Die letzte Zeche schließt, nach Jahrhunderten geht die Ära des Bergbaus zu Ende. Ruhrbarone-Autoren erzählen in den kommenden Wochen in loser Folge darüber, was sie mit der Welt der Zechen verbindet. Heute schreibt unser Gastautor Werner Streletz über seine Kindheit in Bottrop.
Eine Erinnerung
Das Bottrop der 1950er/1960er Jahre, Stadt am grünen Strand der Emscher (die damals pechschwarz war): die Zechen Prosper I, II, III, ZK gleich Zentralkokerei, ZW gleich Zentralwerkstatt; Kirmes (rund um die Karnevalstage und im Herbst): Es gehörte zur festen Tradition, sie abends mit der Familie zu besuchen. Dort trafen sich alle, die Nachbarn, die Verwandten. Damals legten es Väter und Onkel hartnäckig darauf an, an der Losbude für die Kinder die „Freie Auswahl“ zu ergattern. Als wäre es eine hehre Verpflichtung. Die Männer gaben manches Scheinchen aus, öffneten Dutzende von Papierlosen, um ihr Ziel zu erreichen. Und stolz trugen die Kleinen den Riesen-Teddybären nach Hause, der dort einen Ehrenplatz in der Sofaecke bekam. Ich habe als Kind (also in den 1950er Jahren) nie so ein Riesenplüschtier besessen, aus welchem Grund auch immer. Rock ‘n‘ Roll an der Raupe, Halbstarke, von mir aus der Ferne bewundert.
Muschelessen bei der Oma väterlicherseits, viele Onkels und Tanten, alle aus der Hefe des Volkes: Bier, Zigaretten, und der Ruf der alten kranken Maria aus dem Nebenzimmer, die bei allem gern dabei gewesen wäre. Und der Silikose-Rentner, der – so wurde mir gesagt – nur noch fünf Jahre zu leben hatte. Was mir als Kind ein flaues Gefühl im Magen bereitete. Das Klettern von uns Jungs in der Sandgrube des Donnerbergs. Die Sandgrube war unsere Pyramide. Gefährlich für Kinder, dort hinaufzuklettern. Verboten natürlich, doch wen störte das schon in unserer Bande? Hinterher (eiskaltes) Wasser trinken an der draußen stehenden Pumpe am Ziegelsteinhaus von Tante Maria. Heute sind dort überall „schmucke Einfamilienhäuser“ gebaut worden, wie es die Lokalzeitung wohl nennen würde. Riskantes Balancieren auf dem Brückengeländer hoch über den Gleisen der Sandgrubenbahn.
Polenkinder in der ehemaligen Polizeikaserne nahe unserer Wohnung.
Ein Spaziergang durch den Bottroper Stadtgarten. Ort der Erinnerungen: Im Stadtgarten bin ich als Kind mit meinem kriegsblinden Opa oft spazieren gegangen, der sich anscheinend vertrauensvoll den Orientierungskünsten eines kleinen Knirpses anvertraut hat. Am Rande des Stadtgartens an einer Bude (seit langem abgerissen) durfte ich mir ein Eis am Stiel kaufen. – Dann gab’s die „Knutschbank“ mit den Liebespärchen etwas abseits von den Wegen zwischen Bäumen.
Der Stadtpark, wie oft als Jugendlicher verbotenerweise mit dem Fahrrad durchrast; morgens nach Partys der erste Schluck dort gegen den Nachdurst. Klarer Sprudel, will ich mal hoffen. Lebendige Tage. – Und das Schöne: Grundsätzlich hat sich der Stadtgarten seit meiner Kindheit nur wenig verändert. Die Runde durch den Bottroper Stadtgarten endet bei mir traditionell mit einem Kaltgetränk im Overbeckshof: Den gibt’s auch schon ewig …
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Erinnerungen an die Kindheit in Bottrop und die Musik, die ich damals gehört habe – aus dem Radio, vom Plattenspieler. Diese Jahre sind schon so fern, dass die Songs von damals keine Wehmut, keine Nostalgie bei mir auslösen, sondern für mich zum fragmentarischen Soundtrack dieser Zeit gehören. Wertneutral, im Blick zurück (1950er/frühe 1960er Jahre).
Als ich ein kleiner (oder nicht mehr so ganz kleiner) Junge war: Suzie Darling von Peter Kraus, Tequila (instrumental), Tom Dooley, Der lachende Vagabund, Moonlight von Ted Herold, Tutti Frutti in der Version von Elvis, Cindy oh Cindy, Marina – „Somethin‘ else“ von Eddie Cochran, der ultimative Kirmes-Kracher. Usw.
Und die Tante, die in Bottrop einen Schallplattenladen besaß, meine (meist erfolglose) Suche nach Rock ’n‘ Roll-Titeln. Zwischen Verkaufsbereich und der Wohnung der Tante ein großer Lagerraum. Angst, diesen zu durchqueren, denn dort konnte der Schäferhund der Tante lauern, plötzlich bellend. Erleichterung, wenn man die Wohnung erreicht hatte.- Ein Freund hat später seine Beatband „Prosper I“ genannt.
In der Serie bereits erschienen:
Letzte Schicht: „So roch früher das ganze Ruhrgebiet, so roch meine Kindheit“
Ja, die Musik war durchaus eingängig. Lonely boy, catch a falling star, am Tag als der Regen kam, wo meine Sonne scheint, milord u.v.a. ist auch bei mir mit besten Erinnerungen an Vor-und Grundschulalter verknüpft. Schön, dass man so vieles aus dieser Zeit heute im Regal stehen hat.
[…] Letzte Schicht: Bottrop, damals … von Gastautor in Wirtschaft, Wissen […]
Ja,so war`s. Susie Darling allerdings sang Tommy Kent,-nicht Peter Kraus.
Ansonsten genau beschrieben,was meine Jugend bewegte.
Schöne Erinnerung.Vielleicht kannten wir uns sogar,so identisch ist die
Geschichte jener Zeit.Die Donnerbergbande war aber unser Feindbild.
Eine Blutsbrüderschaft ist damit eher unwahrscheinlich.