Termin nennen, wann und wo sie gerne zu Gesprächen erscheinen können. Und wenn denen das nicht passt, würde ich die CDU/CSU fragen, ob die nicht an Koalitionsgesprächen interessiert ist. Und wenn keiner mit der SPD will, sollte man den Weg in die Opposition mit Haltung gehen. Wenn ich die Meinungsumfragen von vor der Wahl rekapituliere, fällt mir keine einzige ein, in der Jamaika die von den Wählern am meisten gewünschte Koalition war. Da lag oft sogar noch Rot-Grün-Rot vor dem neoliberalen Schwarz-Grün-Gelb.

Walter Stach
Walter Stach
3 Jahre zuvor

Akzeptabel, ja respektabel.
So meine Bewertung des bisherigen Umganges aller politischen Akteure miteinander in ihren jetzt anlaufenden Bemühungen um die Bildung einer Koalition, die eine "Kanzlermehrheit" im Bundestag hätte und die fähig und willens wäre, mindestens über die nächsten 4 Jahre gemeinsam in Parlament und Regierung Problemlösungen zu erarbeiten und diese umzusetzen.

Das bezieht sich nicht nur, aber in besonderem Maße auf Habeck und Lindern und nicht zuletzt auf Scholz.

Daran ändert sich nichts, gar nichts, wenn es kritische Anmerkungen aus den Reihen von SPD/FDP/Grüne gibt -gegenüber dem politischen Gegner und/oder gegenüber dem "eigenen Personal". Das gehört dazu -seit "altersher"- und erweist sich letztendlich stets als belanglos.

Olaf Scholz hat jedenfalls bisher -gegenüber Freund und Gegner und wider meine persönlichen Vorbehalte gegen ihn zu Beginn seiner Nominierung als SPD-Spitzenkandidat- keinen Zweifel daran gelassen, daß er es ist. der versuchen wird, aufgrund des Wählervotums eigenständig, eigenverantwortlich, verantwortungsbewußt und führungsstark (!!), frei von "Weisungen" aus seiner Partei- eine Regierungskoalition zustande zu bringen -mit ihm als Kanzler.

Bisher, so meine Wahrnehmung, wird diese meine Einschätzung -nicht die von Scholz, aber eben auch die von ihm-holz- von der Mehrheit der Bürger geteilt -mit zunehmender Tendenz!.
Letzteres dürfte durch das unsäglichen Verhalten von Laschet noch weiter befördert werden.

Akzeptabel, respektabel…
Das gilt für mich auch für das Verhalten der CSU und für das ihres Vorsitzenden Söder seit Bekanntwerden des Wahlergebnisses der Bundestagswahl.

Ohne den unsäglichen Armin Laschet würde ich deshalb in das, was Bernand-Henri L'evy zur Bundestagswahl schreibt, auch die bisherige Praxis der ersten Schritte zur Bildung einer Koalition einbeziehen:

L'evy schreibt *):
" Heute kann man feststellen:
Das Land der Frankfurter Schule und des Verfassungspatriotismus, die kulturelle Heimat von Kant
und des kategorischen Imperatives, jene von Hölderlin und seiner Wanderer, die ihr Nationalbewußtsein in der Dialektik mit den Fremden ausbilden, das Land von Nitzsche und seinem Horror vor jeder bigotten Selbstzufriedenheit -dieses Deutschland erteilt der Welt, insbesondere Frankreich, eine schöne Lehrstunde in Demokratie. Danke, Deutschland."

*)
SZ Nr, 225, Mittwoch, 29.September 2021, FEUILLETON, S.9

Ich freue mich jedenfalls sehr über diese Worte von L'evy -sh. SZ- über " eine schöne Lehrstunde in Demokratie: die Bundestagswahl " und beziehe das bisherige Verhalten von SPD/GRÜNE/FDP nach der Wahl in seine Feststellung mit ein. Dieses erfreuliche Gesamtbild des demokratischen Szenarios in Deutschland ändert sich für mich substantielle nicht durch das kritikwürdige Verhalten von Armin Laschet, es erfährt allerdings "leichte Eintrübungen". Versuche, wie u.a. der im obigen Kommentar, das für mich derzeit rundherum erfreuliche Gesamtbild einzutrüben , gehen m.E. ins Leere , auch die auf Scholz bezogen.

Berthold Grabe
Berthold Grabe
3 Jahre zuvor

Der Wählerwille drückt sich ausschließlich durch die Wahl einer Partei aus.
Er hat keine Möglichkeit jenseits einer absoluten Mehrheit eine Regierung zu wählen.
Es mag nun sein, das die SPD sich eine wenig erholt hat, aber von Wahlsieg zu sprechen bei gerade mal rund 21 % ist lächerlich.
Regieren wird die Koalition, die den größten gemeinsamen Nenner der beteiligten Parteien erreicht in den Verhandlungen, alles andere ist blanker medIaler Propaganda Unsinn, der etwas vortäuscht was noch nie existent war.
Unsere Verfassung konstituiert nun mal eine Parteiendemokratie, die mangels durchgehender Gewaltenteilung dominant ist.
Das Wahlergebnis ist daher hauptsächlich einer medialen Illusion geschuldet, die meint einen Kanzler wählen zu können. Gewählt wurde aber eine vor Inkompetetenz strotzende Partei.
Es wäre besser gewesen die Wähler wären gleich zu den Grünen statt zur SPD übergelaufen

Walter Stach
Walter Stach
3 Jahre zuvor

Lächerlich…..
21 % für die SPD -sh.-5- .

Das vorläufige amtliche Endergebnis ist das nicht. Das nennt für die SPD 25, 7 %.
Dass "Rundumschläge" gegen die SPD im allgemeinen und gegen Scholz im besonderen sich jenseits unstrittiger Fakten bewegen, scheint solchen immanent zu sein.
Ansonsten:
Jeder Demokrat sollte fähig und willens sein, das Ergebnis einer Wahl, die nach demokratischen Grundsätzen und demokratischen Regularien stattgefunden hat, zu akzeptieren, vor allem auch dann, wenn er sich ein anderes gewünscht hatte. Trump scheint nicht der Einzige zu sein, der dazu nicht fähig, nicht willens ist.

In diesem Sinne und ergänzend zu -4-
Jede Koalition, die jetzt zustande kommt, ist demokratisch legitimiert. Jeder Kanzler, der jetzt gewählt wird, ist demokratisch legitimiert.. Das sollte die selbstverständliche, einvernehmliche Basis für jede Diskussion unter Demokraten darüber sein, welche Koalition und welcher Kanzler am besten, am ehestens gewollt wird Eine solche "Einstellung" würde dazu beitragen können, die einschlägigen Meinungsäußerungen "etwas zu entschärfen", z.B. dann, wenn es wie hier gegen die SPD und gegen Scholz geht.
Wenn es für meine Wunschkoalition Nr. 1 – ROT-GRÜN bzw. ROT/ROTGRÜN/GRÜN- nicht gereicht hat, bedauere ich das, ohne im geringsten die demokratische Legitimation irgend einer andere Koalition in Frage zu stellen. Sollte es auch mit der "Ampel" – meine Wunschkoalition Nr. 2 – nicht werden, gilt das selbe.
Diese meine grundsätzliche Einstellung zum Thema "Koalitionsbildung/Kanzlerwahl" gerät allerdings dann und wann ins wanken, wenn ich über einen "Kanzler Laschet" nachdenke, den ich jedoch letztendlich als demokratisch legitimiert zu akzeptieren hätte..
Und die AFD?
Rd. 1o % der Wahlberechtigten haben sich für sie, rund 80% gegen sie entschieden. Würde eine der demokratisch-rechtstaatlichen Partei sich daran machen, die AFD formell/informell, direkt oder "geduldet" in eine Koalition einzubinden bzw. die AFD an einer solchen beteiligen zu wollen, würde ich das "hinreichend begründet" verfassungspolitisch katastrophal nennen und dessen verfassungsrechtliche Legalität anzweifeln. Solange in diesem Sinne die AFD draußen vor bleibt, habe ich weder Anlass, gegen den jetzigen Prozess der Koalitionsbildung zu polemisieren noch die demokratische Legitimation einer neuen Bundesregierung kritisch zu hinterfragen- Das scheint "Einigen" dann schwer zu fallen, wenn es um eine mögliche Koalition mit "meiner " SPD geht und erst recht schwer zu fallen, wenn es um eine mögliche Kanzlerschaft von Olaf Scholz geht.

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