Kreative und Geld IV: Design und Hartz IV

Er ist Kommunikationsdesigner, wohnt in Essen und hat mittlerweile wieder einen Job. Aber für eine längere Zeit bekam er Hartz IV. Ein Erfahrungsbericht.

Der größte Knaller, den ich mit der ARGE erlebt habe, war letztes Jahr zu meinem Umzug. Ich musste aus meiner Wohnung raus, weil die zu teuer war und ich ganz offensichtlich keine Stelle finden konnte. In dem Fall muss man nach 6 Monaten umziehen.

Die Renovierungskosten für die alte Wohnung übernimmt die ARGE nicht. 150 Euro hat mich das gekostet – nicht zu machen, wenn man nicht von Freunden oder Familie Unterstützung bekommt. Ich weiß nicht, wie andere das machen, das ist schlicht unmöglich mit Hartz IV.

Die ARGE übernimmt aber eigentlich einen Umzugswagen, wenn er nicht allzu groß ist. Dazu muss man drei Kostenvoranschläge von versch. Vermietungsfirmen einholen. Hab ich also gemacht. Ich hab die Kostenvoranschläge 1 Woche vor Umzug bei der ARGE abgegeben. Nicht früh, aber ich dachte, es wäre auch nicht super spät. Ich dachte auch eigentlich, die würden mir direkt was dazu sagen, das war aber nicht der Fall.

Einen Tag (!) vor meinem Umzug habe ich dann Post (!) von der ARGE bekommen. Ich saß natürlich schon auf heißen Kohlen und dachte, jetzt teilen die mir endlich mit, welchen Wagen ich mieten darf. Aber nix da. Statt dessen sollte ich schriftlich begründen, warum ich den Umzug nicht mit den privaten PKW meiner Freunde organisieren kann! Ich wäre bald hinten rüber gekippt.

Das muss man mal sacken lassen. Einen Tag vorm Umzug, dessen Datum die doch genau wussten. Ich war zwei Mal persönlich da gewesen wegen des Mietwagens: Um zu fragen, wie das läuft und dann um die Preise einzureichen. Hätte man nicht da diese bescheuerte Frage stellen können? Die hatten auch meine Telefonnummern, können die nicht anrufen? Und überhaupt: Was haben die Autos meiner Freunde mit meinem Umzug zu tun? Und wie soll das gehen? Wie soll denn eine Couch und ein Bett und so in einen Pkw passen? Und wie soll das versichert sein? Das kann ich doch von niemandem ernsthaft verlangen, ganz davon ab, dass das überhaupt nicht machbar gewesen wäre.

Ich fand das absolut unverschämt und unglaublich. Und mein ganzer Umzug stand plötzlich auf der Kippe. Ich wusste nicht, welchen Wagen ich denn jetzt mieten kann, wie ich den bezahlen soll, ob ich das Geld wiederbekomme und zu allem Überfluss gab es so kurzfristig keine Miettransporter mehr – im gesamten Ruhrgebiet! Ich hab zweieinhalb Stunden lang nur telefoniert, ohne Ergebnis.

Am Ende hat mir ein Umzugshelfer aus Duisburg geholfen, von dort einen Transporter mitgebracht, das Geld vorgestreckt und ich habe anschließend seine Website gestaltet – die Kosten also zum Sonderpreis abgearbeitet!

Danach war meine Einstellung zur ARGE komplett anders als vorher. Ich denke heute, dass solche Schreiben Hinhalte-Taktik sind, in der Hoffnung, dass am Ende gar nicht gezahlt werden muss. Das kann doch bald nicht anders sein.

Dazu kommen Sachen wie das Bewerbungstraining, das einem aufgezwungen wird. Alle Teilnehmer (alles super ausgebildete, junge Akademiker) hatten Angst, sich irgendwo bewerben zu müssen, wo sie gar nicht hinwollen. Und auf die Frage, wie wir damit umgehen sollen, sagte der von der ARGE beauftragte Kursleiter: „Bewerben müssen Sie sich auf solche Vorschläge, da kann man nichts machen. Aber dann bauen Sie all die Fehler in die Bewerbung ein, die wir hier besprechen. Nehmen Sie keine Stelle an, die Sie nicht wollen.“ Auch so’n Hammer, auch wenn es uns durchaus entgegen kam (die meisten konnten ja hoffen, nur eine Weile überbrücken zu müssen nach dem Studium und ich denke, die meisten haben heute sicher ne Stelle, ist ja nicht überall so wie im Design-Bereich). Daran sieht man halt, dass all der Druck überhaupt nichts bringt, eher Widerwillen hervorruft. Und dass die eigenen Experten das System total bescheuert finden.

Dann ist es eine absolute Katastrophe bei der ARGE, wenn man da mal jemanden erreichen will. Es gibt keine E-Mail Adressen für „Kunden“, ebenso gibt es keine Telefonnummern (!), außer der Nummer der Zentrale. Dort habe ich genau ein Mal angerufen, weil ich eine Frage hatte. Die Frau hat mich arrogant angepampt, war partout nicht bereit, mich überhaupt zu verstehen und hatte gar keine Ahnung von der Materie. Und Durchstellen war nicht drin. Ich hab nach fünf Minuten wutentbrannt mitten in diesem völlig irrsinnigen Gespräch aufgelegt. Auf keinem einzigen ARGE-Schriebl in dem dicken Ordner, den ich mittlerweile habe, steht jemals eine andere Telefonnummer drauf.

1,5 Jahre lang bin ich also mit jedem Mist persönlich in den Laden – jedes Mal fünf Euro Fahrtkosten und mindestens 1,5 Stunden Zeitverlust (was als Freiberufler ja auch nicht völlig egal ist). Es ist unmöglich, seinen Ansprechpartner anders zu erreichen (es gibt noch ein Postfach in der elektronischen Jobbörse, aber meiner Erfahrung nach schreibt man da gegen die Wand, jedenfalls weiß man nie, ob der Betreuer das liest oder nicht, Antworten gibt’s nicht). Ich finde das unfassbar heutzutage.

Und ich habe wiederholt mitbekommen, wie Leute sich beschwert haben, sie hätten Unterlagen per Post geschickt, aber sie seien nicht da. Ich selbst hab mal einen Antrag auf Weiterbewilligung in den Postkasten auf dem Flur, direkt vor dem richtigen Büro, eingeworfen, weil zu viele Leute im Wartebereich saßen und ich keine Zeit hatte. Er ist nie angekommen. Ausgerechnet dieser Antrag. Merkwürdiger Zufall irgendwie und technisch fast unmöglich, den auf fünf Metern Luftlinie zu verlieren (10 Seiten in Klarsichthülle und auf jeder Seite steht die Kundennummer). Wie chaotisch muss der Laden sein? Ich musste also alles nochmal ausfüllen und erneut persönlich abgeben, *im* Büro.

Diese und viele weitere Sachen geben einem insgesamt das Gefühl, dass man nicht erwünscht ist. Dass man nervt. Dass man Bittsteller ist. Und unmündig. Und selber schuld. Dass man anzutanzen hat. Dass man generalverdächtigt und mit Schmarotzern in einen Topf geworfen wird. Dass man nicht mit einem reden will und keine Kommunikation und Auseinandersetzung auf Augenhöhe stattfindet. Von wegen „Fordern und Fördern“. Was für ein Schwachsinn. Ich möchte gar nicht wissen, wie es dem gemeinen Fußvolk ergeht, denn als Akademiker und Selbstständiger wird man von eigenständigen Teams betreut und ich wette, die sind harmlos gegen die Hauptabteilung.

Ich könnte noch weitermachen, beim Schreiben fallen mir wieder Sachen ein, die hatte ich schon wieder verdrängt. Das macht jedenfalls alles was mit einem. Das schluckt nicht jeder einfach so runter, auf Dauer. Das kommt ja zu all den Geldsorgen, den permanenten Absagen auf Bewerbungen, dem ständigen Abgewiesenwerden, dem ewigen sich verteidigen müssen (ist ja nicht so, als wären Freunde da unbedingt verständnisvoll) und dem Gefühl, man packt’s einfach nicht alles noch dazu. Förderlich fürs Selbstbewusstsein und für eine Stellensuche ist das nicht.

Reihe Kreative und Geld auf den Ruhrbaronen:

Kreative und Geld I: Was verdient man denn so?

Kreative und Geld II: Santa Precaria am Theater

Kreative und Geld III: Die verlorene Lust am Schreiben

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lebowski
lebowski
12 Jahre zuvor

Schön, dass Du immer noch zwischen willigen Arbeitslosen und Schmarotzern unterscheidest. Zur zweiten Gattung möchte man dann doch nicht gehören.
Selbst wenn man ziemlich weit unten ist, möchte man sich immer noch weiter nach unten abgrenzen. Jede Arbeit ist eben besser als keine. Zur Not halten wir demnächst alle bei Wal Mart Einkaufstüten auf.

Halil
Halil
12 Jahre zuvor

Wenn man dann wieder einen Job hat kann man ja auch wieder über die „Schmarotzer“ herziehen. Ist ja auch einfacher als sich wirklich an diejenigen zu wenden die diesen ganzen Murks verursachen.
Schon erstaunlich wie Arbeitslose sich wandeln wenn sie wieder einen Job haben. Davon, dass viele die Alg2 Beziehen gar nicht mehr so können wie es der Arbeitsmarkt verlangt wird nicht geredet.
Das Akademiker bei den Argen „sanfter“ angefasst werden ist ein alter Hut. Denn, die wisen in der Regel wie man sich wehrt. Dem „armen“ Fussvolk bleibt da nicht viel. Die werden schon mal gerne sanktioniert, oft auch aus vorgeschobenen Gründen.
Übrigens. Es gibt nicht nur „akademische“ Kreative. Da gibt es noch die, die nicht studiert haben und trotzdem zu den Kreativen zu zählen sind.
Die Ruhrbarone/Redaktion macht es sich hier ein wenig einfach. Anstatt auf Israelkritiker zu dreschen, oder die Linke zu bashen solltet ihr soziale Themen häufiger aufgreifen.
Die Idee mit der Situation der Kreativen, seien sie nun studiert oder nicht, ist eine der besseren Ideen.

Arnold Voss
12 Jahre zuvor

Hallo Halil, wir dreschen schon deswegen nicht auf Israelkritiker ein, weil wir die israelische Politik immer wieder selber kritisieren. Aber wir dulden hier Niemanden, der das Existenzrecht Israels anzweifelt. Und wieder zurück zum Thema.

Xaphod
Xaphod
12 Jahre zuvor

Hätte der Gastautor einfach mal eine Arbeitslosen-Beratungsstelle aufgesucht, wüsste er auch was man denn tun muss dass Briefe zum Jobcenter auch wirklich ankommen (zB. per Einschreiben, Einwurf im Briefkasten unter Zeugen).

Ebenso hätte ihm die ARGE die Renovierung der alten Wohnung (wenn dies im Mietvertrag steht) schon bezahlen müssen.

Radislav
Radislav
12 Jahre zuvor

Geh nach Düsseldorf, da gibt’s gutbezahlte Jobs ohne Ende!

Christian
Christian
12 Jahre zuvor

Diese Leute bei der ARGE („Sachbearbeiter“, „Arbeitsvermittler“ – hihi, von wegen;-) sind dieselbe Sorte Mensch, die damals vorbildlich, strebsam, pflichtbewusst und ohne Gewissen andere in die Gaskammern verfrachtet haben.

Kriegst du aus uns nicht raus diese menschenfeindlichen Charaktereigenschaften – war Gott wohl stoned oder besoffen, als er die Deutschen schuf:-(

EuroTanic
12 Jahre zuvor

Ich war 10 Jahre freier EDV Dozent, (MS Office etc.). Man wollte mich in einen 6 monatigen Excel, Word Kursus schicken. Als ich diesen mit dem Hinweis auf mein Profil ablehnte drohte man mir mit Sanktionen.
Ich habe zwei Kinder die ich nach der Scheidung am Wochenende betreue. Da meine Söhne bei mir 2 Tage übernachten und ca. 300 km von der Mutter zu mir anreisen habe ich nach Scheidung Betten bei der ARGE für sie beantragt. Die Antwort: „Die haben ja schon Betten bei der Mutter und können dort schlafen.“ Wie gesagt, 300 km Entfernung LOL
Das geht unendlich so weiter.

Русская Германия

Wünsche dir viel Erfolg und nicht mehr so tief fallen 🙂

mkorsakov
12 Jahre zuvor

Das mit den »Schmarotzern« stößt einem mehr als sauer auf; ansonsten nix Neues soweit, das man nicht auch bei chefduzen.de oder sonstigen Foren als Erfahrungsbericht(e) lesen könnte.

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[…] Kreative und Geld IV: Design und Hartz IV […]

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[…] leben zu können und ihre Kunst mit Nebenjobs oder dem Bezug von Transferleistungen inklusive amtlicher Gängelung querzusubventionieren, anstatt in eine Branche mit besseren Verdienstmöglichkeiten zu wechseln. […]

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