Wie sieht der Arbeitsalltag in der fabulösen Kreativwirtschaft jenseits des Geblubbers von Subventionsschnorrern wie ECCE und Konsorten aus? In Teil 3 unserer Reihe „Kreative und Geld“ veröffentlichen wir einen uns zugesandten Beitrag über den Berufsalltag von Einsteigern im Bereich Journalismus. Der Name des Autors ist den Betreibern des Blogs bekannt.
Mein größtes Problem war immer ich selbst: Denn ich hatte immer Bock drauf. Ich hatte Bock, zu schreiben, Menschen zu interviewen, für Reportagen verrückte Dinge zu tun. Das wussten auch ganz schnell meine Chefs. Jemand, der seinen Job engagiert und mit Leidenschaft macht und dabei den Blick für die Schwachstellen im System (unterbesetzte Redaktionen, 50-Stunden-Wochen) verliert – das hat ihnen gefallen. Und vielleicht haben sie sich gedacht: Wenn der Job so viel Spaß macht, wieso dafür angemessen zahlen? Ist dann ja fast wie Freizeit!
Wie für viele war es immer mein Traum, Journalistin zu werden. Doch es kam anders. Ein Jahr lang habe ich in einer Lokalredaktion Telefonate entgegen genommen, den Gottesdienst-Kalender erstellt, Artikel online gestellt – kurz: den ganzen Scheiß gemacht, auf die kein anderer Bock hatte. Der Sekretärin war vor einem halben Jahr gekündigt worden, und irgendwer musste es ja machen. Das Stellenprofil wurde dann kurzerhand „Redaktionsassistenz“ genannt, das klang wichtiger, und man hatte den Eindruck, dass es noch im Entferntesten mit Journalismus zu tun hat. Wer Redakteur werden wollte und Pech hatte, musste jetzt nicht nur volontieren, sondern sich vorab als Redaktionsassistenz bewähren. Für 1300 Euro brutto, unzähligen „Überstunden“ (der Begriff ist im Journalismus ja ohnehin Tabu) und in einem Klima, das von Frustration, Hilfslosigkeit und Angst geprägt war. Ein cleverer Schachzug, um billige Arbeitskräfte zu rekrutieren.
Nach einem Jahr hatte ich nicht nur jeden Bezug zum Schreiben verloren, sondern fühlte mich innerlich ausgebrannt. Von der stupiden Arbeit, dem täglichen Druck und der Befürchtung, dass sich das alles im Volontariat nicht ändern werden. Mein Leben neben dem Job war in dieser Zeit eigentlich nicht mehr existent. Ich konnte nach der Arbeit nur noch schlafen, schlafen, schlafen. Manchmal bin ich mitten in der Nacht aufgewacht, weil mir irgendetwas eingefallen war, was ich tagsüber vergessen hatte. Eine Gottesdienstzeit zu verbessern oder eine Fotostrecke online zu stellen.
Ich habe trotzdem die Zähne zusammengebissen und bin geblieben. Und ganz ehrlich: Mit mir konnte man es ja auch machen! Der Lohn sank im Volontariat von 1300 auf 1100 Euro (Tarif: 1755 Euro im 1. Jahr, 2034 Euro im 2. Jahr) – besser nicht nach dem Sinn fragen, habe ich mir gedacht, schließlich kann ich ja froh sein, überhaupt eine der begehrten Stellen ergattert zu haben. Jetzt war ich aber nicht nur an einem Ort stationiert, sondern wurde durch die Weltgeschichte geschickt. Das kostete nicht nur Zeit, sondern auch Geld, weil Fahrtkosten nur zu einem geringen Teil übernommen wurden. Mit einem zusätzlichen Nebenjob hielt ich mich über Wasser.
Ich geriet nie tief in die roten Zahlen, aber die Angst saß mir immer im Nacken. Viel schlimmer als der niedrige Lohn, den ich irgendwann nur noch „Schmerzensgeld“ nannte, empfand ich die Geringschätzung, die damit einherging. Nach Studium, Promotion und zig Nebenjobs hatte ich eigentlich die vage Hoffnung: Jetzt ändert sich was – jetzt wird das anerkannt, was du in den vergangenen Jahren geleistet hast! Aber nichts änderte sich – ganz im Gegenteil. Ich war wieder ganz unten in der Nahrungskette angekommen.
Es hat einige Monate gedauert, dann habe ich gekündigt. Mitten im Volontariat. Weil mir plötzlich klar wurde, dass ich nicht glücklich werde, wenn ich weiter unter diesen Bedingungen arbeite. Das Schreiben, das ich so geliebt hatte, drehte sich nur noch darum, dreimal täglich 70 Zeilen möglichst schnell zu füllen – egal wie. Wenn Kollegen gingen, wurden Stellen einfach nicht mehr neu besetzt. Bei jedem Tag Urlaub, den ich nehmen wollte, hatte ich ein schlechtes Gewissen – „Sie wissen doch, wie es momentan in der Redaktion XY aussieht“. Ich hatte es irgendwann einfach satt. Mich für einen Hungerlohn aufzuopfern.
Als ich meinen Chefs meine Entscheidung mitteilte, erntete ich großes Unverständnis. Man sei sehr enttäuscht von mir, weil man ja so viel Geld in mich investiert habe (gemeint waren die Schulungen, die ich im Rahmen meines Volontariats besucht hatte). Aus anderen Quellen wurde mir zugetragen, dass sich die Herren der oberen Etage doch sehr gewundert hätten, dass ich mich über meinen niedrigen Lohn beschwert hätte – schließlich verdiene mein Freund doch gut. Selbst Monate danach fehlen mir dafür noch die Worte. Eigentlich fällt mir dazu nur ein Begriff ein: Gehirnwäsche.
Ich habe jetzt einen neuen Job. Und ich schreibe wieder. Ich habe einen fairen Arbeitgeber und verdiene ein Vielfaches von dem, was ich noch vor einigen Monaten verdient habe. Ich werde davon bestimmt nicht reich. Aber das Wichtigste: Ich habe wieder ein Leben. Ich kann abends wieder ein Bier trinken gehen, ohne vorher aufs Konto zu gucken. Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt – das kann ich hundertprozentig für mich unterschreiben. Meine Entscheidung habe ich keinen Moment bereut. Ich wünschte nur, ich hätte eher den Mut dazu gehabt.
Reihe Kreative und Geld auf den Ruhrbaronen:
Eine Geschichte, die ein halbwegs versöhnliches Ende findet. Glückwunsch! Ich bin kein Journalist, habe aber Entlassungen in der Branche verfolgt, ebenso die nun frei arbeitenden Journalisten. Darunter gibt es nicht wenige, die sich als angehörige des Prekariat noch geschmeichelt fühlen können. – Danke für den Beitrag.
Immerhin gab es überhaupt Geld. Ich kann einen schlimmeren Fall beitragen, den ich selbst miterlebt habe:
Eine junge Frau, mit ähnlichem Hintergrund wie die anonyme Autorin hier, bewarb sich bei einer größeren Regionalzeitung um ein Volontariat. Die Antwort: das ginge leider nur, wenn man schon für Medien vergleichbarer Größe publiziert habe. Ein Teufelskreis – ohne veröffentlichte Artikel kein Volontariat, ohne Volontariat keine veröffentlichten Artikel. Aber besagte Zeitung hatte auch die Lösung parat: die Frau könnte doch ein Praktikum machen. Unbezahlt natürlich. In dessen Rahmen würde sie zwar vor allem das machen, was oben als „Redaktionsassistenz“ beschrieben ist, in ihrer Freizeit könnte sie aber Artikel verfassen, die dann möglicherweise veröffentlicht werden würden (wie gesagt, alles für Nüsse). Wenn sie auf diese Weise genug veröffentlichte Texte beisammenhätte könnte sie sich gerne nochmals um eine Volontärsstelle bewerben. Wie gesagt, bewerben. Ob sie tatsächlich eine bekommen würde wurde nicht gesagt.
Sie ist darauf eingegangen. Sie durfte die Artikel der älteren „Kollegen“ auf die Website laden, per Mail und am Telefon Leserbriefe und -anrufe abwimmeln, Veranstaltungskalender erstellen und Spam aus den Kommentaren löschen. Abends hat sie dann eigene Beiträge verfasst. Die wurden tatsächlich großteils veröffentlicht, viele davon aber erst nachdem ein Redakteur sie umgeschrieben und seinen Namen daruntergesetzt hatte. Nach einem halben Jahr wurden Volontärsstellen vergeben, aber nicht an sie. Sie könnte sich ja im nächsten Jahr nochmal bewerben, aber dann bitte mit Arbeitsproben die nicht älter als ein Jahr sind. Um die zu bekommen könne man ihr gerne ein Praktikum anbieten (unbezahlt natürlich). Sie hat zugestimmt, aber nur noch in Teilzeit. Nebenher hat sie gekellnert und im Supermarkt gearbeitet um Geld zu verdienen, aber trotzdem bekam sie die geforderten Veröffentlichungen zusammen. Nach einem Jahr kam die nächste Absage.
Immerhin wurde ihr kein drittes Praktikum angeboten, stattdessen die Stelle einer freien Mitarbeiterin – sie habe sich ja mittlerweile bewiesen. Seitdem reicht sie regelmässig fertige Artikel ein. Manche werden genommen (und sehr schlecht bezahlt), andere nicht. Manchmal findet sie die Themen in den Beiträgen anderer Leute wieder, manchmal die Fotos (ohne Bilder werden die Texte nicht genommen) manchmal sogar ganze Absätze. Das anzusprechen traut sie sich nicht. Ohne das Geld ihrer Eltern könnte sie ihren Lebensunterhalt kaum bestreiten. Bald wird sie 30 Jahre alt sein, und sie hofft noch immer auf eine Karriere im Journalismus.
Sehr bemerkenswerter Artikel, wie ich finde. Danke dafür!
Wobei ich als gelernter Verlagskaufmann hier auch noch einmal darauf hinweisen möchte, dass nicht nur Redakteure von der Krise im Printbereich betroffen sind, sondern eben auch viele Verwaltungskräfte in den verschiedenen Verlagen und Medienbetrieben.
Ich freue mich über den späten Mut (der Verzweiflung) und das gute Ende!
Aus eigener Erfahrung kann ich nur für jede Zeile sagen: So ist es! Stimmt, stimmt, stimmt!
Erstaunlich, dass ein so schlecht angesehener Berufszweig immer noch so begehrt ist. Eigentlich müsste der Journalismus inzwischen das Prestige einer Altenpflegehelferausbildung haben: Keiner will´s machen.
Das ist ein wesentlicher Knackpunkt!
Danke für den nächsten Teil der Serie.
Es ist echt eine Gradwanderung, die man da gehen muss. Ist das wirklich etwas, wo man mal durch muss mit Zähne-zusammenbeißen oder lässt man sich auf etwas ein, was einen nichts bringt. Das ist leider vorher nicht immer alles so eindeutig.
[…] Die verlorene Lust am Schreiben Eine Geschichte von Motivation und […]
[…] Die verlorene Lust am Schreiben Eine Geschichte von Motivation und Geld. Hier eine weitere wahre […]
@FS: Klingt ja fast wie „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“.
Hab den Klassiker vergessen zu posten 🙂
„Eines der großen Dilemmata im Bewusstsein der Medien- und Kulturschaffenden ist, dass sie so furchtbar berufsstolz sind. Ihre Veröffentlichungen haben für sie einen so großen Stellenwert, dass sie sich einen Teil ihrer Arbeit nicht mit Geld sondern mit Autorenstolz abkaufen lassen. Dadurch ist das künstlerische oder journalistische Produkt billiger zu haben.“ (Ulli Schauen auf schauen.de)