Wie für alle Menschen brachte die Corona-Krise auch für Lehrer und Schüler eine drastische Veränderung ihres Alltags. Nachdem hier in NRW am Freitag, den 13. März, bekanntgegeben wurde, dass der Unterricht bereits ab dem darauffolgenden Montag nicht mehr wie gewohnt stattfinden würde, mussten sich viele von ihnen quasi ohne jedwede Vorbereitungszeit auf ein völlig verändertes Leben und Lernen einstellen.
In Lehrerhaushalten treffen dieser Tage beide Gruppen direkt aufeinander. Ruhrbarone-Autor Robin Patzwaldt hat sich daher am Wochenende einmal mit dem vierzehnjährigen Gordon Kahmann und seiner Mutter Sylvana Dziuba unterhalten, die an der Fridtjof-Nansen-Realschule in Castrop unterrichtet.
Dabei erläuterte Dziuba den Ruhrbaronen die vielen Probleme, mit denen sie sich plötzlich in ihrem und dem Alltag ihres Sohnes Gordon, der die 8. Jahrgangsstufe des Theodor-Heuss-Gymnasiums in Waltrop besucht, konfrontiert sieht. Zudem schilderte die leidenschaftliche Pädagogin eindringlich ihre Ängste, die sie in Bezug auf eine mögliche Wiederaufnahme des regulären Schulbetriebs direkt nach den Osterfeien hat.
Ruhrbarone: Wie hat sich die Corona-Krise bislang auf euren Alltag ausgewirkt?
Sylvana Dziuba: Es ist ein großer Unterschied, ob man zuhause sein darf oder zuhause sein muss. Eigentlich ist es wie ein komfortables Gefängnis. Es geht ganz einfach darum, dass man sein Zuhause plötzlich nicht mehr als Rückzugsort, sondern als Beschränkung empfindet. Allerdings ist der Alltag total entschleunigt. Wege zum Arbeitsort, sowie eine strenge Taktung entfallen. Das empfinden wir beide als sehr angenehm. Wir haben jetzt auch mehr Zeit für unsere anfallenden Arbeiten zuhause. Ich persönlich kann jetzt eine Waschmaschine durchlaufen lassen, während ich mir Schülertexte durchlese oder Aufgaben formuliere. Das muss nicht mehr am Ende eines hektischen Arbeitstages geschehen. Ich finde auch mehr Ruhe zum Kochen, es macht mir Spaß und geschicht nicht nur als ein ‚Muss‘ nach einem Arbeitstag. Das Alles ist ohne die übliche Hektik möglich. Es wird zudem mehr privat gelesen. Auch die Struktur unseres Tages hat sich verändert. Mein Sohn und ich sind beide eher Nachtmenschen. Daher kann ich meinem eigenen Biorhythmus besser folgen. Mein Sohn Gordon ist ebenfalls zufrieden mit der Möglichkeiten der freien Zeiteinteilung. Pausen kann auch er jetzt weitestgehend selbst bestimmen. Gearbeitet wird auch von ihm in erster Linie, wenn er Lust dazu hat. Das heißt, wenn er gerade lieber seine Deutschaufgaben erledigt, dann schiebt er Mathe halt nach hinten. Wenn man möchte, dann kann diese Situation auch als eine Art von Freiheit empfunden werden, wenn man es positiv sieht. Wir arbeiten nicht weniger, dafür aber angepasster an unseren eigenen Rhythmus. Wir beide können ausschlafen. Nur die sonst üblichen Ausflüge fehlen halt, auch meinem Sohn. Wir sind Menschen, die sehr gern unterwegs sind.
Ruhrbarone: Der Schulbetrieb läuft in diesen Tagen vielfach über das Internet. Wie stellt sich das bei euch dar?
Sylvana Dziuba: An der Schule meines Sohnes wurde vor den Ferien die Elternpflegschaft bei der Verteilung von Arbeit sehr intensiv mit eingebunden. Das kann für die Betreffenden unter Umständen großer Aufwand sein, zumal die Eltern der Kinder ja auch noch arbeiten müssen. Jede Schule macht das allerdings anders. In meinem Fall läuft der Unterricht seit Mitte März über die App ‚Learningview‘. Die nutzen an meiner Schule viele Lehrer. Das ist recht praktisch. Die Klassenverbände können konkret abgegrenzt werden, jedes Kind bekommt einen Zugangscode und kann die Aufgaben individuell abrufen. Eine gezielte Ansprache der einzelnen Schüler ist auch möglich. Der Umgang damit ist relativ einfach und wird von allen inzwischen auch ganz gut beherrscht. Die Arbeitszeit der jeweiligen Schüler kann zudem abgelesen und verglichen werden, was ich praktisch finde. Ich kann sehen, wer die Aufgaben schon geöffnet hat und wer nicht, und ich lasse mir die Ergebnisse fotografieren. Das funktioniert prima. Dass der Lehrer nicht vor der Klasse stehen kann, ist grundsätzlich sehr problematisch, da Vieles im Unterrichtsgespräch erklärt und hergeleitet wird. Es ist natürlich auch schade, dass der Austausch der Kinder untereinander fehlt. Gruppenarbeiten per Skype oder Facetime sind halt nicht gleichzusetzen mit der tatsächlichen Arbeit im Klassenraum. Die Lehrer, mit denen ich in Kontakt stehe, handhaben das auch recht unterschiedlich. Manche schicken die Aufgaben pro Woche, einige nur einmal für drei Wochen in einem Schwung. Da ist natürlich die Selbstdisziplin der Schüler gefragt. Mein Sohn ist da zum Glück sehr engagiert, was ich toll finde. Er macht das prima und schiebt nichts auf die lange Bank.
Ruhrbarone: Jetzt haben wir ja erst einmal Osterferien. Aber wie geht es nach dieser Zeit weiter? Läuft das Ganze so bis zum Sommer, oder sogar länger?
Sylvana Dziuba: Es wäre aus meiner persönlichen Sicht grob fahrlässig, wenn wir nach den Osterferien die Schule vor Ort wieder beginnen lassen würden. Ein Video von ‚MaiLab‘, das mein Sohn und ich gesehen haben, beschreibt sehr schön, wie sinnvoll und notwendig die momentan getroffenen Maßnahmen sind. Mit einem zu frühen Wiederbeginn des Unterrichts würden wir uns alles, was wir bis hierher erreicht haben, wieder zerstören. Denn eines ist ja klar, der Schulunterricht würde die Ausbreitung des Virus wieder maximal beschleunigen. Wie wir bereits wissen, gehen Kinder oftmals symptomlos durch Infektion und Erkrankung. Wie will man nachhalten, wer Träger des Virus ist und wer nicht? Und wenn nur ein offiziell bestätigter Fall vorliegt, wie soll man denn vorgehen? Da kann man Kontaktpersonen nicht mehr zurückverfolgen, denn Kinder begegnen sich in Gängen, mischen sich in den Pausen und in der Mensa. In den Klassenräumen haben wir jeweils nur ein kleines Handwaschbecken für durchschnittlich dreißig Personen. Durch die räumlichen Gegebenheiten ist es zudem unmöglich, die erforderlichen Abstände einzuhalten. Kinder sitzen nun einmal nicht an Einzelschreibtischen in einem Großraumbüro wie Erwachsene. Wir haben auch einfach nicht genügend an Papiertücher und Seife. Ich bezweifle, dass die Schulträger alle Schulen adäquat ausstatten könnten. Unsere Schulen waren schon immer knapp ausgestattet, und jetzt ist es natürlich noch schwieriger geworden. Schon vor der Schulschließung haben einige Schulen die Elternschaft um Seifenspenden gebeten. Ich habe schon in der Phase vor der Beendigung des Schulbetriebs Angst gehabt, mich dort selber anzustecken. Die Schüler halten die Abstände ja nicht ein. Kinder sind eben naturgemäß noch etwas unbedarfter und suchen auch Nähe. Und natürlich husten Kinder auch nicht in die Armbeuge oder ähnliches. Die Kinder berühren sich ständig. Teilweise prügeln sie sich, und du musst als Lehrperson dazwischen gehen. Wie soll das alles plötzlich wieder gehen nach Ostern? Die Schulen nach Ostern wieder zu öffnen, wäre in der Phase der Epidemie schlicht grob fahrlässig.
Ruhrbarone: Wie sieht Gordon das?
Gordon Kahmann: Ich hoffe auch, dass die Schulen geschlossen bleiben. Das sage ich nicht aus Faulheit, sondern weil ich Sinn in diesen Maßnahmen sehe. Ich habe mich damit beschäftigt und denke, es ist der einzig logische Schluss, den man ziehen kann.
Sylvana Dziuba: Was mich besorgt, das ist die Ungeduld der Menschen. Ich hoffe, dass die Politik nicht einknickt. Es wäre doch viel vernünftiger jetzt länger durchzuhalten, statt am Ende die ganz große Katastrophe zu haben, die wir gar nicht mehr eindämmen können. Ich verstehe, wenn sich beruflich maximal Betroffene ein möglichst frühes Ausstiegsszenario aus dem ‚Flatten the Curve‘ wünschen, aber es wäre schlicht unverantwortlich, wenn sich demnächst schon wieder Kinder aus Kindergärten und Schulen miteinander treffen und dann daheim ihre Eltern und Geschwister infizieren. Wir würden all unsere Bemühungen womöglich in kürzester Zeit zunichtemachen.
Ruhrbarone: Können wir auch etwas Positives mitnehmen aus dieser Krise?
Sylvana Dziuba: Was mich aufregt, das ist der Egoismus vieler Schüler, die sich arg darüber aufregen, dass beispielsweise ihr Abschlussball ausfällt. Das ist erschreckend kurzsichtig und egoistisch. Wenn wir diese Einstellung überwinden könnten, dann könnten wir am Ende aus dieser Krise sogar etwas Positives mitnehmen. Wir können in dieser Zeit den Kindern zeigen, wie man besonnen, solidarisch und verantwortlich handelt. Das ist unsere große Chance, ihnen so etwas vorzuleben. Sie können jetzt lernen, dass es Situationen gibt, die es erfordern, eigene Bedürfnisse zurückzustellen und auch einmal etwas durchzuhalten. Es besteht nämlich die Chance, dass, wenn wir uns alle etwas zurücknehmen, als Gesellschaft besser zusammenwachsen und ein neues ‚Wir‘-Gefühl entwickeln. Ich wünsche mir, dass noch ein paar mehr Leute in sich gehen und darüber nachdenken. Es geht jetzt darum, Entscheidungen aus Verantwortung und nicht aus Bequemlichkeit zu treffen. Auch für die Kinder kann es etwas Positives bewirken. Die Schüler lernen jetzt vielleicht, Dinge besser zu schätzen, die sie bisher als ganz selbstverständlich hingenommen haben. Das ist jedenfalls etwas, das auch mein Sohn realisiert hat. Freiheit ist ein hohes Gut. Aus unserer persönlichen Familiengeschichte weiß er aber auch, dass Gesundheit ein hohes, schützenswertes Gut ist. Vielleicht lehrt diese Krise unsere Kinder auch Verantwortung, Selbstständigkeit, Disziplin, Demut und Wertschätzung.
Final werden wir den Virus dauerhaft haben, d.h. wir müssen mit ihm leben.
Schulen haben ein paar Vorteile:
– Überwiegend nur vormittags belegt
– Große Zeiträume mit unterrichtsfreier Zeit
– Standard-Lernstoff, der an vielen Stellen schon medial aufgearbeitet wurde.
In Corona Zeiten könnte damit eine Lösung folgende Elemente enthalten:
– Kleinere Klassen mit viel Abstand
– Nutzung des ganzen Tages (eine Gruppe morgens, eine nachmittags)
– Keine unterrichtsfreie Zeit (Ferien) bspw. mit versch. Gruppen
– Nutzung von Online Medien und nur selteneres Lernen im Klassenverband
Das sind eigentlich die Methoden, mit denen die Wirtschaft aktuell auch an vielen Stellen reagiert und pragmatische Lösungen für den Bereich "Abstand halten" findet.
Tests, um festzustellen, wer son immun ist (nach heutigem Stand der Forschung)
Ist es für Lehrer nicht ein bisschen zu leicht von Solidarität zu reden? Müssen sie von Kurzarbeiter Geld Null, also 60 Prozent Netto, leben? Steht ihre wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel, weil sie ihren Laden nicht öffnen kann und die Kosten weiterlaufen?
Für mich sind diese propagierten moralischen Wertvorstellungen erst glaubhaft, wenn Beamte auf Teile ihres Gehaltes verzichten.
[…] solche Fortsetzung wäre schlicht unvernünftig. Ähnlich wie im Falle der kürzlich von mir für dieses Blog interviewten Realschullehrerin Sylvana Dziuba, die schlicht Angst vor einer zu raschen Wiederaufnahme des Schulbetriebs hätte, würde ich auch […]
Ich kann die Ängste bezüglich einer Schulöffnung aus Schüler und Lehrersicht nachvollziehen und kann mich den Ausführungen nur anschließen.
Schade ist es zu sehen, dass auch in diesen Zeiten die Annahmen über den Arbeitsalltag von Lehrern anscheinend auf den Erfahrungen aus der eigenen Schulzeit basieren und somit weit von der Realität entfernt liegen.
Den Vorschlag, dass Lehrer auf ihr Gehalt (wenn auch nur teilweise) verzichten sollen, halte ich nicht für solidarisch, sondern Ausdruck von Unkenntnis über den Beruf des Lehrers und evtl. etwas Neid. Das ist Schade! Denn viele Lehrer haben in der aktuellen Situation ihr best Möglichstes gegeben, um Unterricht am Laufen zu halten – so gut es über die Distanz geht. Ich persönlich habe die drei Wochen vor den Osterferien komplett durchgearbeitet und nutze nun die Ferien für die Abiturkorrekturen. Viele Kollegen haben ein hohes Maß an Überstunden geleistet. Warum sollten sie dann nicht auch ganz normal ihr Gehalt beziehen und wie andere Berufsgruppen, die im Moment unermüdlich ihr bestets geben ein Fünkchen Anerkennung erhalten?
Zum Glück denken viele Eltern im Moment anders und melden dies auch zurück. Schade dass Manche es nicht wahr haben wollen, dass Lehrer ein umfangreicher und anspruchsvoller Beruf ist.
[…] auch wir hatten vor einigen Tagen ja ein Interview im Blog, in dem sich eine Realschul-Lehrerin aus Castrop-Rauxel dafür stark machte, den Unterricht in den […]