„Letzte Lieder“ – Georg Kreisler nachgerufen

Georg Kreisler (re.) 2009 in GE - Foto:Samaga

(Eine Ergänzung zu Stefan Laurins Beitrag www.ruhrbarone.de/r-i-p-georg-kreisler:)
Ziemlich genau vor zwei Jahren, am 19. November 2009, durfte ich Georg Kreisler als Gast des PoesiePalastes Ruhr 2009 im Consol-Theater Gelsenkirchen begrüßen. Später, beim Essen in einer Brauereigaststätte in GE-Mitte kam auch seine Frau Barbara Peters dazu, die ihn mit seinem Leseprogramm zur Autobiographie „Letzte Lieder“ schon so oft gehört hatte, dass sie bei seinen Lesungen jetzt lieber im Hotel blieb oder bummelte. Sie jedenfalls schien ihren Mann in- und fast auswendig zu kennen. Vom Publikum Kreislers ließe sich das so leicht nicht sagen.

Georg Kreisler war nicht nur ein bekannter Kabarettist, er war Komponist und Satiriker, war Literatenlegende und … ein Mysterium. Der Wiener Literat Hans Weigel meinte bereits 1962 fest: „Ich war lange Zeit der festen Überzeugung, dass es Georg Kreisler gar nicht gibt. Seit ich ihn persönlich kenne und ihm oft begegnet bin – sogar bei Tageslicht – bin ich in dieser Überzeugung bestärkt worden. Georg Kreisler existiert gar nicht – er ist eine Erfindung Georg Kreislers.“

1922 in Wien geboren, lernte Kreisler schon als Schüler Klavier, Geige und Musiktheorie, bis er 1938 zusammen mit seinen Eltern in die USA emigrierte. Nach Kriegsende arbeitete er mit Größen der Filmbranche wie Charlie Chaplin zusammen: Sah man Chaplin am Klavier, war es Kreislers Musik, die ertönte. Kreisler tourte mit seinen Liedern in englischer Sprache über die Bühnen Amerikas, galt jedoch als unamerikanisch und zu morbide, Erfolg blieb aus. Mitte der 50er Jahre zog es ihn zurück nach Europa, wo er sich als Chansonnier einen Namen machte. Neben über 500 Liedern schrieb er Romane, Essays, Kurzgeschichten, Gedichte und Theaterstücke. Im November 2009 wurde im Volkstheater Rostock seine neue Oper „Das Aquarium oder Die Stimme der Vernunft“ uraufgeführt. Mehr immer noch auf der Homepage www.georgkreisler.de, deren letztes Update meldet: „Willkommen auf meiner Homepage/22. November 2011/Eine letzte Meldung: Georg ist nicht mehr unter uns.“

Wer also heute Georg Kreisler kennenlernen möchte, muss auf seine sogenannte Autobiografie „Letzte Lieder“ zurückgreifen. Die allerdings ist eher ein großer Essay, ein Versuch, über eigenes Leben und Werk nachzudenken oder – mit Michel de Montaigne gesagt – der Versuch, Lebendigem lebendig zu begegnen. Und dabei betrachtete Georg Kreisler nicht zuletzt auch sich selbst ironisch, satirisch, als komische Figur. So bleibt oft unentschieden, ob und wo die Autobiografie auch eine fiktive Autobiografie ist – schließlich heißt „Sich erinnern“ immer auch: sich im Rückblick zu erfinden.
So oder so: Georg Kreisler gelang mit „Letzte Lieder“ eine wunderbare Textur, ein Textgewebe aus Aforistischem, Sentenzen, Gedichten, Assoziativem, Fragmenten, Gedankensprüngen und -höhenflügen, Szenen, kleinen Träumen. Der Ton ist lakonisch, erfrischend politically incorrect und desillusioniert melancholisch zugleich. Ein Plädoyer für Kunst, ihre Wagnisse und Abgründe – Scheitern inklusive.
Man beginnt zu ahnen, welcher Mensch und Künstler möglicherweise hinter dem öffentlichen Imago von Georg Kreisler steckte. Man lernt etwas über Emigration und Antisemitismus, über Marktzwänge und Autonomie. Wer weiß denn schon wirklich, dass Georg Kreisler Musicals geschrieben hat, Klavierkonzerte, Libretti, Hörspiele …?

Georg Kreisler wurde gern mit einem Spaß- und Liedermacher verwechselt, als Kabarettist etikettiert, manchmal stigmatisiert. Und er war daran nicht ganz unschuldig. „Mein Fehler war, mich nicht zur Kunst zu bekennen“, resümierte er in „Letzte Lieder“ seine größte Jugendsünde – das Kabarett versprach schnelleren Erfolg und sicher auch schnelleres Geld.

Wissen Sie’s noch? 2010 war das Ruhrgebiet Europäische Kulturhauptstadt. Zu diesem Anlass sind zahlreiche Anthologien erschienen – in vielen fand sich auch Georg Kreislers sogenanntes „Gelsenkirchen-Lied“, einmal sogar in einer aktualisierten Fassung. Die Gelsenkirchener jedoch sollten sich nichts darauf einbilden, dass sie von Kreisler Ende der 50-er Jahre verspottet wurden, das hat er auch mit ganz anderen Städten gemacht: Hollywood, Berlin, Wien…
Mich ärgerten einige dieser Anthologien, die die Region immer wieder auf Bilder der Region von vor 40, 50 Jahren festlegen wollten, um dann erstaunt festzustellen, dass sich doch etwas verändert hat. Wobei mich nie der wiederholte Neu-Abdruck eines auch für Kreisler längst überholten Textes nervte, sondern die Tatsache, dass die meisten Herausgeber sich selten wirklich auf die Region einließen, nicht gut recherchierten oder die Orte neu bereisten. Georg Kreisler schien das Leben mit Klischees gut zu kennen: „Ich verstehe nicht, wie man ein Lied über das Taubenvergiften im Kopf behalten kann und mich noch nach 50 Jahren damit identifiziert.“ Man könnte so endgültig auch das  Gelsenkirchen-Lied und die ehemals bornierten Reaktionen darauf abtun: alles von gestern. Doch mittlerweile holt Gelsenkirchen selbst, das Leben hier Kreislers kleine Groteske ein – die Stadt wird dem Lied wieder ähnlicher zwischen borniertem Lokalpatriotismus und Global-Player-Attitüde, mit seinem Schalke- und Größenwahn, den neuen alten Arm-Reich-Gegensätzen, aufflackernder Gewalt und Schicht im Schacht … Auch so kann ein Lied aktuell bleiben.

Das Gelsenkirchen-Lied – dem Himmel sei Dank – kommt verständlicherweise in Georg Kreislers-Autobiografie überhaupt nicht mehr vor. Dafür aber ist sie reich an wirklich unerhörten Begebenheiten, Figuren, Orten, Sätzen.
Oft wurde Kreisler nach seiner Rückkehr aus den USA (auch von Amerikanern) gefragt:
„‘Wie kannst du nur nach Deutschland oder Österreich zurückkehren, nach allem, was passiert ist?‘
Dann frage ich zurück: ‚Wie kannst du in einem Land leben, in dem dasselbe jederzeit passieren könnte?‘“
Oder:
„In den 80er Jahren keine Lieder mehr, weil mir keine mehr einfielen. (Bei den ersten Zeilen eines neuen Liedes: … Gott verließ das Zimmer)“.
Jetzt hat auch Georg Kreisler das Zimmer verlassen.


Georg Kreisler: Letzte Lieder. Autobiographie. Arche Literatur-Verlag, Zürich und Hamburg 2009.

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Helmut Junge
Helmut Junge
13 Jahre zuvor

Ich habe Kreisler nicht oft gehört und noch seltener gesehen.
Aber trotzdem manchmal an ihn gedacht. Ist doch merkwürdig.
Es gibt doch so viele, die man kennen mußte. Aber wie viele, dich ich oft gehört und gesehen habe, sind weg aus dem Kopf.
Der Kreisler aber nicht.
Aber wenn ich an ihn gedacht habe, dann fiel mir immer die Sache mit dem Tauben vergiften im Park ein. Immer.
Auch heute. Dann habe ich mir doch das Lied über Gelsenkirchen angehört, mußte lachen, schließlich habe ich auch 6 Jahre in Gelsenkirchen gewohnt.
Dann aber bei youtube wieder das Taubenvergiften-Lied.
Kreisler ist gestorben? Arme Welt. Die hat was verloren.

Das Leben ist ein Lercherlschas

Jetzt ist schon wieder was passiert. Und ob du es glaubst oder nicht. Zur Abwechslung einmal etwas Gutes. Weil erlebst du auch nicht jeden Tag:

„Schließlich lobte Kreisler noch Josef Hader, der einer der wenigen zeitgenössischen Kabarettisten sei, der diesen Titel noch verdiene …“

https://www.kulturwoche.at/index.php?option=com_content&task=view&id=2020&Itemid=51

Hader ist ein grossartiger Geschichtenerzähler:

“Das Leben verliert dadurch, dass man’s kennenlernt”

https://www.hader.at/content/termine/

Arnold Voß
Arnold Voß
13 Jahre zuvor

@ Helmut #1

Auch großartig von ihm das Lied „Zwei alte Tanten tanzen Tango mitten in der Nacht“. Ist übrigens wirklich ein Tango.

Ach ja, wegen des Gelsenkirchen-Liedes, Helmut, gabe es damals heftigsten Protest von seiten der Stadtmütter und -Väter.

allemachtdendrähten
allemachtdendrähten
13 Jahre zuvor

Weil die Stadtmütter und Väter das waren, als das Kreisler sie ja auch besang , wenn auch nur indirekt. Ansonsten kann ich dem Autor Herholz nur beipflichten, das Gelsenkirchen von damals ist wieder stark im Kommen. Ansonsten Georg Kreisler wird vielen fehlen, auch mir.

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