Macht, Kunst und Politik prallen beim Impulse Theater Festival im Rathaus von Düsseldorf aufeinander. In dem temporeichen Veranstaltungsformat, mit dem das Festival der freien Szene eine brisante Diskussion eröffnet, werden Kulturpolitiker aller Parteien auf besondere Weise herausgefordert. Statt langer Reden sollen sie ein knappes Jahr vor den NRW Landtagswahlen in 7-Minuten-Statements ihre kulturpolitischen Ziele formulieren. Ihnen gegenüber sitzen diejenigen, die Kultur schaffen und Kunst auf professionellem Niveau betreiben. Dass Kultur ohne die Förderung der öffentlichen Hand kaum möglich ist, ist an diesem Abend keine besonders neue Erkenntnis. Kulturpolitik wird an diesem Samstag Abend nicht neu verhandelt. Am Ende geht es wie immer vor allem um eines – Geld. Dennoch gelingt der israelischen Künstlergruppe Public Movement ein Veranstaltungsformat zu installieren, das eine innovative Dialogplattform zwischen Politik und Kultur schafft. Das ist weit mehr, als man von den üblichen Podiumsdiskussionen erwarten kann und könnte so manche Landtagsdebatte erfrischen.
Die Kulturschaffenden und Betroffenen der Sparpolitik dürfen in der Rolle des Publikums der Diskussion Kritik und Unmut, in Frageform verpackt auf handlichen Zetteln, beisteuern. Durch das Hochhalten von farbigen Karten können sie direkt intervenieren und den Redefluss der Politiker mit der Frage „Warum?“ und der Aufforderung „Sei konkret, gib ein Beispiel!“, stoppen. Begleitet werden die Unterbrechungen von getragen-melancholischer Musik (warum?) und einem fröhlichen Jingle (werde konkret!). Das führte selbst bei hartnäckigen Langrednern zur Unterbrechung des Vortrages – auch weil der Abend von der Reporterin und Autorin Ina Sonnenberg charmant und mit der notwendigen souveränen Autorität moderiert wird.
Die Kulturpolitiker der SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, Piraten, der Linken und der FDP sind sich weitestgehend einig: Kunst braucht Förderung, damit sie der Aufgabe, intellektuelle Freiräume und künstlerische Diskurse jenseits von Wirtschaftlichkeit zu schaffen, nachkommen kann. So weit so gut. Dennoch wird der reale Druck auf die Kreativen und Kunstschaffenden angesichts leerer kommunaler Kassen und einem Minimalanteil am Landeshaushalt immer größer. An dieser Frage hakt Martin Maier-Bode (Die Linke) ein, der als Kabarettist nicht nur die Politbühne, sondern auch die harten Bretter kennt, die die Welt bedeuten.
Er beklagt, dass seit 30 Jahren Streicharien in der Kulturpolitik den Ton angeben und die Diskussionen über das Schliessen von Theatern, wie in Hagen und Wuppertal, längst zur Realität gehören. Die Arbeitsbedingungen der Kulturschaffenden könne man in „Mehr Produktionen, weniger Personal – sechs Tage proben, am siebten Tag auftreten“ zusammenfassen. Für die Gegenfinanzierung eines ausreichenden Kulturanteils im Bundeshaushalt, der im Moment nicht mehr als 1,7 % beträgt, hat Bode eine Lösung parat: „Die Reichen müssen besteuert werden“ und schickt ein lautes „Verdammt noch mal!“ hinterher.
SPD: Kultur für alle!
Andreas Bialas, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, versucht es mit kurz und prägnant: Diversität – Förderung – Kultur für alle! als wesentliche Säulen des Kulturfördergesetzes zur kulturelle Daseinsvorsorge, zum Erhalt des kulturellen Erbes und die Kulturelle Bildung. Mit Blick auf die Diskussion um die umstrittene Einladung des AfD-Vertreters Helmut Seifen findet er die richtigen Worte. In einer vielfältigen Kultur gebe es weder natürliche, biologische, noch nationale Grenzen – Jazz sei schliesslich nicht im Schwarzwald entstanden. Dass man die städtischen Haushalte stärken solle und für ihn nicht nur Besucherzahlen als Bewertungskriterium von Kultur zählen, hört das Publikum gerne. Werden doch in den Kulturausschüssen der Räte die Berichte der Kulturbetriebe von manchen akribisch auf die Entwicklung der Besucherzahlen überprüft.
Kay Voges, Intendant des viel gelobten Dortmunder Schauspiels, stellt via Videoeinspielung aus dem abgetrennten Expertenraum die Frage, wie denn das schön klingende Vorhaben der Landesregierung „Städte stark machen“ konkret umgesetzt werde? Für ihn gehöre dazu, dass dem Theaterpakt zwischen Land und Städten zur Sicherung der Zukunft der Theater ein zweiter folgen muss. Als Bialas auf die Mitverantwortung des Bundes bei der Finanzierung zum Erhalt der kulturellen Vielfalt hinweist, dringt fröhliche Blasmusik von der Straße in den Ratssaal.
Nach einer Lesung eines Landtagsprotokolls von 1974, das wie die Kultur-Debatte von 2016 klingt, geht es in die zweite Runde. Auch die Theaterwissenschaftlerin und stellvertretende Vorsitzende des Landesfachausschuss „Kultur und Medien“ Dr. Veronika Dübgen (FDP) findet warme Worte, lobt den Kulturreichtum und das dichte Theaternetz in NRW. Dennoch – es gäbe keinen Bestandsschutz und auch langjährige Kulturprojekte müssten sich einer Evaluation stellen. Sie muss sich daraufhin der Frage der Kulturexperten stellen, wie die FDP denn die Vielfalt in der Kultur garantieren wolle? Die Antwort klingt eher wie der Vorschlag aus einem BWL Erstsemester-Reader, als nach einer Garantie: Man könne noch Einsparpotenziale entdecken und zum Beispiel Synergieeffekte erzielen, indem man Kompetenzen bündele.
Gratis Kunstmachen ohne Urheberrechte?
Pirat Lukas Lamla zielt in seinem 7-Minüter auf das Urhebergesetz ab, das eine angemessenen Vergütung für die Nutzung künstlerischer Werke absichert. Es sei veraltet. Man wünsche sich eine „vernetzte, kommunikative Kulturlandschaften für alle“ und wolle einen effektiven Schutz vor prekären Verhältnissen der Künstler. Sein Finanzierungsvorschlag: Das bedingungslose Grundeinkommen als „Schub für alle Kreativen“. Den Experten reichte das nicht, Johanna-Yasirra Kluhs, ehemalige Organisatorin des Theaterfestivals der freien Szene FAVORITEN und Kuratorin von Interkultur Ruhr monierte, dass Künstler ein Beruf sei. Dem Grundeinkommen haftet möglicherweise doch noch der Ruch eines etwas erhöhten Hartz IV-Satzes an.
Auch das Publikum ist nicht ganz zufrieden – man hört ein Raunen im Saal. Offenbar haben doch noch nicht alle Kreativen gemerkt, „dass die Piraten keine Kulturfledderer seien“, wie es sich der Netz- und Medienpolitischer Sprecher der NRW-Piratenfraktion erhofft. Kluhs fragt bohrend weiter: Wo liege denn nun die Grenze zur professioneller Kunst, was wird in diesem Sinne gefördert und wen bezeichne er eigentlich als Kreative? „Am liebsten nenne ich jeden so“ antwortet Lamla.
AfD: Kultur als Hort nationaler Identität
Als nächstes spricht der Schulleiter Helmut Seifen von der AfD. Auf der Website mit seiner politischen Agenda steht bei der Frage nach wichtigen politischen Zielen, die „Förderung von Kunst und Kultur“ an der 15. Stelle von insgesamt 18 Punkten – immerhin noch vor Heimatliebe, Patriotismus und Brauchtum. Die Einladung des AfD-Politikers wurde im Vorfeld heftig kritisiert, man würde so Rassisten salonfähig machen. Sein Auftritt sorgt dann aber das erste Mal für eine sichtbare Auseinandersetzung. Zehn Abiturienten sitzen in der letzte Reihe des Saales und begrüßen den AfD-Redner mit lauten Buhrufen. Die Beifall-Abordnung der AfD versucht mit Applaus dagegen zu halten. Seifen beginnt bei den alten Griechen, verweilt bei der Kulturförderung der Adelshäuser, streift die Romantik und landete irgendwann doch noch im Heute. Erst die kulturelle Gemeinsamkeit mache eine erfolgreiche Identität möglich. Kultur zeige, „dass man zu etwas gehört“.
Als das Publikum die Warum-Karte hochhebt, wird er deutlicher. Die Probleme der Zuwanderung erklären sich dadurch, das die Menschen aus den orientalischen Ländern ihre eigene Mentalität hätten. Dadurch würden Parallelgesellschaften gebildet, wie man in Duisburg gut sehen könne. Ein Mensch wolle nun mal in seiner Kultur leben und fühle sich nur im eigenen kulturellen Raum richtig wohl. Die letzte Reihe ruft im Sprechchor: „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!“ – die AfD-Reihe klatscht immer lauter. Die Experten wollen wissen: Was bedeute für ihn denn die Vielfalt der Kultur? Immerhin seien die unterschiedlichen Gesellschaften schon im alten Griechenland kulturell voneinander beeinflusst worden. Sie werden von dem Deutschlehrer Seifen belehrt: „Eine italienische Oper hätte ein Engländer anders umgesetzt.“
Mehr finanzielle Autonomie für die Kulturschaffenden
Eine kleine Überraschung gibt es dann doch: Dr. Paul Schrömbges (CDU), Vorsitzender des Hauptausschusses des Kultursekretariats NRW Gütersloh und lange Zeit in der Kommunalpolitik tätig, fordert eine Schutzklausel für die Kulturbudgets, denn Kultur sei schliesslich auch Sozialpolitik, Bildungspolitik, Integration und Kulturwirtschaft. Bei seiner Forderung, die Kulturförderung zu verändern, horchen viele auf. Er kritisiert, dass zu häufig politische Fragen bei der Entscheidung über die Verteilung der Gelder mitspielen würden: „Das Land möchte zu oft selbst Kultur machen“. Expertin Inke Arns betrifft das angesprochene Thema Fördermittel unmittelbar. Sie ist künstlerische Leiterin des Hartware MedienKunstVerein, der ohne die Sicherheit einer dauerhaften institutionellen Kulturförderung auskommen muss. Sie stellt die Frage nach alternativen Modellen, die Antwort von Schrömbges darauf, kommt beim Publikum gut an: Man solle den Kulturschaffenden mehr Freiheit über die verfügbaren Geldmittel geben – mit eigenen Budgets, anstelle der Abhängigkeit vom Tropf der Fördertöpfe, schaffen.
Für mehr Autonomie der Kulturinstitutionen und Kunstschaffenden – vor allem in Blick auf die Selbstverwaltung der finanziellen Mittel – macht sich auch Oliver Keymis, kulturpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, stark. Der Dreiklang „Identität – Inklusion – Interkultur“ stehe bei den Grünen im Vordergrund. Bei 70 Milliarden Euro Haushaltsvolumen in NRW sei das Bedeutungsverhältnis angesichts eines Kulturetat von 188 Millionen jedoch schwer zu übersehen: Mehr Geld für die Kultur heiße gleichzeitig Bedeutungszuwachs.
„Ein Bereich in dem es keine Konflikte gibt, hat auch keine Macht“ sagt gleich am Anfang einer der Redner. Zu einem richtigen Clash kommt es am Samstag Abend zwischen der Macht und der Kunst im Düsseldorfer Rathaus nicht. Der einen Seite fehlt kämpferische Bissigkeit und auf der anderen Seite fehlt es an Mut, über den eigenen Politikerschatten zu springen und etwas Neues, Provokantes zu sagen. Viel zu wohlwollend sind die Reden der Kulturpolitiker, zu zahm die Fragen der Experten. Die Krux der Veranstaltung ist, dass man den Kulturpolitikern ihr Interesse für Kultur abnimmt – und beim Kampf um eine solide Finanzierung der Kultur, wie der Sozialdemokrat Bialas angenehm ehrlich eingesteht, „der Feind oft in den eigenen Reihen mit am Tisch sitzt.“ Das richtige politische Gegen-Feindbild fehlt, um eine spannende polarisierte Diskussion zu erzeugen. Die bildende Künstlerin Andrea Knobloch fasst den Abend so zusammen: „Viele schöne Sonntagsreden! Der freien Szene fehlt trotz der Kulturentwicklungspläne immer noch häufig das dringend notwendige Geld zur Umsetzung der Projekte“.
Als Politiker und Experten nach dem kulturpolitischen Marathon dem Publikum das Kult-Lied von Boy George „Karma Chameleon“ vorsingen, leert sich bereits der Saal. Der Politiker-Experten-Chor klingt vielstimmig und an manchen Stellen etwas schief – ein passendes Résumé für den Abend. Das Publikum hätte den Politikern sicher gerne mit dem etwas abgewandelten Culture Club Song geantwortet: „Do You Really Want To Help Me?“