Ligeti am Aalto: Der versoffene Weltuntergang

Mariame Clement inszeniert Ligeti
Mariame Clement inszeniert Ligeti

Humor ist in der Musik ein seltenes Gut. Wohlgemerkt: echter musikalischer Humor. Songs mit lustigen Texten oder Opern mit witziger Handlung sind hier nicht gemeint, da sich dort der Humor oft ausschließlich auf der Text- oder Handlungsebene manifestiert. Im vergangenen Jahrhundert findet sich eine dürre Linie echten musikalischen Humors, die bei Erik Satie beginnt. Der wurde zwar nach Jahrzehnten der nahezu vollständigen Vergessenheit in den 1980er Jahren wiederentdeckt, fristet aber heute wieder in Gestalt seiner Gymnopedien ein trauriges Schicksal als verkitschter Werbemusiklieferant. Seine humoristischen Kompositionen wie die Sonatine bureaucratique, die musique d’ameublement, sports e divertissements oder Parade sind in Vergessenheit geraten. Dass Erik Satie überhaupt wiederentdeckt wurde geht zu guten Teilen auf das Konto eines anderen großen musikalischen Humoristen: John Cage. An dritter Stelle ist sicherlich Mauricio Kabel zu nennen, dessen elementarer musikalischer Witz ihn zeitweise zu einem Star der Neue-Musik-Szene machte. Und dann ist da noch György Ligeti. Bei dem großen Ungarn paaren sich auf geniale Weise Humor und ausgefeilte Avantgarde. Selbst in seinen berühmten Klangflächenkompositionen finden sich musikalische Scherze. So gibt es in Atmosphere eine 64-stimmige Fuge in den Streichern, die perfekt auskomponiert ist, aber selbst das geübte Gehör überfordert. Da findet sich in Lontano eine unendlich zerdehnte Gewittermusik, die an die Naturschilderungen von Beethovens Pastorale gemahnt, aber in der unendlichen Langsamkeit absurd wird. Kompositionen wie Volumina für Orgel und Continuum für Cembalo sind im Grunde ebenfalls als Scherze zu verstehen. Freilich als solche mit größter musikalischer Intelligenz und Kunstfertigkeit.

Ligetis Bühnenwerke sind vollends dem musikalischen Humor gewidmet. Schon Aventures und Nouvelle Aventures, jene zwei Kurzopern, die in einer Fantasiesprache gesellschaftliche Konventionen destruieren und noch mehr die Anti-Anti-Oper Le Grand Macabre. Bereits die Bezeichnung als „Anti-Anti-Oper“ beschreibt das Werk als musikhistorischen Scherz. Während es in den 1970er Jahren vor allem darum ging, das scheinbar überkommene Genre der Oper durch eine weitestgehende Auflösung der Form und die Verneinung von Handlung zu modernisieren, schreibt Ligeti eine Oper in fast klassischem Stil mit ganz stringenter Story.

In „Le Grand Macabre“, die auf ein Stück des belgischen Surrealisten Michel de Ghelderode zurück geht, steigt Nekrotzar – der große Makaber – aus seinem Grab. Sein Plan ist, um Mitternacht die Welt, die hier „Breughelland“ heißt, untergehen zu lassen. Während sich das Liebespaar Amanda und Armando ausgerechnet das offen Grab Nekrotzars für ihren Liebesakt aussucht, trifft dieser auf Piet vom Fass. Nekrotzar macht den dauerbetrunkenen Piet zu seinem Gehilfen und reitet auf ihm davon. Erste Station ist das Haus des Astronomen Astradamors, dessen Frau Mescalina ihre sadistischen Sexfantasien nicht mit ihrem Mann befriedigend ausleben kann. Astradamors bestätigt Nekrotzars Weltuntergangsvorhersage und letzterer schläft mit Mescalina, die daraufhin zwar zum ersten Mal in ihrem Leben befriedigt wird, aber auch gleich darauf stirbt. Die nächste Station ist der Regierungssitz des infantilen Prinzen Gogo, der von zwei ständig streitenden Ministern drangsaliert wird. Hier betrinken sich schließlich Piet vom Fass, Astradamors und Nekrotzar. Vollständig besoffen verschläft der große Makaber den Zeitpunkt des Weltuntergangs. Im letzten Bild glauben sich alle im Himmel, müssen jedoch nach und nach feststellen, dass der Weltuntergang nicht stattgefunden hat.

Seine gesamte Kunstfertigkeit in der musikalischen Gestaltung zeigt Ligeti schon im legendären Vorspiel für mechanische Autohupen. Die ungenaue und schwankende Tonhöhe der Hupen bildet den Zustand des Breughellandes auf das genaueste ab. Ligeti nutzt in Le Grand Macabre alle Techniken, die in den 1970er Jahren zur Verfügung standen. Er arbeitet mit Zitaten und Anspielungen, lässt genauso Klangflächen wie expressive Atonalität einfließen. Der Orchester-Klang ist vor allem bestimmt von einem enorm erweiterten Schlagwerk. Der Witz von Ligetis Partitur zieht wahrlich alle Register, liefert sowohl hochintelligentes, das sich nur dem musikhistorisch Gebildeten erschließt, wie auch derbe Scherze und Kalauer, die satirisch der Komponistenzunft an den Kragen gehen und dem Hurz-Kalauer von Hape Kerkeling zum Vorbild gereicht haben könnten.

Le Grand Macabre hätte durchaus alle Qualitäten, um zum Repertoire-Klassiker zu werden, doch mit der zunehmenden Spielplan-Mutlosigkeit der Häuser, die spätestens seit den 1990er Jahren zu beobachten ist, verschwand nahezu alles, was nach dem zweiten Weltkrieg komponiert wurde, von den Bühnen. Das Aalto-Theater in Essen wagt es nun, Le Grand Macabre neu zu inszenieren. Mit Mariame Clement wurde dafür eine Regisseurin verpflichtet, die bereits 2013 in Dortmund mit ihrem „Figaro“ zeigte, dass sie zu den ganz großen Talenten in der Opernregie gehört. Unter ihrer Leitung hat Le Grand Macabre die Chance zu der Opernsensation der laufenden Saison im Ruhrgebiet und weit darüber hinaus zu werden.

Premiere: 14.2.; weitere Vorstellungen: 17., 19,. 22., 28.2., 4., 6., 18., 20.3., Essen, Aalto Theater

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Reinhard Matern
9 Jahre zuvor

Herzlichen Dank für den Hinweis auf die Aufführungen des „Le Grand Macabre“ in Essen. Ich freue mich über das Wagnis. Eine wundervolle Oper, die man historisch auch in einen Kontext mit der „Zauberflöte“ (als Singspiel) stellen könnte. „Le Grand Macabre“ und das von Nekrozar verlautete Ende der Welt passt durchaus in die aktuelle Krisenzeit 😉

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