Kreativität und Produktivität – Ein Beitrag zum Manifest „Recht auf Stadt – Ruhr“

rex_kino

Vorweg: Ich finde es gut, dass es dieses Manifest gibt und möchte mich auch von Seiten der Ruhrbarone bei denen bedanken die sich die Mühe gemacht haben es zu verfassen. Es ist offensichtlich nicht nur ein Produkt intensiver Diskussion, sondern es soll zu weiteren Diskussionen und Aktionen führen, und die genau hat das Ruhrgebiet dringend nötig. Da ich zum „Recht auf Stadt“ Workshop am Sonntag im Bahnhof Langendreer in Bochum nicht erscheinen kann habe ich meine Kritik hier schriftlich niedergelegt.

Kaum das ich den Text zu Ende gelesen hatte, kam mir spontan die Frage, wie viele programmatische Texte zum Ruhrgebiet es mittlerweile gibt, die den immer gleichen Vorwurf an die hier Verantwortlichen erheben, der in jeweils abgewandelter Form lautet: Wachstum rettet euch nicht. Spätestens seit der IBA Emscherpark ist diese Parole nämlich en Vogue. Strukturwandel ja, aber bitte ohne Steigerung des Brutto Inlandsprodukts. Kein Frage, das BIP rechnet auch das positiv an, was man aus sozialer und ökologischer Sicht als schädlich ansehen kann. Aber selbst wenn wir es aus dieser Perspektive zumindest regional qualifizieren, muss es wachsen, damit der Strukturwandel das, was er an Geld kostet, auf Dauer auch wieder einspielt.

Das tut er bislang und in absehbarer aber nicht. Sonst wäre das Ruhrgebiet nicht mehr eines der größten Subventionsempfänger in ganz Europa. Sonst wäre die Arbeitslosigkeit hier nicht immer noch eine der höchsten in Deutschland. Sonst wäre die Mehrzahl der Ruhr-Kommunen nicht am Rande des Ruins. Das Ruhrgebiet hat zwar seine Struktur gewandelt, es hat dabei aber bis heute keine neue, mit seinem früheren industriell-technischen Wachstumskomplex nur in Ansätzen vergleichbare überregionale, ja internationale Führungsrolle gefunden.

Daraus kann man natürlich auch schließen, dass genau das auch gar nicht möglich ist und nie möglich war. Wäre es aber gewesen. Es lag auf jeden Fall nicht an den fehlenden Chancen sondern an denen, die die vorhandenen nicht oder nicht rechtzeitig ergriffen haben. Ohne das an dieser Stelle zu vertiefen ist die These, dass es gar nicht möglich ist, doppelt gefährlich. Zum einen weil sie die im Nachhinein entlastet die in geradezu irrwitziger Weise immer wieder Geld in die falschen Kanäle gepumpt haben. Zum anderen weil sie den Weg in eine Dauersubventionierung weist, die weder den immer noch vorhandenen Potentialen noch dem Selbstverständnis dieser Region entspricht.

Das Ruhrgebiet verfügt nach wie vor über hochproduktive und am Weltmarkt konkurrenzfähige Sektoren und dazu gehörigen Unternehmen. Es hat nach wie vor eine zwar verbesserungswürdige aber insgesamt trag- und ausbaufähige technische und soziale Infrastruktur. Vor allem aber verfügt es über eine Bildungs- und Wissenschaftslandschaft die in Europa insgesamt ihres gleichen sucht. Deswegen ist diese Region nicht nur nicht 1:1 mit Detroit zu vergleichen– was auch die Autoren des Manifestes zugeben – sondern überhaupt nicht. Das gilt sogar, wenn die faktische Problemlage die gleiche wäre, weil es in den USA weder eine vergleichbare Regional- und/oder Förderpolitik, geschweige denn einen föderalen Finanzausgleich gibt.

Kein Frage, Detroit ist ein spannendes Untersuchungsobjekt für die Deindustrialisierung einer Stadtregion, aber es ist eben ein Us-amerikanisches Beispiel und dafür ist es sogar typisch. Wer diesbezüglich an einem ziemlich aktuellen und ausführlichen Stand der Dinge interessiert ist, dem empfehle ich dringend das New York Times Magazine von 13 Juli dieses Jahres. Vorbildfunktion für das Ruhrgebiet könnte es deswegen nur haben, wenn man hier auch bereit wäre, die amerikanische Arbeitsmarkt- und Sozialgesetzgebung sowie die Immobiliendynamik einzuführen und gleichzeitig die nationale und europäische Förderung fast komplett zu streichen. Das will aber anscheinend keiner der Autoren, und es wäre ihnen auch nicht zu empfehlen, wenn sie in der Region weiter ernst genommen werden wollen.

So bleibt auch ihnen zu guter Letzt nichts anderes übrig als ihre offensive Schrumpfungsstrategie um die Forderung nach einem bedingungsloses Grundeinkommen zu ergänzen. Ich selber stehe dieser Forderung generell sogar positiv gegenüber, weil es in einer unaufhaltsam produktiver werdenden Weltökonomie auf Dauer keine Vollbeschäftigung im klassischen Sinne mehr geben kann. Sie lässt sich aber auf keinen Fall nur regional umsetzen und sie kann vorerst nur finanziert werden, wenn ein gehöriger Teil eben dieser Weltökonomie weiterhin Wachstum generiert.

Die von den Autoren geforderte regionale Allianz des Schrumpfens macht deswegen auch nur dann einen regionalen Sinn wenn sie um eine regionale Wachstumsallianz ergänzt wird, wobei das Wachstum selbst natürlich nicht nur quantitativ- sondern auch qualitativ zu definieren ist. Ein Kombination aus räumlichen Schrumpfen und ökonomischen Wachsen wäre dann auch in der Lage, in der von den Autoren geforderten bedingungslosen Art und Weise mit den erst einmal weiter zunehmenden Leerständen umzugehen.

Die Im Manifest geforderte Kultur des Zulassens statt des Regulierens würde dem Ruhrgebiet nicht nur auf diesem Gebiet gut tun. Während auf globaler Ebene und insbesondere bei den dortigen Finanzmärkten eine Reregulierung dringend notwendig ist, ist auf der lokalen und regionalen Ebene vor allem in Deutschland und insbesondere im Ruhrgebiet dringend eine Deregulierung angebracht um lokale Kreativität zu steigern. Dazu müsste im Ruhrgebiet, und auch da haben die Autoren recht, eine über die kommunalen Grenzen hinausgehende regionale Kooperationskultur hinzukommen.

Die darf aber eben nicht nur als „Leidensgemeinschaft“ stattfinden, die sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht dem „Zwang der Monetarisierung“ unterwerfen will, sondern auch als ein Zusammenschluss derer, die Freude am Risiko und vor allem am Erfolg der eigenen Kreativität haben. Ist das nicht der Fall, dann wird am Ende der Zwang zur Remonetarisierung ganz mitleid- und kompromisslos durch den stummen Zwang der sie umgebenden und unveränderten Verhältnisse erzeugt. Eine bankrotte Stadt, geschweige denn ein profitloses Unternehmen, kann nämlich nicht einmal mehr leere Räume zur Verfügung stellen, sofern man dort nicht nur bei Kerzenlicht und offenem Feuer (über)leben und arbeiten will.

Es gibt, jenseits ganz besonderer Naturverhältnisse, weder in den USA noch in Europa noch sonst irgendwo auf dieser Welt eine bedingungslose Raumaneignung noch ein bedingungsloses Grundeinkommen, ohne dass eine produktive Ökonomie existiert, die dieses Bedingungslosigkeit aufrechtzuerhalten in der Lage ist.Für das Ruhrgebiet heißt das konkret: Entweder sorgt es selbst dafür, oder es sorgt dafür, dass es andere Regionen in Deutschland und Europa tun. Letzteres werden diese aber nicht beliebig lange mehr mitmachen.

Eine Region die sich auf Dauer nicht selbst produktiv verhält, respektive verhalten kann, verliert obendrein kontinuierlichan Attraktivität für Menschen die sich auch von ihrem Selbstbild als produktiv verstehen. Das muss auf keinen Fall automatisch auch Gewinnorientierung bedeuten, aber es beinhaltet auf jeden Fall die Bereitschaft, nicht auf Kosten anderer Leute zu leben, d.h. Vorteile nicht nur für sich selbst sondern auch für das Gemeinwesen zu erzeugen, respektive zu erwirtschaften.

Ohne diese Grundbereitschaft gibt es auf Dauer auch keine irgendwie geartete Freiheit der Kultur und der Kunst, geschweige denn ihre öffentliche Förderung. Kreativität, die auf Dauer unproduktiv bleibt, kann sich nur der erlauben, der auch noch anderweitige Leistungen für die Gesellschaft erbringt oder aber über genügen Geldreserven verfügt, die er selbst schon vorher erarbeitet hat oder von andere hat erarbeiten lassen. So schlicht und im Ernstfall auch so einschneidend sind nach wie vor die Gesetze der Ökonomie der Kreativität.

Deswegen, und auch hier haben die Autoren des Manifestes Recht, kann das Ruhrgebiet auch nicht durch die Förderung der Kreativwirtschaft aus seiner Misere herauskatapultiert werden. Das spricht allerdings nicht grundsätzlich gegen deren Förderung, sondern erst einmal nur gegen die hier praktizierte Art und Weise. Da kreative Produktivität nicht den Gesetzen der Ergebnisvergrößerung und -beschleunigung routinierter Arbeitsprozesse unterliegt, bedarf sie sehr wohl der zeitweisen Gewinnzwang-Entlastung. Deswegen ist sie auch dort am meisten zu finden wo entweder hochproduktive Sektoren diese durch ihre eigenen überdurchschnittlichen Profite auszugleichen in der Lage sind, oder aber wo die Kreativen ihre Selbstausbeutung durch kostenlose Verbesserung ihrer urbanen Lebensqualität kompensieren können.

Beides ist im Ruhrgebiet nur sehr beschränkt der Fall und deswegen sollten die hier Verantwortlichen eigentlich froh sein, dass es ein Manifest von Leuten gibt, dass die Aufforderung enthält, gerade als Kreativer in der Region zu bleiben. Stellt sich diese Gruppe aber nicht den Herausforderungen der Produktivität, so wird sich auch in diesem Wirtschaftssektor das eherne Gesetz aller Schrumpfungsregionen durchsetzen: Wo zu viele Verlierer bleiben, gehen auch die noch verbliebenen Gewinner.

Mehr zu dem Thema:http://www.ruhrbarone.de/von-detroit-lernen/88644

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WALTER Stach
WALTER Stach
10 Jahre zuvor

Arnold,
danke für den Hinweis auf das Manifest..
Weitestgehend folge ich Deinen Erwägungen/Überlegungen/Anregungen .

Aber…..
-sh.auch Deine Vorbemerkung-
„……was wird das Manifest konkret b e w i r k e n „?
Nach X vergleichbaren Aktionen/Bemühungen, die n i c h t s b e w i r k t haben, stellt sich diese Frage zwingend.

Damit überhaupt „etwas Hinten raukommten kann“ müßte doch zumindest in allen Ruhrgebietskommunen darüber eine intensive öffentliche Diskussion stattfinden (Rat,Verwaltung,die Akteure der kommunalen Verantwortungsgemeinschaft – örtliche Unternehmer, Gewerkschafter, Banken-Sparkassenvertreter, Kirchen, örtliche Repräsentanten der Kammern, BUND, einzelne Bürger, usw.

„Vor Ort muß gewollt werden“, daß alle örtlichen Ressourcen an Wissen udn Verstand in einer solchen Diskussion eingebracht und für eine solche Diskussion genutzt werden können.
Ein solcher Prozeß muß imm übrigen „vor Ort“ nicht zwingend durch die Kommune initiiert und organisiert werden.

WALTER Stach
WALTER Stach
10 Jahre zuvor

Arnold,
dem kann ich -leider-nicht widersprechen.

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