Während sich Linke darüber streiten, wer was sagen darf, wer welche Emojis benutzen darf und was jetzt Cultural Appropriation ist und was nicht, geraten wirtschaftliche Themen immer weiter ins Hintertreffen. Dabei sind auch hier Lösungen dringen notwendig. Von unserem Gastautor Marcel Richters.
Der Trump-Schock steckt wahrscheinlich auch in Europa den meisten Menschen noch in den Knochen. Dass der umstrittene Milliardär wegen seines Rassismus gewählt worden ist, darf inzwischen als widerlegt betrachtet werden. Die meisten Wählerinnen und Wähler konnte Trump im Rust Belt gewinnen, jener Region im Norden der USA rund um den Lake Michigan, die besonders vom Niedergang der verarbeitenden Industrie besonders getroffen wurde. Auch das Trump den Waffenbesitz weiter liberalisieren will und das Militär aufrüsten lässt sich auf wirtschaftliche Ängste zurückführen. Wer Angst vor dem Abstieg hat, will sich schützen. Vor allem gegen die, die noch weniger haben. Und da die Rüstungsindustrie in den USA einer der wichtigsten Wirtschaftszweige ist, bedeutet Aufrüstung auch Arbeitsplätze. Es lässt sich drehen und wenden, der wichtigste Grund für die Wahl ist und war die wirtschaftliche Lage. Übersetzt in einen kruden, mit diversen rechten Ideologien vermischten Sozialdarwinismus, ohne Frage. Aber das ändert nichts am Kern der Sache. Wer anderes behauptet, argumentiert – und hier ist das Wort endlich mal angebracht – postfaktisch. Natürlich haben Rassismus, Misogynie und Erzkonservatismus bei den Wahlen in den USA eine Rolle gespielt, aber sie haben sie nicht entschieden. Diese Themen aber in den Mittelpunkt der Diskussion zu rücken, lenkt von den Fakten und der eigentlichen Problematik ab. Wer ein beliebtes Onlinelexikon bedient, wird feststellen, dass genau diese Art von Politik die Definition von postfaktischer Politik ist.
Umso wichtiger ist es, sich mit aktuellen wirtschaftlichen Problemen vor der eigenen Haustür zu beschäftigen. Die Finanzkrise seit 2008 hat den Aufstieg der AfD entscheidend befördert, wenn nicht ihr entstehen erst bedingt, daher gilt es diesmal Antworten zu finden, bevor die Krise da ist. Wir erinnern uns: Vor 2008 wurden in den USA zu viele Kredite vergeben, bei denen klar war, dass sie eigentlich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kreditnehmer*innen überstiegen, sogenannte Subprimekredite. In vielen Fällen handelte es sich um Hypotheken, bei denen Wohneigentum – in den USA weit verbreitet – die Sicherheit für die Bank darstellte. Das Ganze ging so lange gut, wie die Immobilienpreise stiegen oder zumindest stabil waren. Als die Blase zerplatzte, wurde klar, dass große Mengen des verliehenen Geldes nicht an die Banken zurückfließen würden. Es brach Panik an den Märkten aus, die Banken liehen sich gegenseitig kein Geld mehr. Die Zinsen schossen in die Höhe, da Barmittel knapp wurden. Finanziell schwache Staaten wie Griechenland konnten sich kein Geld mehr leihen und wurden an den Rand des Bankrotts gedrängt, der Euro drohte zu scheitern und konnte nur mit gigantischen Summen aus den Mitgliedsstaaten gestützt werden. Das wiederum rief den Unmut vieler Wirtschaftsliberaler und Nationalist*innen hervor, die AfD war geboren. So zumindest die stark gekürzte Fassung. Wenn man bedenkt, dass die Krise auch für gestiegene Lebensmittelpreise in Tunesien verantwortlich war, welche wiederum zum öffentlichen Selbstmord des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi geführt haben, der den Arabischen Frühling und damit den syrischen Bürgerkrieg auslöste, wird deutlich, welche historische Bedeutung diese Finanzkrise wirklich hat.
Was sich derzeit in Italien abspielt, hat Potenzial, eine ähnliche Entwicklung anzustoßen. Noch ist die Lage nicht so kritisch wie vor rund acht Jahren, aber es wird Zeit, sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Diesmal ist es die Monte Dei Paschi, eine der größten Banken Italiens und die älteste noch existierende der Welt, die Anlass zur Sorge gibt. Das Geldhaus sitzt auf einem Berg fauler Kredite. Sie hat Geld verliehen, welches sie nicht zurückbekommen wird. Inzwischen wird die Kapitallücke auf 8,8 Milliarden Euro geschätzt. Das ist die Summe, welche die Bank braucht, um weiterhin ihren Geschäften nachgehen zu können.
Woher das Geld kommen soll, war lange strittig. Nachdem letztes Mal der Bail-Out, also die externe Rettung der Banken, für großen Unmut gesorgt hat, besteht unter anderem die deutsche Regierung auf einem Bail-In, also der Rettung der Bank mit Mittel von Anleger*innen und Kund*innen. In Italien kommt aber verschärfend hinzu, dass viele Menschen an den Banken, bei denen sie ihr Konto haben, auch Anteile halten. Ein Bail-In würde viele doppelt treffen und eine Welle von Privatinsolvenzen mit unabsehbaren Folgen für die italienische Wirtschaft nach sich ziehen. Daher hat die EU-Komission einer Rettung durch den Staat zugestimmt. Eine solche Rekapitalisierung wird dennoch große Summen an Steuergeldern verschlingen – mit ungewissem Ausgang. Denn ob die Bank damit wirklich wieder langfristig stabilisiert werden kann, ist fraglich.
Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) würde Italien zwar aufgrund der Rettungsmaßnahmen noch nicht abwerten, sieht das Land aber derzeit ohnehin auf der Bonitätsnote BBB-. Das bedeutet, wer dem italienischen Staat Geld leiht, geht damit bereits jetzt ein erhebliches Risiko ein. Ähnlich stand es um Griechenland, bevor es sich gar kein Geld mehr an den internationalen Finanzmärkten leihen konnte. Die Gesamtschulden Italiens liegen gemessen am Bruttoinlandsprodukt schon bei 130,4 %, Verträge innerhalb der Europäischen Union definieren 60 % als obere Grenze für einen stabilen Staatshaushalt. Laut S&P sorgt allein der Rettungsplan für den italienischen Bankensektor mit einem Umfang 22 Milliarden voraussichtlich für einen Anstieg um weitere 1,2 %, zusätzlich zu den Schulden, die sich durch das Tagesgeschäft des Staates weiter anhäufen.
Die Lage ist also ernst. Darum ist es an der Zeit, sich wieder dem alten Grundsatz zuzuwenden, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Wenn sich das Sein der italienischen Sparer*innen so radikal verändert, wie es der Fall sein könnte, würde das wohlmöglich unabsehbare Folgen für die politische Entwicklung in Italien und damit ganz Europa, vielleicht sogar weltweit, haben. Es wird diesmal nicht reichen, den „Kasionkapitalismus“ zu verdammen und die Macht der Banken und Konzerne brechen zu wollen. Die Situation erfordert grundsätzlich Anderes als hämische Freude über die vermeintliche Systemkrise. Wenn linke Politik auf diese Krise keine Antworten findet, und lieber kulturelle Fragen bis ins kleinste Detail ausdiskutiert und sich darüber zerfleischt, kann das nur zu einer weiteren Marginalisierung führen. Schlimmer noch, vermeintlich linke Wirtschaftspolitik wird dann von autoritären, regressiven und protektionistischen Tönen geprägt, wie sie aus der AfD und Teilen der Linkspartei zu hören sind oder bei Demonstrationen gegen TTIP und CETA laut werden. Das soll nicht heißen, dass kulturelle Fragen keine Bedeutung haben. Aber es ist Zeit sich über ihren Stellenwert Gedanken zu machen. Wer sich bei sozialen und wirtschaftlichen Fragen nicht mit Plattitüden abfinden und diese Themen nicht den Rechten und autoritären Linken überlassen will, sollte anfangen, nach Lösungen zu suchen und die Defensive zu verlassen. Linke Wirtschaftspolitik hat, wenn überhaupt, zu lange nur auf rechte Umtriebe reagiert, anstatt eigene Ansätze zu entwickeln. Es gilt, alte Denkmuster zu überwinden. Und zwar bevor es zu spät ist.
Trump ist also nicht wegen seines offenen unverhohlenen Rassismus gewählt worden? Da kommen jedoch US-Medien wie die New York Times oder CNN in gut fundierten und recherchierten Artikeln zu anderen Ergebnissen. Der Autor begibt sich mit seiner Behauptung in ein klassisches amerikanisches Lager. Dies begann unmittelbar nach dem Ende des Bürgerkrieges die Sklaverei als Hauptgrund des Krieges zu leugnen und schob angebliche staatsrechtliche Überlegungen vor. Heute würde man das False News nennen, es funktionierte sehr gut. Führte zur gesetzlich verankerten Rassendiskriminierung bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts und den heute noch tief schwelenden Konflikten. Ergo der Wahl des Herrn Trump. Rassismus. Protektionismus sprich die Wut des weißen Mannes zeigt sich da.
Ich hätte Trump auch gewählt, meine beiden Hauptgründe sind seine Israel und Russland Politik. Da ist mir Trump wesentlich lieber als Clinton.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich selbst zitiere: "Natürlich haben Rassismus, Misogynie und Erzkonservatismus bei den Wahlen in den USA eine Rolle gespielt, aber sie haben sie nicht entschieden."
Trump hat mit seinem Rassismus Wähler*innen einfangen können, das zweifel ich überhaupt nicht an, der letzte Teil des Satzes ist aber hier der wichtige. Hätte Clinton eine andere Wirtschaftspolitik verfolgt und dem Rust Belt mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wäre die Wahl wohl möglich anders ausgegangen. Das lässt sich ebenfalls fundiert belegen, genauso wie sich fundiert belegen lässt, dass Trump wegen seines Rassismus gewählt wurde.
Wenn ich mich an dieser Stelle missverständlich ausgedrückt habe, dann tut es mir Leid, aber mir drängt sich der Verdacht auf, dass Du, PH, nicht genau gelesen hast, wenn ich das so anmerken darf.
@Manuel
„Ich hätte Trump auch gewählt, meine beiden Hauptgründe sind seine Israel und Russland Politik. Da ist mir Trump wesentlich lieber als Clinton.“
Mich würden auch noch die Nebengründe interessieren, um mir von Ihrer Motivation ein besseres Bild machen zu können.
Jemand der sich so unverhohlen und facettenreich menschenfeindlich äußert, während er ausnahmlos Falken & Milliardäre um sich scharrt, die durch ihr bisheriges Handeln die im Beitrag beschriebene Situation bisher aktiv mitgestaltet haben – um jetzt so zu tun, als hätten sie die (einfache) Lösung im Jackettärmel – scheint mir persönlich aus vielen Gründen unwählbar.