Köln ist Nordrhein-Westfalens einzige Millionenstadt, das kulturelle Zentrum des Landes und gleichzeitig die Skandalnudel am Rhein.
Köln ist nicht irgendeine Stadt in Nordrhein-Westfalen. Für Nathanael Liminski (CDU), den Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, der sich 2022 in Köln vergeblich um ein Landtagsmandat beworben hatte, ist die Stadt „ein Aushängeschild des Landes und dank großer Sender wie dem WDR und RTL die Medienhauptstadt.“ Aber Köln habe auch zahlreiche Probleme in Bereichen wie Verkehr, Wohnungsmarkt und Wirtschaft, die angegangen werden müssen.
Über eine Million Menschen leben in Köln; der Dom ist mit 4,3 Millionen Besuchern im Jahr die beliebteste Sehenswürdigkeit Deutschlands. Im Karneval feiern mehr Menschen in Köln als in Düsseldorf und Mainz zusammen. Köln gilt als tolerant und weltoffen. Die Bewohner der Stadt gelten als lässiges Völkchen, das sich so schnell durch nichts aus der Ruhe bringen lässt.
Doch Köln ist auch die große Skandalnudel unter den Städten in Nordrhein-Westfalen: Der Versuch, die 1957 in Anwesenheit von Konrad Adenauer eröffnete Oper zu renovieren, geht nun schon ins zwölfte Jahr und wird mehr als eine Milliarde Euro kosten. In einem ADAC-Mobilitätsranking aus dem vergangenen Jahr liegt Köln bei 15 untersuchten Städten auf dem vorletzten Platz – nur in Duisburg ist man weniger mobil. Obwohl der Rat 1995 beim Abschluss des Mietvertrages für das Technische Rathaus beschlossen hatte, eine Kaufoption in den Vertrag einzufügen, setzte die Verwaltung diesen Beschluss nicht um. Bis zum Ende des Mietvertrags 2029 wird die Stadt nach Ansicht des Rechnungsprüfungsamtes eine überhöhte Miete von 557 Millionen Euro gezahlt haben.
Vor neun Jahren trat eine Politikerin an alles anders und besser zu machen: Als Henriette Reker am 18. Oktober 2015 zur Oberbürgermeisterin von Köln gewählt wurde war das ein Ereignis das Menschen deutschlandweit bewegte: Nur einen Tag zuvor war Reker, als Sozialdezernentin für die Unterbringung von Flüchtlingen in der Stadt zuständig, von einem Rechtsradikalen niedergestochen worden. Den Anschlag überlebte die Politikerin nur knapp. Als ihr Wahlsieg über den Sozialdemokratischen Kandidaten Jochen Ott feststand, lag sie im Universitätsklinikum im künstlichen Koma.
Die parteilose Reker war die gemeinsame Kandidatin von CDU, Grünen und FDP. Die drei Parteien hatten sich mit der Dezernentin zusammengetan, um zu verhindern, dass erneut ein Sozialdemokrat an die Spitze der Stadt kam. Reker stellte sich als ungebundene Verwaltungsexpertin dar, die einen “tiefgreifenden Wandel in Köln” umsetzen wollte. Mit mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung sollte das durch zahlreiche Skandale erschütterte Vertrauen der Kölner wiedergewonnen werden. Die hohen Erwartungen wurden enttäuscht: Während 2020 in Städten wie Essen oder Bochum die amtierenden Oberbürgermeister im ersten Wahlgang im Amt bestätigt wurden, musste die Oberbürgermeisterin trotz Unterstützung von Union und Grünen in die Stichwahl. Ob Reker bei der kommenden Wahl 2025 noch einmal antritt, war lange unklar. Auf Anfrage sagte Reker nun, sie plane keine weitere Amtszeit.
Antreten wird im kommenden Jahr nicht nur ein Kandidat der oppositionellen SPD. Auch CDU und Grüne, die Reker bei ihren bisherigen Kandidaturen unterstützt haben und gemeinsam mit Volt eine Koalition bilden, sind auf der Suche nach geeigneten Anwärtern für das höchste Amt der Stadt. Einfach ist das nicht. Die CDU in der Stadt gilt als zerstritten. Seit Monaten versucht sie nun einen geeigneten Kandidaten zu finden. In die dafür zuständige Kommission wurde auch ein Aachener geholt: Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet soll bei der Entscheidungsfindung helfen. 2015 gehörte er zu den Geburtshelfern der schwarz-grünen Zusammenarbeit und der Unterstützung Rekers’. Wann der Name desjenigen feststehen wird, der seinen Hut im kommenden Herbst in den Ring werfen wird, ist ebenso unklar wie bei SPD und Grünen. Bei den Grünen hat sich bereits im Mai vergangenen Jahres eine Findungskommission gebildet und auch die SPD ist noch auf der Suche. Alle Parteien wollen ihr Pulver so lange wie möglich trocken halten.
Für Jochen Ott, der 2015 gegen Reker unterlag und heute Fraktionsvorsitzender der SPD im Düsseldorfer Landtag ist, braucht Köln eine Diskussion zwischen den drei demokratischen Parteien über den künftigen Kurs der Stadt. Bei den letzten beiden Wahlen wurde nicht viel über die Probleme Kölns und wie man sie lösen will, geredet. Da standen Identitätsthemen im Mittelpunkt, zum Beispiel, dass Frau Reker parteilos ist. Vielen war es auch wichtig, einen SPD-Kandidaten zu verhindern, unabhängig davon, was er im Amt machen wollte. Nun sind die Probleme so groß, dass Köln sich das nicht mehr leisten kann. Fragt man bei den Parteien nach, gibt es genug, über das man streiten kann.
„Eltern suchen verzweifelt Schulplätze, finden keine verlässlichen Kita-Betreuungsmöglichkeiten und müssen sich deshalb beruflich einschränken“, antwortet der SPD-Fraktionsvorsitzender Christian Joisten auf die Frage nach den größten Problemen Kölns. Autofahrer verzweifeln am täglichen Stau, Fahrradfahren ist in den Außenbezirken wegen schlecht ausgebauter und zu schmaler Fahrradwege lebensgefährlich, Busse und Bahnen sind unpünktlich und unzuverlässig. „Bei den Großbauten wie der Oper und den Museen läuft ein Projekt nach dem anderen aus dem Ruder und reißt Milliardenlöcher in den städtischen Haushalt. Das Geld fehlt dann an anderer Stelle, besonders im Bereich des Sozialen.“
Ähnlich sehen es die Grünen: „Es gibt zu wenig bezahlbaren Wohnraum, die Mobilitätswende hat noch nicht genug Fahrt aufgenommen und der Klimawandel ist da. Dazu kommt eine angespannte kommunale Haushaltslage und hoher Investitionsdruck durch die erforderliche sozial-ökologische Transformation.“
Die FDP stellt auf Nachfrage kurz und knapp fest: „Köln hat in allen wichtigen Themen großen Aufholbedarf, also in Verkehr, Wirtschaft, Bauen, Bildung und Digitalisierung.“
Für Karl Alexander Madl, dem Vorsitzenden der CDU Köln, ist Verkehr eines der größten Probleme: „Wir müssen für Köln eine neue Mobilität schaffen. Wir müssen es schaffen, ein breites Angebot für alle Verkehrsteilnehmer in der Zukunft zu etablieren. Ideologische und kleinteilige Verkehrsversuche sind gescheitert.“
Auch um die Sicherheit sorgen sich laut Mandl die Bürger: „Immer mehr Menschen fühlen sich in Köln nicht sicher. Das sagen sie mir in den vielen Begegnungen. Hier muss sich dringend etwas ändern und darf nicht auf ferne Zeiten vertröstet werden.“
Andere Christdemokraten ärgert, dass die Kölner Wirtschaft wie gelähmt sei. Eigentlich hoch motiviert, sich in der eigenen Stadt zu engagieren und zu investieren, finden sie weder in Reker noch in der Verwaltung Ansprechpartner für den wirtschaftlichen Aufbruch.
Sorgen machen sich die Sozialdemokraten auch um die Verwaltung. Amtsleiterposten sind nicht besetzt und viele Mitarbeiter sind nach Düsseldorf gewechselt, wo der ehemalige Kölner Stadtdirektor Stephan Keller (CDU) 2020 zum Oberbürgermeister gewählt wurde. Die Stadtverwaltung scheint derzeit keine attraktive Arbeitgeberin zu sein, sagt Christian Joisten, wenn es um das Anwerben und vor allem um das Halten kompetenter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geht. „Der Fußgängerbeauftragte ist nach kurzer Zeit nach Bonn geflüchtet, andere Fachkräfte versuchen ihr Glück lieber in den Kölner Umlandgemeinden. Hier fehlt es der Stadtspitze nicht nur an Ideen, auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt zu punkten, sondern auch an Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden in der Stadtverwaltung.“
Reker sieht das anders: „Die Stadt Köln ist und bleibt eine attraktive Arbeitgeberin. Als Millionenmetropole können wir Fachkräften nicht nur ein weltoffenes, lebenswertes und dynamisches Umfeld bieten, sondern auch eine enorme Bandbreite von rund 700 Berufsbildern. Köln gehört zu den attraktivsten Standorten der Bundesrepublik und hat eine hohe Lebensqualität. Ebenso wie in anderen attraktiven Großstädten ist der lokale Wohnungsmarkt angespannt.“
Die Stadt befindet sich in einem konstruktiven Dialog mit der Wohnungswirtschaft, um herauszufinden, wie die Situation entspannt werden kann. In den nächsten Wochen wird dem Stadtrat ein Vorschlag zur Stimulierung des Wohnungsbaus vorgelegt. Der Ruf Kölns ist nicht beschädigt: „Dies unterstreicht auch die ganz aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung von Anfang April 2024, die für Köln bis 2040 als eine der ganz wenigen Städte in NRW ein deutliches Wachstum prognostiziert.“ All die neuen Kölner werden Jobs und Wohnungen brauchen.
Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag