Für den ersten Adventssonntag riefen die Kölner Kampagnieros von „Arsch huh, Zäng ussenander“ zu einer Friedensdemonstration für Nahost auf. Am Aachener Weiher fanden sich 600 bis 800 grauhaarige Friedensbewegte zu dem Motto „Give Peace a Chance!“ zusammen. Mit 3000 Teilnehmern hatte man gerechnet.
Die Initiative, die sich Anfang der 90er Jahre unter dem Eindruck der rassistischen Progrome in Deutschland als Zusammenschluss von Kölner Musikern und Künstlern im Kampf „gegen Rassismus und Neonazis“ zusammenfand, veranstaltete vor allem Solidaritätskonzerte. Illustrere Namen aus dem Kölner Karneval als auch Wolfgang Niedeckens BAP gehören bis heut zu den Trägern dieser Initiative.
Im Vorfeld dieser Kölner Demonstration kam es zu einem Skandal, der sich an der Absage des Kölner Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln und Vize Präsidenten des Zentralrats Abraham Lehrer Teilnahme wegen fehlender Distanzierung der Veranstaltung von den Terrorangriffen der Hamas entzündete. Im Aufruf zur Friedensdemonstration hieß u.a.:
„Wir trauern um die israelischen genauso wie um die palästinensischen Opfer und möchten mit unserer Kundgebung ein Zeichen der Solidarität mit beiden Völkern setzen. Weder kann Krieg für Sicherheit sorgen noch Terror für Befreiung. Notwendig ist eine Friedenslösung auf der Grundlage des Existenzrechts.“
Abraham Lehrer begründete seine Absage, dass „der Terror der Hamas mit dem Verteidigungskrieg Israels gleichgesetzt (werde). Die Terrororganisation Hamas und die israelische Armee (würden) als ›Konfliktparteien‹ auf eine Ebene gestellt. Das Selbstverteidigungsrecht Israels werde dadurch geleugnet“.
Er schrieb den Veranstaltern ins Stammbuch:
„Israel kämpft gegen eine Terrororganisation und bis diese nicht vernichtet ist, wird es keinen Frieden im Nahen Osten geben. Sie verlangen von Israel, diese Verpflichtung zum Schutz seiner Bevölkerung aufzugeben. Das werde ich nicht mittragen.“
In der nachfolgenden öffentlichen Auseinandersetzung erboste sich der Kölner Norbert Walter-Borjans, ehemaliger SPD-Parteivorsitzende, über die Kritik, die den Veranstaltern ins Gesicht schlug:
„Dass Menschen, die daran erinnern, hierzulande mit den grausamen Mördern von Be’eri, Kfar Aza oder der jungen Menschen auf dem Gelände des Musikfestivals in eine Reihe gestellt werden, ist unerträglich. Jetzt trifft es auch die Kölner Initiative „Arsch huh“, die seit dreißig Jahren ein Aushängeschild für Toleranz und friedliches Zusammenleben in unserer Stadt ist. Ihr, wie im Kommentar des kommissarischen Chefredakteurs geschehen, zu attestieren, sie hätte sich als moralische Instanz gegen rechts disqualifiziert, ist ein Affront gegen alle, die Sicherheit für Israel und den menschlichen Umgang mit unschuldigen Zivilisten auf allen Seiten wollen.“
Für Stimmung im Vorfeld sorgte auch, dass der umstrittene Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyek als Redner eingeladen war. Seine Nähe zu Islamisten und den sog. „grauen Wölfen“, die seinem Verband angehören, ist mittlerweile Legende, so wurde er zur letzten Islamkonferenz erst gar nicht eingeladen.
Die Kölner Kabarett-Legende Jürgen Becker als Mitveranstalter reagierte im Vorfeld öffentlich:
„(…) wir können den Antisemitismus nicht bekämpfen, wenn wir nicht wenigstens versuchen, die Muslime mit ins Boot zu nehmen.“
Mit Musik und Kabarett ging die „Sause“ am Sonntag Nachmittag dann los. Zuvor zwitscherte die Moderatorin Marie Knäpper mit Kölschem Zungenschlag etwas tränig: „Ohne Frieden, wo kommen wir denn dahin?“ Neben den sonntagsredengleichen Verurteilungen und Bedauernsbekundungen der Hamas Massaker und dem Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung endete ihre Moderation mit Kölschem Gewese: „Diese Werte haben uns schon immer durch schwere Zeiten gebracht. Give Peace a Chance.“ Gern hätte man zurückgefragt, was denn den Kölnern gerade so schwer sei.
Auffällig hielten sich die Künstler und Musiker mit Statements zurück. Wilfried Schmickler spulte sein normales Programm runter, das mehr zur Mai-Demonstration gepasst hätte. Auch Jürgen Becker, der seine lustigen Pointen abfeuerte, hätte man eher auf einer Karnevalssitzung vermutet. Kölsches Charity-Business as usual.
Als erster zur Sache sprach der muslimische Zentralratsvorsitzende Mayzek. Der Koran verurteile jede Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus sei Sünde, so sprach er in gewohnter Weise weiter. Dann verstieg er sich, darin, wofür er wahrscheinlich von den Initiatoren eingeladen worden war, die Zahl der Getöteten anzusprechen. Der Applaus begleitete seine Ausführungen mäßig bis hin zu frenetisch. Von ihm nichts Neues, er blieb stabil indifferent bis relativierend und bestätigte Abraham Lehrers Sorge.
Inzwischen war die Kölnerin Mina Ahadi mit ihren Getreuen auf der Veranstaltung aufgetaucht. Sie trugen Schilder mit dem Konterfei des kürzlich freigelassenen und wiederinhaftierten iranischen Rappers bei sich. Mina Ahadi durfte auf die Bühne und machte die Anwesenden auf das Schicksal von Toomaj Salehi aufmerksam und konterkarierte damit Mayzeks Auftritt als sie sagte, sie sei vom Zentralrat der Ex-Muslime. Die Teilnehmer schienen gar nicht zu merken, was sie damit inzidenter zum Ausdruck brachte. Dass sie damit auch den Iran als Hamas Finanzier und Unterstützer thematisierte, macht das Ganze delikater. Daher bleibt zu fragen, was die Deutschen schon gegen den Iran unternehmen, außer Handel zu treiben.
Dann erklomm der 91jährige ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum die Bühne und es wurde still. Sehr deutlich und bestimmt sagte er:
„Arsch huh hat in seiner Ankündigung die Angreifer der Hamas und die Opfer auf eine Stufe gesetzt. Das darf man nicht tun“
Baum zeigte Verständnis für Lehrer und mahnte, jeden Antisemitismus zu bekämpfen. Er wies auf die unsägliche Lage im Lande hin, dass Jüdinnen und Juden nicht sicher sein können in diesem Land. Jetzt sei der Zeitpunkt den jüdischen Mitbürgern „unsere unverbrüchliche Solidarität“ zuzusichern. Polizeischutz vor jeder Synagoge sei eine „Schande für unser Land“.
Wie im Leserbrief echauffierte sich Norbert Walter-Borjans über die Massivität der Kritik an denjenigen, die wegen der „geschundenen Menschen eines Landstreifens“ besorgt seien, „die vertrieben wurden und deren Hab und Gut in Trümmer bombardiert wird.“ Die Besorgten in die Nähe von Antisemitismus zu rücken, sei fatal.
An diesen beiden Rednern wurde die aktuelle Israeldebatte und der damit einhergehende Antisemitismus-Diskurs in Deutschland deutlich. Wundern kann man sich nur, dass angesichts dessen, dass immer noch über 100 Geiseln in der Hand der Hamas sind, Israel immer noch mit Raketen beschossen wird, Juden in Köln und in Deutschland keine Gottesdienste und Versammlungen mehr so ohne Weiteres abhalten können, die antisemitischen Übergriffe hier zugenommen haben, der Polizeischutz massiv verstärkt wurde, kein Verständnis von deutscher friedensbewegter Seite für die Gefühle und Empfindlichkeiten deutschen Jüdinnen und Juden aufkommt, sich gestern an einer deutschen Friedensdemonstration zu beteiligen. Bleibt noch zu fragen, wer von den Palästinensern als Vorbedingung für Frieden fordert, die Geiseln freizulassen und die Waffen niederzulegen.
Auch wird man fragen müssen, ob es den Kölschen Friedensengeln in den Sinn gekommen ist, dass man Kippa und Stern schon seit Jahrzehnten nur unter Polizeischutz in diesem Land zeigen kann.
Bevor die „Arsch Huh“ Band spielte, empfahl sich Stephan Brings mit den Worten, dass „der freundschaftliche Dialog mit der jüdischen Gemeinde“ bestehen bleibe. Das könnte man angesichts der Diskussion um diese Friedensdemonstration auch als Drohung verstehen.
Der Kölner Stadtanzeiger dokumentiert vollständig die Rede von Gerhart Baum.