Licht bringen in das Dunkelfeld antisemitischer Vorfälle

Polizeieinsatz in der Nähe des Synagoge in Hagen Foto: Laurin

Als Jüdin oder Jude in Nordrhein-Westfalen zu leben kann gefährlich und demütigend sein. Organisationen wie SABRA und RIAS stehen den Betroffenen bei und bringen das Licht in das Dunkelfeld antisemitischer Straftaten und Vorfälle.

Der 27. Januar ist der Tag, an dem 1945 die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz erreichte und knapp 7500 überlebenden Häftlinge befreite. Und es ist der Tag, an dem weltweit den Opfern des Nationalsozialismus gedacht wird. „Für den Lehrer einer Schule in Nordrhein-Westfalen“, erzählt Clemens Hötzel, „war es der Tag, an dem er seiner Klasse beibrachte, dass der 27. Januar der Tag sei, den die Juden bis heute nutzen würden, um Kritik an Israel und dessen Umgang mit den Palästinensern zu unterdrücken.“ Hötzel ist Referent für Antidiskriminierungsarbeit bei SABRA, der in Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf „Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit/Beratung bei Rassismus und Antisemitismus“. Bei SABRA melden sich seit 2017 Jüdinnen und Juden aus ganz Nordrhein-Westfalen, wenn sie Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht haben. Das können Straftaten sein, die auch zur Anzeige gebracht werden können. Aber die meisten Erlebnisse sind nicht justiziabel, sagt Hötzel: „Da erleben Juden wie Querdenker mit einem gelben Stern auf der Jacke demonstrieren, wie sie im Supermarkt auf einmal an der Kasse unfreundlicher bedient werden, nachdem die Verkäuferin sie mit einer kleinen Israelfahne an der Jacke gesehen hat oder der Arbeitgeber zwingt sie am Schabbat zu arbeiten, obwohl das so nicht abgesprochen war.“

Bevor es SABRA gab, wussten die Betroffenen oft nicht, an wen sie sich wenden sollten. Die klassischen Opferberatungsstellen im Land hatten von Antisemitismus oft keine Ahnung und waren auf rechtsradikale oder ausländerfeindliche Vorfälle spezialisiert.

Antisemitismus, sagt Clemens Hötzel, sei komplex: Oft seien die Täter Muslime, aber auch Neonazis seien ein großes Problem. Allerdings ließe sich das Problem nicht auf diese beiden Gruppen reduzieren: „Antisemitismus kann man auch im Umgang mit dem gut gebildeten deutschen Mittelstand erleben.“ Die gängigste Form des Antisemitismus beziehe sich heute auf Israel.

Das erlebt so auch Marina Friemelt. Friemelt ist bei SABRA für die Präventionsarbeit zuständig. Gemeinsam mit ihren Kollegen hat sie einen Virtuellen Methodenkoffer zum Thema Antisemitismus zusammengestellt. In Schulen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung klärt sie nun über Israel und das Judentum auf. „Die meisten“, sagt Friemelt“, haben ein Bild von Jüdinnen und Juden oder Israel im Kopf, aber wenig Wissen.“ Das versucht sie zu ändern: „Das Israel ein Hightech-Land ist, in dem Menschen mit den verschiedensten Religionen leben, es aber der einzige Staat auf der Welt ist, in dem Juden in der Mehrheit sind, ist den wenigsten klar.“ Ihr Bild auf Israel sei bestimmt vom Nahost-Konflikt, Juden kennen sie vor allem als Opfer des Holocausts.

Friemelt besucht keine Schulklassen, in dem es kurz zuvor antisemitische Zwischenfälle gegeben hat: „Dann würde unser Erscheinen als Strafe wahrgenommen werden, das wollen wir nicht.“ Aber wie Hötzel hat auch sie die Erfahrung gemacht, dass das Problem des Antisemitismus nicht auf eine bestimmte Gruppe beschränkt ist: „Egal welches Alter, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund: Die Vorurteile sind immer dieselben und das Wissen ist immer dünn.“

Olga Rosow ist Leiterin der Sozialabteilung Jüdische Gemeinde Düsseldorf und koordiniert die Arbeit von SABRA. Die Beratung von Menschen, die mit Antisemitismus konfrontiert waren, gehörte eigentlich nicht zur Arbeit ihrer Abteilung: „Wir haben unsere Gemeindemitglieder ursprünglich nur bei ganz klassischen sozialen Problemen beraten. Da ging es um die Rentenversicherung, Mietrecht oder Unterstützung im Krankheitsfall.“ Aber immer mehr Männer und Frauen kamen auch in die Beratung, weil sie über antisemitische Vorfälle reden wollten, die sie erlebt haben. „Das führte dann dazu, dass wir mit Unterstützung des Landes 2017 SABRA gegründet haben.“

Das könnte mit dem Jahr 2014 zu tun haben: Damals reagierte Israel auf langanhaltenden Raketenbeschuss aus Gaza mit einer Militäraktion. Das Ziel der Operation Protective Edge war es, die Raketenstellungen von terroristischen Gruppen wie der Hamas oder der al-Aqsa-Märtyrerbrigaden auszuschalten. Doch kaum das Israel damit begonnen hatte sich zu wehren kam es auf zahlreichen antiisraelischen Demonstrationen, an denen neben viele Muslimen auch Neonazis und Anhänger der Linkspartei teilnahmen, zu antisemitischen Ausschreitungen. In Essen wurde eine kleine Gruppe von Israelanhängern von Demonstranten bedroht und beworfen, in den Innenstädten waren wochenlang Rufe wie „Kindermörder Israel“ oder „“Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“ zu hören.  Der Sommer 2014, das sind sich alle bei SABRA einig, hätte die Politik beim Thema Antisemitismus sensibilisiert.

Doch SABRA kann nicht alle Fälle in NRW aufnehmen und gleichzeitig die Opfer beraten und begleiten. Deshalb befindet sich eine zweite Organisation im Aufbau, die ihre Arbeit zu Beginn des kommenden Jahres aufnehmen wird: Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) wird eine Zweigstelle in NRW gründen. In Köln, Düsseldorf und Dortmund werden dann antisemitische Vorfälle registriert und dokumentiert. Unterstützt wurde die Gründung von RIAS in NRW auch von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der Antisemitismusbeauftragen des Landes. Der Aufbau von RIAS in NRW „sei eines der ersten Schwerpunktprojekte der Antisemitismusbeauftragten nach ihrer Berufung durch die Landesregierung.“, teilt Leutheusser-Schnarrenbergers Büro auf Anfrage der WELT AM SONNTAG mit.  Vor allem die Vorfälle zu Beginn des Jahres, wie der Angriff auf die Synagoge in Gelsenkirchen, hätten erneut gezeigt, dass der israelbezogene Antisemitismus sowie auch der islamistisch geprägte Antisemitismus weitere Verbreitung finden.

RIAS wird mit seinen Daten auch dazu beitragen, das Dunkelfeld antisemitischer Vorfälle zu beleuchten. Die dann veröffentlichten Erkenntnisse könnten beunruhigend sein, werden aber die Debatte über Antisemitismus vom Kopf auf die Füße stellen:  Je mehr man weiß, umso besser kann man handeln.

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Fassung bereits in der Welt am Sonntag

 

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