Nein, Katrin Göring-Eckardt hat den ukrainischen Präsidenten nicht gesehen. Er wurde dem Deutschen Bundestag live aus Kiew zugeschaltet, um sich 5:37 lang anzuhören, wie ihm die grüne Vizepräsidentin seine Welt erklärt.
Es war eine gespenstische Inszenierung gestern im Bundestag, sie war es nicht erst nach der Rede, mit der Wolodymyr Selenskyj die bundesdeutsche Politik beschämt hat, die daraufhin sehr betont zur Geschäftsordnung überging, sondern war es von Beginn an: der ukrainische Präsident gleichzeitig zugeschaltet und weggeblendet. Er wurde ins Bild gerückt, dann baute sich Göring-Eckardt davor auf.
Nach 0:45 Minuten ist die grüne Vize-Präsidentin des Parlaments mit ihrer Rede durch, sie hat Selenskyj begrüßt, ebenso Andrij Melnyk, den ukrainischen Botschafter – „schön, dass Sie erneut bei uns sind“ – und hat gesagt, was zu sagen ist: Der „brutale Angriff auf die Ukraine, auf die Freiheit, auf die Demokratie schafft ein Leid, dessen Ausmaß wir hier nur erahnen können.“
Dann aber gibt sie das Wort nicht an den, der das Ausmaß minütlich und unmittelbar ermessen muss, sie erahnt selber drauf los und berichtet über ihre TV-Erlebnisse der letzten Tage, ihr fallen Sätze dazu ein wie „Menschen sind tot“, dann spricht sie die toten Menschen direkt an: „Wir sehen euch, wir sind in Gedanken bei euch“. Wolodymyr Selenskyj regungslos auf den beiden Leinwänden im Hintergrund, es sind die toten Bürger seiner Republik, die Göring-Eckardt antextet, er selber gerät erst spät in ihren Blick, da sind wir schon bei 3:45:
„Herr Präsident, lieber Wolodymyr Selenskyj, wir können Sie sehen.“
Können ihn aber noch immer nicht hören, weil Göring-Eckardt immer weiter textet, sie sieht ihn so, wie sie die Toten sieht, deren Präsident er ist, in deren Namen aber nicht er, sondern Göring-Eckardt spricht und spricht. Jetzt erklärt sie ihm, wie er, der gesehen werde, das alles zu sehen habe: Putin, sagt sie ihm, „versucht, Ihrem Land eine eigene Geschichte, Identität, Existenzrecht abzusprechen. Doch damit ist er schon jetzt gescheitert.“
Spontaner Beifall im Bundestag, die Vizepräsidentin vermeldet einen Sieg, von dem man nicht erfährt, wie er denn errungen worden sei, da wechselt das TV-Bild hinüber zu Wolodymyr Selenskyj: Hat ihn die Nachricht schon erreicht?
Er schließt kurz die Augen, öffnet sie nur halb, was sein Blick dann erzählt: dass er uns aufgegeben hat. Und im selben Moment, in dem er uns anschaut und aufgibt, schiebt sich Göring-Eckardt erneut ins Bild und erklärt, als sei nun sie Selenskyj: „Die Ukrainer und Ukrainerinnen sind geeinter und entschlossener als je zuvor. Sie zeigen jeden Tag, wie stark ihr Freiheitswille ist. Und ich sag das auch ganz persönlich“ –
Was?
„…ich sag das auch ganz persönlich, Herr Präsident, als jemand, der in der DDR aufgewachsen ist und Teil der friedlichen Revolution war, weiß ich, dass Freiheit ein Geschenk ist und doch immer wieder erkämpft werden muss.“
Sätze mit „ich“ und „persönlich“ sind immer suspekt: Wer soll es hier sein, der wem welche Freiheit schenkt? Wer ist ich, der hier auch ganz persönlich kämpft? Was teilt Göring-Eckardt hier wem mit? Noch immer – wir sind bei 4:46 – ist kein einziges Wort gefallen, das sich auch nur von ferne mit der ukrainischen Armee assoziieren ließe, kein Wort darüber, dass Waffen braucht, wer Freiheit „erkämpfen muss“, kein Wort des Respekts für keinen ukrainischen Soldaten, für keinen toten und keinen lebenden. Göring-Eckardt hat ihre Betroffenheit zu Beton angerührt.
Dabei ist doch allen klar, dass die bundesdeutsche Politik in einem dramatischen Dilemma steckt, es wäre ein Leichtes gewesen, dieses Dilemma – es ist eines der Gewissen – zu benennen. Nichts davon bei Göring-Eckardt, sie versucht, das Ganze mit Gefühligkeit zu überspielen, die hohl klingt wie eine leere Granatenhülse.
Als sie am Ende erklärt, „lieber Wolodymyr Selenskyj, Deutschland steht an ihrer Seite“, steht da jene Mauer, von der Selenskyj dann in seiner Rede spricht: Zu den „Steinen für die neue Mauer“, die er nennt – „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“, ein ausgebremster EU-Beitritt – zu diesen Steinen zählt auch ein Mitgefühl, das sich selbst genügt.
Dieser Artikel wirkt.
Danke.
Wie dumm oder blöd muss oder darf man(n)/frau sein, um als Bundestags-Vizepräsidentin eine solche Begrüßungsrede für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu halten?
Selenskyj hat recht: D muss sich schämen.
Okay, die Vizepräsidenten des Bundestages handelt die Begrüßung eines Staatspräsidenten nicht in 45 Sekunden ab, sondern spricht knapp fünf Minuten länger. Das ist natürlich skandalös.
Und sie sagt auch noch "ich" und "persönlich". Das ist natürlich noch viel schlimmer.
Und das allerallerschlimmste:: Sie zeigt nur "Gefühligkeit" und keinen "Respekt", wenn sie, nach Zitat des Verfassers des obigen Textes, sagt: "Die Ukrainer und Ukrainerinnen sind geeinter und entschlossener als je zuvor. Sie zeigen jeden Tag, wie stark ihr Freiheitswille ist." Mir kommt das zwar schon irgendwie respektvoll vor, aber was weiß ich schon.
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Oder aber hier will sich jemand unbedingt aufregen, findet keinen rechten Grund dafür und tut's dann einfach ohne.
Der Artikel trifft es auf den Punkt. Auch Scholz hat eine erbärmliche Figur abgegeben. Man muss sich für so einen Kanzler schon schämen.
Nachdem ich 48 Stunden brauchte, um aus dem Loch des sich "in Grund und Boden Schämens" an die Oberfläche zu klettern, bekomme ich diesen Beitrag zu lesen. Die sog. Anmoderation von Göring-Eckhardt kannte ich nicht. Schon während des Lesens war ich wieder in dem Loch, aus dem ich 48 Stunden brauche, um wieder nach oben zu kommen.
Schließe mich #1 an: Der Artikel wirkt
Paule t., #3
Das du als 2RGfan, der im Forum ständig Russland das Wort geredet und um Verständnis für Putins Sicherheitsinteressen geworben hat, den Beitrag von Thomas Wessel nicht verstehst/ verstehen willst, war zu erwarten.
@ paule t.
kennst du nicht das ungeschriebene Gesetz der Ruhrbarone, das auch für Katrin Göring-Eckardt gilt:
Einen NATO-Einsatz in der Ukraine zu fordern, ist obligatorisch.
Mit anderen Worten: "3 Weltkrieg? Ja, sofort! Ich bin dabei!"
@ MAD So ein Unsinn. Im Text steht deutlich, dass es um ein dramatisches Dilemma geht.
Das Göring-Eckardt aber – @ paule t – mit keinem Wort erwähnt, sie entrealisiert. Scheinbar konkret nennt sie den Namen von Yevhen Malyshev, „der ukrainische Biathlet ist tot“. Dass er als Soldat der ukrainischen Armee gefallen ist, lässt sie untern Tisch fallen. „Seit 3 Wochen leisten die Menschen in der Ukraine mit allen Kräften Widerstand.“ Dass es die ukrainischen Streikräfte sind, die Widerstand leisten, sagt sie nicht. Die Ukrainer seien "entschlossener als je zuvor", sagt sie und sagt nicht, dass dies eine militärische Entschlossenheit ist. Usw., es zieht sich quer durch ihre Rede.
Dabei ist dies der Elefant im Raum (die Metapher stammt sinnigerweise von Dostojewski), es ist das Thema sowohl von Selenskyj wie in den Fraktionen, es ist das Thema des Tagesordnungspunkts, den sie selber aufgerufen hat. Göring-Eckardt wischt das Thema vom Tisch, das war schon vor Selenskyjs Rede so, nicht erst nach ihr.
Was wirklich zum schämen ist, ist der Umstand das das Parlament schlicht nicht ehrlich ist.
Genau wie der Autor sagt, redet man um dem heißen Brei herum und klopft sich mit Betroffenheitsrhetorik sogar noch auf die eigene Schulter.
Die einzige, die sich zum Dilemma je rational geäußert hat war Frau Baerbock, die entgegen aller Erwartung sich als deutlich professioneller erweist, als das Parlament oder der Kanzler.
Ihre jüngsten Einlassungen zur zukünftigen strategischen Ausrichtung zeugen von Kompetenz und Pragmatismus und dem willen Konsequenzen aus dem Desaster zu ziehen
Es wäre ehrlicher gewesen die eigene Schwäche zum Konflikt zuzugeben.
Absolut erbärmlich und ein Verrat gegenüber dem "Nie wieder" ist aber die zögerliche Haltung bei den Waffenlieferungen und der späten diplomatischen Umkehr.
Das ist schlicht ein moralischer Bankrott, den uns die Ukrainer zu Recht nicht verzeihen werden.
Das wir nicht in den Krieg eintreten, das hätte Selenskyj durchaus akzeptiert.
Den erbärmlichen Eiertanz des Kanzlers aber, ebenso wie die absolut unangemessen Rede Göring Eckardts jedoch nicht.
Das Ereignis hat das ansehen Deutschlands weiter und zusätzlich massiv beschädigt, wurden wir schon vorher für Zuschauer sichtbar vielerorts nicht mehr ernst genommen bei diplomatischen Zusammentreffen, dürfte nun eine neuer Tiefpunkt erreicht sein, der Jahrzehnte brauchen wird um wieder wett gemacht zu werden.
Kurz gesagt: Wir sind ein Land mit großen verbalen Gesten und kleinsten Taten, das auf keinen Fall mehr als Geld opfert und das auch nur, solange es den Wohlstand nicht berührt.
@ Bart Wolfson #6, Zitat, an mich gerichtet:
"Das du als 2RGfan, der im Forum ständig Russland das Wort geredet und um Verständnis für Putins Sicherheitsinteressen geworben hat, …"
Ja, ich hätte lieber die Linken in der Regierung gesehen als die FDP ("Fan" ist aber deutlich übertrieben). Wegen Finanz-, umwelt-, wirtschafts-, sozialpolitischer Fragen u.dgl. mehr. Es ist für dieses Thema aber herzlich irrelevant, weil ich das mit ziemlicher Sicherheit nicht bei außen- oder sicherheitspolitischen Themen zum Ausdruck gebracht habe – die sind nämlich genau das Thema, dessentwegen ich Bedenken gegenüber der Linken in der Regierung gehabt hätt.
Dass ich "ständig Russland das Wort geredet und um Verständnis für Putins Sicherheitsinteressen geworben" hätte, würde ich erst mal als glatte Lüge bezeichnen. Ich bäte um Belege (ganz ausschließen, dass ich mal dummes oder missverständliches Zeug geschirben hätte, kann ich natürlich nicht) oder alternativ eine Entschuldigung.
Auch jetzt rede ich gewiss nicht Russland das Wort, wenn ich es für keine gute Idee halte, die NATO in einen direkten Krieg mit Russland zu schicken, weil dann mMn tatsächlich ein Atomkrieg wahrscheinlich wäre. Alle Hilfe für die Ukraine unterhalb dessen halte ich für sehr wünschenswert.
@ MAD | Ihren jüngsten Kommentar schalte ich nicht frei. Versuchen Sie zu argumentieren. Da Sie anonym texten, darf man das erwarten.
@Thomas Wessels, #8:"Wir sind ein Land mit großen verbalen Gesten und kleinsten Taten, das auf keinen Fall mehr als Geld opfert"
Das mag sein und ist als persönliche Meinungsäußerung in jedem Fall akzeptabel.
Allerdings bitte ich daran zu denken, dass wir auch das Land mit den zwei großen Weltkriegen und der Shoa sind, von daher bitte ich um ein wenig verbale Abrüstung.
Wie würde es und anstehen, wenn wir wieder zum "Blitzkrieg-Kraut" würden (der wir in England ja immer noch sind)?
Und wie würde es Ihnen gefallen, wenn Sie dann im Ausland so begrüßt würden wie derzeit Menschen mit russischer Herrkunft?
Da ich täglich Kontakt mit Menschen im Ausland habe kann ich Ihnen versichern, dass ein Ramboauftreten sicherlich direkt zu uns persönlich zurückkommen würde.
Das ist etwas, worauf ich gern verzichte.
P.S. die unsäglichen Selbstdarstellungen von KGE möchte ich gar nicht erst kommentieren.
@ Thomas Wessel #11
was war an meinem Kommentar falsch? Nichts!
Sich hinter "Versuchen Sie zu argumentieren" zu verstecken, und damit bei Lesern, die meinen unveröffentlichten Kommentar nicht kennen, einen falschen Eindruck zu erzeugen: wie würden Sie das nennen?
Schalten Sie meinen Kommentar frei, einen anderen gibt es von mir nicht.
Paule t. : „Also: RGR oder GRR, je nach dem. Und dieses Gejaule, dass die Linkspartei aber gar nicht demokratisch sei … meine Güte.“
paule t. am 26.8.2021 um 13.22 auf ruhrbaronbe.de
… kann aber auch auf tagesschau.de gewesen sein… möglicherweise steht da Aussage gegen Aussage.
Spätestens da, wo die Außenpolitik der SED Nachfolgepartei DieLINKE ausgeblendet wird, fängt die eigentliche Lüge/ der Selbstbetrug an.
Gregor Gysi sagte Anfang des Monats in einem Interview:
„Wenn wir jetzt in der Regierung wären – das wäre eine absolute Katastrophe“
Gysi hat Recht und wir in Deutschland können alle froh sein, dass du, paule t, aber auch die anderen RRG Freunde in diesem Blog, politisch nicht wirklich etwas zu melden haben.
Ja wie lange noch können wir den gewählten Präsidenten eines souveränen Staates sehen?Es ist eine Schande sondergleichen für Europa dass auf eine solche Menschenerachtende Aggression nicht sofort und entschieden militärisch reagiert werden kann.Auch beim Zerfall Jugoslawiens hat Europa viel zu lange gezögert militärisch einzuschreiten.So viele Tote hätten damals vermieden werden können.Auch jetzt werden wir wieder Zeuge werden wie wahrscheinlich Millionen von Unschuldigen Menschen von diesem Obernazi Putin elendig umgebracht werden.Das Reich des Bösen scheint im Moment zu siegen.İch will den Eisernen Vorhang wieder.
@ Radio Eriwan #14: Könnten Sie für dieses Zitat einen Link oder meinen kompletten Post geben?
Ich kann das weder ergoogeln (eine markante Phrase aus dem Zitat ergibt nur Ihren aktuellen Kommentar) noch bei ruhrbarone.de aufrufen (ich kann nur 60 Seiten aufrufen, und das scheint länger her zu sein).
Dieses kurze Zitat belegt ja nun keine Zustimmung zur Außenpolitik der Linkspartei, geschweige denn der Politik Putins (wie Bart Wolfson #6 fälschlich behauptet). Dass ich aus gänzlich anderen Gründen die Linken gegenüber der FDP in der Regierung bevorzugt hätte, habe ich ja selbst schon geschrieben. Daher weiß ich nicht genau, was Sie mit diesem Zitat bezwecken wollen.
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Lieber Paule t. Ich bin weder dein Privatsekretär, noch von irgend jemand anderem. Auf der Universität habe ich gelernt, dass ein Zitat in Anführungszeichen gesetzt werden muss und sowohl Verfasser, als auch Quelle und Datum genannt werden müssen um als seriös durchzugehen. Genau das habe ich getan, insofern wundert es mich, daß du nicht selber in der Lage bist, deine Aussagen, auch wenn sie einige Monate zurück liegen, bei den Ruhrbaronen wiederzufinden und zu überprüfen . Hier Dein Beitrag vom 26.8.2021 von 13.22 Uhr etwas ausführlicher: „Natürlich sollten die demokratischen Parteien miteinander reden. (Wenn ich mal so durchzähle, komme ich aber – CDU/CSU als eine gezählt – auf fünf.) Und dann sollten die koalieren (wenn es denn für eine Mehrheit reicht), die nach den Wahlprogrammen die meisten Dinge gemeinsam durchsetzen könnten: die dringend notwendigen Investitionen in Bildung und Infrastruktur vornehmen; eine etwas sozialere Politik; das dafür notwendige Geld da holen, wo es ist; ernsthafter Klimaschutz; …
Also: RGR oder GRR, je nach dem.
Und dieses Gejaule, dass die Linkspartei aber gar nicht demokratisch sei … meine Güte. Nicht weiter ernst zu nehmen. Dann sind die CDU, die zwei Blockparteien geschluckt hat und zum undemokratischen rechten Milieu so ausfranselt wie die Linkspartei zum undemokratischen linken Milieu…“
@ Radio Eriwan
"Ich bin weder dein Privatsekretär …" et patati et patata:
was du bist, sagt dir besser keiner …