Lena ist verschwunden

Oil painting of a girl wearing a colourful patterned top against a purple background Bild: Annieglia Lizenz: CC BY-SA 4.0

Das Jugendamt Herne weiß nicht, wo Lena ist. Lena, 14, die nicht Lena heißt, sollte vom Jugendamt in Einrichtung nach Bad Salzuflen gebracht werden. Sie riss aus und wird jetzt privat betreut. Ihr Vater Michael, der in Wirklichkeit nicht Michael heißt, hat einen Ort für sie gefunden, wo sie ihre Ruhe hat. Denn Ruhe, die hat Lena in den vergangenen Monaten nie gehabt.

Lenas Mutter hat vier Kinder von vier Vätern und der einzige von ihnen der zu seinem Kind steht, dessen Name das Amt kennt und er Unterhalt zahlt, ist Michael.

Bis vor kurzem ging Lena in Herne auf ein Gymnasium, zuletzt besuchte sie eine Gesamtschule. Lena hat Depressionen und ging oft nicht zur Schule. In ihrem Zeugnis stehen keine Noten, sondern nur, dass sie kein Lehrer bewerten kann. Wenn jemand über 400 Fehlstunden in einem Halbjahr hat ist das so – welche Leistung soll ein Lehrer da schon auch bewerten?

Ella, Lenas Mutter, die nicht Ella heißt, und Michael – sie haben nach einer Klinik für Lena gesucht. Depressionen kann, ja muss man behandeln. Es ist eine gefährliche, oft tödliche verlaufende Krankheit.

Aber mit einer Depression den passenden Therapeuten zu finden ist schwieriger als mit einem gebrochenen Bein den passenden Chirurgen. In den psychiatrischen Kliniken legen sie aus guten Gründen Wert darauf, dass die Patienten sich behandeln lassen wollen. Aber Lena wollte sich in der ersten Klinik, in die sie kam, nicht behandeln lassen. Ein anderer Therapeut wollte nicht mit ihr zusammenarbeiten. Auch das ist in Ordnung, es geht um ein Vertrauensverhältnis. Und so sehr es auch um Vertrauen geht – es gibt nicht genug Therapieplätze in Nordrhein-Westfalen. Nicht für Erwachsene, nicht für Jugendliche wie Lena und auch nicht für Kinder. Einen Platz zu finden, erst recht einen, der passt, dauert lange. Wenn man Glück hat Monate, wenn man Pech hat über ein Jahr.

Ella und Michael suchten, seit Lena nicht mehr zur Schule geht und es klar war, dass sie Depressionen hat, nach Lösungen. Ihr altes Gymnasium musste sie verlassen. Aber Ella klagte Lena in ihre neue Schule. Lena soll, wie sie, Abitur machen und einmal studieren. Einen Therapieplatz für Lena fand sie nicht. Lena fehlte weiterhin oft in der Schule, aber sie machte nicht „blau“. Lena ist krank und hat ein Attest. Sie fehlt nicht unentschuldigt.

Im Januar eskalierte die Situation. Das Jugendamt hatte geklagt und ein Gericht entschieden, das Lena raus aus ihrem Zuhause und in eine Wohngruppe muss: Fünf Tage in der Gruppe, am Wochenende dann nach Hause. Zuhause fühlt sie sich wohl, das bestätigt auch ein Gutachten. Die Bindung zur Mutter ist eng, die zu ihren Geschwistern auch. Vor allem ihr behinderter kleiner Bruder ist Lena wichtig. Und dann ist da noch ihr Pferd. Und klar, das braucht sie und sie braucht das Pferd.

Als Ella Lena von der Schule abholte, wurde ihr Auto kurz darauf von der Polizei gestoppt. Die Beamten nahmen Lena im Auftrag des Jugendamtes Herne in Obhut und brachten sie in eine Wohngruppe nach Bochum. Mit einem Heim hat sowas nichts mehr zu tun. Eine Firma betreibt die Wohngruppe, jedes Zimmer hat eine Dusche. Aber Lena fühlte sich nicht wohl, haute immer wieder ab. Michael suchte sie manchmal die ganze Nacht.

Dann bekam Lena die Grippe, fast 40 Fieber. Nun kam wieder das Jugendamt und holte sie, aber jetzt ging es nicht mehr in die Wohngruppe, es ging nicht mehr nach Bochum, der Nachbarstadt Hernes, wo Lena in der Nähe zu ihren Eltern, ihren Geschwistern, ihren Freunden, ihrer Schule und ihrem Pferd war, sondern weit weg an den Rand des Ruhrgebiets. Das Jugendamt sah eine Kindswohlgefährdung. Auf eine Anfrage der Ruhrbarone bestätigte die Stadt Herne dies indirekt und schrieb: „Das Fernbleiben von der Schule führt nicht zu einer Fremdunterbringung. Für die Fremdunterbringung von jungen Menschen ist der erzieherische Bedarf oder die Notwendigkeit im Rahmen des Kinderschutzes ausschlaggebend.“

Ella hängt an ihren Kindern. Und Michael tut es auch. Wo Lena ist wissen die beiden. Die Polizei kommt jetzt oft bei Ella vorbei. Die Beamten sind meistens freundlich. Einige verstünden wohl auch nicht, sagt Ella, was das Ganze soll.

Michael und Ella wollen, dass Lena in eine Wohngruppe kommt – an fünf Tagen in der Woche. Und das Wochenende mit ihrer Familie, ihren Freunden und ihrem Pferd verbringen kann. Und dass Lena endlich einen Therapieplatz bekommt und ihr geholfen wird.

Das Jugendamt will das nicht – irgendwann wird das Oberlandesgericht in Hamm entscheiden. Aber das kann dauern, es kann noch Monate dauern.

Und so lange soll Lena in ihrem Versteck bleiben und wird die Polizei sie suchen.

Es ist eine Tragödie.

 

 

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Nina
Nina
5 Jahre zuvor

Ohne umfassende Kenntnis der Situation und bei wirklich sehr großem Verständnis (!)-wenn es derart akut ist (wie es für mich klingt), dann hätte das Mädchen längst in eine Akutklinik mit sofortiger Aufnahme gehört. Das lässt sich ambulant kaum noch bessern.

Irlik
Irlik
5 Jahre zuvor

An wen richtet sich dieser Text? Teilen die Ruhrbarone die Enttäuschung des Autors über die Fehlschläge dabei, für eine Jugendliche eine Lösung zu finden?
Ich empfinde die Aussagen des Textes als seltsamen Ruf nach Kontaktaufnahme. Zu schreiben, die Jugendliche hält sich an einem Ort auf, den ich kenne, sonst aber niemand, ruft nach der Frage, an welchem Ort die Jugendliche ist und wie es weitergeht.

Hans-Peter
Hans-Peter
5 Jahre zuvor

Typischer Stefan Laurin Schreib. Vielleicht sollte Lena, die nicht Lena heißt, sich ins Taxi setzten und dem Taxifahrer Ali, der natürlich nicht Ali heißt, auftragen sie in das Vestische Kinder- und Jugendmedizinische Zentrum in Datteln zur Akutambulanz zu fahren, damit ihr endlich medizinisch geholfen werden kann. Der Rainer, der wirklich Rainer heißt, der weiß wie das geht. Und Lena, die nicht Lena heißt, sollte sich ganz dringend einen (Verfahrens)-Beistand suchen. Jemanden, der nur ihre Interessen vertritt und nicht selbst Partei oder Rechtsbeistand ist. Eine echte Vertrauensperson für Sie ganz alleine ohne Interessenskonflikte. Das kann auch die einstige Lieblingslehrerin oder der Vater der besten Freundin sein. Sofern vorhanden.

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