Es gab einiges an erfreulichem Mail-Hinundher nach dem Text von letzter Woche. Hat mich darin bestätigt, hier nicht öffentlich zu „diskutieren“. Danke! Denn mit der öffentlichen Person ist das doch immer so eine Sache, oder? Ist die nicht allzu oft so wie in dem Spruch „Wes Brot ich ess, des Zunge ich sprech“ oder wie der heißt? Und damit zum Unterthema „uniformiertes Gedankengut“.
1) „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“. (Wittgenstein)
Das ist einer dieser Sprüche, die m.E. nicht so wegen ihres Inhalts, sondern weil sie öffentlich gemacht werden, in der Kritik stehen. Nehmen wir diese Journalistenschulen, Firmenworkshops, Lernprogramme. Da werden Leute „gebrieft“, wird gesagt wie sie was denken sollen, es werden Sprachregelungen getroffen, Krücken für den Geist gebastelt woran dieser sich entlang zu hangeln hat, Verhalten andressiert. Ich sage dann oft euphemistisch bis höflich, dass jemand ein bestimmtes „T-Shirt an“ oder „einen Hut auf“ hat, wenn mal wieder jemand arg im Gedankengebäude seiner oder ihrer Firma oder Gedankenschule unterwegs ist. Falls es ein zu tolerierendes Gedankengebäude ist wie bei Themen á la Partnerschaften oder Geldverdienen oder Musikgeschmack tu ich das natürlich nicht!
Jedenfalls reden und denken viele Leute auch privat oft (lange nach Dienstschluss) noch so, als hätten sie ihre Uniform noch an. Oder sie sind dann plötzlich ganz leer und reduziert auf bestimmte Dinge. Das ist traurig und schade. Und weil das die typischen Hombach-, Springer-, Burda-, Murdoch-, Nannen-Angestellten und –Uniformträger heimlich auch sehr traurig finden, steht diese demaskierende Weisheit, die die Meinungskönige schnell nackt dastehen lässt, nie irgendwo. Dabei müsste sie eigentlich über jedem Artikel der Welt stehen, oder? Na, bei dem hier wenigstens fast.
2) „Ich wünschte ich könnte sprechen. Ich wünschte ich würde da rankommen.“ (Rossmy)
„Link“ seien die Leute in Deutschland, während die Franzosen eher sagten was sie denken, stellte gestern jemand mir gegenüber fest, der gerade frisch aus Paris kam. Darauf sagte ich, dass ich nur kurz nahe Belgien war (Ich hoffe der Artikel hinter dem Link ist schon freigeschaltet, wenn Sie clicken. Da schreiben schon ein paar fitte Leute, wie hier ja auch, haha.) und es mir unter Sarkozy oder Berlusconi ganz schön mulmig werden würde, wenn es so welche in Deutschland gebe. Genau, vielleicht sind deshalb hier alle so link. Hitlervergleich-Vermeidungsstrategie!
Aber warum immer dieser Angstterror? Ich habe letzte Woche mal vorsichtshalber keine Banane gegessen. Und diese Woche esse ich mal keine Äpfel. Man weiß ja eh nie. Und nein! Geregelt und verhindert werden um jeden Preis soll so etwas auch nicht! Keinen Kriegskinderkindermikrofaschismus bitte! Das Symptom ist bekannt! Lasst den Regulierungswahn! Nein, ich trenne keinen Müll! Und wie ich was verarbeite und wie ich wasauchimmer kompensiere, das mach ich bestimmt nicht wie Ihr das in den 60ern, 70ern, 80ern, 90ern…!! („*hysterisch wird*“) Es gab ganz schön viele Experimente, Fleisch gewordene Theorien und sorglosen Umgang mit Ideen in den letzten Jahrzehnten. Da muss man nicht konservativ oder fundamentalistisch drüber werden. Vielleicht pluralistischer aber weniger liberal.
3) Das war eben dasselbe Thema, nur eins „drüber“ quasi. Ich rette mich mal raus, indem ich nicht noch phantastischer schreibe, sondern quasi in-text reflektiere, ne? So. Und nun nochmal in kumpelig: Dass man alle naselang von Leuten mit deren Berufskram vollgequatscht wird, das gehört ja leider zum Lebensstil all dieser Leute, die permanent „auf Sendung“ sind. Dann kommen aber noch deren passende Hobbies dazu und natürlich die – meist technischen – Fetisch und Suchtgrad anzeigenden äh Applikationen oder Lebensabschnittsbegleitgegenstände. Plus Denkweisen halt. Und das lässt irgendwie doch oft keine Rückschlüsse auf den Menschen, sondern auf das Arbeitstier dahinter zu, oder? (Oder das „private“ daran ist noch aus Studien- oder gar Schulzeiten und hat sich nicht weiterentwickelt.)
Na klar werden die Leute bei ihren Vorlieben gepackt. Dann etwas umgebogen dass es zur Firma oder Schule oder zum Verein passt. Und dann bildet sich um alle Menschen so eine kleine Glocke aus Theorien, Informationen, Lebensstilergänzungsmaßnahmen. Eine corporate design Erlebniswelt, in die dann nur noch das dumme Ding, das man Privatleben nennt, eingepasst werden muss. („Spezialistentum killed the Individualismus-Star“ hätte ich da jetzt fast… Oh, hab ich ja!) Und dann: Totale Sicherheit! Kein Fehlverhalten mehr möglich. Leider wird man mit der „Routine“ und dem Altern nachlässiger gegenüber dieser Gefahr. Immer dagegen halten kostet Kraft. Wie uneffektiv aber auch!
Deshalb also: Mein größter Gräuel sind merkwürdigerweise immer noch diese schwer erleuchtet guckenden Volleindimensionalen. Gerade die Internetspezialisten natürlich. Und dann vergucken sich die Kids noch in so welche! Da ist mir die Wurstfachverkäuferin echt lieber! Ach ja, vielleicht macht’s die Arbeiterklasse so doch noch irgendwie! Wenn alle anderen nur noch das Roboter-T-Shirt anhaben. Soll also niemand sagen, ich hätte nicht gewarnt – leider nur auf Deutsch, sorry. Keine Absicht. Routine, wissen Sie. Aber denken auch Sie bitte daran: Nicht jedeR hat Ihre Uniform an. Und nur leicht anderer Farbton gildet nicht.
Reisefotos: Jens Kobler
Ich erkenne nicht das Problem. Jeder schreibt was er denkt und jeder schreibt wie er denkt. Und das ist gut so. Leider sagt nicht jeder offen, wer er ist und, wenn es zur Erklärung bzw. Aufklärung in der jeweiligen Sache notwendig ist, wo er politisch oder beruflich oder……….“zu Hause ist“. Transparenz von Anderen -von Politiker, von Unternehmen, von Behörden-fordern setzt voraus, daß man, ohne die eigene Intimsphähre preiszugeben,selbst zu größtmöglicher Transparenz bereit ist. Daß das „freie Schreiben“ für Journalisten nur begrenzt möglich ist, nämlich im Rahmen der Vorgaben von Herausgeber, Chefredakteuren pp., ist eine Bisenweisheit. Dem begegnen kann man u.a. mittels „Ruhrbarone“ . Das ist gut so. Leider wissen das nicht Viele. Das läßt sich ändern. Durch jeden von uns.
@ Walter Stach: Ich brech einfach mal meine eigene Regel und schreib ausnahmsweise hier: Klar steckt in dem Text drin, dass eher unabhängige Blogs weniger in diesem „corporate thinking“ drin stecken als große Verlage, Partei anhängige und Konzern abhängige Medien. (Womit wir wieder in so einer Kommentarspalten-tyischen, dialogischen Widerspruchslogik sind gerade.) Mir geht es auch darum, dass man sich solcher Prägungen bewusst sein sollte und vor allem unterscheiden, was man „aus Gewohnheit“ (vom 9to5 oder 24/7 aus) sagt oder denkt und wie man etwas privat sieht. Es schreiben und sprechen allzu oft Leute „in Funktion“, meinethalben als Bourgeois und nicht als Citoyen – diese Unterscheidung mache ich öfter mal. Offen sagen wer wer ist und was jemand will, wird mit Rücksicht auf die eigene öffentliche Person (und die damit verbundene Karriere) eben nicht getan, oder halt anonym, oder unter echtem Namen aber dann – gerade bei Menschen, die in der (medialen) Öffentlichkeit stehen – vor allem mit Blick auf dieses „kommerzielle“ Ich. Wer leidergottes mit seiner „Funktion“ voll übereinstimmt, kann am „freiesten“ reden. Und sagt als Mensch am wenigsten. Und das ist dann die hohe Kunst der Untertanendiplomatie – und nicht sehr demokratisch, sondern corporate. So in etwa mein ich das. Und wenn ich merke, wie diese Art sich auch in die Freizeit einschleicht – und das wird bei immer mehr Firmen und Institutionen gepusht (Facebook-Zwang für Parteimitglieder, Sportabende und Kindergärten für Angestellte,…), dann läuft m.E. da was genau falsch. Derzeit will ich nächste Woche noch etwas mehr auf den Staat eingehen und wie der die Bürger als „Geiseln“ nimmt – mal schauen.
Aber sollte man in der Beschreibung nicht mehr Mitgefühl mit diesen Menschen zeigen, denn sie kennen es ja nicht anders? Die Befreiung von der eigenen Unmündigkeit ist ja durchaus bei fast allen vorhanden, was man am zunehmenden Eskapismus bemerkt.
Im jeden Fall ein guter Text.
@ Erdgeruch: Zum ersten Satz: Ja, definitiv. Ich hab hier bei den Ruhrbaronen nur so ein „Hart-aber-herzlich“-Ruhrgebietsklischee-T-Shirt an. Ich dachte auch gestern noch daran, dass ich diese harsche Art (an mir) nicht mag. In einem neuen Lied von Kimya Dawson heißt es sogar in etwa „Hey, manche leben nunmal gerne so.“ Das soll aber die Kernaussage nun nicht relativieren. Und: Na, Eskapismus… Wissen was mit der Freizeit alles anzufangen sein kann wäre natürlich eine Hilfe auf dem Weg weg von äh der Diktatur der Workaholics. Konsumverzicht ist ja nicht gleich Eskapismus, zum Beispiel. Und nicht auf Sendung sein wiederum können manche nicht. Die sind hart drauf, da müssen dann vielleicht auch mal klare Worte her.