letzte Woche / diese Woche (kw13)

„You need hands to show the world you’re happy“ – Malcolm McLaren

Erinnern Sie sich? England und Frankreich sind im Krieg mit Libyen, letzterer Staat durch die Anerkennung der Rebellen-Regierung für sein eigenes Verständnis aber nicht wirklich, sondern nur mit der Gaddafi-Fraktion. Das sieht der Rest der Welt wiederum anders. In diesem Zusammenhang ein Gruß an die Türkei: Ehrenwerter Versuch! Die „Welt“, also die UN, hatte die Einrichtung einer Flugverbotszone erwirkt, die nun die NATO durchsetzen soll. England ist aber auch in der NATO. Schießen die dann auf ihre eigenen Flugzeuge, wenn diese jenseits des UN-Mandats operieren? Kaum. Müsste also nicht jemand anders als die NATO das Flugverbot überwachen? Oder gilt für die Franzosen und Engländer als fröhliche Anarchisten mit kolonialer „Zuständigkeit“ eine Sonderregelung?

Leider habe ich es letzte Woche verpasst, diese Frage mit meinen Bekannten englischen oder französischen Migrationshintergrundes zu diskutieren. Stattdessen war ich endlich einmal in der Essener Proust Buchhandlung und habe mir „Zenos Gewissen“ von Italo Svevo gekauft. Lag da rum. Kritiken und Texte auf Buchrücken versuchen ja immer zu erzählen, wie man etwas zu lesen hat – auch deshalb lese ich solche Empfehlungen am ehesten entweder nach der Lektüre oder nur dann, wenn ich das Buch eh nicht lesen, den Film nicht schauen, das Album nicht hören will. Diesmal aber fühlte ich mich sicher in meiner Herangehensweise an das Buch, las den Buchrücken und musste lächeln: „Italo Svevo“ heißt tatsächlich „der italienische Schwabe“. Weitere gute Sätze: „Eine grandiose Parodie auf die Psychoanalyse, noch bevor sie überhaupt populär wurde.“ „Der Spiegel: Eine grandiose Beichte“. Haha.

Im Grunde gilt aber natürlich: Weder Spiegel noch Bild, und die anderen auch erst, nachdem man sozusagen das Buch der Geschehnisse selbst gelesen hat. Eine Kommentatorin der Süddeutschen meinte gar, die Staaten der Welt hätten zuerst „die Herzen über den Zaun geworfen“, um dann quasi bewaffnet hinterherzuspringen. Deutsche Kriegslyrik, da ist sie wieder, zum Glück bislang nur im Dienste zweier anderer europäischer Staaten. Oh, ich vergaß: Selbstredend auch im Dienste potentieller grüner Außenminister und Rechts-Sozen wie Siggi G. von und zu Seeheim. (Als Nahles rüberkam wie von Gaddafi geduzt, das war auch schön.) Und Joseph Fischer raunzt Identifikationsbegriffe wie bei seinem großen Krieg. Sie erinnern sich? Diese spezielle Fortsetzung der Ostpolitik von Willy Brandt, interpretiert á la Rot-Grün im Einheitsrausch.

Apropos „Nazi Punks Fuck Off!“: Nach Jahrzehnten habe ich gestern endlich das Doppelalbum „The Great Rock’n’Roll Swindle“ erstanden, für unfassbare 15 Euro. Es kann also endlich „Black Arabs“ aufgelegt werden, dieses Disco Medley der Sex Pistols Singles. Und der vorherige Besitzer hat echt die „Sounds“-Besprechung von Alfred Hilsberg reingeklebt. Ich zitiere einen der schönen Abschnitte: „Böse Zungen (oder weise?) behaupten, Malcolm hätte die Jungs (also Jones und Cook, Anm. d. V.) „C’mon Everybody“ und „Steppin‘ Stone“ einspielen lassen, um zu demonstrieren, wie auswechselbar sie doch seien. Genauso auswechselbar wie die Identifikationsbegriffe „Anarchy“ und „Fuck“, die Worte von ´76.“ Der Situationist McLaren macht also die Produktionsverhältnisse und Definitionsmacht deutlich, Lydon wird da nie wieder lebendig rauskommen, Sid sah das ähnlich, und die Hilfsarbeiter machen erst einmal Urlaub in Brasilien. God save the queen. We mean it, maaan. Anarchié pour le U.K. Punk-Explosion statt Bürgerkrieg. Oder wie Jon Savage ungefähr sagte: „Ihr hattet die RAF, wir den Punk. Letzteres ist mir lieber.“ Wobei diese wütenden Schotten, Waliser und Iren ja ihre eigene Rechnung mit der Queen offen hatten und haben. Das allein hat sicher u.a. viele Punks hervorgebracht, aber der Feierabendterrorist und der trendy Rebell sind ja mittlerweile eher Standardtypen auf den Staatsmannsposten, nicht nur in Frankreich und Italien.

Ich bleibe jedenfalls bei meiner Meinung, dass da neuerdings immer quasi eine Punksingle läuft in Deutschland bei diesen Zapfenstreichen, „My way“ hin, „Smoke on the water“ her. Und die Schröders und zu Guttenbergs dieser Welt legen die auf. Was will ich Ihnen damit sagen? Vielleicht „Punk is still dead, but it still separates. Und Situationismus heißt jetzt Fakten-Schaffen.“? Hm. Jedenfalls möchte ich mich auch von diesen McLarens, diesen Menschenexperimente-Machern, diesen typischen Ich-wende-mal-spannende-Theorie-im-großen-Rahmen-auf-die-Welt-an-Egomanen abgrenzen. Nein, 9/11 war eben kein „Kunstwerk“, Anselm Kiefer! Und es ist auch keine Kunst oder Philosophie, wenn Europäer sich gegenseitig über einem arabischen Strand erschießen (müssten). Die Welt ist nämlich keine Kunstakademie und auch kein Spielplatz für Hobbyphilosophen. Ich jedenfalls verspreche Besserung und auch weniger schwarzen Humor, sobald die Umstände es wieder zulassen.
*verlässt schnell das mediale Schlachtfeld*

Reisefotos: Jens Kobler

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