Lasst es krachen!

Heute Abend wird wieder geknallt. Was der Anfang eines Artikels über das Liebesleben der Deutschen sein könnte, beschäftigt sich stattdessen mit Silvester, genauer, mit der weltweit tradierten und üblichen Gepflogenheit, ein neues Jahr mit einem Feuerwerk und Knallern zu begrüßen. Einige mögen diese Tradition nicht mehr, und gehen ihr wohl auch nicht mehr nach. Das ist selbstredend ok, und damit könnte der Artikel enden, wenn es nicht eben dem lieben Leben der Deutschen entsprechen würde, denen, die etwas machen wollen, das man selber nicht machen will, eben dies verbieten zu wollen. Und dabei so zu sprechen, wie man das ganze Jahr dem Anderen vorwirft zu sprechen. Schauen wir doch einmal genauer hin.

Halten wir zu Beginn noch einmal fest, es wäre nicht verwerflich, zu sagen: ich mag Böllerei nicht, und deswegen gehört sie verboten. Es wäre nur eben nicht das, was der Deutsche, in seiner ganzen Bürde als Intellektueller, in der Lage wäre, offen zu sagen. Das eigene Wollen muss stets in den Dienst abstrakter, zumindest aber altruistischer Gemengelagen gestellt werden. Dann ist es gut. Und gut will ja ein jeder hier sein. Was aber könnte besser sein als Kinder, Tiere und sogar den ganzen Planeten zu retten, und dann auch noch den Volkswillen umzusetzen? Gerade in Deutschland? Eben. Was macht da schon, dass man den Willen des Einzelnen ignoriert? Gemeinnutz geht doch schließlich vor Eigennutz – wozu war das denn hier auf Markstücke geprägt?

Es geht bei der schönen Sprache zum Böllereiverbot zu Beginn mitunter darum, dass das doch gar nicht nötig ist. Nötig. Nein, in der Tat, nötig ist es nicht. Das neue Jahr wird kommen, ob mit oder ohne Böllerei. Doch die Frage danach, ob es nötig ist, ist ein spannender Maßstab. Gibt es in einer pluralistischen Gesellschaft einen Konsens darüber, was nötig ist? Ist das überhaupt erstrebenswert? Ist es nicht eher ein Konzept, dass man bei einem Puritaner des 19. Jahrhunderts, oder vielleicht noch einem Amisch, oder bei emiritischen Nonnen erwarten würde? Ist unser Leben nicht eben in seiner Qualität dadurch gekennzeichnet, dass wir all die Sachen haben und tun, die nicht nötig sind – und das auf allen Ebenen? Studien zeigen, dass arrangierte Hochzeiten stabiler sind als selbstgewählte, und auch zufriedener – ein überraschender, wenn auch stabiler Befund. Sind Liebes-Beziehungen also nötig? Ein Großteil des Fernseh- und Streamingkonsums dient dem Spaß – und verbraucht jede Menge Strom – ist das nötig? Kuhmilch – nötig? Und so weiter. Nein, alles nicht nötig. All die Dinge, die unnötig sind, die unsinnhaft sind, definieren geradezu das Ausmaß unserer individuellen Freiheit und unsere Wohlstands. Davon abgesehen klingt bei dem Nötig-Argument eine Art Volkskonsens mit, die Frage, ob man wirklich außerhalb der Gemeinschaft mit seiner Meinung stehen will, und ob man dann, wenn man die Meinung schon nicht verbieten kann, dann nicht zumindest die Handlung verbieten sollte.

Der Volkswille. 60% der Deutschen sollen angeblich für ein Böllereiverbot sein. Ob es wirklich 60% sind, ist natürlich unklar. Menschen tendieren dazu, in Meinungsumfragen sozial erwünscht zu antworten. Wer das nicht glaubt, der mag sich an den Jubel erinnern, als das Vereinigte Königreich, in Einklang mit den Demoskopen, für seinen Verbleib in der EU stimmte, oder sich einfach an der ersten US-Präsidentin erfreuen, deren Sieg ja auch vorhergesagt wurde. Aber gut, glauben wir die 60%. Und nu? Das ist plötzlich für aufrechte Demokraten wichtig? Direkte Demokratie FTW? Haben wir nicht die letzten Jahre erklärt, dass das Unsinn ist, dass die repräsentative Demokratie schon ihren Sinn hat? Bei wieviel Prozent Zustimmung stellen wir Pädophile an die Wand? Zu krass? Sicher, aber es ist verlogen, plötzlich seine Liebe zur direkten Demokratie zu entdecken, weil eben eine Umfrage zur eigenen Überzeugung passt.

Aber die Tiere. Die müssen doch passen. Tierschutz ist doch immerhin Heimatschutz. Und die armen Tiere, hauptsächlich Hunde, müssen doch vor dem Menschen als solchen geschützt werden, oder? Haben denn die Mahnwachen für Chico nichts gebracht? Es ist schon eine seltsame Sache: der Mensch holt Tiere zu sich, macht sie zu Haustieren. Der einzelne Tierbesitzer hält seinen Hund nun in der Groß- oder Kleinstadt, einem Habitat, das eher „geht so“-gut für viele Hunde ist.

Er vermenschlicht den Hund, und, da der Hund sich nicht wehren kann, nutzt er plötzlich Hundes Willen und Wohl als Argument, an dem sich das Verhalten anderer Menschen orientieren möge. Wieso eigentlich? War dem Hundebesitzer bei Zuzug mit Hund in die Stadt die Tradition des Feuerwerkes nicht bekannt? Oder war das absehbare Leid des Hundes dabei dann doch nicht wichtig genug, um die eigene Entscheidung anders zu gestalten? Predigt man Wasser, säuft aber Wein?

Die Kinder – denkt denn niemand an die Kinder? Die Welt wird durch das Feuerwerk, zumal das in Deutschland, total zerstört. Feinstaub, Feinstaub überall. Und gefährlich ist das ja auch noch. Schlimm, schlimm, schlimm. Dass man gemeinsam mit Kindern das Feuerwerk gestalten kann, dass Kinder echt viel Spaß daran haben, dass wird nicht gelten gelassen. Spaß. Wenn Kinder einfach Spaß haben, ohne dabei etwas Gutes zu tun, wäre das ja noch schöner. Kinder brauchen Verbote, je mehr, desto besser. Alles Unvernünftige gehört ihnen verboten. Dass das zum einen schlicht nichts mit demokratischer Erziehung zu tun hat und darüber hinaus – glücklicherweise – so eben nicht bei Kindern funktioniert, ist da egal. Die Alternative wäre, dass wer so argumentiert, seine Kinder tatsächlich danach passend erzieht – der Puritanismus wäre weiter verbreiteter als vermutet.

Der Feinstaub. Der muss doch überzeugen. Er wird uns alle töten. Es stehen nach wie vor Belege dafür aus, dass er jemanden kausal getötet hat, aber darum geht es nicht: Jede Generation hat ihre Tötungshysterie. Das Ozonloch, BSE, AIDS. Feinstaub und Plastikstrohhalme sind die aktuellen Tötungsstars in Deutschland. Und wenn sie nicht töten, dann machen sie zumindest ADHS und Autismus, sagt Karl Lauterbach. Die Wirkmächtigkeit dieses Narrativs ist so groß, wie die Wissenschaftlichkeit in der Argumentation nicht gegeben ist. Aber was stört das schon? Wir retten den Planeten! Wer dagegen ist, ist nicht nur Volksfeind, er ist Erdfeind. Und in Deutschland in der Minderheit – und Minderheiten haben eben per se Unrecht. Dass die Forschungslage zu Feinstaub, und insbesonderer seiner Messung, vorsichtig gesprochen, eher unklar ist, und weltweit irgendwie auch ganz anders politisch beurteilt wird als hierzulande, ist egal. Am deutschen Wesen muss der Planet genesen – im wahrsten Sinne des Wortes. Feinstaub gilt es natürlich zu betrachten. Unaufgeregt – dafür aber ist für die nächsten Jahre der Zug abgefahren.

Ja, eine Minderheit der Feuerwerkbenutzer macht damit Quatsch. Schadet sich und anderen Menschen damit, teils ungewollt betrunken, teils gezielt. Und? Liegt es nicht gerade im Wesen der Demokratie, eben nicht von einer Minderheit auf die Mehrheit, oder gar alle, zu schließen? So predigen wir doch seit spätestens 2015 beim Thema Flüchtlingskriminalität – und das zurecht. Weil der Einzelfall entscheidend ist, nicht die Extrapolation von einer Teilstichprobe. Dies sollte ein universelles Prinzip sein – vielleicht macht sich hier dann doch die Diskursverschiebung durch die AfD bemerkbar, die gerade bei grün-autoritären Kreisen auf offene Ohren stößt – wenn es doch nur der guten, also eigenen, Sache dient.

Tatsächlich unter die Kategorie „humorvoll“ sind dann Ausführungen derjenigen zu verorten, die sich – zu Recht – für Pyrotechnik im Stadion stark machen, sie als Ausdruck von Emotionen sehen, eben dies aber in der Silvesternacht nicht erkennen können, oder, ehrlicher, wollen.

Ebenso unter „lustig“ sind die Aussagen in Sozialen Medien einzuordnen, die irgendwas mit Maskulinitätundunterdrückung in diese Debatte einzubringen versuchen – jeder so, wie er kann, bei manchem ist da eben sehr wenig, außer dem Wunsch, immer rumopfern zu können.

Ist Feuerwerk also vernünftig und nötig? Nein, natürlich nicht. Bringt es Gefahren mit sich? Ja, selbstredend. Macht es Spaß? Einem Teil der Nutzer in sehr deutlichem Ausmaß. Geht vom Feuerwerk eine Gefahr für den Planeten, oder gar Deutschland, aus? Nein.

Also: Lasst es krachen.

(Ja, im vorliegenden Text wurde überspitzt und polemisiert. Tatsächlich könnte ich gut damit leben, wenn vor Ort, in den Nachbarschaften, Wege zum Umgang mit Feuerwerk gefunden würden. Doch die Pauschalität, in der ein Verbot virtuell herbeigeschrieen wird, und der Umstand, dass sich hier in den Argumentationen die Trennlinien zwischen AfD-Stil und FDGO verwischen bzw. sie vielfach nicht mehr existent sind, ließ es mich so formulieren… Allen einen guten Rutsch!)

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Robin Patzwaldt
Editor
5 Jahre zuvor

Es gibt so Tage, da bin ich einfach froh, dass ich mit den Hautieren nicht im Zentrum der 'Aktivitäten', sondern am Rande des Geschehens wohne. Heute ist mit Sicherheit einer davon. 🙂 Hier gibt es in der Nacht noch keine bürgerkriegsähnlichen Zustände, werden noch keine Leute mit Absicht 'beschossen', ziehen noch keine Hundertschaften der Polizei auf. Hier ist nur Jahreswechsel. Zum Glück! 😉

Ke
Ke
5 Jahre zuvor

Nicht vergessen, dass der Steppenwanderer Mensch eigentlich njcht für Städte gebaut wurde. Diese artfremde Lebensweise ohne Bewegung muss auch verboten werden.

Mich nervt, dass einzelne Täter, die bspw Plastik durch die Gegend werfen, nicht mehr sanktioniert werden, sondern dass immer ein Generalverbot gefordert wird, um bloss keine Gruppe zu diskriminieren.

Ja , dieses Jahr mit allen Diskussionen übers Böllern ist Feuerwerk und Krach ein Zeichen des Widerstandes und eine Demonstration für die Freiheit.

Jiri
Jiri
5 Jahre zuvor

Aber es ist ja seltsam, dass das Volk der Polen ständig durch das Wort Polenbôller 'beleidigt' wird und glúcklicherweise keine aggressiven Misstône aus Polen deswegen zu vernehmen sind. Bei anderen Vôlkern und Nationalitäten sâhe das extrem anders aus. Als Harald Schnidt seine Polenwitze losließ, gab es auch keine diplomatischen Verstimmungen. Ich witzel auch noch ab und zu über eine Polendisco, wenn eine Lampe flackert.
Das soll ein ausdrückliches Lob für die Polen sein, die ja genetisch so degeneriert sein sollen, wie es mal ein Jungleworldautor geschrieben haben soll.

Nervig bei der Feuerwerksdiskussion sind alle Seiten. Die, die es ganz abschaffen wollen und vor allem Tiere als Argument bringen, diejenigen, die die ballernden rücksichtslosen Dumpfbacken in Schutz nehmen, weil sie irgendwie sonst zu kurz gekommen sind,, weil wohl evtl. aus der Unterschicht stammend oder aus der Nordstadt und diejenigen, die jetzt aus der Knallerei eine Revolution machen wollen.

Nansy
Nansy
5 Jahre zuvor

Überspitzt und polemisch finde ich den Text gar nicht. Er hat mir sogar sehr gut gefallen.
All die Dinge, die unnötig sind, die unsinnhaft sind, wurden schon immer von Asketen bekämpft. Verzicht gehört aber inzwischen zum Standardprogramm der sich moralisch überlegen fühlenden Menschen – damit kann man sich so schön über die dumpfe Masse erheben kann. Und da müssen eben Verbote her – damit man sich nicht so alleine fühlt.
Also, jeder soll das neue Jahr so begrüßen wie er will….

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
5 Jahre zuvor

Ich hab hier keinen monatelangen "Wahlkampf" pro Böllerverbot wie beim Brexit oder US-Wahl mitbekommen – Du etwa, Sebastian??? Und ja: mein Hund hat Schiss wie Sau, ohne dass ich ihn irgendwie irgendwann "vermenschlicht" hätte, und ich bin bekannterweise gegen jegliche Pyromanie in Stadien und außerhalb.

Euer FDP-Rant kommt Jahrzehnte der Toleranz mit Pyromanen zu spät, weil sich mittlerweile Hohlbirnen an jeder Straßenecke mit jedes Jahr weiter aufgerüsteten, chinesischen "Polenböllern" (richtig – deren Ursprung hat nix mit Polen zu tun) bekämpfen und sich einen Dreck um ihre Mitmenschen scheren. Das hat nichts mit dem immer vorgeschobenen "Brauchtum" oder gemeinsamen Feiern am Hut, das ist einfach nur asozial und gefährlich. Und es sind mittlerweile auf keinen Fall die berühmten "Einzelfälle" mehr.

Robin Patzwaldt
Editor
5 Jahre zuvor

So sieht es aus, Klaus. Das wir zum Ende des Jahres noch einmal einer Meinung sind…. Schön! Guten Rutsch! 🙂

abraxasrgb
abraxasrgb
5 Jahre zuvor

Der Spießer per se ist erst dann glücklich, wenn er einem anderen etwas verbieten kann, was ihm selbst keinen Spaß macht …

Thomas Weigle
5 Jahre zuvor

Ich brauch`den Krach nicht und wenn ich seh,mit welcher Panik unser Vierbeiner reagiert, wenn`s knallt…Brot oder was anderes, was vernünftig ist, statt Böller. Guten Rutsch allerseits!!

Nina
Nina
5 Jahre zuvor

"Heute Abend wird wieder geknallt. Was der Anfang eines Artikels über das Liebesleben der Deutschen sein könnte, beschäftigt sich stattdessen mit Silvester…"
Bartoschek, geiler Opener! 🙂
Du sammelst doch immer Wünsche und Interessen Deiner Leser/innen. Ich würde 2019 irgendwann mal gerne tatsächlich etwas über das Liebesleben in diesem Land oder auch in anderen Ländern lesen. Ich mach mir da so seit Ewigkeiten meine Gedanken und würde gerne mal erfahren, was andere Frauen und Männer so darüber denken.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
5 Jahre zuvor

@Robin: Dir auch (und allen Anderen natürlich genauso)!! Und hoffentlich "polenböller-frei";-)

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