Das Wahlplakat von Vera Lengsfeld sorgt für Aufmerksamkeit. Die hätte ihr Doppeltagebuch auch verdient.
OK, PR-Coup gelungen. In einem bislang langweiligen Wahlkampf setzte Vera Lengsfelds Mopsplakat Maßstäbe. Aber die Frau hat auch was zu sagen. Vera Lengsfeld kämpfte als Bürgerrechtlerin engagiert gegen die DDR, wurde von ihrem eigenen Mann bespitzelt und saß vor ihrer Zeit bei der CDU für die Grünen im Bundestag. Nun hat sie ein interessantes Projekt: Sie führt ein Doppeltagebuch: Die Einträge spiegeln die Ereignisse kurz vor dem Fall der Mauer und dem Ende der Ostzone wieder und schlagen eine Brücke zur Gegenwart, zum Beispiel zur Lage der Opposition im Iran. Manchmal wird es arg wahlkämpferisch, aber selbst dann erreicht Lengsfeld ein Niveau, von dem die meisten anderen Bundestagskandidaten nur träumen. Ach so, und Lengsfeld ist seit langem Bloggerin: Sie schreibt bei der Achse des Guten.
Aus meiner Sicht recht verlogen, wenn die politische Rechte die Twitter-Revolte im Iran zu instrumentalisieren versucht. Besonders peinlich, das Ganze mit Abwicklung und Anschluss der DDR zu verbinden. Auf dem Niveau des Mopsplakats.
„…kämpfte als Bürgerrechtlerin engagiert gegen die DDR, wurde von ihrem eigenen Mann bespitzelt und…“ (s.o.) Jaja … Ich könnte auf beide Damen (die mit den tiefen Ausschnitten) gut verzichten. Aber ich kann ja mal lesen („Achse des Guten“) – danke für den Hinweis.
@WB: Welcher Anschluss? Die frei gewählte Volkskammer (Das einzige jemals frei gewählte Parlament der DDR) ist der Bundesrepublik beigetreten. Und abgewickelt hat sich die Zone selbst. Der Laden war pleite – die mußten doch sogar in den Arsch von Strauß kriechen um noch einen Kredit zu kriegen – was die SED natürlich gerne getan hat.
Bah. Achse des Guten mit dem netten Herrn Broder. Alles klar…
Ach ja, und was ist hiermit: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,279263,00.html ?
Jaja, die junge Freiheit.
@ S. Laurin: Soso, die Volkskammer ist der BRD beigetreten. Warum mussten dann alle anderen mit? Oder war das ein freudscher Versprecher?
Bedenken Sie auch bitte, dass die eineinhalb Milliarden D-Mark, die Herr Strauß an die DDR vermittelte, noch etwa acht Jahre reichten. Die HRE bringt eine solche Summe in wenigen Tagen durch, womit sich die Frage stellt, wer pleiterer war/ist.
Zum Plakat: Ich wohne in Friedrichshain und wurde mit diesem Machwerk zum Glück noch nicht belästigt. Wenn die Dame nicht mehr zu bieten hat als ihr Dekolleté wird sie wohl auf verlorenem Posten stehen. In Friedrichshain-Kreuzberg sowieso.
@Heiko August: Die mussten nicht mir – die wollten. Erinnern Sie sich an die Mauer? Die wurde nicht gebaut um die Westdeutschen daran zu hindern in die Zone einzuwandern. Aber bevor der Westen den Osten weiter ausplündert: Sie haben meine volle Unterstützung wenn sie eine Volksbefragung initiieren wollen. Wenn die Mehrheit der Bewohner der fünf neuen Länder wieder die DDR haben will – bitte. Aber ich bin mir sehr sicher: Selbst die meisten ehemaligen Stasi-Offiziere wissen eine Valutarente zu schätzen und werden, wenn es darauf ankommt, gerne auf ein weiteres sozialistisches Experiment verzichten. Die normalen Bürger werden sie ohnehin auslachen.
Lieber Stefan Laurin,
da Sie schon das schöne, hehre Wort von den „frei gewählten Parlamenten“ in den Mund nehmen ? haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wer wesentlich über die Zusammensetzung dieser Institutionen entscheidet? Parteifunktionäre zum Beispiel, die Landeslisten zusammenstellen. Und der Bundeswahlleiter, der die NPD zulässt und Martin Sonneborns PARTEI ausschließt. He stole my vote, um im Iran-Bild zu bleiben…
Man könnte das fortsetzen ? wie kommt die Meinungsbildung in diesem Parlament zustande, wenn man zum Beispiel weiß, dass ein Abgeordneter wie Johannes Kahrs (SPD Hamburg-Mitte) von vorn bis hinten von der Rüstungsindustrie (Rheinmetall, Krauss-Maffei-Wegmann) gepimpert ist und gleichzeitig im Verteidigungsausschuss sitzt?
Was die so genannte Wiedervereinigung angeht, so war sie eine Fusion zu BRD-Bedingungen, ich kann mich da noch lebhaft dran erinnern, bin übrigens Wessi. Da erlaube ich mir im Jahr dieser antikommunistischen Jubiläumsfeierlichkeiten schon die Provokation, von „Anschluss“ zu sprechen.
@WB: Jetzt der Reihe nach: Fuison zu Westbedingungen: Naja, sie wollten in die BRD, wir nicht in die DDR. Aber finanziell ist eine ganze Menge für den Osten rausgesprungen und wir sind mit den ehemaligen Kadern recht nett umgegangen. Ein paar mehr hätten schon in den Knast gemusst. Wie es in Deutschland nach Diktaturen so üblich ist: Die Täter werden geschützt und für die Opfer interessiert sich keiner.
Zur Wahl: Der jetzige Wahlleiter ist, nach allem was man liest, ein grandiose Fehlbesetzung. Er sollte möglichst schnell abgelöst werden. Aber: Kein System ist perfekt, aber über das was wir haben können wir öffentlich streiten. Zu Kahrs: Niemand muß ihn wählen – ich würde es nicht tun (OK, zugegeben, keine Überraschung 🙂 ). Zur NPD: Ich hätte sie auch gerne weg, aber das Hauptproblem ist doch nicht das sie antritt, sondern dass sie gewählt wird. Und die Wähler wären auch noch Nazis, wenn Sie keine NPD mehr zu wählen hätten.
Zur allgemeinen Systematik: Die Repräsentative Demokratie mit Verhältniswahlrecht hat ihre Schwächen: Die Stellung der Pareien ist extrem stark, in den Parlamenten sitzen viele, die bei den Wahlen keine Mehrheit bekommen haben. Ich finde das Mehrheitswahlrecht langsam aber sicher immer besser – gerne ergänzt durch Volksabstimmungen: Es macht die Abgeordneten unabhängiger von ihren Parteien und stärkt ihnen der Rücken, ignoriert aber kleinere Gruppierungen. Aber bei allen Problemen die ich auch sehe: Besser als die Einheitsliste der Nationalen Front (!) ist unser System allemal.
@Stefan Laurin:
Gut, Sie ziehen sich letzten Ende auf Winston Churchill zurück, der meinte, dass „die Demokratie“ die beste aller Ordnungen sei. Auf Dauer ist das ein bisschen wenig, wenn ich mir die Welt und die herrschende Krisengesellschaft so ansehe. Der Kapitalismus hat fertig, wie die DDR vor 20 Jahren, wenn es auch nicht ganz so schnell gehen wird.
Aber eigentlich geht es ja hier um zwei ehemalige Revolutionärinnen und ihre Dekolletées. Frau Merkel war übrigens mal Agitprop-Sekretärin der FDJ…
@WB: Das mit Churchill geht in Ordnung. Genial ist übrigens sein Buch über den Sudan-Feldzug der Briten unter Kitchener. Ob der Kapitalismus am Ende ist? Ich glaube es eher nicht. Es wird ein paar neue Regeln geben, die alten Probleme werden nicht wiederkommen, dafür in ein paar Jahre neue. Gewinnstreben, Handeln und der Wunsch nach Individualität (genau wie Meinunbgsfreiheit – ich glaube daran, das Kapitalismus und Demokratie Geschwister sind. Beides lebt vom Wettbewerb) sind menschliche Konstanten und wenn man das mit einer vernünftigen sozialen Absicherung verbindet haben wir zwar nicht das Paradies auf Erden aber einen ganz guten Ort zum Leben. Das ist doch auch etwas (Ich weiß, dass sehen Sie anders 🙂 )
Ich habe Churchills Kriegserinnerungen gelesen. Sehr interessant, vor allem als er sich im Flieger den großen Zeh an der Gasheizung verbrennt.
Kapitalismus und die Demokratie Geschwister. Ja, das ist die herrschende konservative Ideologie unserer Zeit, die aber auch schon wieder Risse bekommt. Einige habe ich angesprochen.
@WB: In „Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi“ kommt kein Flugzeug vor. Das war damals (1896) leider noch nicht erfunden. Dabei eine sehr beeindruckende (und absolut unheroische) Beschreibung einer der letzten Kavallerieschlachten der Kriegsgeschichte, in der man das Entsetzen des jungen Churchills spürt. In seiner Geschichte des zweiten Weltkriegs fand ich übrigens bessere Stellen als die seiner Zehverletzung – aber da kommen wir nicht klar miteinander. Die „Konservative“ Ideologie wird übrigens vor allem von Despoten bezweifelt die der Ansicht sind, das Kapitalismus eine tolle Sache ist, wenn ihre Clique regiert, ohne sich Wahlen stellen zu müssen oder eine freie Presse zu ertragen. Despoten die glauben, sie kämen ohne Kapitalismus aus, sind allerdings meistens der Ansicht, dass es ziemlich egal ist, wie es der Bevölkerung geht, wenn es ihrer Clique nur gut geht. Kim Yongt Il gilt beispielsweise als Mann mit einem ausgewählten Geschmack (Außer bei Kleidung und Brillen) und einem Hang zu edlen Bränden.
@Stefan Laurin: Du stellst Kapitalismus gegen Staatskapitalismus (DDR/Nordkorea). Das ist nicht mein Ansatz.
Churchills Kriegserinnerungen hast Du also auch gelesen. Die Zehenverletzung mag nicht der inhaltliche Höhepunkt sein, da gebe ich Dir recht, eine nette Anekdote ist sie gleichwohl.
@WB: Gab es einen Versuch eine Alternative zu entwickeln der nicht staatskapitalistisch war? (Von München, Katalonien und der Ukraine mal abgesehen…)
Sehr geehrter Herr Laurin,
bösartiger weise könnte man auch meinen, dass, wenn inhaltlich nicht mehr zu bieten ist als die immer gleichen Einflüsterungen diverser Lobbyvertreter, eben der Körbcheninhalt herhalten muß.
Ich kann mich noch gut an den Winter 89 erinnern, ich habe damals in Bochum studiert und in Wuppertal gelebt. Damals fand ich es zum Heulen, wie viele vermeintlich integre Mitbürger plötzlich den Unternehmer in sich entdeckten, alte Autos kauften und ein wenig aufmöbelten, um sie dann in den neuen Bundesländern an unbedarfte „Ostler“, zu völlig unrealistischen Preisen, zu verhökern, ein Zeichen echter Solidarität.
Glauben sie ernsthaft, dass es im Großen anders zur Sache ging? Ich nicht!
Und natürlich will trotzdem niemand ernsthaft die DDR zurück.
Ich verstehe nicht, warum diese Unterstellung immer dann kommt, wenn kritische Anmerkungen zur Wiederveinigung oder zu unserem Wirtschaftssystem gemacht werden, das ist doch billig.
Dass ein offensichtlich schwer persönlichkeitsgestörter Henryck M. Broder ausgerechnet in einem Forum mit Namen „Achse des Guten“ schreibt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, und ich würde mit diesem Menschen nicht in einem „Boot“sitzen wollen.
Ihre naiv/oberflächliche Einlassung zur gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise
„Es wird ein paar neue Regeln geben, die alten Probleme werden nicht wiederkommen, dafür in ein paar Jahre neue.“
ist eine journalistische Frechheit und macht Glauben, dass sie sich insbesondere mit den Ursachen der Finanzkrise und dem beispiellos hilflosen Verhalten unserer Regierungsvertreter, die ihrem Auftrag, dem Gemeinwohl zu dienen in keinster Weise mehr gerecht werden, noch nicht auseinandergesetzt haben.
@ Stefan und WB
Hilfreicher als Churchills Erinnerungen ist in dieser Debatte vielleicht ein aktuelleres Buch: Tauschen und Täuschen – Warum die Gesellschaft ist, wie sie ist. Von Manfred Denning. Wien 2008.
@ Karsten
„…wie viele vermeintlich integre Mitbürger plötzlich den Unternehmer in sich entdeckten, alte Autos kauften und ein wenig aufmöbelten, um sie dann in den neuen Bundesländern an unbedarfte ?Ostler?, zu völlig unrealistischen Preisen, zu verhökern,..“
Es muß korrekt heißen, den Betrüger in sich entdeckten. Wenn die ehemalige DDR Bürger die gleiche Chance gehabt hätten, es umgekehrt zu tun, hätten ein Teil von ihnen es genauso gemacht. So sind die Menschen.Sie nutzen ihren Vorteil häufig auf Kosten anderer Menschen.
„…ein offensichtlich schwer persönlichkeitsgestörter Henryck M. Broder..“.
Karsten, ich weiß nicht ob sie ein ausgebildeter Psychologe oder Psychiater sind und ob sie Herrn Broder gut genug kennen, um ihn so in aller Öffentlichkeit zu bezeichnen. Sollten das nicht zutreffen würde ich diese Aussage mit ihren eigenen Worten als „eine journalistische Frechheit“ bezeichnen, zumindest aber als „naiv/oberflächliche Einlassung“.
@ Arnold Voß
Wenn sie z.B. den in den Stuttgarter Nachrichten Online dokumentierten E-Mail Verkehr zwischen Broder und Tübingens OB Palmer lesen, werden sie, unabhängig von der inhaltlichen Auseinandersetzung, schwerlich zu dem Schluß kommen können, dass Herr Broder dies nicht ist.
Selbst bei einer ausgeprägten Neigung sich derart zu echauffieren, halte ich einen solchen Stil für indiskutabel und in dem von mir beschriebenen Sinne entlarvend.
Das es auch eine andere Meinung gibt, die solches Verhalten erfrischend und gut findet, wenn endlich mal jemand Tacheles redet, ist mir klar.
Aber gerade bei brisanten Inhalten, wie den dort verhandelten, sollte eine Auseinandersetzung „hart in der Sache“ aber „fair im Umgang“ sein, im übrigen ist Herr Broder doch keine 20 mehr.
@ Karsten
Nicht dass wir uns mißverstehen.Ich bin keineswegs ein Broder Fan. Der Mann neigt immer mal wieder zu verbalen Amokläufen. Arrogant bis zum Abwinken soll er auch sein. Aber eine schwere Persönlichkeitsstörung ist dann doch was anderes.
Ich will mich nicht in die Auseinandersetzung um Henryk M. Broder mischen und die reduzierte Weltsicht der „Achse des Guten“ mischen.
Karsten schrieb: „Ich verstehe nicht, warum diese Unterstellung immer dann kommt, wenn kritische Anmerkungen zur Wiederveinigung oder zu unserem Wirtschaftssystem gemacht werden, das ist doch billig.“
@Karsten: Solche Anmerkungen machen meiner Erfahrung nach die Leute, die vor 20 Jahren sagten: „Geh doch nach drüben.“ Ich kann darüber nur lächeln.