Ruhrgebiet? Ruhrbezirk? Darüber wird nicht mehr geredet. Das Thema scheint sich erledigt zu haben. Wir sprachen mit Bundestagspräsident Norbert Lammert, der als Chef der CDU-Ruhr einst das Thema geprägt hat.
Ruhrbarone: Die noch amtierende Landesregierung hat sich vor der Wahl von der Verwaltungsreform verabschiedet. Von einem eigenen Bezirk für das Ruhrgebiet war keine Rede mehr. War das Abrücken der Union vom Ruhrgebiet ein Grund für die Wahlniederlage?
Norbert Lammert: Für das Wahlverhalten gibt es immer mehrere Gründe. Ein Thema allein ist nie ausschlaggebend, und das war auch bei der vergangenen Landtagswahl so. Aber der zögerliche Umgang mit dem Thema Verwaltungsreform war ein Fehler. CDU und FDP haben in der vergangenen Legislaturperiode als erste nach Jahrzehnten dem Ruhrgebiet wieder mehr Selbstbestimmung gegeben. Die Planungshoheit liegt wieder beim Regionalverband Ruhr. Aber ich habe immer gesagt, dass es falsch war, eine grundlegende Verwaltungsreform in der Koalitionsvereinbarung anzukündigen und zugleich weit in die Zukunft zu legen. Das hat die Widerstände gegen die Reform erhöht. Auf diese Widerstände hat dann die Koalition Rücksicht genommen, was ihr erkennbar nichts genutzt hat, aber dem Ruhrgebiet schadete.
Hat sich das Zeitfenster, das seit 1999 für eine Verwaltungsstrukturreform bestand, geschlossen?
Damals, 1999, gab es für eine Verwaltungsstrukturreform keine Mehrheit im Landtag – und als es sie gab, wurde von ihr nicht kraftvoll genug Gebrauch gemacht.
Von einem eigenen Bezirk für das Ruhrgebiet, eine große Verwaltungsstrukturreform, fand man in keinem Parteiprogramm mehr etwas. Alle sind unverbindlich für mehr Zusammenarbeit. Konkret wurden nur die Grünen, die eine Direktwahl des Ruhrparlaments forderten.
Die Direktwahl des Ruhrparlaments ist nur sinnvoll, wenn es mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet ist. Ein Parlament direkt zu wählen, das kaum etwas zu sagen hat, ist eine Mogelpackung. Aber für jede Koalition in NRW, schon gar eine mögliche Große Koalition, wird eine Verwaltungsstrukturreform zu den offenen Fragen gehören, denen sich die künftige Landesregierung stellen muss. Die SPD hat sich in der Ruhrgebietsfrage bewegt: Früher war sie gegen jede Veränderung, heute ist sie deutlich offener. Ich bin da, was die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten für das Ruhrgebiet betrifft, nicht so pessimistisch. Dass sich etwas im Ruhrgebiet verändern muss, ist doch in der Region selbst nicht mehr strittig. Eine große Koalition könnte etwas bewegen. Ob sie das tun wird, weiß ich nicht.
War es ein Fehler, dass Sie nicht mehr als CDU-Ruhr-Vorsitzender zur Verfügung standen? Mit ihrem Weggang hat das Thema innerhalb der Union an Bedeutung verloren. Ihr Nachfolger Oliver Wittke konnte Sie offensichtlich nicht adäquat ersetzen.
Niemand ist unersetzlich, ich selbstverständlich auch nicht. Ich war außergewöhnlich lange Vorsitzender der CDU-Ruhr. Als Bundestagspräsident konnte ich in der Region nicht mehr so präsent sein, wie es als Bezirksvorsitzender nötig ist. Und ich hatte kein Landtagsmandat.
Das hat Oliver Wittke auch nicht mehr.
Das stimmt leider, war zum Zeitpunkt seiner Wahl zum Bezirksvorsitzenden allerdings anders.
Während es aus Westfalen massiven Widerstand gegen eine Verwaltungsreform gab, kam aus dem Ruhrgebiet, das ja am meisten profitiert hätte, kaum Unterstützung.
Die Region hat das gemeinsame Klagen gelernt und ist immer schnell dabei, gemeinsam finanzielle Zuwendungen von Land und Bund zu fordern. Das gemeinsame Handeln ist indes noch immer unterentwickelt. Im Zweifel ist der Lokalpatriotismus immer noch größer als der Wille zum gemeinsamen Erfolg. Das sieht man auch bei der Kulturhauptstadt, die nachhaltige Wirkung über das Jahr 2010 hinaus nur haben wird, wenn es auch ein dauerhaftes gemeinsames Engagement gibt. Die 15 Städte und Kreise können sich bislang nicht einmal darauf einigen, jährlich zusammen 1,3 Millionen Euro pro Jahr für eine gemeinsame Kulturarbeit aufzubringen. Mit welcher Legitimation will das Ruhrgebiet etwas von anderen einfordern, wenn es sich nicht einmal auf gemeinsame Projekte einigen kann?
Im ganzen Land wird inzwischen gemeinsam geklagt (es ist ein Weh und Ach, das wohl bis Berlin nicht zu überhören ist). Und es wird sicherlich auch mehrere Gründe geben, wenn bei der nächsten Bundestagswahl… Aber das ist ja ein anderes Thema …
Links anne Ruhr (29.05.2010)…
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