Wanheimerort ist ein eher ruhiger Stadtteil zwischen dem Süden und dem Epizentrum von Duisburg. Genauso unattraktiv oder – je nach Sichtweise – attraktiv wie die restliche City von Duisburg, aber weniger spektakulär wie die richtig hässlichen Stadtteile, wie beispielsweise Marxloh oder Neumühl. In diesem Stadtteil bin ich aufgewachsen und jetzt – nach 20 Jahren Abwesenheit – wieder gelandet.
Die SPD-Wanheimerort war mein erster Ortsverein, in dem ich in den 90er Jahren aktiv war: Hier hat die SPD immer gute Wahlergebnisse eingefahren, was meiner Meinung nach in erster Linie mit einer Tatsache zu tun hatte: Die Mitglieder der SPD waren hier immer schon als Kümmerer unterwegs. Und dies war weniger bewusste Strategie, als vielmehr dem Hintergrund der in den 90er und 2000er Jahren aktiven Mitglieder geschuldet.
Unideologische Kleinarbeit vor Ort: Die Kümmerer
Bernhard Schramm, ein im letzten November verstorbener ehemaliger SPD-Ratsherr, war so ein Kümmerer: Von der Erscheinung her eher unauffällig, früher in der Gewerkschaft und in der SPD-Betriebsgruppe der inzwischen abgewickelten Kabelwerke aktiv: Nach dem Sieg der SPD bei der Bundestagswahl 1998 hat er – prophetisch – bereits schwere Zeiten auf die SPD zukommen sehen. Viele – eigentlich alle – seiner damaligen (düsteren) Prognosen sind inzwischen wahr geworden.
Auf die Bundes-SPD hat er oftmals geschimpft. Im Stadtteil war er sowas wie eine feste Institution. Ende der 90er Jahre habe ich den Fehler gemacht, auf die Frage ob ich noch „kurz mitkomme“ zur Fischerstraße, mit Ja zu antworten. Für die 500 Meter von seiner Wohnung in die Fußgängerzone brauchten wir damals gefühlte zwei Stunden – und ich war etwas genervt, weil Bernhard Schramm nach jedem Schritt von irgendeinem Wanheimerorter angesprochen wurde: Sperrmüll der nicht abgeholt wurde, verdreckte Stellen im Stadtteil, Probleme in lokalen Sportvereinen waren ein sehr häufiges Thema, Fragen zu Arbeitslosengeld und weiß der Teufel was. Ab und zu wurde auf den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder geschimpft: Bernhard Schramm war nicht unbedingt sein größter Fan, was zusätzlich zu längeren Diskussionen führe. Der ehemalige Ratsherr war bekannt und Ansprechpartner und so, wie man sich einen waschechten Sozialdemokraten vorstellte.
Die SPD hat durch diese Art des Dialoges damals Wahlen im Stadtteil haushoch gewonnen – und der für mich sehr anstrengende Spaziergang war ein ganz normaler Morgen im Leben des damaligen Ratsherren. Und ja: Er hat sich für jeden Zeit genommen.
In der Zwischenzeit hat sich viel getan im Ruhrgebiet, der einstigen Herzkammer der Sozialdemokratie. Im Buch Beten Sie für uns! geht Ruhrbaron Stefan Laurin auf diese unideologischen Kümmerer der SPD ein – und auf deren Wegfall, weil alle plötzlich irgendwie nur noch Oberbürgermeister werden wollen.
Kommunalwahlzeit in Duisburg
Am vergangenen Sonntag kam ich mit dem lokalen Ratsherren, Torsten Steinke, ins Gespräch als dieser im Stadtteil plakatierte: Etwas inhaltsleer sind die Wahlkampfplakate der SPD in diesem Jahr: Portraits der Kandidaten und ein Name. Noch inhaltsleerer sind die Werbemittel auf denen Oberbürgermeister Sören Link zu sehen ist – obwohl dieser in diesem Jahr überhaupt nicht zur Wahl steht: „Sicherheit“ und „Wohnraum“ sind irgendwie die zentralen Aussagen für die Kommunalwahl. Genausogut hätte man auch „42“ als Text verwenden können um zumindest Fans von Douglas Adams anzusprechen.
Für Gesprächsstoff sorgte heuer die Meldung, dass Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link und Sarah Phillip (Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD im Landtag von NRW) in Zukunft gemeinsam, als Doppelspitze, die lokale SPD führen wollen. Nicht unproblematisch: Der Posten als Vorsitzender einer Partei und das Neutralitätsgebot für Oberbürgermeister beißen sich. Nicht nur bei der FDP Duisburg sorgt diese Entscheidung für Stirnrunzeln.
Wie auch immer: Am Sonntag kam ich mit Torsten Steinke ins Gespräch und wurde zu einer Veranstaltung der lokalen SPD eingeladen. Infostände gibt es wegen der Coronalage nicht, ein eventueller Andrang an einem Infostand in der Fußgängerzone ist nicht steuerbar und heikel. Am gestrigen Mittwoch veranstaltete die SPD Wanheimerort eine Sprechstunde im Kleingartenverein Im Fuchspfad e.V. – und ich war als Gast mit dabei.
SPD: Kommunikation im Stadtteil
Bei Kaiserwetter trafen gestern, am Rande der Vorstandssitzung des Kleingartenvereins, drei Vertreter der SPD Wanheimerort und die Landtagsabgeordnete Sarah Phillip auf neun Kleingärtner.
Es war, zu meiner Überraschung, wesentlich interessanter – für mich als Kleingartenmuffel – als zuvor befürchtet.
Es ist kein Geheimnis, dass demnächst Kommunalwahlen sind. Torsten Steinke und ich, wir teilen uns ein bisschen den Wahlkreis in Wanheimerort. Hier vorne, die Fliederstraße, ist unsere Demarkationslinie. Auf der anderen Seite ist Torsten unterwegs, auf dieser Seite ich. Das ist formell. Aber wir sind beide Ansprechpartner. In der lockeren Runde, rund um die Vorstandssitzung, wollen wir in den Austausch kommen: Was die Wünsche und Bedürfnisse sind.
Ünsal Başer, der – genau wie Torsten Steinke – im Stadtteil für den Rat der Stadt Duisburg kandidiert und den Kleingartenverein sowie jede Ecke im Stadtteil kennt, leitete so den Dialog ein.
Das einzige Mal, dass an diesem späten Nachmittag die SPD oder die Kommunalwahl überhaupt erwähnt wurden. Die gesamte Atmosphäre ist fast familiär: Die SPD ist hier nicht zum ersten Mal zu Gast. Man duzt sich. Man kennt sich.
Aktuell ist in den Kleingärten mehr los als früher: Bedingt durch die Coronakrise. Urlaub im Ausland ist heikel, man verbringt so seine Ferien aktuell gerne auf der eigenen Scholle Land: Den Kleingärtnern und dem Vorsitzenden des Kleingartenvereins, Stephan Mischnik, brennen einige Fragen auf den Nägeln: Wie sieht es mit den Festlichkeiten zum 75. Geburtstag des Kleingartenvereines aus? Wieso werden die Äste der Bäume des städtischen Bauspielplatzes, die ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstellen, nicht geschnitten? Es sind viele kleine Probleme die diskutiert werden. Vom Insektenhotel bis zu Hygienefragen – wichtig in der aktuellen Coronakrise, besonders weil sich halt mehr Menschen länger in der Kleingartenanlage „Im Fuchspfad“ aufhalten als früher.
Praktische Hilfe gibt es von Ratsherren Torsten Steinke als es um das Thema „Internet“ im Kleingarten geht. Ein aktuelles Problem, weil in der jetzigen Lage viele Kleingärtner den ganzen Tag im eigenen Kleingarten genießen. Der Wanheimerorter SPD-Vorsitzende, der im Bereich Freifunk aktiv ist, hat direkt praktische Lösungsvorschläge, nennt kostengünstige Routertypen die eine unkomplizierte und schnelle Lösung für dieses Problem bieten – und in Kombination mit WLAN-Kameras nebenbei das Sicherheitsproblem, man hat hier Angst vor nächtlichen Einbrüchen, entschärfen.
Um „richtige“ Politik geht es auch – und Sarah Phillip, Mitglied des Landtages, macht sich eifrig Notizen als es um die „Planschbeckenverordnung“ geht: Ein banal klingendes, aber ernsthaftes Problem für die Kleingärtner. Die Verordnung zum Thema Planschbecken stammt aus dem Anfang der 80er Jahre. In dieser Verordnung sind Größe und Höhe von Planschbecken geregelt. Dieser Markt hat sich aber gewandelt: Aufstellpools, die der veralteten Verordnung entsprechen, sind seit Jahre nicht mehr verfügbar: Ein Thema für die Landespolitik.
Nach 60 Minuten: Viele Fragen wurden geklärt, die Vertreter der Politik haben einiges auf ihrer Agenda: Vom fehlenden Baumbeschnitt bis zu veralteten Gesetzen. Ein kurzer Rundgang durch die Kleingartenanlage rundet das Ende der Veranstaltung ab. Klar ist: Man sieht sich wieder.
Die Ruhrbarone haben ein paar Fragen
Vorbei ist der Tag für die Genossen an diesem Abend noch nicht: In einem benachbarten griechischen Schnellrestaurant wird über die Themen der Veranstaltung gesprochen. Ich nutze die Gelegenheit um Sarah Phillip, die auf dem Sprung zur nächsten Veranstaltung ist, ein paar Fragen zu stellen. Das aktuelle Thema der Doppelspitze bei der SPD ist schließlich nicht unproblematisch.
Ruhrbarone: Aktuell geht die geplante Doppelspitze der SPD, bestehend aus Sören Link und dir, durch die Medien. Sieht ein wenig nach dem letzten Gefecht aus. Eher ein Wahlkampfgag oder steckt dahinter ein Konzept?
Sarah Phillip: Das ist kein Wahlkampfgag, das brauchen wir auch nicht. Es gibt genug Themen, mit denen wir als SPD in den nächsten Wochen auf die Straße gehen. Wir haben eine gute Erfolgsbilanz aus den letzten Jahren. Das wir jetzt gesagt haben, wir möchten gerne als Duo gemeinsam die Partei führen: Es war uns wichtig an diesem Punkt die Partei und die Öffentlichkeit zu informieren, an dem Punkt, an dem wir beide sicher waren dass wir das machen wollen. Das hat mit dem Wahlkampf überhaupt nichts zu tun.
Ruhrbarone: Die Kombination ist ja ein wenig heikel, weil Sören Link als Oberbürgermeister sich nicht parteipolitisch äußern darf. Das wird dann eine Gratwanderung.
Sarah Phillip: Jeder weiß in Duisburg, dass Sören Link ein Sozialdemokrat ist. Deshalb ist es keine Überraschung, dass er sich politisch und auch sozialdemokratisch äußert. Das natürlich die Funktion des Oberbürgermeisters Überparteilichkeit mit sich bringt, das weiß er glaube ich. Aber es ist kein Geheimnis, dass Sören Link in der SPD ist.
Ruhrbarone: Die Kommunalwahlen finden im Schatten von COVID-19 statt. Aktuell gehen die Infektionszahlen wieder nach oben. Wie sicher ist die Kommunalwahl?
Sarah Phillip: Das ist eine gute Frage. Der Termin ist erstmal so festgelegt. Wir gehen davon aus, dass sie durchgeführt wird. Die spannende Frage wird sein: Unter welchen Bedingungen?
Wenn die Infektionszahlen jetzt steigen, können wir davon ausgehen dass die Anzahl der Briefwähler und Briefwählerinnen extrem ansteigen wird. Weil die Leute sagen, ich möchte nicht ins Wahllokal, sondern mache das lieber ganz bequem an meinem eigenen Tisch und schicke es weg. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Leute schon einige Wochen früher von der Briefwahl Gebrauch machen. Darauf müssen wir uns einstellen.
Ruhrbarone: In Berlin hatten wir gerade die Coronaleugner auf der Straße, die „AfD“ nutzt die aktuelle Krise mit populistischen Parolen. In den sozialem Medien wird gegen die etablierten Parteien Hass geschürt. Angst vor Auswirkungen bei den Kommunalwahlen?
Sarah Phillip: Ich habe da keine Angst vor. Ich habe da kein einfach Verständnis für. Jetzt in dieser Phase zu so einer Demo zusammenzukommen, ohne Abstand und ohne Maske, das ist einfach rücksichtslos. Ich halte es für verantwortungslos sowas zu machen. Ich hoffe, dass das in den nächsten Wochen nicht mehr wird. Man kann nur an die Vernunft der Leute appellieren, das zu lassen: Weil das für uns alle am Ende negative Auswirkungen haben könnte.
Ruhrbarone: Ist dieses Kümmererkonzept auch ein Mittel um Menschen, die auf diesem Verschwörunstrip sind, wieder für die demokratischen Parteien – wie z.B. CDU, SPD und FDP – zu gewinnen?
Sarah Phillip: Es gibt ein schönes Zitat von Johannes Rau, das ist schon ein wenig älter: „Es gibt nur einen Weg zur Glaubwürdigkeit in der Politik: man muss sagen, was man tut und tun, was man sagt.“. Ich glaube, dass ist das, wofür die SPD auch steht. Wir sind keine Schwätzer. Wir versprechen nichts, was wir nicht halten können.. Wir sind vor Ort. Wir lassen uns auch gerne eins auf die Nase geben. Kritik gehört dazu. Unser Anspruch ist, vor Ort ansprechbar zu sein und die vermeintlich kleinen Probleme zu lösen, die für die Menschen vor Ort extrem wichtig sind.
Nichts versprechen was man nicht halten kann, Vor Ort sein. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Leute das auch honorieren werden.
[…] Kommunalwahl 2020: Die Kümmerer der SPD in Duisburg-Wanheimerort […]