Der „Ian“ im Titel des Stückes ist Ian Curtis, New-Wave-Ikone und Sänger von Joy Division. Ihm widmet Christian Rizzo den dritten Teil seiner Trilogie über popkulturelle Tänze und Rituale, der am 2. und 3.11. im Tanzhaus NRW in Düsseldorf zu sehen ist. Ein Tanzstück ausgerechnet über Ian Curtis, der bekannt dafür war, dass er nicht tanzen konnte und daraus einen eigenen Bewegungs-Stil in seiner Liveperformance entwickelte? In „Le Syndrome Ian“ geht es jedoch nur mittelbar um Curtis, der sich mit 24 Jahren das Leben nahm. Keine getanzte Biographie, kein Joy-Division-Reenacment, nicht ein Ton der Band erklingt an diesem Abend.
Stattdessen entwirft der bildende Künstler und Choreograph Christian Rizzo mit neun Tänzerinnen und Tänzern ein Sittengemälde der Klubkultur. Zu einem kratzend pulsierenden, langsam an- und abschwellenden Elektroniksound wird zunächst im goldenen Oval auf dem Bühnenboden Blues getanzt. Aus der anfänglichen engen Gruppe aller lösen sich langsam wiegend, wie in Zeitlupe einzelne Paare und Gruppen, immer wieder wechseln sie die Partner, mal zwei Männer, mal zwei Frauen, mal drei, mal vier. Es ist wie das Schattenbild einer Party, die eigentlich vorüber ist, aber noch ist nicht klar, wer mit wem nach hause gehen wird und der letzte Song dehnt sich weit in die Nacht hinaus.
Dann bekommt der durchkomponierte Elektroniksoundtrack von Pénélope Michel und Nicolas Devos einen Beat und die Bewegung ändert sich, die Tanzenden – alle in schwarzer Hose, weißem Kurzarmhemd, weißen Schuhen und weißen Socken – lösen sich voneinander. Die drei fahrbaren LED-Sterne, aus deren Mitte immer mal wieder Nebelwolken quellen, beginnen die Szene in kaltes blitzendes Licht zu tauchen. Willkommen im Klub. Der Paartanz ist abgeschafft, jeder ist in der Musik mit sich allein. Als „barocken Minimalisten“ bezeichnet Rizzo sich selbst und so exerziert er mit hypnotischer Langsamkeit die Veränderungen des Tanzes in der Popgeschichte der vergangenen vierzig Jahre durch. Disco und Techno schleichen sich ein, das neurotische Zucken und sich Verbiegen der New-Waver wird assoziiert, gegen Ende gibt es einen Moment, wo die Bewegungen aggressiver werden, die Körper aneinanderprallen und Pogo aufscheint und dann sacken die Knie weg, jeder fängt den anderen auf, hält sich dabei selbst gerade noch am nächsten fest, in völliger Erschöpfung, Drogen- und Alkoholrausch.
Rizzo und sein Ensemble wissen ganz genau wovon sie hier erzählen, nur deshalb gelingt es, im Tanz durch kleinste Veränderungen des Bewegungsvokabulars und der Energie eine Geschichte der unterschiedlichen Szenen zu erzählen. Beeindruckend ist dabei, wie die Tanzenden immer wieder zwischen scheinbarer Spontaneität des Klub-Tanzes und elaboriertem Bewegungsmaterial des zeitgenössischen Tanzes vermitteln. Im Monotonen entwickelt der Abend seine größte Qualität. Aber Rizzo greift im letzten Drittel doch noch zu einem erzählerischen Element. Irgendwann erscheint am Rand des goldenen Tanzrunds eine stille Gestalt im zotteligen schwarzen Tarnnetzfell. Mahnend steht sie für Augenblicke da und verschwindet dann wieder, um kurz später erneut und diesmal mit sechs anderen zu erscheinen. Während zwei Frauen ein wunderbar zartes Duo tanzen, umstehen diese Acid-Erinnyen sie drohend und abrupt näher kommend, bis sie das tanzende Paar vertrieben haben und alleine sind, zusammensacken und wieder aufstehen. Das dunkle Schicksal tanzt immer im Klub mit, wenn die Party vorbei ist, bleibt nur die schwarze Nacht. Schließlich legt eine der Gestalten ihr Zottelkostüm ab und steht allein in orangenem Trägershirt und Jeans vor einem der LED-Sterne, tanzt einen letzten zerrissenen Tanz bis das Licht ausgeht.
Weitere Vorstellung: 3.11., 20 Uhr
Tickets: Tanzhaus NRW