Kriegsbeginn 1939 in der ostwestfälischen Provinz

Foto: Haller Kreisblatt/Haller Zeiträume

Da wir wissen, dass die Medien in den 1000 Jahren gleichgeschaltet waren, werden auch die Zeitungen im Ruhrgebiet und anderswo in „Großdeutschland“ ähnlich über die Sicherung der Ernährung berichtet haben wie das HALLER KREISBLATT(HK). Die Ernährungslage von 14-18, insbesondere der schlimme Hungerwinter 16/17 standen den älteren Volksgenossen noch allzu deutlich vor Augen.

Von unserem Gastautor Thomas Weigle.

Ein ähnliches Fiasko wollten die Nazis unbedingt vermeiden. Deshalb vermeldete das HK immer an prominenter Stelle die Erfolge an der Erntefront. Und tatsächlich war die Ernährung bis zum Kriegsende halbwegs gesichert, auch wenn die Zuteilungen kleiner wurden. Allerdings auch nur, weil aus den besetzten Gebieten,v.a.im Osten, ein rabiater Ernte- und Viehraub betrieben wurde.

Der August 1939 war ein Sommer wie aus dem Bilderbuch, auch in OWL. In Halle freute man sich besonders auf den letzten Augustsonntag, hatte sich doch der „1.Großdeutsche Fußballmeister Schalke 04“ zur Sportplatzweihe angesagt und sollte gegen eine Kombination Arminia/VFB Bielefeld antreten.Besonders gespannt war man wohl auf den legendären Schalker Innensturm Szepan-Kalwitzki-Kuzorra, hatten die Schalker doch der Wiener Vienna im Berliner Endspiel nur wenige Wochen zuvor ordentlich eingeschenkt-9:0!!

Foto: Haller Kreisblatt/Haller Zeiträume

Doch diese Fußballkünstler haben die schöne neue Haller Osning-Kampfbahn nie betreten, denn das Spiel in Halle war kurzfristig „von der Verwaltung und der Führung der SA“ abgesagt worden, wie das HK am Montag einsilbig mitteilte. Nicht ausgefallen war dagegen das erste Länderspiel gegen die Slowakei- ohne die Schalker setzte es eine 0:2 Pleite.

Nicht an den Kassenhäuschen des neuen Sportplatzes, sondern an den Ausgabestellen für Bezugsscheine standen die Haller am Sonntag an, wie überall im Reich. Die Ausgabe von entsprechenden Marken im Mobilisierungsfall war im Amt Halle, wie überall in Großdeutschland akribisch seit einiger Zeit vorbereitet. Der damalige Haller Landrat Lewecke hatte dies bereits im Jänner 1938 verkündet: „Die Bezugsscheine sind zu Paketen für die einzelnen Verteilbezirke verpackt und im Tresor der Kreissparkasse in versiegelten Holzkisten aufbewahrt.“

Das zeigt, dass die Nazis den Krieg an der Heimatfront gut vorbereitet hatten.

Schon in den Tage und Wochen vor dem großen Sportereignis ließ das Kriegsgeschrei der von dem kleinen Vorzeigearier Goebbels gelenkten Presse Übles ahnen. Fünf Tage nach der Verteilung der ersten Bezugsscheine überfiel die Nazi-Wehrmacht ohne jede Kriegserklärung, aber mit der Verlautbarung einer Propagandalüge im Reichstag, Polen.

Die Gefahr eines Krieges hatte sich schon am 22. August konkretisiert, da an diesem Tag ein sog. Notfahrplan für das gesamte Reich in Kraft trat und den regulären Fahrplan der Reichsbahn ersetzte. Der Verkehr der schnellen und bequemen Dieseltriebzüge war zur Gänze eingestellt, einige Schnellzüge fielen aus, Fahrzeiten verlängerten sich. Auch der Fahrplan der Strecke Bielefeld Osnabrück war ausgedünnt worden. Vier Züge täglich von BI nach OS, drei in der Gegenrichtung und einer nach Dissen-Bad Rothenfelde blieben übrig.

Ein trügerischer Hoffnungsschimmer ergab sich am 24.August, als Nazis und die sowjetischen Kommunisten den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt unterzeichneten. Vom geheimen Zusatzprotokoll, in dem die beiden (rot)faschistischen Diktaturen Osteuropa unter sich aufteilten,und so Nazideutschland den Krieg erst ermöglichte, ahnte die Bevölkerung natürlich nichts.

Die Stimmung im Land nach der Unterzeichnung schilderte der Berliner Journalist Fritz Sänger: Das Volk hat das Gefühl: Nun gibt es keinen Krieg und wenn doch, so ist er ungefährlich.“

Die zur Verteilung gelangten Bezugsscheine waren bei der Bielefelder Firma Gundlach unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen gedruckt worden. Verständlich, waren sie doch wertvoll wie Geld und wurden im Lauf des Krieges immer wertvoller, denn die Nazis hatten nach der Machterschleichung schon 1933 die Notenpresse angeworfen. Die umlaufende Geldmenge stieg in den zwölf Jahren der Nazidiktatur von um die vier Milliarden Reichsmark 1933 auf über 75Milliarden 1945. Eine Inflation war die logische Folge, die erneut v.a. die traf, die keine größeren Besitztümer ihr eigen nennen durften. Die „kleinen Leute“ also, als deren Fürsprecher sich die Nazis ja über alle Maßen aufgespielt hatten.

Die geldwerten Bezugsscheine also, so berichtete das HK auf der Lokalseite, die immer die Seite drei war, „wurden an alle Verbraucher im Heimatkreis ausgegeben. Um eine gerechte Verteilung lebenswichtiger Verbrauchsgüter an alle Verbraucher sicherzustellen, ist für gewisse Lebensmittel, ferner für Seife und Hausbrandkohle sowie lebenswichtige Tuchstoff-und Schuhwaren eine allgemeine Bezugsscheinpflicht eingeführt worden. Für Lebensmittel, Seife und Hausbrandstoffe werden zunächst besondere Ausweiskarten mit einer Gültigkeitsdauer von 4 Wochen ausgegeben.“

U.a. wurden pro Woche zugeteilt: 700gr. Fleisch, 280gr Zucker, 63gr Kaffee(Ersatzmittel), 20gr Tee, 0,2l Milch pro Tag sowie 0,33l Milch für Kinder und stillende Mütter. Ausgenommen waren vorerst Eier, Kakao, Brot, Weizen-und Roggenmehl und Kartoffeln.

Weniger oder gar keine Zuteilungen erhielten „Selbstversorger, wie etwa Bauern und „Teilselbstversorger“, die vielleicht ein Schwein, eine Ziege oder einen Gemüsegarten hatten.

Die Rationierungsmaßnahmen sorgten bei der ländlichen Bevölkerung für Unmut, denn wie gesagt, die Ernährungssituation während des „Großen Krieges“ war noch in allerschlimmster Erinnerung. Die Stimmung verschlechterte sich noch, als „die Höfe Tiere und Fahrzeuge zur Verfügung stellen mussten.“ Nur ausgewählte Personen und solche, die nachweisen konnten, dass sie ihre Fahrzeuge beruflich brauchten, durften überhaupt weiterhin fahren, „bekamen aber nur geringe Mengen Kraftstoff zugeteilt“, heißt es in einer Nachkriegschronik. Man darf sicher davon ausgehen, dass die Nazibehörden ihr Ohr am Mund des Volkes hatten und auch deshalb unentwegt die angeblich gute Ernährungssituation heraus posaunten, wie es bspw. im

HK am 30. August zu lesen war, dass in Sachen Ernährung keinerlei Grund zur Sorge bestehe, so sei die Vorratslage seit 1933 jedes Jahr besser geworden, im Vergleich zu 1938 habe man 800.000 Stück Rindvieh und 3.000.000 Schweine mehr. Dennoch wurde zum sparsamen Umgang mit Lebensmitteln aufgerufen: „Daher liegt es an der deutschen Hausfrau, daß sie in selbstverständlichster Pflichterfüllung gerade in diesen Tagen, da ihre Männer und Söhne vom Vaterland gebraucht werden, ihren Frontabschnitt verteidigt.“ Gewisse Schwierigkeiten bei der Verteilung würden bald überwunden sein, so dass „der Welt die unerschütterliche Entschlossenheit des deutschen Volkes bekundet wird. Selbstdisziplin und Einsatzbereitschaft bis zum letzten zu beweisen.“

Einen Tag später wird der Reichsbauernführer Darre zitiert: „Das deutsche Volk hat bei der Ernte Schicksalsgemeinschaft gezeigt.“ Auch sei die Kartoffelernte gut gewesen, da es im Juli reichlich geregnet habe, so der Reichsbauernführer.

In Sachen „Heimatfront“ warnte das HK, richte sich „die Aufmerksamkeit auf etwa auftauchende Schleichhandelsgelüste und Korruption, denn gegen Volksschädlinge werde eisern durchgegriffen.“ Dieser Hinweis musste vielen Volksgenossen wie Hohn vorgekommen sein, waren doch gerade die jeweiligen örtlichen Parteiführer reichsweit als „Goldfasane“ bekannt, die keine Gelegenheit ausließen, sich hemmungslos zu bereichern. Dass auch die obersten Parteiführer hemmungslos korrupt waren–da ließ bspw. Goebbels sich ein Luxushaus am Bogensee durch die Stadt Berlin zur Verfügung stellen– war eher nicht so bekannt. An anderer Stelle wird mitgeteilt, dass „die Mannen der Partei auch weiterhin ihre Hilfe für das Bauerntum im Vordergrund“ stellen wollen. Erneut weist die Zeitung auf „die Wichtigkeit gewissenhafter Arbeit bei der Ernte“ hin.

Am Tag darauf, den 1.September, teilt das HK auf der Lokalseite stolz mit, dass die Flachsernte im Kreis gut ausgefallen sei, dass Soll von 35 Hektar überschritten worden.

Zunehmend wird die Organisation des Kriegsalltags Thema, so wenn darauf hingewiesen wird,dass Familienunterstützung bei den zuständigen Stellen beantragt werden können, wenn der Ernährer den Gestellungsbefehl erhalten habe und in den Krieg ziehen müsse. Und natürlich wird vermerkt, dass „in Werther und Versmold die Ortsgruppen der NSDAP in besonderen Fällen zur Hilfe bereitstehen.“ Am selben Tag(4.9.39) steht erstmals eine genaue Zuteilungsanweisung in der Lokalzeitung, denn für Warmwasseranlagen „steht die Hälfte der nach der Ausweiskarte zuständigen Hausbrandkohle für Wasch-und Kochzwecke zur Verfügung.“

Tage später will das HK „Ströme der Hilfe“ durch die weibliche Jugend bemerkt haben, „die in den Pflichtarbeitslagern Bockhorst und Sandforth untergebracht ist.“ Auch die kleine Gruppe des Landdienstes der HJ war laut HK tatkräftig bei der Ernte zu Gange. Die Bevölkerung müsse keinen „Steckrübenwinter“ wie 16/17 befürchten, denn eine Verknappung der Kartoffeln sei nicht zu erwarten, denn von den 50,8 Millionen Tonnen Durchschnitt der letzten drei Jahre seien nur 13 Millionen Tonnen für Speisezwecke verwandt worden. Auch in anderen Bereichen waren Erfolge zu vermelden. So herrsche „Hochbetrieb in den heimischen Süßmostereien, denn flüssiges Obst sei gesund,“ weiß die Zeitung aus dem Hauptamt für Volksgesundheit der NSDAP.

Kurz darauf nimmt sich die Lokalzeitung v.a. Brothamsterer vor: „Diese bedauernswerten weiblichen Hamsterer. Da laufen sie von Laden zu Laden, schleppen sich krumm und lahm an ihren Broten und wundern sich nicht einmal, daß die Bäcker nicht ihre Läden schließen, denn das Brot will einfach nicht alle werden. Wenn man diesen bedauernswerten Zeitgenossen sagen würde, Rizinus würde knapp, auf Ehre, sie würden sich die Hacken danach ablaufen. Diese weiblichen Hamsterer sind wie Hyänen. Immer auf der Lauer auf Beute.Die Hauptsache sie sind eingedeckt. Zoologisch gesehen ist der Hamsterer ein Nagetier-im Falle des Brotes wenigstens ist der Hamsterer ein Narr.“

Egal wie gut die Ernten waren, die Nazis raubten und plünderten v.a. im besetzten Osten im Laufe des Krieges Millionen Tonnen Lebensmittel,v.a. Getreide und Vieh. Nur so war die Ernährung von Kriegs und Heimatfront zu sichern. Der Hunger kam erst ins nicht mehr existierende Reich, als Europa vom Faschismus befreit war. Die nun freien Zwangs-und Fremdarbeiter waren in ihre Heimatländer zurückgekehrt, auf dem Lande fehlten nun Arbeitskräfte, denn viele Bauern und Landarbeiter waren gefallen, verwundet oder in Kriegsgefangenschaft. Hinzu kam 46/47 ein sehr kalter Winter.

Die Lebensmittelzuteilungen ab September 39 waren-sehr deutsch- bis tw. aufs halbe Gramm festgelegt, wie der Blick auf die Reichsfettkarte zeigt, die mit den anderen Zuteilungen am 25.September veröffentlicht wurde und ab sofort gültig war. Fünf Personengruppen waren benannt.

Normalverbraucher erhielten pro Woche

80gr Butter, 125gr Margarine oder Pflanzen-oder Kunstspeisefett oder Speiseöl, 65gr Schweineschmalz oder Speck oder Talg, 62,5gr Käse oder 125gr Quark

Schwerarbeiter erhielten pro Woche

80gr Butter, 187,5gr Margarine, usw.,125 Schweineschmalz usw., 62,5gr Käse oder 125gr Quark

Schwerstarbeiter erhielten pro Woche

80gr Butter, 250gr Margarine usw., 410gr Schweineschmalz usw., 62,5gr.Käse oder 125gr Quark

Kinder von 1-6 Jahren erhielten pro Woche

80gr Butter und 62,5gr Käse oder 125gr Quark

Kinder von 6-14 Jahren erhielten pro Woche

80gr Butter, 125gr Margarine, 62,5gr Käse oder 125gr Quark

Die ganzseitige Auflistung aller Rationen im HK machte die Bewohner von Halle mit dem Kriegsalltag vertraut. Noch konnte sich aber niemand vorstellen, was die nächsten Jahre für Unheil für die meisten Europäer bringen würde. Die Nazis selbst bemühten sich, so viel Normalität wie möglich zu erhalten, auch Theater und Kinos waren lange geöffnet

.

Nachdem mit freundlichster Unterstützung der sowjetischen Kommunisten der Krieg gegen Polen zum Blitzkrieg werden konnte, durfte auch wieder Sport getrieben werden. Schon Ende September gastierte die DFB-11 wenig glanzvoll in Budapest-1:5. Bis zum Jahresende folgten noch 4 Länderspielsiege und ein Unentschieden, die Fußballer kickten ab Oktober nicht mehr um die „Deutsche“, sie spielten die erste Kriegsmeisterschaft aus, der noch vier weitere folgen sollten. Erst im August war Schluss,nur mehr auf unterster Ebene durfte Sport getrieben werden, tw. bis kurz vor der Befreiung. So sind für Hamburg und München noch Spiele im April bekannt. Die DFB-11 tourte noch bis November 42 durchs befreundete und neutrale Ausland bzw. empfing Gäste von dort. Herausragende Ergebnisse waren das Kölner 7:0 und das Budapester 5:3 gegen Ungarn, letzteres nach 1:3 Rückstand.

Dieser Artikel ist bereits in ähnlicher Form im ersten virtuellen Heimatmuseum, in den HALLER ZEITRÄUMEN erschienen.

 

 

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