Das auf Dianes wohlgelocktem Fadenwurm lebende Bakterium. Von unserem Gastautor Ludger Weß. Der Text stammt aus seinem neuen Buch „Winzig, zäh und zahlreich – Ein Bakterienatlas„
Widersprüchlich zu physikochemischen Prinzipien scheint auch die Existenz des Eubostrichus-dianeae-Epibakteriums. Dieses Bakterium hat mit seinem Vulgärnamen – das auf Dia- nes wohlgelocktem Fadenwurm lebende Bakterium – nicht nur einen der längsten Namen, sondern ist mit einer Länge von 120 Mikrometer auch das längste bekannte Bakterium. Es lebt auf der Oberfläche eines Wurms, und zwar in so großer Zahl, dass diese Mitbewohner dem Wurm das Aussehen eines Wookiees verleihen, einem zotteligen Fantasiewesen aus den belieb- ten Star-Wars-Filmen von George Lucas. Das bislang noch nicht endgültig benannte Eubostrichus-dianeae-Epibakterium ist ein fadenförmiges und sehr langes Gammaproteobakterium, das mit der zuvor beschriebenen namibischen Schwefelperle Thio- margarita namibiensis verwandt ist. Jeder Wurm trägt bis zu 60 000 dieser Bakterien, die damit bis zu 44 Prozent des Volumens dieses Tiers ausmachen. Sie heften sich mit einem Ende an der Haut des Wurms an und sind so regelmäßig angeordnet, dass das ›Fell‹, das sie bilden, immer gut gekämmt aussieht. Die einzelnen Bakterien können bis zu einem Zehntelmillimeter lang werden – so lang also, dass sie mit bloßem Auge zu erkennen sind. Damit sind sie die längsten bekannten Bakterien, die noch in der Lage sind, sich zu teilen. Das Bakterium kann eben- so wie T. namibiensis Schwefel oxidieren. Der Schwefel findet sich in Form körniger Einlagerungen zwischen der Zytoplasmamembran und der äußeren Membran der Bakterien.
Wie aber können dann Moleküle die enorme Länge des Bakteriums durchqueren? Möglicherweise liegt es daran, dass das für deren Stoffwechsel gar nicht erforderlich ist, denn die Zelle scheint in ihrem Inneren auf irgendeine Weise unterteilt zu sein. Ein Hinweis darauf ist, dass die Riesenzellen bis zu sechzehn Kopien ihres Genoms besitzen. Damit könnte das Bakterium das Problem umgehen, dass die Diffusion von Nährstoffen oder funktionellen Molekülen zum beziehungsweise vom Genom angesichts der Ausmaße des Bakteriums zu lange dauern würde.
Seinen Namen erhielt der Fadenwurm nach Angaben der Entdecker zu Ehren einer Frau namens Diane Curtis – ihre Iden- tität ist unbekannt. Manchmal wird er fälschlicherweise auch als E. dianaea oder E. dianae bezeichnet. E. dianeae wurde in den 1970er-Jahren im Meer vor der Küste Südfloridas entdeckt, als Biologen und Geologen schwefelhaltige Sedimente unter- suchten. Der mikroskopisch kleine Wurm findet sich aber auch vor der mittelamerikanischen Küste in der Karibik. Er ernährt sich von organischen Abfällen, die den Meeresboden bedecken. Sein bakterieller Pelzbesatz ist wohl eine Symbiose – bislang fanden sich auf allen Eubostrichus-Arten Proteobakterien, die Sulfide oxidieren und elementaren Schwefel einlagern. Manche sind vollständig, manche nur in bestimmten Regionen bedeckt. Zoologen vermuten, dass die Würmer sich von den Bakterien ernähren und die Bakterien wiederum davon profitieren, dass die Würmer sie beim Durchwühlen der Sedimente mit Nahrung in Kontakt bringen.
Anders als bei allen anderen bekannten Eubostrichus-Würmern haften die Proteobakterien bei E. dianeae nur mit einem Ende fest an der Körperoberfläche des Wurms. Bei ihrer Vermehrung teilen sie sich trotz ihrer enormen Länge exakt in der Mitte. Was dabei mit der abgetrennten Hälfte geschieht, die keinen festen Kontakt zum Wurm hat, ist bislang ebenso rätselhaft wie der Grund für die Länge des Bakteriums, die es zu einem Rekordhalter in der Domäne der Bakterien macht.
Länge biszu120Mikrometer
Dicke circa0,4Mikrometer
Primäre Energiequelle aus der Oxidation von Schwefel