letzte Woche / diese Woche (kw23)

Letzte Woche habe ich hier etwas von „selbstbestimmt leben“ geschrieben. Das muss ja manchen vorgekommen sein wie vom Mars, oder – noch schlimmer – extrem berufsjugendlich. Und ich gebe zu: Von manchen lässt man sich ja auch gerne fremdbestimmen, zumindest teilweise. Ah, es geht so sachte in Richtung Thema, Unterthema „Definitionsmacht“.

Nehmen wir mal ganz einfach die Medien und, sagen wir, ah, genau, das „Wir“. Also dieses Sippenhaft-„Wir“. Das nimmt manchmal geradezu groteske Formen an. Nun sagt ja niemand mehr täglich so etwas wie „Wir sind im Krieg mit XY und müssen das und das tun“ oder so etwas, aber rein formal rückt dann der eine tote deutsche Staatsbürger in den News weiter nach oben als all die anderen auf der Welt. (Und die tagesschau.de-Kommentarfunktion wird abgestellt oder so.) Oder es wird zum Zwecke von äh etwas pathetisch überhöhten Kurskorrekturen in der Energiepolitik so ein „Wir“ gebastelt. Selbst der Autor dieser Zeilen hat hier ab und an so ein „Wir“ gebastelt, als er froh war, dass „wir“ den Franzosen, Briten und Amerikanern nicht hundertprozentig nach Libyen gefolgt sind. Meistens aber kaufen wir uns ein uns möglichst gut stehendes „Wir“ am Kiosk.

An welchem Kiosk stehen Sie gerade? Ah, ich erinnere mich. Nun gut: Dieses „Wir“ bei den Ruhrbaronen ist ein ähnliches Beispiel. Ich gebe jetzt hier mal offen zu: Ich gebe sonntags den Text ein, achte hier und da auf Themen und Tendenzen in diesem Blog und bin angehalten Kommentare unter meinen Texten zu berücksichtigen. Na, und sonst mache ich nix. Mir liegt auch nichts vor, ich schicke keine Briefe an irgendwen oder sonst so etwas. Und so zucke ich denn auch immer zusammen, wenn ich da so ein „Wir (Ruhrbarone)“ auf dieser Seite lese. Da frag ich mich dann immer: Wer ist da gemeint? Die im Impressum? Treffen die anderen sich heimlich ohne mich und sprechen Sachen ab? Sehen Sie, und so ist das halt auch mit Deutschland, dem Ruhrbegiet undsoweiter: Dauernd wird man vereinnahmt, weil irgendeine Mehrheit oder äh qualifizierte Minderheit für eineN spricht. Dahinter stecken oft so Ideen wie „Wer schweigt stimmt zu (oder muss zu allem immer Stellung beziehen)“, „Wer am meisten behauptet, hat am meisten recht (denn es bleibt immer was hängen)“ und natürlich der Klassiker „Die sind nun einmal dafür zuständig/auserkoren und haben am meisten Ahnung (und die Nicht-Spezialisten sollten sich von denen doch bitte gut vertreten fühlen)“. Selbstbestimmt? Bedingt.

Vorgestern war ich kurz in Maastricht und habe mir da angeschaut, wie die Altstadt an Immobilienspekulanten und Einzelhandel verscheuert worden ist, so dass da kaum mehr Menschen wohnen. Wie die Ufer-Gastronomie die Coffeeshops verdrängt hat. Wo sich Juden und andere durch ein Tunnellabyrinth gerettet und Niederländer vor den Franzosen versteckt haben. Wo Mercedes gerne sein Call Center für europaweite Kundenbetreuung hingebaut hat. Und was hingegen ein „Passivraum“ ist – nämlich eine schöne Gegend, in der eben nicht alles in ökonomischen Wertmaßstäben bemessen wird. (Was genau der Begriff nun tut, aber darum ging es ja weiter oben schon.) Und da frag ich dann einen Professor, wie das denn die Stadtbewohner fänden, dass überall nur Einkaufsatmosphäre herrscht, und das nicht einmal in ehemals zerbombten Innenstädten, die zu Fußgängerzonen wurden, sondern in uralten Häusern mit hübschen Gässchen drumrum. Da sagt der so etwas wie: „Wissen Sie, die Niederländer sind schon immer ein Handelsvolk gewesen. Die finden so etwas gut.“ Glaub ich dem das? Lese ich Gutachten? Mache ich ne Umfrage? Sie sehen: Die Fremdbestimmtheit von anderen ist mindestens genau so ein Problem wie die eigene.

Aber vielleicht sehen Sie das ja völlig anders und sind da vollkommen d’accord mit diesen äh Regelungen. Womöglich finden ganz einfach die Deutschen Fremdbestimmtheit gut. Oder eher das Fremdbestimmen? Ach, bestimmt immer wie es grad passt, aber generell ganz dolle. Das ist ja auch alles nur Sprachregelungskram mit diesen Gruppen-Substantiven und so. Da ist bestimmt nur der Germanist in mir durchgegangen. Ja. So wird’s sein. Ich geb’s besser mal schnell wieder auf für heute. Widerspruch zwecklos.

Reisefotos: Jens Kobler
(In dem unterirdischen Höhlensystem war es naturgemäß dunkel. Auf der Zeichnung steht „In calamitatem refugium hic locus est“.)

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Dirk Haas
Dirk Haas
13 Jahre zuvor

@Jens: Für Leser ist dieses 30-köpfige Autorenteam-Wir „Ruhrbarone“ ohnehin eine Chimäre. Das Laurin-Blog hat ein paar Gastautoren – etwas anderes sehe ich nicht.

Stefan Laurin
Admin
13 Jahre zuvor
Reply to  Dirk Haas

@Dirk: Das ist so nicht richtig. Claudia Bender ist jeden Tag dabei. Werner Jurga ein paar Mal die Woche. Jens wöchentlich. Martin Kaysh normalerweise auch. Arnold macht recht viel. Chantal its ein großer Gewinn. Pfeffer auch. Klar ist aber: Der Weggang von David konnte nicht aufgefangen werden. Und der Wegzug Annikas auch nicht. Das ist ein Problem. Ich hoffe, wir werden es lösen können.

Helmut Junge
13 Jahre zuvor

@ Jens Kobler,
„Der erste Mensch hatte keinerlei Anhaltspunkte.“ Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat. Vielleicht war es Camus? Auf jeden Fall ist der Satz Quatsch.
Denn es gab ja keinen ersten Menschen.
Obwohl?
Ich hab da immer wieder mal an den Satz gedacht. Klingt doch interessant.
Aber bei mir selber war das anders. Als ich geboren wurde, da waren schon alle da. Mama, Papa, Oma, Opa, Onkel, Tanten, und sogar schon Vettern mitsamt Wirtschaft.
Und alle redeten auf mich ein. Einmal sollte ich dies tun, einmal das.
Wenn damals einer fremdbestimmt war, dann ich.
Das bin ich selbst heute noch. Da lese ich deinen Artikel, lese deine Betrachtungen über deine mögliche, und unsere wahrscheinliche Fremdbestimmung, und da denke ich plötzlich „eh“, „fremdbestimmt“?, das hat doch was mit dir zu tun. Vielleicht solltest du dazu einen Kommentar schreiben.
Jens, das hast du jedenfalls geschafft.
Aber ich halte meine Meinung nicht hinter dem Berg, und sage: „Fremdbestimmung lehne ich mit aller Entschiedenheit ab!“

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